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Reaktivierung eines Kiezkinos und neue Filmkritiken im September 2019, Teil 5

In Berlin-Friedrichshain soll das Kino INTIMES wieder eröffnet werden.



Vorgestern, den 28.09.2019, berichteten wir von einer Studie über Streamingdienste und wie diese die Medienlandschaft in Zukunft verändern könnten. Die Auswirkungen der Video-on-Demand Abrufdienste (VoD) haben allerdings nicht nur Einfluss auf das häusliche lineare Fernsehen, sondern könnten vor allem für die kleinen Kiezkinos bedrohlich werden.

In diesem Zusammenhang erfreut eine Meldung aus Berlin-Friedrichshain um so mehr. Am 23.09.2019 berichtete der Tagesspiegel, dass das seit einem halben Jahr geschlossene Kino INTIMES gerettet werden soll. Es soll demnächst nicht nur wieder eröffnet werden, sondern nach umfassender Sanierung und mit neuer komfortabler Bestuhlung versehen, darüber hinaus auch ein zweiter Kinosaal geschaffen werden.

Nachdem der alte Betreiber dafür schon die Pläne ausgearbeitet hatte, aber das Wagnis einer Sanierung aus verschiedenen Gründen nicht eingehen wollte, hat sich das ebenfalls im Kiez ansässige Lichtblick Kino für die Fortführung des Kino-Betriebes bereit erklärt. Möglich wurde dies nur, weil eine starke Gemeinschaft aus Wohnungs- und Hauseigentümern sowie Kiezbewohnen, großes Interesse an der Fortführung des Filmtheaterbetriebs zeigte und langfristig eine günstige Miete anbot.

Anders erging es seinerzeit dem Eiszeit-Kino in Berlin-Kreuzberg und dem Klick-Kino in Berlin-Charlottenburg (wir berichteten), denen beiden kurz nach teuren Umbau und Neueröffnung von den Hauseigentümern gekündigt worden war.

In Berlin-Friedrichshain scheint die Welt aber noch in Ordnung zu sein. Dort sitzt man lieber in Cafés, trifft sich mit Nachbarn zum Plausch, um anschließend gemeinsam einen Film anzuschauen.

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Sechs neue Filmkritiken zu Kinostarts im September 2019, Teil 5

"NORMAL" italienischer Dokumentarfilm von Adele Tulli (Italien). Ab 3. Oktober 2010 bundesweit im Verleih von Missing Films in ausgesuchten Kinos. Preview mit Filmgespräch am 1. Oktober 2019 im Kino der Berliner Kulturbrauerei. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

All das, was in unserer Gesellschaft als Normal gilt, ist nicht weiter erwähnenswert und selbstverständlich. Es ist eben normal. Alles was unter dem Begriff Unnormal ist, wird abgelehnt, wird misstrauisch beäugt und mit diffusen Ängsten betrachtet. Es ist eben unnormal. Es kann nicht sein, was nicht sein darf und wird somit ausgegrenzt, was einer Diskriminierung gleich kommt.

Adele Tullis Filmdokument beginnt mit ganz normalen Alltagssituationen. Sie filmt anonyme schwangere Frauen, die unter Wasser Aqua-Gymnastik betreiben. Ein kleines Mädchen bekommt Ohrlöcher gestochen, kleine Jungen nehmen an einem Motorradrennen für Kinder teil, kleine Mädchen spielen mit Puppen. Es ist auch ganz normal, dass man jungen Männern zeigt, wie man Pistolen und Gewehre lädt. Bei der Herstellung von Plastikspielzeug gilt die Farbe rosa als das Non-plus-ultra für „kleine Prinzessinnen“ und hellblau ist natürlich die Farbe für kleine Jungen ”¦

Die Filmemacherin und Wissenschaftlerin Tulli, die während ihres Studiums bereits zu subversiver Filmästhetik im queeren und feministischen Kontext forschte (Anmerkung der Redaktion), zeigt in Momentaufnahmen, dass dem weiblichen und männlichem Geschlecht schon nach der Geburt bestimmte Eigenschaften angedichtet werden, die von großen Teilen der Gesellschaft, wenn wir nicht endlich dagegen steuern, von Generation zu Generation weiter vererbt werden.

Tullis Dokumentation enthält noch mehr Beispiele, die hier nicht alle erwähnt werden sollen und die in ihrer Aneinanderreihung von ganz normalen Tatsachen, in ihrer Fülle, dem Zuschauer die Augen öffnen. Das macht sie nicht mit dem berühmten erhobenen Zeigefinger sonder gibt dem Zuschauer Denkanstöße zu eigenen Reflektionen.

Ihr Film endet mit den Aufnahmen einer Heirat zwischen zwei Männern. Eine Hochzeit unter Homosexuellen, mag vielleicht in Berlin nur noch wenige erschüttern, aber für den Rest der Welt als Unmöglichkeit betrachtet wird, was noch milde ausgedrückt ist. Leider zeigt Tulli nicht mehr Ausschnitte von „Anomalitäten, die dem starren Glauben, nur Heterosexualität sei normal, mit aufrüttelnden Beispielen, das Gegenteil beweisen würden.

Ulrike Schirm


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"NUREJEW – THE WHITE CROW" Biopic-Drama von Ralph Fiennes (Großbritannien, Frankreich, Serbien). Mit Oleg Ivenko, Adí¨le Exarchopoulos, Chulpan Khamatova u.a. seit 26. September 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

1938 wurde Rudolf Chametowitsch Nurejew in der Transsibirischen Eisenbahn geboren. Er wuchs in bettelarmen Verhältnissen in Irkutsk, Russland auf. Als Kind war er ein Außenseiter und immer allein, man nannte ihn eine „weisse Krähe“. Als seine Mutter in der Lotterie eine Karte für eine Ballettaufführung gewinnt, nimmt sie ihre Kinder mit. Rudolf ist total verzaubert. Er will Balletttänzer werden. Nurejew gilt als einer der besten Ballett-Tänzer des 20. Jahrhunderts, ein Star im klassischen Ballett.

In „The White Crow“ erzählt Ralph Fiennes die Geschichte des sowjetischen Ausnahmetänzers in verschiedenen Zeitebenen und legt sein Augenmerk auf das Jahr 1961, Paris. Es ist die Hochphase des kalten Krieges. Das Ensemble des russischen Kirow- Balletts besucht zum ersten Mal, im Rahmen eines Kulturaustauschs, den Westen. Jeglicher Kontakt mit den Franzosen ist verboten. Noch sind die KGB-Bewacher ziemlich gelassen. Das ändert sich, als Nurejew sich mit einer jungen Chilenin (Adí¨le Exarchopoulos) anfreundet, mit ihr durch die Nachtclubs der Stadt zieht, Museen besucht, sich von Franzosen einladen lässt und sich mit ihnen in gebrochenem Englisch unterhält. Das erregt den Unmut des Aufsehers Strischewski.

Fiennes selbst spielt die Rolle des russischen Tanzlehrers Alexander Puschkin. Nurejew, gespielt von dem ukrainischen Balletttänzer Oleg Ivenko ist sehenswert. Es ging Fiennes nicht nur um den begnadetsten Tänzer, sondern um den Menschen Nurejew, der abseits der Bühne gegen herrische Autoritäten aufbegehrte und mit seinen Allüren und seiner Künstlerarroganz, die Leute verschreckte und dessen Ziel es war, nachdem er das freiheitliche Leben der Pariser erlebte und beobachtete, auf keinen Fall in seine Heimat zurückzukehren. Er beschließt in Frankreich politisches Asyl zu beantragen. Kein leichtes Unterfangen, denn der sowjetische Geheimdienst versucht alles, was in ihren Kräften steht, um den Überläufer daran zu hindern.

Oleg Ivenko hat nicht nur die kantigen Gesichtszüge des wahren Künstlers, sondern auch dessen verschlossene Gesichtszüge, die bei kleinsten Anlässen, die ihm nicht passen, in helle Wut umschlagen.

Nurejew starb 1993 an den Folgen von Aids. Sein Grab in Paris ist mit einer Skulptur eines rot-goldenen Teppichs überzogen. Seine Homosexualität wird nur am Rande erwähnt. In einer kleinen Rolle tritt Louis Hofmann als sein Geliebter Teja Kremke auf.

Ralph Fiennes: „Es ist das Portrait des Künstlers als junger Mann mit all seinen rauen Kanten, seiner Einsamkeit, seiner Fantasie und seinen Dummheiten. Er hat etwas Unangenehmes und Rücksichtsloses an sich, aber so ist nun mal die Jugend, die sich selbst verwirklichen will. Und ich finde das sehr bewegend“.

Das Biopic ist auch eine interessante Zeitreise in das Paris der Sechziger-Jahre. Der Film über den jungen Nurejew, der zum ersten Mal westlichen Boden betritt und von einem Kulturrausch überwältigt wird, ist mitreißend gedreht.

Ulrike Schirm


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"MIDSOMMAR" Horrorfilm von Ari Aster (USA). Mit Florence Pugh, Jack Reynor, Will Poulter u.a. seit 26. September 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Nach seinem düsteren Horrorschocker „Hereditary“ schickt Ari Aster seine Protagonisten in einen sonnendurchfluteten Albtraum. Eine Gruppe junger Studenten aus Amerika reist nach Schweden, um dort am Mittsommerfest teilzunehmen.

Dani (Florence Pugh), die unter dem Schock einer Familientragödie steht und zusätzlich an der Lieblosigkeit ihres Freundes Christian (Jack Reynor) leidet, verspricht sich von dieser Reise eine tröstliche Ablenkung. Eingeladen zu diesem Trip, hat sie der schwedische Gaststudent Pelle (Vilhelm Blomgren). Eigentlich möchte Christian lieber mit seinen Freunden, ohne Dani, die Reise, die auch als Bildungsurlaub gedacht ist, antreten. Aber aus Mitleid und weil er zu schlaff ist, ihr das ins Gesicht zu sagen, nimmt er ihre Anwesenheit in Kauf. Empfangen werden sie von weißgekleideten Menschen, die Frauen tragen Blumenkränze im Haar, alles wirkt friedlich und herzlich, fast wie in einer fröhlichen Hippie-Kommune. Pelle, der mit diesen Leuten aufgewachsen ist, verabreicht seinen Freunden zur Entspannung erst einmal einen halluzinogenen Drogencocktail. Besonders Dani setzt die Droge arg zu.

Die freundliche Idylle trügt. Das Grauen in „Midsommar“ entfaltet sich langsam. Dani und die Jungen werden Teil heidnischen Rituale, bestehend aus Runen, Opfer-und Paarungszeremonien, bis hin zu Foltermethoden.

Schon am ersten Tag nach ihrer Ankunft, springt ein alter Mann vor aller Augen von einer Klippe in den Tod. Und weil er nicht sofort tot ist, wird er erschlagen. Es folgen weitere, unter die Haut gehende Schockmomente, die in dieser heidnischen Sekte völlig normal sind. Die Sekte folgt einer heidnischen Tradition, genannt Harga, die tagelang rituell gefeiert wird. Man ahnt, dass es für die jungen Amerikaner schlimm ausgehen könnte aber es wird zusehends verstörender.

Aster ist ein Meister des Horrorgenres. Die lichtdurchflutenden Bilder, die malerische Kulisse, der unheimliche Soundtrack und die visuellen Effekte, machen dieses Drama zu einem Meisterwerk. Getragen wird das alles von einer herausragenden Florence Pugh, deren bitterböse Entliebungsgeschichte, dem ganzen noch eine persönlich Horrorattitude verschafft.

Ulrike Schirm


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"GELOBT SEI GOTT - GRACE À DIEU" Drama von François Ozon (Frankreich, Belgien). Mit Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud u.a. seit 26. September 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ursprünglich wollte Francois Ozon einen Film über männliche Fragilität drehen. Er wollte den Fokus auf Männer legen, die sichtbar leiden und Emotionen zeigen. Eigenschaften, die eher dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden.

Zitat: „Deshalb hatte ich als Titel zunächst an 'DER WEINENDE MANN' gedacht. Dann bin ich auf den aktuellen Fall Preynat gestoßen. Auf der Website der Opfer, La Parole Liberée (Das gebrochene Schweigen), las ich Aussagen von Männern, die als Kinder und Jugendliche Missbrauchsopfer der katholischen Kirche waren. Besonders berührt hat mich Alexandre, ein streng gläubiger Katholik, der berichtet, wie er bis zum Alter von 40 Jahren schweigend mit sich gerungen hat, um dann endlich seine Geschichte erzählen zu können. Auf der Website fand ich Interviews, Artikel sowie E-Mail Korrespondenz zwischen Alexandre und hohen Amtsträgern der katholischen Kirche von Lyon, wie Kardinal Barbarin und Regine Maireder Kirchenpsychologin, die für die Unterstützung der Opfer von Priestern zuständig ist. All diese Dokumente haben mich tief bewegt und ich habe Alexandre kontaktiert.“

Ozon traf weitere Opfer und ihre Anwältinnen. Während der Gespräche wurde nicht gefilmt. Ozon hört ihnen aufmerksam zu und machte sich Notizen. Er hatte die Idee ein Theaterstück daraus zu machen, entschied sich dann für einen Dokumentarfilm, was die Opfer nicht so gerne wollten. Sie stellten sich eher einen Film wie "SPOTLIGHT" vor, in dem sie sich in fiktionale Charaktere verwandeln, gespielt von bekannten Schauspielern. Schlussendlich entstand der Spielfilm "GELOBT SEI GOTT", frei nach einer wahren Geschichte.

Alexandre (Melvil Poupaud) lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Lyon. Durch puren Zufall entdeckt er, dass der Priester, der ihn während seiner Pfadfinderzeit vor 30 Jahren missbraucht hat, weiterhin mit Kindern arbeitet. Dunkle Erinnerungen steigen in ihm hoch.

Er fasst den Entschluss, endlich gegen den Mann vorzugehen. Vergeblich wendet er sich an die Kirche, um den Fall intern zu klären. Da die Kirche nicht daran denkt, den pädophilen Pater zu entlassen, denkt Alexandre daran, Strafanzeige zu stellen. Für ihn stehen menschliche Werte im Vordergrund, die katholische Kirche ist ihm zu scheinheilig. Doch vorerst sucht er nach weiteren Betroffenen, mit denen er gemeinsam den Verein La Parole Libérée gründet.

Er findet sie in Francois (Denis Ménochet) und Emanuel (Swann Arlaud), die auf unterschiedliche Weise, mit den Folgen des damaligen Missbrauchs umgehen und getroffen sind. Francois ist die treibende Kraft ihrer Organisation. Sie beschließen Preynat, der sich in den Achtzigerjahren an mehr als siebzig Kindern vergangen haben soll, vor Gericht zu bringen. In den meisten Fällen, ist die Verjährungsfrist verstrichen. Was die sexuellen Übergriffe mit ihnen seelisch macht, zeigt sich auf tragische Weise bei Emanuel.

Es ist tröstlich, wieviel Kraft die Männer aus dem Zusammenhalt schöpfen. Absolut widerlich hingegen, sind die weinerlichen Ausreden des Paters.

Mit großem Einfühlungsvermögen widmet sich Ozon der unterschiedliche Charakterisierung der Betroffenen. Sein Anliegen war nicht die Kirche zu verdammen, sondern ihre Widersprüche und die Komplexität der Geschehnisse aufzudecken und zu zeigen, dass die Kirche nicht bereit ist, sich den Verbrechen zu stellen. Eher verschleppt man sie solange, bis es nicht mehr geht.

Die aktuelle Lage im Fall Preynat: Im Januar 2016 wurde gegen Pater Preynat Anklage erhoben. Er wurde wegen sexuellen Missbrauchs unter gerichtliche Aufsicht gestellt. Die gerichtliche Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Kardinal Barbarin wurde am 7. März 2019 wegen Nichtanzeige der sexuellen Übergriffe auf Minderjährige unter 15 Jahren und unterlassener Hilfeleistung, zu 6 Monaten auf Bewährung verurteilt. Er ging in Berufung und gilt weiterhin als unschuldig. Für Preynat wurde noch kein Gerichtstermin festgelegt.

In Ozons Film wird sehr viel geredet. Und das ist auch gut so. Nach Jahren des Schweigens, können Worte eine unendliche Befreiung sein.

Ozons erschütternde Bestandsaufnahme wurde auf der Berlinale 2019 mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet.

Ulrike Schirm


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"DER DISTELFINK - The Goldfinch" Literaturdrama von John Crowley (USA). Mit Ansel Elgort, Oakes Fegley, Nicole Kidman u.a. seit 26. September 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Im Alter von 13 Jahren verliert Theodore Decker (Oakes Fegley) seine Mutter bei einem Bombenanschlag im Metropolitan Museum of Art. Eine Tragödie, die sein Leben für immer verändert. Der Junge wird neben einem alten Mann verschüttet. Bevor er stirbt, drückt er dem Jungen noch schnell ein Bild in die Hand. Es ist das Lieblingsbild seiner Mutter, ein Gemälde eines winzigen Vogels, festgekettet an seiner Stange. Der Diestelfink, 1654 von dem niederländischen Maler Carel Fabritius. Theo soll es retten. Das kleine rothaarige Mädchen, das vorher noch neben dem alten Mann stand und mit ihm das Bild bestaunte, geht dem Jungen nicht mehr aus dem Kopf.

Da sein Vater nicht auffindbar ist, findet er ein neues Zuhause bei den Barbours, einer vornehmen Familie eines Schulfreundes. Mrs. Barbour (Nicole Kidman) kümmert sich um den Jungen.

Der sich an dem Tod seiner Mutter schuldig fühlende Theo, verbringt die meiste Zeit in Hobies Antiquitätenladen „Hobart & Blackwell“, dem Geschäftspartner des alten tödlich verletzten Mannes, der ihn gedrängt hat, das Bild mitzunehmen. Bei Hobie (Jeffrey Wright) lernt er das Restaurieren von Möbeln, eine Arbeit, die ihn fasziniert und ihm Freude macht.

Hier trifft er auch das rothaarige Mädchen wieder, Pippa, das sich von ihren Verletzungen erholt. Das Pippa zur unerfüllten Liebe seines Lebens wird, ahnt er noch nicht.

Eines Tages taucht plötzlich sein alkoholsüchtiger Vater auf, der ihn mitnimmt, in einen abgeschiedenen Ort, in der Nähe von Las Vegas. In seinem Gepäck, das sorgsam und heimlich verpackte Bild. Er freundet sich mit dem Ukrainer Boris an, mit dem er in Drogen-und Alkoholexzesse abdriftet. Als sein Vater ihn zu einer kriminellen Handlung überreden will, verlässt er eiligst dessen Haus.

Theo, inzwischen erwachsen geworden, nun gespielt von Ansel Elgort, reist in krimineller Mission nach Europa, in das Land des Schöpfers des Bildes, der 1654 bei der Explosion einer Schießpulverfabrik getötet wurde.

Es ist nicht einfach, einen über 1000 Seiten umfassenden Roman in seiner gesamten Komplexität zu verfilmen. Independent-Filmer John Crowley, hat die Geschichte des traumatisierten Jungen, dessen Mutter ihm kurz vor ihrem Tod, von ihrer Liebe zu dem Bild erzählt und das ihm später zum Verhängnis wird, in drei Zeitebenen aufgeteilt. Er hat dafür kunstvoll komponierte Bilder gewählt, die einen, in einen geheimnisvollen Sog von Verbrechen, Unheil, Trauer, Zufall und auch Liebe ziehen. Er hat sich überwiegend auf die Innenwelt konzentriert und die Außenwelt bewusst vernachlässigt, so das der Film streckenweise wie ein Kammerspiel angelegt ist und man nah an den Figuren bleibt. Lebendiger wird es, als Theo auf den ukrainischen Jungen Boris trifft, beide noch nicht erwachsen, der ihn mit seinem unbefangenem Charme zum Ladendiebstahl und Drogen verführt. Später, in einer brenzligen Situation in Amsterdam, zeigt er sich als wahrer Freund.

Es fällt einem leicht, mit dem trauernden Jungen mitzufühlen, der mit dem Verlust der Mutter fertig werden muss. Schwieriger ist es, dem erwachsenen Theo emotional zu folgen. Vielleicht liegt es daran, dass da die entscheidende Szene mit seiner Mutter im Museum vor dem Bild, erst in einer ziemlich spät auftauchenden Rückblende gezeigt wird und man erst dann wirklich erfährt, was dieses Bild für ihn bedeutet und warum es sein Leben so beeinflusst hat. Erst jetzt versteht man seine Verschlossenheit. Gegen Ende des Films sagt Theo den entscheidenden Satz, um den es im Roman sowohl als auch im Film geht: „Inmitten unseres Sterbens, ist es herrlich und ein Privileg, das zu lieben, was der Tod nicht anrührt“. (Die Unvergänglichkeit der Kunst.)

Ulrike Schirm

Der Film basiert auf dem Pulitzerpreis prämierten Roman „Der Distelfink“ von Donna Tartt aus dem Jahr 2013.

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"CELEBRATION" Doku von Olivier Meyrou (Frankreich). Mit Yves Saint Laurent, Pierre Bergé u.a. seit 26. September 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:

Es gibt bereits einige Filme über den Modezar Yves Saint Laurent, den international bekannten französischen Modeschöpfer mit algerischer Abstammung, der 2008 in Paris verstarb.

2014 verfilmte Jalil Lespert die Lebensgeschichte des Modeschöpfers, der 1961 das Modeunternehmen Yves Saint Laurent in Paris gründete, nachdem er zuvor als Assistent bei Christian Dior begonnen hatte, um für die französische Haute-Couture-Mode Modelle zu entwerfen.

Doch ein Spielfilm ist trotz redlicher Bemühungen und guter Recherche nur ein annäherndes Biopic und keine wirklichkeitsgetreue Dokumentation, die der zerbrechlichen Figur des Yves Saint Laurent gerecht werden kann. Schon als kleiner Junge suchte er meist Zuflucht vor dem Mobbing seiner Mitschüler bei seiner Mutter, die französische Modemagazine abonnierte und gern mit ihren Schneidern ihre neuen Kleider besprach.

Als 18-Jähriger verlies er Algerien und begann 1954 eine Ausbildung zum Mode- und Bühnenzeichner in Paris, die er jedoch nicht beendete. Dennoch hatte er beim Einreichen von Entwürfen großen Erfolg und belegte die vordersten Plätze. Aus anfänglicher Freundschaft zum Mitbewerber Karl Lagerfeld packte ihn aber der Ehrgeiz und es entwickelte sich über die Jahre schließlich Rivalität.

1958 lernte Saint Laurent seinen späteren Lebensgefährten und Geschäftspartner Pierre Bergé bei einem Dinner kennen. Doch ein Einberufungsbefehl zum Militärdienst nach Algerien im Jahre 1960 durchkreuzte die Karriere. Noch vor seiner Abreise bekam Saint Laurent einen Nervenzusammenbruch und wurde in eine psychiatrische Anstalt überwiesen, wo man ihn mit Elektroschocks und Drogen (Sedativa) behandelte. Eine lebenslange Drogenabhängigkeit war die Folge.

An dieser Stelle setzt die 2007 erstmals auf der Berlinale gezeigte Doku an, deren weitere Veröffentlichung Pierre Bergé, rechte Hand von Saint Laurent, sein Leben lang versuchte zu verhindern, denn er wollte seinen Meister und Liebhaber stets vor peinlichen Auftritten schützen. 2018 verstarb Bergé, sodass die 1998 entstandenen Aufnahmen zur Vorbereitung von Saint Laurents letzter Kollektion nun doch noch das Licht der Öffentlichkeit erblicken können.

In Ihnen wird allerdings Pierre Bergé zum eigentlichen Star des Films. Ohne seine gute Seele, Hilfe und Unterstützung hätte es wohl kein Kleidungsstück auf den Laufsteg geschafft. Fast alles war Saint Laurent nicht perfekt genug, um es präsentieren zu können. Noch wenige Minuten vor der Show verlangte der Meister noch Änderungen. Nur durch die Überzeugungskraft und Umsicht von Bergé konnte ein Desaster verhindert werden.

Sehenswert! - W.F.


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