Skip to content

Unsere Filmkritiken im Jan. 2020, Teil 3

Diesmal drei Filmkritiken von Ulrike Schirm und zwei besondere Empfehlungen vom BAF Chefredakteur.



Mit Kriegsfilmen ist das so eine Sache, für die einen gehören Werke wie "Apokalypse Now" von Francis Ford Coppola zu den besten Antikriegsfilmen, die je geschaffen wurden, für andere sind sie einfach nur kriegsverherrlichend. Unzweifelhaft ist der Aufwand, der im Jahre 1979 getrieben wurde, um abschreckende Wirkung zu erzielen und den Wahnsinn darzustellen, wie junge 19-jährige Rekruten im Vietnamkrieg verheizt wurden.

Im Jahre 2017 hat Regisseur Christopher Nolan bei seinem Film "Dunkirk" einen vielleicht noch größeren Aufwand getrieben, um die Schlacht von Dünkirchen im Zweiten Weltkrieg mit modernster Filmtechnik noch naturgetreuer darzustellen. Streckenweise bedient er sich dabei einer Kameratechnik aus der Ego-Perspektive und folgt längere Zeit zwei Protagonisten im Kriegsgeschehen nahezu ohne Schnitt.

Bei dem jetzt erschienen "1917", der im Ersten Weltkrieg spielt und im Rahmen der Oscarverleihung 2020 insgesamt zehn Nominierungen erhielt, unter anderem als bester Film, hat Sam Mendes diese Technik weiter perfektioniert und den ganzen Film als One Shot - quasi ohne sichtbaren Schnitt - gestaltet, wodurch eine atemberaubende Wirkung erzielt wird. Und dennoch hat das Werk ein eher ungutes Gefühl bei uns hinterlassen.

Als wir nämlich vor einiger Zeit Dokumentaraufnahmen aus dem Syrienkrieg um Aleppo im Kino auf der großen Leinwand sahen, in denen echtes Blut fließt und der Kameramann, von einer Kugel getroffen plötzlich zusammensackte, während das Aufnahmegerät seinen Tod automatisch weiter filmte, betrachten wir inszenierte Kriegsfilme, in denen nur Filmblut fließt, plötzlich mit ganz anderen Augen und können sie eigentlich nur noch als Klischee einstufen.

+++++++++++++++++

"1917" Historienkriegsdrama von Sam Mendes (Großbritannien, USA). Mit George MacKay, Dean-Charles Chapman, Mark Strong u.a. seit 16. Januar 2020 im Kino. Hier der Orig.Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

April 1917, mitten im ersten Weltkrieg. Zwei britische Soldaten, Corporal Schofield (George McKay) und Corporal Blake (Dean- Charles Chapman) pausieren auf einer Wiese. Sie unterhalten sich über dies und das. Ihre friedliche Pause wird abrupt beendet, als sie den Befehl erhalten, einen wichtigen Brief ins Feindgebiet zu bringen, wo eine verbündete Einheit, kurz davor steht in eine Falle der Deutschen zu tappen. Alle Telefonleitungen sind gekappt. Bevor sie losmarschieren, werden sie von einem Offizier gesegnet. Ein Bataillon von 1600 britischen Soldaten, darunter auch Blakes Bruder, geraten in den tödlichen Hinterhalt, wenn die beiden, fast noch Kinder, den Brief nicht rechtzeitig überbringen. Es beginnt ein Wettlauf mit dem Gegner Zeit. Sie laufen durch kilometerlange Schützengräben, bis sie sich im Niemandsland befinden. Weiter geht`s vorbei an verwesenden Leichen, die von Ratten und Krähen angefressen werden, Pferdekadavern, und abgebrannten Bäumen, stets ist die Kamera den beiden Boten auf den Fersen. Ertragen müssen sie das skelettierte Antlitz eines im Stacheldraht hängenden Landsers und weiteres Grauen.

Hinter der Kamera Roger Denkins, der schon bei Regisseur Sam Mendes in „Skyfall“ die Kamera geführt hat. Oscar-Preisträger Mendes („Amrican Beauty“) hat das Kriegsdrama nach Erzählungen seines Großvaters, der im Ersten Weltkrieg gedient hat, als Vorlage genommen und mit fiktiven Elementen erweitert. Mendes hatte die brilliante Idee, die Heldengeschichte der beiden Soldaten in Echtzeit zu erzählen, ohne erkennbare Schnitte, das einem den Atem nimmt. Man ist beim Zuschauen schmerzhaft und hautnah bei der gefährlichen, 24-stündigen Mission dabei, als stünde man selbst an der Front.

Ein Kinoerlebnis, erschütternd und intensiv. Die riesigen, verwinkelten Schützengräben wurden eigens für den Film in England ausgehoben. Nominiert für 10 Oscars.

Ulrike Schirm


+++++++++++++++++

"LINDENBERG! Mach Dein Ding!" Biopic über Udo Lindenberg von Hermine Huntgeburth (Deutschland). Mit Jan Bülow, Detlev Buck, Max von der Groeben u.a. seit 16. Januar 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Udo Lindenberg, 1946 in Gronau (Westfalen) geboren, ist schon jetzt eine Legende und aus der deutschen Rock-Musik nicht weg zu denken. Lang, lang ist's her, als ich ihn mit meinem 7- oder 8-jährigen Sohn in Heidelberg zum ersten mal auf der Bühne sah und begeistert war.

Nun sieht man den Theaterschauspieler Jan Bülow im Kinofilm „Lindenberg! Mach dein Ding!“ und denkt, mensch, dit iss Udo, wie er leibt und lebt.

Regisseurin Hermine Huntgeburth nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die alte Bundesrepublik, in der wir erfahren, wie für Udo alles anfing.

Schon als 5-jähriger Junge schwören sich seine Mutter und er, für immer füreinander da zu sein. Schon mit zwölf Jahren wusste er, dass er ein Trommler oder Musiker wird. Sehr zum Ärger seines Vaters Gustav (Charly Hübner), der ein Klempner war und behauptete „wir Lindenbergs werden Klempner und sonst nichts“.

Andererseits sehen wir den Vater, wie er betrunken seine Kinder nachts aus dem Bett holt und im Wohnzimmer Opernarien dirigiert. Er gehörte offensichtlich zu den Kriegsheimkehrern, die ihre Träume nicht verwirklichen konnten. Traurig.

Mit 15 haut Udo er aus Gronau ab und ging nach Düsseldorf und arbeitete als Kellner. Mit 17 ging er nach Libyen. Als Drummer einer Band, die Musik für die dort stationierten US-Truppen machte. Wenn sie nicht auftraten, wurde aus langer Weile kräftig gesoffen. Zurück in Deutschland, trat er in Hamburg im Sex-Club „Salambo“ als Drummer auf. Es war ein steiniger Weg, Suff, Abstürze und Demütigungen, bis er der wurde der er heute ist. Auch Frauen spielen eine wichtige Rolle in diesem Film. Die erste unerfüllte Liebe zu der Nachbarstochter, seine Kiezliebe und natürlich das Mädchen aus Ost-Berlin. Frauen, die sich später in seinen melancholischen Liedern wiederfinden.

1968 lernt er in Hamburg den Plattenmanager (Detlef Buck) kennen und besteht darauf, seine Texte in deutsch zu singen, sehr zum Ärger seiner Mitbewohner, für die Deutsch als Sprache der Täter gilt.

Eine wichtige Rolle spielt seine wechselvolle Beziehung zu seinem Bassisten Steffi Stephan (Max von der Gröben). Wenige Jahre später gründet er das Panikorchester.

Auch wenn sich die Zeit, bis es mit seiner Karriere endlich klappt, etwas langwierig gestaltet, dem 23-jährigen Jan Bülow gelingt es, Lindenberg glaubhaft zu verkörpern ohne ihn zu imitieren und singen kann er auch. Ein biografischer Film, amüsant und tragisch.

Ulrike Schirm


+++++++++++++++++

"DER MARKTGERECHTE MENSCH" Dokumentation von Leslie Franke, Alexander Grasseck & Laura Dean (Deutschland). Seit 16. Januar 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der Dokumentarfilm von Leslie Franke und Herdolor Lorenz deckt anhand von Beispielen auf, wie in unserer neoliberalen Moderne von jedem erwartet wird, jeden noch so prekären Job zu akzeptieren, um geringe Rentenpunkte einzusammeln.

Es wird immer härter einen Job für's Leben zu finden. Ein Beispiel von vielen ist H&M, deren Mitarbeiter sogenannte Flex-Arbeitsverträge vorgelegt bekommen, die beinhalten, für flexible Arbeitszeiten zur Verfügung zu stehen, was Arbeit auf Abruf bedeutet. Ein Problem im gesamten Textil-und Einzelhandel. Hinzu kommt, 90% der Verträge sind befristet und gelten meistens nur für ein Jahr.

Immer weiter verbreitet sich das sogenannte Crowd – Working, bei dem Menschen zu Hause isoliert vor ihrem Rechner sitzen, keinen sozialen Austausch mit Kollegen haben, ihre eigene Arbeitskraft sind und wenn ihnen das nicht gelingt, sind sie raus. Wer der Selbstoptimierung nicht gewachsen ist, hat sich das selbst zuzuschreiben, kann niemanden anders dafür verantwortlich machen und fühlt sich als Versager. In den seltensten Fällen wird das System dafür verantwortlich gemacht. Es geht nur noch um Profit und Wettbewerb. Am interessantesten und eindringlichsten, sind die Momente, in denen Betroffene zu Worte kommen. Es stellt sich die Frage, ob in dieser kapitalistischen Welt, kooperatives Wirtschaften überhaupt möglich ist. Die kapitalistische Profitmaximierung sorgt für Armut, Ungleichheit und Ausgrenzung. Der Film zeigt erschreckende Beispiele von Ausbeutung und Sozialdumping. Große Firmen lassen in Ländern produzieren, wie in Südosteuropa, wo es keine gewerkschaftlichen Zonen gibt und Menschen bis zum Umfallen ausgebeutet werden.

Inzwischen ist auch Äthiopien ein Hotspot der globalisierten Wirtschaft. Schwerpunkt: Textilindustrie. Dort werden sogenannte Industrieparks gebaut, mit unmenschlichen Ergebnissen für die Arbeiter.

Weit verbreitet ist die Aufforderung, während der Arbeitszeit doch bitte Windeln zu tragen, um die Toilettengänge zu minimieren. Interessant und erschütternd, sind die Beiträge von Ärzten, die anschaulich schildern, was das bei Menschen physisch und psychisch auslöst.

Beschämend: Deutschland ist in Europa das Land, mit der zweitgrößten Vermögensungleichverteilung. 36 Milliardäre besitzen genau so viel, wie die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung. Wir haben in Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa. Was wir dringend brauchen ist eine Gemeinwohlökonomie. Eine Reihe von Firmen haben das erkannt und umgedacht. Einige davon werden hier vorgestellt. Für den einzelnen Menschen ist es unmöglich, sich aus diesen menschenverachtenden Bedingungen zu befreien. Nur gemeinsam kann man dieses Wirtschaftssystem ändern.

Ulrike Schirm


+++++++++++++++++

"CRESCENDO - #makemusicnotwar" Musikdrama von Dror Zahavi (Deutschland, Italien, Österreich). Mit Peter Simonischek, Bibiana Beglau, Daniel Donskoy u.a. seit 16. Januar 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Unser Filmtipp

Es ist schon etwas länger her, als wir den Film zur Eröffnung des Jüdischen Filmfestivals in Potsdam sehen konnten. Passender und packender konnte kaum eine solche Veranstaltung inszeniert werden. Das Publikum war streckenweise atemlos.

Auch zur Berlin Premiere im Delphi Filmpalast am letzten Donnerstag war der 600 Personen fassende Saal restlos ausverkauft und am Schluss gab es Standing Ovations für Dr. Alice Brauner und den Camino Filmverleih sowie die Hauptdarsteller*innen Peter Simonischek, Bibiana Beglau, Daniel Donskoy, Sabrina Amali und Mehdi Meskar, die viele Fragen des Publikums gerne beantworteten.

Die Geschichte des Films, in der junge jüdische und palästinensische Musiker im Rahmen von Friedensverhandlungen zwischen Diplomaten aus Israel und Palästina zusammengebracht werden sollen, läuft nicht ganz so friedlich ab wie vielleicht erhofft.

In der Barenboim-Said-Akademie, einer Musikhochschule in Berlin-Mitte, die nach dem argentinisch-israelischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim und dem amerikanisch-palästinensischen Literaturkritiker Edward Said benannt wurde, kommen Musiker aus den beiden sehr unterschiedlichen Weltanschauungen dagegen sehr gerne zusammen, um gemeinsam zu lernen und zu musizieren.

Bei den jugendlichen Musikern im Film überwiegen die Vorurteile der Kontrahenten und lassen das geplante Friedenskonzert fast platzen. Doch Peter Simonischek, der in dem Spielfilm als Dirigent die Jugendlichen anlernen soll, gibt nicht auf, greift sogar zu ungewöhnlichen Mitteln, um letztendlich die Friedensbemühungen nicht ganz scheitern zu lassen. Dabei sucht er nach Wegen zur Überbrückung von Hass und Intoleranz, um ein gemeinsames Zueinanderfinden und Musizieren vielleicht doch noch zu ermöglichen.

W.F.


+++++++++++++++++

"VOM GIEßEN DES ZITRONENBAUMS" Dramödie von Elia Suleiman (Katar, Deutschland, Kanada, Türkei, Palästina). Mit Elia Suleiman, Gael Garcí­a Bernal, Tarik Kopty u.a. seit 16. Januar 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Unser Filmtipp:

"It must be Heaven", so der Originaltitel des Films, der anfänglich an ein Werk der Comedy-Truppe "Monty Python" erinnert, doch alsbald glaubt man sich in einer modernen Version von Jaques Tati's "Trafic" zu befinden, der 1971 in Paris uraufgeführt wurde. Darin beobachte der Regisseur, der selbst als Monsieur Hulot auftrat, nahezu stumm seine Umwelt und wunderte sich über so manche Absurditäten.


Hier der Trailer:

In Deutschland erschienen unter dem eher dümmlichen Titel:
"Tati im Stoßverkehr"


Dass nun der arabisch-israelische Filmregisseur Elia Suleiman sich eines sehr ähnlichen Themas annimmt und ebenfalls als stummer Beobachter selbst im Film auftritt, erfreute nicht nur uns beim Betrachten des Films, sondern dürfte sicherlich auch all jene Zuschauer begeistern, die schon damals über Tatis subtile Komik seine merkwürdige Erzählweise herzhaft lachen konnten.

In „Vom Gießen des Zitronenbaums“ sucht ein palästinensischer Künstler im Ausland sein Glück. Doch auch dort kann er seine Heimat nicht hinter sich lassen, denn wer aus Nazareth kommt, muss sich angesichts der wundersamen Vergangenheit dieser Stadt eigentlich über nichts mehr in der Welt wundern.

Im Trailer wurden die skurrilsten Szenen leider ausgelassen, oder sind nur angedeutet, doch einige Parallelen zu Tatis "Trafic" sind offensichtlich gewollt. Das wird vor allem an jener Stelle deutlich, wo drei Polizisten auf elektrischen Einrädern, den Monowheels von Segway, längere Zeit um ein vermeintlich gefährliches Fahrzeug kreisen, oder als der Verkehr in Paris während des Nationalfeiertages plötzlich wie ausgestorben wirkt, stattdessen aber Panzer durch die Straßen rollen.

W.F.


Anzeige