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Wieder ein Blockbuster verschoben - Unsere Filmkritiken im Oktober 2020

Berlinale Preisträger jetzt im Kino - Bond 007 dagegen zum 4. Mal verschoben, diesmal auf April 2021.



Während die großen Kinoketten händeringend auf neue Filme warten, zieht die Filmbranche wegen der weltweit wieder steigenden Corona-Zahlen einen Blockbuster nach dem anderen zurück. Es ist nicht die Angst vor einem Flop, sondern die Furcht vor zu geringen Einspielergebnissen, da die meisten Filmtheater wegen der Ansteckungsgefahr nicht alle Plätze belegen dürfen.

Durch die geringere Kapazität der Filmtheater können die erforderlichen Einspielergebnisse derzeit nicht erreicht werden. In einigen Ländern sind die Kinos sogar gänzlich geschlossen. Blockbuster wie die James Bond Filmreihe, um den durch Geheimagenten 007 wurden aufwendig produziert und haben ein Vermögen gekostet, weshalb der Verleih die Premiere des 25. Bond-Film "Keine Zeit zu sterben" (Originaltitel: "No Time To Die") nun bereits zum vierten Mal auf April 2021 verschiebt und damit auf bessere Zeiten hofft.

Wie die Kinos ohne neue Blockbuster das Weihnachtsgeschäft überleben sollen, steht jetzt schon in den Sternen. Auch wenn kurzfristig noch vermeintliche Hits auftauchen sollen, so stellt sich die Frage, ob das Publikum mitzieht.

Junge Leute sind flexibel und wenden sich stattdessen dem Stream zu Hause zu, während ältere Filmenthusiasten sich trotz Corona-Maske immer seltener hinaustrauen und wenn doch, dann meist große Multiplex-Filmtheater mit den Blockbustern eher meiden, dafür aber kleinere Arthouse-Kinos mit großem Sitzabstand bevorzugen.

Dort läuft gerade der Gewinner des Silbernen Bären der diesjährigen 70. Berlinale an, den wir gern empfehlen.

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"NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER" mit dem silbernen Bären der 70. Berlinale preisgekröntes Drama von Eliza Hittman (USA, Großbritannien). Mit Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin u.a. seit 1. Oktober 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ein junges Mädchen steht auf der Bühne ihrer High School und singt „He's got the Power, the power of love, over me“. Man ahnt, dass ihr etwas Ungewolltes passiert ist. Der Gesang kommt nicht gut an. Eine männliche Stimme brüllt: „Schlampe“. Das Mädchen ist kurz irritiert, singt dann aber weiter.

Das Mädchen heißt Autumn (Sidney Flanigan) und ist 17 Jahre alt. Als sie später, in einer Kneipe den Zwischenrufer wiedersieht, kippt sie ihm ein Glas Wasser ins Gesicht. Aufgewachsen ist sie in einem ärmlichen Arbeiterviertel in Pennsylvania. Mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) arbeitet sie an der Kasse eines Supermarktes. Jedes Mal, wenn sie ihre Einnahmen dem Geschäftsführer durch einen Schlitz übergeben, drückt er ihnen einen Kuss auf die Hände. Die Mädchen bleiben stumm, lassen aber jedes Mal 10 Dollar verschwinden. Es ist ihre Art, sich zu wehren.

Autumn macht einen Schwangerschaftstest. Er ist positiv. Eine Ultraschalluntersuchung zeigt, dass sie in der 10. Schwangerschaftswoche ist. Eine erzkonservative Ärztin zeigt ihr danach ein abschreckendes Abtreibungsvideo. Unter Tränen boxt sie wie wild gegen ihren Bauch, in der Hoffnung, das Kind zu verlieren.

In Pennsylvania braucht sie für einen Schwangerschaftsabbruch die Zustimmung ihrer Eltern. Doch ihre Mutter und ihr Stiefvater dürfen es nicht erfahren. Sie vertraut sich Skylar an. Beide beschließen mit dem Bus nach New York zu fahren, denn dort wird nicht nach einer Einwilligung der Eltern gefragt. Ihr Ziel ist eine Abtreibungsklinik in Brooklyn, Planned Parenthood (dt. „Geplante Elternschaft“).

Vorher unterschlägt Skylar noch etwas Geld und stopft es auf dem Heimweg in ihren Rucksack. Der Trip wird zu einer Odyssee. Die beiden Mädchen irren mit einem kaputten Rollkoffer, mit wenig Geld, ohne Schlafmöglichkeit durch eine fremde Stadt. Noch ahnen sie nicht, dass ihr Aufenthalt länger dauert als geplant. Ihre Kommunikation verläuft fast wortlos. Es sind kleine Gesten, die den Zusammenhalt der beiden Mädchen gegen den Rest der Welt zeigen. Auf ihrem Weg, müssen sie an einer kirchlich organisierten Demonstration vorbei, bei der Schilder mit blutverschmierten Embryos hochgehalten werden. Endlich in der Praxis angekommen, stellt man fest, dass sie bereits in der 18. Schwangerschaftswoche ist. Der Abbruch wird abgelehnt. Man schickt sie woanders hin. Die beiden Cousinen müssen die Nacht bis zum nächsten Tag irgendwie überbrücken.

Und wieder passiert etwas Unvorhergesehenes. Der erste Tag gilt der Abtreibungsvorbereitung, am zweiten Tag findet der Abbruch statt. Vorab muss Autumn sehr viele persönliche Fragen beantworten. Die Antwortmöglichkeiten werden ihr vorgegeben: „Niemals Selten Manchmal Immer“. (Never Rarely Sometimes Always)

Es sind sehr persönliche Fragen. Fragen zu sexuellen Kontakten und sexuellen Gewalterfahrungen. Mit sechs Jungen hat sie geschlafen, aber nicht mit allen freiwillig. Bei der Frage nach der Unfreiwilligkeit zuckt sie kurz zusammen und verbirgt ihre Tränen.

Ihre Situation ist beklemmend. Sie haben kein Geld mehr für ein Hotel. Sie treffen einen Jungen aus dem Bus wieder, gehen mit ihm bowlen und in eine Karaoke-Bar. Er leiht ihnen etwas Geld, dafür muss Skylar mit ihm knutschen. Diese Szene offenbart einen ganz besonderen Moment. Skylar lehnt mit dem Jungen an einer Säule. Autumn, die sich hinter der Säule befindet, reicht ihrer Cousine heimlich die Hand. Ihre Finger berühren sich, was so viel bedeutet wie, ich steh dir bei.

Regisseurin Eliza Hittman verzichtet in ihrem dokumentarisch anmutendem Film auf Gewesenes. Die wahren Umstände der Schwangerschaft bleiben im Dunkeln. Leise und unaufgeregt, mit zarten Andeutungen, erzählt sie das Geschehen. Um so grösser ist die Wucht, mit der uns der Film trifft.

Nicht nur in Trumps Amerika wird den Frauen das Recht auf die Selbstbestimmung ihres Körpers schwer gemacht, auch in Deutschland wird es wieder immer schwieriger Ärzte*innen zu finden, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Es macht wütend, diesem wortkargen Mädchen auf ihrem steinigen Weg zu folgen. Ohne laute Worte spielt die junge Sidney Flanigan, die man hier zum ersten Mal auf der Leinwand sieht, mit einer umwerfenden inneren Stimme, die die Geschehnisse um so lauter erscheinen lassen. Das geht einem tief unter die Haut. Gleichzeitig ist dieser wichtige Film auch ein Plädoyer für die Me-Too-Bewegung. (#ME TOO)

Die Uraufführung dieses Films fand dieses Jahr auf dem Sundance Filmfestival in Park City, Utah/USA statt, wo der Film den „Spezialpreis der Jury“ in der Sektion der US-Spielfilme bekam. Im Wettbewerb der Berlinale gewann der Film den Silbernen Bären. Außerdem erhielt er den Gilde-Preis für den besten internationalen Film des Jahres.

Universal hat in Ergänzung zum Film auf YouTube ein Online-Panel „Fokus Schwangerschaftsabbruch – Wo stehen wir“ veröffentlicht.

Ulrike Schirm


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"GOTT, DU KANNST EIN ARSCH SEIN" Dramödie von André Erkau (Deutschland, 97 Min.). Mit Sinje Irslinger, Max Hubacher, Til Schweiger, Heike Makatsch, Jürgen Vogel u.a. seit 1. Oktober 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die 16-jährige Steffi (Sinje Irslinger) hat gerade ihren Schulabschluss hinter sich und freut sich auf die abschließende Klassenfahrt mit ihrem Freund. Wenn sie zurückkommt will sie eine Ausbildung bei der Polizei machen. Alles ist perfekt geplant, denn im Planen ist sie gut. Doch dann erhält sie bei einem Gesundheitscheck die Diagnose: Bronchialkarzinom im Endstadium. Es bleiben ihr noch wenige Monate zu leben, denn der Krebs hat schon gestreut.

Der Bus nach Paris fährt ohne sie. Ihre Mutter (Heike Makatsch) besteht darauf sofort mit der Chemotherapie anzufangen. Eine etwas irritierende Maßnahme. Warum soll Steffi, die sich noch pudelwohl fühlt, ihren Organismus mit einer Chemo zusätzlich schwächen. Ihr Vater (Til Schweiger) sieht das anders. Er ist der Meinung, Steffi auf ihren letzten Metern noch alle Wünsche zu erfüllen. Es tritt der Zirkusartist Steve (Max Hubacher) in ihr Leben. Da er einen Führerschein besitzt, nehmen sie das gebrauchte Auto, ein Geschenk ihres Vaters und machen sich auf den Weg nach Paris, natürlich ohne Geld.

Steffi hat eine ganz persönliche Verabredung mit ihrem Freund. Sie sieht es gar nicht ein, sich von dem Schicksal herunterziehen zu lassen. Der Roadtrip wird zu einem aufregenden Abenteuer. Sie reiten auf Kühen, fahren Snowboard im Hochsommer, klauen Lebensmittel, überlisten einen gemeingefährlichen Tankwart (Benno Führmann), der auf sie los geht und ihnen die übelsten Ausdrücke hinterher brüllt. Sie nisten sich listig in einem Hotel ein.

In einem Tattoo-Studio lässt sich Steffie den Satz: „Gott, du kannst ein Arsch sein“, ritzen. Ein Satz den man im Angesicht ihres Schicksals, nicht laut genug herausschreien kann. Steve schlägt vor, einen Abstecher ans Meer zu machen, denn alle Todkranken wollen doch das Meer sehen. „Was interessiert mich das fucking Meer. Ich will nach Paris“, antwortet ihm Steffi übermütig. Noch ahnen sie nicht , dass Steffis besorgte Eltern ihnen bereits auf den Fersen sind.

„Gott du kannst ein Arsch sein“ reiht sich ohne große Überraschung ein, in das Genre der Tragikomödien mit dem Inhalt schwerer Schicksalsschlag, wie „Vincent will Meer“ oder „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, „Dem Horizont so nah“ und andere, wobei einige, einen zutiefst berühren.

André Erkau („Das Leben ist nichts für Feiglinge“), dessen Film auf einer wahren Geschichte basiert, in der der Roadtrip so gar nicht vorkommt, (die wahre Steffi hat ihre letzte Lebenszeit auf einem Familienhof verbracht und ihre Gedanken in Tagebuchaufzeichnungen festgehalten), glänzt zwar mit einem beeindruckenden Cast, lässt einen aber gefühlsmäßig ziemlich kühl. Erkau verlässt sich zu sehr auf die komödiantischen Momente. Gerne hätte man mehr von den echten Gefühlen gesehen, die durchaus da sind, aber leider nur flüchtig. Das hätte der Geschichte mehr Mitgefühl und Ernst verliehen.

Ulrike Schirm


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"JIM KNOPF UND DIE WILDE 13" Familienabenteuerkomödie von Dennis Gansel (Deutschland, 109 Min.). Mit Solomon Gordon, Henning Baum, Leighanne Esperanzate, Rick Kavanian, Milan Peschel, Annette Frier, Uwe Ochsenknecht u.a. seit 1. Oktober 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Mit dem Film „Jim Knopf und die Wilde 13“ kommt der zweite Teil von Michael Endes Diplopie in die Kinos. Wieder mit dabei, der Scheinriese Herr TurTur, der Halbdrache Nepomuk, Frau Waas, Herr Ärmel und Prinzessin LiSi und natürlich die beiden Lokomotivführer Jim Knopf, der inzwischen ein Teenager ist und sein väterlicher Freund Lukas.

Es ist ziemlich ruhig auf der kleinen Insel Lummerland. Ach nee, durch eine zusätzliche Landmasse, heißt sie ja jetzt Neu-Lummerland. Auf der Insel ist selbst das Regenwetter fröhlich. Als das Postschiff die Insel rammt, hat König Alfons der Viertelvorzwölfte eine rettende Idee: Die Insel braucht dringend einen Leuchtturm, der zugleich klein und doch groß ist. Aber wo nehmen wir die Lampe her.

Herr TurTur aus der Wüste am Ende der Welt kann ihnen sicherlich helfen. Also werden Jim und Lukas wieder auf eine abenteuerliche Reise geschickt. Und Waisenjunge Jim weiß noch immer nicht woher er kommt und wer seine Eltern sind. Er will es endlich wissen.

Die Reise wird höchst turbulent. Mit den zwei Lokomotiven Emma und Molly machen sie sich auf den Weg. Sie treffen auf die Meerjungfrau Sursulapitschi, der sie helfen am Großen Gurumusch-Magnetfelsen das Meeresleuchten wieder herzustellen. Da aber dadurch die Magnetfelsen wieder aktiviert werden, wandeln sie Emma in ein flugfähiges Perpetumobil um.

Traurig lassen sie Lokomotive Molly zurück. Sie finden Herrn TurTur, treffen den Halbdrachen Nepomuk, Frau Malzahn, die sich aber in der Zwischenzeit in den Goldenen Drachen der Weisheit verwandelt hat. Doch dann wird es bitter. Die kleine Lokomotive Molly ist von der Wilden 13, die sich wie einem Ei dem andern gleicht, entführt worden. Jim und Lukas müssen alles dran setzen, sie aus den Fängen der schrecklichen Meerespiraten zu befreien. Es ist köstlich mit anzusehen, wie Rick Kavanian die gesamte 13 verkörpert, jedem eine andere Stimmlage und Mimik verpasst.

In diesem bunten und phantasievoll gestalteten Film steckt alles drin, was ein großes Abenteuer ausmacht.

„Teil zwei wurde an 41 Drehtagen in Südafrika gedreht und an 11 Drehtagen in Babelsberg. Das fünfzig mal sechzig Meter große Lummerland-Set kann im Filmpark Potsdam-Babelsberg von Jim Knopf Fans besucht werden.

Die Schatzkammer der Wilden 13 auf dem Land, das nicht sein darf, wurde u.a. mit Tausenden von echten Schokotalern vergoldet.“ (Quelle: Magazin Cinema 10/20 )

Ulrike Schirm


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