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Petzold und Qurbani im Bären-Rennen der Berlinale

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) stiftet erstmals den Berlinale Dokumentarfilmpreis.



Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Dieter Kosslick, hat Carlo Chatrian, der neue künstlerische Leiter der 70. Internationalen Filmfestspiele, den Wettbewerb diesmal nicht ab Dezember in drei Margen enthüllt, sondern alle Titel, die um den Goldenen Bären konkurrieren, auf einen Schlag im Rahmen der Programmpressekonferenz am 29. Januar 2020 vorgestellt, so wie das bereits in Cannes und Venedig seit Jahren Usus ist. Doch dies ist nicht der einzige radikale Bruch mit Berlinale Traditionen.

Während es bisher üblich war, dass in der Sektion »PANORAMA« neben Internationalen Spielfilmen eine große Dokumentarfilmreihe mit einem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, wird es diesmal ganz offiziell einen Berlinale Dokumentarfilmpreis geben, der vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) gestiftet wird und auch an einen Film aus anderen Sektionen vergeben werden kann.

Anwärter wäre dafür durchaus auch die Sektion »GENERATION 14plus«, in der diesbezüglich gleich mehrere interessante Weltpremieren laufen. Darüber hinaus wäre es auch denkbar, dass der Preis an einen der Filme in der neuen Sektion ENCOUNTERS geht, die für kleinere, fragilere Filme geschaffen wurde und im CinemaxX sich mit dem PANORAMA den verfügbaren Platz teilen muss, denn das CineStar Kino im Sony Center bleibt wegen Geschäftsaufgabe geschlossen.

Für das FORUM, das weiterhin keinen eigenen Preis vergibt, steht natürlich das Delphi Kino wieder zur Verfügung sowie die Akademie der Künste und das Silent Green für das FORUM EXPANDET.

Im offiziellen BERLINALE Wettbewerb, für den als Jurypräsidenten Jeremy Irons ausgewählt wurde, werden für Deutschland Christian Petzold mit "Undine" und Burhan Qurbani mit "Berlin Alexanderplatz" ins Bären-Rennen gehen.

Beide sind der Berlinale eng verbunden. Petzold war bereits viermal im Wettbewerb vertreten, zuletzt vor zwei Jahren mit "Transit". Auch in seinem neuen Film "Undine" spielen wieder Paula Beer und Franz Rogowski die Hauptrollen. Es ist die Geschichte, die das gleichnamige deutsche Volksmärchen aufgreift, und von einer jungen Frau erzählt, die von einem alten Fluch eingeholt wird, nachdem sie von ihrem Freund verlassen wird.

Qurbani wiederum hatte seinen nationalen Durchbruch im Jahr 2010 mit "Shahada" im Berlinale-Wettbewerb und kehrt nun mit seiner modernen Neuerzählung von "Berlin Alexanderplatz", seinem ersten Film seit sechs Jahren, zurück in die Hauptstadt.

Beide deutschen Regisseure sind keine großen Überraschungen, auch wenn derzeit noch in Unkenntnis der ausgewählten Filme nur schwer zu beurteilen ist, wie hoch die Qualität ihrer Wettbewerbsfilme sein werden. Dafür stehen aber mit Nina Hoss und Lars Eidinger zwei der größten deutschen Leinwandstars im Mittelpunkt der Schweizer Produktion "Schwesterlein" von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, einer von fünf Titeln im Wettbewerb, die von einem Regieduo realisiert wurden.

Mit einem Blick auf Namen und Was auf den ersten Blick fehlt, sieht man von Petzold und Qurbani ab, sind die ganz großen Namen, die große Überraschung. Natürlich findet sich eine ganze Reihe von Festivalfavoriten: Sally Potter ist drei Jahre nach "The Party" zurück mit "The Roads Not Taken" (mit Javier Bardem und Elle Fanning). Im selben Jahr war auch der Koreaner Hong Sang-soo zuletzt vertreten, der 2020 "Domangchin yeoja" vorstellen wird. Das französische Enfant-terrible-Duo Benoí®t Delépine und Gustave Kervern landete 2010 mit "Mammuth" einen Publikumserfolg und stellt nun "Effacer l'historique" vor. Der Taiwanese Tsai Ming-Liang, der "Rizi" zeigen wird, ist erstmals seit seinem Skandalfilm "Das Fleisch der Wassermelone" vor 15 Jahren wieder auf der Berlinale. Philippe Garrel, Jahrgang 1948, ist eine lebende Filmlegende, war traditionell aber eigentlich immer der Mostra in Venedig zugeneigt und kommt mit "Le sel des larmes" erstmals an die Spree. Und natürlich ist .

Dass Carlo Chatrian nicht nur Weltpremieren im Wettbewerb zeigt, sondern mit "First Cow" von Kelly Reichardt, einer gefeierten Figur des neuen Kunstkinos, sogar einen Film nach Berlin einlädt, der bereits im vergangenen Jahr in Telluride Weltpremiere gefeiert hatte, ist für das Berliner A-Filmfestival ungewöhnlich.

Auch der Sundance-Titel "Never Rarely Sometimes Always" von Eliza Hittman, der gerade erst 24. Januar 2020 Weltpremiere auf dem US-Independet-Filmfestival feierte, landet nicht im PANORAMA, sondern darf im offiziellen Wettbewerb Unterschlupf finden.

Allerdings hatte Carlo Chatrian bereits in seinem Antrittsgespräch angekündigt, das ihm ein runder Wettbewerb wichtiger sei, als unbedingt nur Weltpremieren zeigen zu müssen. Übrigens hält er sich offensichtlich an die in Cannes beschossene Selbstverpflichtung mehr Regisseurinnen in den Wettbewerb einzuladen, was in Venedig noch keine Selbstverständlichkeit geworden ist. Insgesamt finden sich nämlich sieben Filmemacherinnen im Wettbewerb.

In einem Statement räumt der neue Berlinale Festivalleiter jedoch ein, dass die "eher dunklen Farben" in seiner Auswahl dominieren würden: "Das mag daran liegen, dass die von uns ausgewählten Filme eher illusionslos auf die Gegenwart blicken - nicht, weil sie Schrecken verbreiten, sondern weil sie uns die Augen öffnen wollen. Das Vertrauen des Kinos in den Menschen, dieses leidende, geschundene, manipulative Wesen, ist ungebrochen - so ungebrochen, dass es immer wieder ihn als Protagonisten in den Blick nimmt", so Chatrian.


Mit Blick auf Cannes, wo vor einigen Jahren nach Disneys "UP" mit "Soul" von Peter Docter ein weiterer Animations-Titel diesmal aus dem Pixar-Studio erwartet wird, zeigt sich, dass der neue künstlerische Leiter ebenfalls keine Aversion gegen Mainstreamkino hat. Im Rahmen der Berlinale Gala Specials wird nämlich im Berlinale Palast der neue Animationsfilm "Onward: Keine halben Sachen" Weltpremiere feiern - der erste Pixar-Film, der auf der Berlinale läuft.

Und schließlich komplettiert die Doku "Speer Goes to Hollywood" von der israelischen Filmemacherin Vanessa Lapa das Special, das nunmehr aus insgesamt 20 Titeln besteht.

Hierzu sagt Chatrian: "Diese Sektion bietet Filmen eine Bühne, die ein breites Publikum erobern. Wir nennen sie ,Moving Images', weil sie mit ihrer Aussagekraft und mit bravourösen und mutigen Darsteller*innen die Zuschauer*innen bewegen. Bei den Gala-Premieren geht der Wunsch nach Stars, Glanz und Glamour in Erfüllung, der zu jedem großen Fest gehört, Berlinale Series bietet Einblicke in neue Formen des Erzählens, Berlinale Special versteht sich als Forum für Auseinandersetzung und Diskussion und schlägt Brücken zwischen Publikum und Film".


Überblick über den Wettbewerb der 70. Berlinale.

"Berlin Alexanderplatz" von Burhan Qurbani
Deutschland / Niederlande
mit Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, Joachim Król, Annabelle Mandeng, Nils Verkooijen, Richard Fouofié Djimeli
Weltpremiere

"DAU. Natasha" von Ilya Khrzhanovskiy & Jekaterina Oertel
Deutschland / Ukraine / Vereinigtes Königreich / Russische Föderation
mit Natalia Berezhnaya, Olga Shkabarnya, Vladimir Azhippo, Alexei Blinov, Luc Bigé
Weltpremiere

"Domangchin yeoja" (The Woman Who Ran) von Hong Sangsoo
Republik Korea
mit Kim Minhee, Seo Younghwa, Song Seonmi, Kim Saebyuk, Lee Eunmi, Kwon Haehyo, Shin Seokho, Ha Seongguk
Weltpremiere

"Effacer l'historique" (Delete History) von Benoí®t Delépine & Gustave Kervern
Frankreich / Belgien
mit Blanche Gardin, Denis Podalydí¨s, Corinne Masiero
Weltpremiere

"El prófugo" (The Intruder) von Natalia Meta
Argentinien / Mexiko
mit Érica Rivas, Nahuel Pérez Biscayart, Daniel Hendler, Cecilia Roth, Guillermo Arengo, Agustí­n Rittano, Mirta Busnelli
Weltpremiere

"Favolacce" (Bad Tales) von Damiano & Fabio D‘Innocenzo
Italien / Schweiz
mit Elio Germano, Barbara Chichiarelli, Lino Musella, Gabriel Montesi, Max Malatesta
Weltpremiere

"First Cow" von Kelly Reichardt
USA
mit John Magaro, Orion Lee, Toby Jones, Scott Shepherd, Gary Farmer, Lily Gladstone
Internationale Premiere

"Irradiés" (Irradiated) von Rithy Panh
Frankreich / Kambodscha
Weltpremiere / Dokumentarische Form

"Le sel des larmes" (The Salt of Tears) von Philippe Garrel
Frankreich / Schweiz
mit Logann Antuofermo, Oulaya Amamra, André Wilms, Louise Chevillotte, Souheila Yacoub
Weltpremiere

"Never Rarely Sometimes Always" von Eliza Hittman
USA
mit Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin, Ryan Eggold, Sharon Van Etten
Internationale Premiere

"Rizi" (Days) von Tsai Ming-Liang
Taiwan
mit Lee Kang-Sheng, Anong Houngheuangsy
Weltpremiere

"The Roads Not Taken" von Sally Potter
Vereinigtes Königreich
mit Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek, Laura Linney
Weltpremiere

"Schwesterlein" (My Little Sister) von Stéphanie Chuat & Véronique Reymond
Schweiz
mit Nina Hoss, Lars Eidinger, Marthe Keller, Jens Albinus, Thomas Ostermeier, Linne-Lu Lungershausen, Noah Tscharland, Isabelle Caillat, Moritz Gottwald, Urs Jucker
Weltpremiere

"Sheytan vojud nadarad" (There Is No Evil) von Mohammad Rasoulof
Deutschland / Tschechische Republik / Iran
Weltpremiere

"Siberia" von Abel Ferrara
Italien / Deutschland / Mexiko
mit Willem Dafoe, Dounia Sichov, Simon McBurney, Cristina Chiriac
Weltpremiere

"Todos os mortos" (All the Dead Ones) von Caetano Gotardo & Marco Dutra
Brasilien / Frankreich
mit Mawusi Tulani, Clarissa Kiste, Carolina Bianchi, Thaia Perez, Alaí­de Costa, Leonor Silveira, Agyei Augusto, Rogério Brito, Thomás Aquino, Andrea Marquee
Weltpremiere

"Undine" von Christian Petzold
Deutschland / Frankreich
mit Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree, Jacob Matschenz
Weltpremiere

"Volevo nascondermi" (Hidden Away) von Giorgio Diritti
Italien
mit Elio Germano
Weltpremiere

Das Wettbewerbsprogramm, das vom 20. Februar bis zum 1. März 2020 stattfindet, umfasst 18 Filme aus 18 Ländern, darunter 16 Weltpremieren sowie eine dokumentarische Form.

Link: www.berlinale.de

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