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Schweiz blamiert sich wegen Polanskis Verhaftung

Die Verhaftung wegen eines mehr als 30 Jahre alten Verfahrens war minutiös und geheim vorbereitet.



Der berühmte polnische Filmregisseur Roman Polanski, der letzten Samstag bei der Einreise in die Schweiz überraschend festgenommen worden war, bleibt weiterhin in provisorischer Auslieferungshaft, teilten die Organisatoren des Zurich Film Festivals mit. Ursprünglich sollte der 76-Jährige für sein Lebenswerk mit dem "Goldene Auge" ausgezeichnet werden, doch bei der Einreise in die Schweiz schnappte die Falle zu. Grund ist ein US-Haftbefehl aus dem Jahr 1978, bei dem sich Polanski wegen angeblicher Vergewaltigung einer Minderjährigen in den USA vor Gericht verantworten sollte. Polanski entfloh den Behörden jedoch heimlich und ließ sich nie wieder in den USA blicken.

Die Geschichte hört sich an, wie aus einem neuen Drehbuch-Thriller von Polanski aber leider ist sie allzu wahr, denn der Regisseur war sein Leben lang auf der Flucht: vor den Nazis, vor Kriminellen und seit über 30 Jahren vor der Staaatsgewalt der USA.

Seinerzeit gab Polanski zwar zu, eine damals 13-Jährige mit Alkohol und Drogen zum Sex verführt zu haben, doch Polanskis Opfer tat den Liebesdienst nicht ganz unfreiwillig. Auf Drängen ihrer ehrgeizigen Mutter sollte sie auf diese Weise eine Filmkarriere erlangen. So wurde der Stein damals ins Rollen gebracht. Heute sagt Samantha Geimer, dass sie die Behörden mehrmals aufgefordert hat, das Verfahren einzustellen, da es sich in Ihren Augen nie um eine echte Vergewaltigung handelte. Dementsprechend wurde gegen Polanski auch keine zivilrechtliche Klage erhoben. Allerdings sind die Strafgesetze in den USA anders. Eine Verjährung bei Verführung Minderjähriger gibt es in Kalifornien nicht. Anders in der Schweiz, dort gab es eine Verjährung bis 2008, sodass Polanski 30 Jahre nach der Tat eigentlich nicht mehr behelligt werden dürfte. Auch wenn diese sogenannte Verfolgungsverjährung erst kürzlich abgeschafft wurde, um - vor allem auf Druck der USA - die zunehmende Wirtschaftskriminalität auch nach langer Zeit noch ahnden zu können, so dürfte eine einst verjährte Tat - solange es kein Mord ist, denn Mord verjährt nie - nicht wieder rückgängig gemacht werden.

In letzter Zeit scheint die Schweiz überall anzuecken und blamiert sich so international. Erst wurde das Schweizer Bankgeheimnis preisgegeben und nun wurde Polanski mit einer Ehrung in die Falle gelockt. Im Gegensatz zu anderen Ländern z.B. Frankreich, wo Polanski seit der Tat lebte, besteht in der Schweiz mit den USA ein gegenseitiges Auslieferungsabkommen. Deshalb ist Polanski vielen Einladungen bisher nicht gefolgt, weil seine mögliche Festnahme wie ein Damokles Schwert über ihm thronte. Ein Sprecher des Schweizer Justizministeriums gab allerdings zu, dass Polanski Berufung einlegen könne. Ein Antrag des Starregisseurs, das Verfahren einzustellen, wurde noch im Mai von einem Gericht in Los Angeles abgelehnt, weil er dem Verfahren ferngeblieben war. Siehe auch Kommentar in der Zeit online vom 29.09.09.

Die Leitung des Zurich Film Festivals zeigte sich am Sonntag bestürzt und betroffen. Sie verschob die Preisverleihung auf unbestimmte Zeit. Stattdessen wollte sie am Abend Polanskis filmisches Schaffen würdigen. Auch in der Schweizer Filmszene sorgte die Nachricht von Polanskis Verhaftung für Entsetzen. Sie sei nicht nur eine "groteske Justizposse, sondern auch ein ungeheurer Justizskandal", erklärte der Verband der Regisseure laut der Schweizer Nachrichtenagentur SDA. Mit ihrem Vorgehen hätten die Behörden dem Land weltweit Schaden zugefügt, schrieb der Verband Filmregie und Drehbuch. Vor allem jüngere Leute sind über die Staatsraison verärgert und wenden sich auch in Deutschland zunehmend alternativen Parteien, wie den Piraten zu, die die Allmacht des Staates ankreiden.

"Fassungslos" reagierte auch der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand auf die Festnahme des "international renommierten Regisseurs" und "französischen Staatsbürgers". Ohne sich in das "sehr alte Verfahren" einmischen zu wollen, dem ein "übertriebener Wert" beigemessen werde, bedauere er auf "das heftigste", dass Polanski dieser "neue Belastungsprobe" unterworfen worden sei, erklärte der Minister. Er erinnerte daran, dass der Regisseur in seinem Leben schon genügend Schicksalsschläge hinnehmen musste.

Polanski wurde 1933 als Kinder polnischer Juden in Frankreich geboren. Drei Jahre später zogen seine Eltern mit ihm nach Krakau. Seine Mutter starb in Auschwitz, sein Vater überlebte das KZ Mauthausen, er selbst wurde nach seiner Flucht aus dem Ghetto von Bauern versteckt. 1969 wurde dann seine zweite hochschwangere Frau, die Schauspielerin Sharon Tate, in ihrer gemeinsamen Villa in Los Angeles von der Charles Manson-Bande brutal ermordet.

Als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent oder Schauspieler blickt Polanski auf eine mehr als 40-jährige Karriere zurück. Er wirkte an gut 40 Filmen mit und wurde mehrfach ausgezeichnet. Zu seinen bekanntesten Werken zählen neben "Rosemary's Baby" und "Chinatown" die Satire "Tanz der Vampire". Für sein sehr stark autobiografisch geprägtes Werk "Der Pianist", das die Überlebensgeschichte eines polnischen Klavierspielers unter den Nazis erzählt, wurde er 2003 mit dem Oscar ausgezeichnet. Den Preis konnte er allerdings nicht persönlich entgegen nehmen. Ebensowenig wird er morgen am Samstag, 03.10.09, den mit 25.000 Euro dotierten Filmpreis Köln persönlich in den Händen halten können. Im Rahmen der Cologne Conference geht der von der Filmstiftung NRW und der Stadt Köln gestiftete Filmpreis in diesem Jahr an den polnischen Regisseur für seine herausragenden Leistungen.

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Das Zurich Film Festival

Übrigens einer der Programmhighlights bei den Galapremieren des Zurich Film Festivals, das noch bis zum 04. Oktober läuft, ist die Schweizer Premiere des Berliner Coming of Age Films "Gangs" von Rainer Matsutani (Prod. Deutschland, 2009) mit den Uwe Ochsenknecht Söhnen Jimi Blue und Wilson Gonzales. Das Festival lobt insgesamt drei Filmwettbewerbe aus: einen deutschsprachigen Spielfilmwettbewerb und zwei internationale Filmwettbewerbe. Einer davon im Spielfilmbereich der andere findet im Dokumentarfilmbereich statt. Das Thema Jugend im Film durchzieht dabei diesmal alle Sektionen des Festivals offensichtlich stärker, als bei anderen uns bekannten Internationalen Film Festivals je zuvor. Abgesehen natürlich, von den reinen Kinder und Jugendfilmfestivals.

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