Neuer Film-Verband und neue Studie zur Zukunft des linearen Fernsehens
Lineares Fernsehen vs. Streaming: Neue Studie von Roland Berger und Uni Münster.
Etwa ein Drittel des TV-Konsums wird in zehn Jahren zum Streaming abwandern – bei jungen Zuschauern sogar zwei Drittel.
Als ein Ergebnis davon sind Verluste bei den linearen Werbeeinnahmen von bis zu neun Milliarden Euro zu erwarten. Mit diesen Eckdaten wartet eine neue Studie auf, die die Unternehmensberatung Roland Berger zusammen mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erstellt hat. Befragt wurden dazu rund 1.600 Personen in Deutschland.
Bevor wir weiter auf die Zahlen eingehen und uns damit befassen, welche Auswirkungen dies auf das klassische, lineare Fernsehen und die betroffenen Sendeanstalten hat, wollen wir anmerken, dass die Studie sich offensichtlich nicht auf die Auswirkungen bei den Filmtheatern bezieht, was aber unserer Meinung ebenfalls von großer Relevanz wäre.
Hauptverband Cinephilie will Filmkunst retten.
Zur Rettung der Filmkunst und somit auch zur Rettung der Arthaus und Programmkinos in Deutschland wurde bereits im Februar 2019 während der 69. Berlinale mit dem Hauptverband Cinephilie ein neuer Filmverband gegründet, wie die Süddeutsche Zeitung hier schrieb.
Der Verband möchte sich als "wirksame Interessengemeinschaft" und "spartenübergreifendes Forum" etablieren.
Link: www.hvcinephilie.de
Nun mag man meinen, dass es den Arthaus-Kinos doch gar nicht so schlecht geht. Während die großen Blockbuster-Kinoketten in den letzten anderthalb Jahren deutlich weniger Besucher zu verzeichnen hatten und arge Verluste einfuhren, konnten die zur Ag Kino - Gilde gehörenden Filmtheater, trotz der letzten beiden sehr heißen und trocknen Sommermonate, ihre Zuschauerzahlen nahezu stabil halten. Dazu trugen allerdings auch die den Programmkinos angeschlossenen Freilufttheater sowie zahlreiche Filmfestivals bei, die gute Zuschauerzahlen vorzeigen konnten.
Das Programmangebot von Filmfestivals führt zu positiven Umsätzen.
Festivals seien auch nicht dazu da, Kinostarts vorzubereiten. Von den vierhundert Berlinale-Filmen schaffen es vielleicht fünfzig, einen Verleih zu bekommen? Auch beim Filmfest Hamburg haben in diesem Jahr nur 32 von den 130 Kinofilmen, also etwa nur 10% der Filme, die in diesem Jahr gezeigt werden, einen Verleih, so Wiederspiel gegenüber Blickpunkt:Film weiter.
Obwohl die Zuschauer diese Filme sehen wollen, kommt also 90% der internationalen Filmkunst gar nicht regulär in die deutschen Kinos. Laut Hauptverband Cinephilie wäre es die Aufgabe der Filmförderung, neue Kriterien zu schaffen, damit Filme, die den Qualitätsanspruch der Zuschauer nicht genügen, auch nicht mehr die Leinwände verstopfen.
Auch wir vom BAF e.V. würden dafür eintreten, dass mehr preisgekrönte europäische Filme und deutsche Koproduktionen, die bisher keinen Verleih haben, im Kino oder auch im Stream auf bekannten Plattformen gezeigt werden. Um noch mehr Publikum zu bekommen, müssten jedoch sprachliche Barrieren abgebaut werden. Allerdings werden inzwischen Untertitel viel stärker als früher bei den Zuschauern akzeptiert.
Sogar die großen Kinoketten des Mainstreams haben inzwischen auf das veränderte Kundenverhalten reagiert. So hat Cinemaxx ein neues Preissystem eingeführt, das von Montag bis Mittwoch gilt. Im Standard-2D-Preis kostet das Kinoticket an diesen Tagen nur 5,99 Euro, allerdings nicht vor oder an Feiertagen. An den übrigen Tagen fiel die Anpassung ebenfalls moderat aus: 7,99 Euro lautet nun der 2D-Standardpreis auf allen Plätzen, nur für 3D werden wie üblich drei Euro Aufpreis fällig; auch VIP-Sitze kosten, sofern vorhanden, eine Extra-Gebühr.
Quo Vadis, deutsche Medien?
Die Studie "Quo Vadis, deutsche Medien? Zur Zukunft deutscher Fernsehanbieter in digitalen Streaming-Zeiten" von Roland Berger und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zeigt, dass heute nur noch etwa die Hälfte der Sehzeit in traditionelles TV fließt. Somit büßt das klassische, lineare Fernsehen in Deutschland immer mehr an Strahlkraft und Relevanz ein.
Unter den einzelnen Anbietern hat Netflix inzwischen die Pole-Position in Sachen Sehzeit eingenommen und auch Amazon befindet sich unter den Top 5. Bei den 16 bis 29-Jährigen führt Netflix mit einem Anteil von knapp 30 Prozent der gesamten Sehzeit, gefolgt von YouTube und Amazon.
Die Autoren der Studie berechnen, dass sich die Entwicklung vom passiven TV zum aktiven Streaming in den kommenden zehn Jahren deutlich fortsetzen wird und den TV-Sendern Zuschauerabwanderung und Verluste bei den linearen Werbeeinnahmen in Milliardenhöhe drohen.
Die Autoren erwarten, dass den Sendern rund ein Drittel der Zuschauerzeit und damit verbunden zwischen 4,5 und 8,8 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren verloren gehen. Zum Vergleich: In den vergangenen zehn Jahren haben die beiden großen privaten TV-Häuser Werbeumsätze in Höhe von gut 50 Milliarden Euro sowie Gesamtumsätze von knapp 90 Milliarden erwirtschaftet.
Die Studie zeigt zudem, dass es den deutschen TV-Sendern äußerst schwer fallen wird, diese Verluste beim klassischen Fernsehen durch einen Zuwachs an eigenen Streaming-Zuschauern auszugleichen: Denn die amerikanische Streaming-Konkurrenz ist im Marketing den deutschen Sendern meilenweit voraus. Vor allem bei jungen deutschen Zuschauern ist Netflix führend sowohl in der Attraktivität der gezeigten Inhalte als auch in Sachen Markensympathie, Seherlebnis und Kundenvertrauen.
Die Situation dürfte sich für die deutschen TV-Sender in den kommenden Monaten zuspitzen, wenn bald weitere kapitalstarke amerikanische Streaming-Anbieter auf den deutschen Markt drängen. Die Studie verdeutlicht, dass insbesondere Disney durch seine große Markensympathie, aber auch Warner/HBO gute Chancen beim hiesigen Publikum haben. Hinzu kommen die Eigenproduktionen der beiden Hollywood-Studios, die als sehr attraktiv angesehen werden.
Die Verfasser der Studie skizzieren daher drei strategische Optionen für das Überleben deutscher Medienhäuser in diesem Marktumfeld. Diese werden auf jeden Fall radikale Veränderungen vornehmen müssen, um im Wettlauf um den deutschen Zuschauer eine Chance auf nennenswerte Streaming-Marktanteile zu haben. Dabei komme außergewöhnlichen Inhalten eine herausragende Bedeutung zu, wobei es nicht mehr reiche, besser zu sein als andere TV-Sender.
Weitere Infos und Download der Studie hier:
Quellen: Roland Berger | Süddeutsche Zeitung | Hauptverband Cinephilie | Blickpunkt:Film | AG Kino
Etwa ein Drittel des TV-Konsums wird in zehn Jahren zum Streaming abwandern – bei jungen Zuschauern sogar zwei Drittel.
Als ein Ergebnis davon sind Verluste bei den linearen Werbeeinnahmen von bis zu neun Milliarden Euro zu erwarten. Mit diesen Eckdaten wartet eine neue Studie auf, die die Unternehmensberatung Roland Berger zusammen mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erstellt hat. Befragt wurden dazu rund 1.600 Personen in Deutschland.
Bevor wir weiter auf die Zahlen eingehen und uns damit befassen, welche Auswirkungen dies auf das klassische, lineare Fernsehen und die betroffenen Sendeanstalten hat, wollen wir anmerken, dass die Studie sich offensichtlich nicht auf die Auswirkungen bei den Filmtheatern bezieht, was aber unserer Meinung ebenfalls von großer Relevanz wäre.
Hauptverband Cinephilie will Filmkunst retten.
Zur Rettung der Filmkunst und somit auch zur Rettung der Arthaus und Programmkinos in Deutschland wurde bereits im Februar 2019 während der 69. Berlinale mit dem Hauptverband Cinephilie ein neuer Filmverband gegründet, wie die Süddeutsche Zeitung hier schrieb.
Der Verband möchte sich als "wirksame Interessengemeinschaft" und "spartenübergreifendes Forum" etablieren.
Link: www.hvcinephilie.de
In einem Aufruf aus Kinobetreibern, Kuratoren und Produzenten heißt es beim Hauptverband Cinephilie: "Das Diktat der Zahlen zerstört die Qualität des Kinos, Kino kann nur als sozialer, diverser und kreativer Ort überleben". Dazu gehört "eine Neuausrichtung der Filmförderung nach transparenten Vergabekriterien und eine Neubewertung von Erfolg" sowie "Diversität und Gendergerechtigkeit in der Filmkultur".
Nun mag man meinen, dass es den Arthaus-Kinos doch gar nicht so schlecht geht. Während die großen Blockbuster-Kinoketten in den letzten anderthalb Jahren deutlich weniger Besucher zu verzeichnen hatten und arge Verluste einfuhren, konnten die zur Ag Kino - Gilde gehörenden Filmtheater, trotz der letzten beiden sehr heißen und trocknen Sommermonate, ihre Zuschauerzahlen nahezu stabil halten. Dazu trugen allerdings auch die den Programmkinos angeschlossenen Freilufttheater sowie zahlreiche Filmfestivals bei, die gute Zuschauerzahlen vorzeigen konnten.
Das Programmangebot von Filmfestivals führt zu positiven Umsätzen.
Dazu Albert Wiederspiel, Festivalchef vom Filmfest Hamburg: "Wir sind dafür da, unserem Publikum die besten Filme zu zeigen. Alle Festivals haben steigende Zahlen. Ich glaube, die Besucher wollen ein gut kuratiertes Programm sehen. Die Zuschauer erwarten eine moderierte Vorstellung und am Ende eine Diskussion mit dem Filmemacher, also weit mehr als nur eine Filmvorführung".
Festivals seien auch nicht dazu da, Kinostarts vorzubereiten. Von den vierhundert Berlinale-Filmen schaffen es vielleicht fünfzig, einen Verleih zu bekommen? Auch beim Filmfest Hamburg haben in diesem Jahr nur 32 von den 130 Kinofilmen, also etwa nur 10% der Filme, die in diesem Jahr gezeigt werden, einen Verleih, so Wiederspiel gegenüber Blickpunkt:Film weiter.
Obwohl die Zuschauer diese Filme sehen wollen, kommt also 90% der internationalen Filmkunst gar nicht regulär in die deutschen Kinos. Laut Hauptverband Cinephilie wäre es die Aufgabe der Filmförderung, neue Kriterien zu schaffen, damit Filme, die den Qualitätsanspruch der Zuschauer nicht genügen, auch nicht mehr die Leinwände verstopfen.
Auch wir vom BAF e.V. würden dafür eintreten, dass mehr preisgekrönte europäische Filme und deutsche Koproduktionen, die bisher keinen Verleih haben, im Kino oder auch im Stream auf bekannten Plattformen gezeigt werden. Um noch mehr Publikum zu bekommen, müssten jedoch sprachliche Barrieren abgebaut werden. Allerdings werden inzwischen Untertitel viel stärker als früher bei den Zuschauern akzeptiert.
Sogar die großen Kinoketten des Mainstreams haben inzwischen auf das veränderte Kundenverhalten reagiert. So hat Cinemaxx ein neues Preissystem eingeführt, das von Montag bis Mittwoch gilt. Im Standard-2D-Preis kostet das Kinoticket an diesen Tagen nur 5,99 Euro, allerdings nicht vor oder an Feiertagen. An den übrigen Tagen fiel die Anpassung ebenfalls moderat aus: 7,99 Euro lautet nun der 2D-Standardpreis auf allen Plätzen, nur für 3D werden wie üblich drei Euro Aufpreis fällig; auch VIP-Sitze kosten, sofern vorhanden, eine Extra-Gebühr.
Quo Vadis, deutsche Medien?
Die Studie "Quo Vadis, deutsche Medien? Zur Zukunft deutscher Fernsehanbieter in digitalen Streaming-Zeiten" von Roland Berger und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zeigt, dass heute nur noch etwa die Hälfte der Sehzeit in traditionelles TV fließt. Somit büßt das klassische, lineare Fernsehen in Deutschland immer mehr an Strahlkraft und Relevanz ein.
Unter den einzelnen Anbietern hat Netflix inzwischen die Pole-Position in Sachen Sehzeit eingenommen und auch Amazon befindet sich unter den Top 5. Bei den 16 bis 29-Jährigen führt Netflix mit einem Anteil von knapp 30 Prozent der gesamten Sehzeit, gefolgt von YouTube und Amazon.
Die Autoren der Studie berechnen, dass sich die Entwicklung vom passiven TV zum aktiven Streaming in den kommenden zehn Jahren deutlich fortsetzen wird und den TV-Sendern Zuschauerabwanderung und Verluste bei den linearen Werbeeinnahmen in Milliardenhöhe drohen.
Die Autoren erwarten, dass den Sendern rund ein Drittel der Zuschauerzeit und damit verbunden zwischen 4,5 und 8,8 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren verloren gehen. Zum Vergleich: In den vergangenen zehn Jahren haben die beiden großen privaten TV-Häuser Werbeumsätze in Höhe von gut 50 Milliarden Euro sowie Gesamtumsätze von knapp 90 Milliarden erwirtschaftet.
Die Studie zeigt zudem, dass es den deutschen TV-Sendern äußerst schwer fallen wird, diese Verluste beim klassischen Fernsehen durch einen Zuwachs an eigenen Streaming-Zuschauern auszugleichen: Denn die amerikanische Streaming-Konkurrenz ist im Marketing den deutschen Sendern meilenweit voraus. Vor allem bei jungen deutschen Zuschauern ist Netflix führend sowohl in der Attraktivität der gezeigten Inhalte als auch in Sachen Markensympathie, Seherlebnis und Kundenvertrauen.
"Diese Ergebnisse sollten die Manager deutscher Fernsehanstalten aufschrecken", so Niko Herborg, Medienexperte von Roland Berger im Competence Center Restructuring, Performance, Transformation & Transaction. "Im Streaming-Bereich haben die Sender in den vergangenen Jahren den Anschluss verloren: Amerikanische Dienste dominieren heute den deutschen Markt – und gefährden in Zukunft das Überleben der linearen TV-Sender."
Die Situation dürfte sich für die deutschen TV-Sender in den kommenden Monaten zuspitzen, wenn bald weitere kapitalstarke amerikanische Streaming-Anbieter auf den deutschen Markt drängen. Die Studie verdeutlicht, dass insbesondere Disney durch seine große Markensympathie, aber auch Warner/HBO gute Chancen beim hiesigen Publikum haben. Hinzu kommen die Eigenproduktionen der beiden Hollywood-Studios, die als sehr attraktiv angesehen werden.
Dazu Studienautor Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing & Medien am Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: "Beide Konzerne könnten Amazon ernsthafte Konkurrenz um den zweiten Platz im Streaming-Rennen machen."
Die Verfasser der Studie skizzieren daher drei strategische Optionen für das Überleben deutscher Medienhäuser in diesem Marktumfeld. Diese werden auf jeden Fall radikale Veränderungen vornehmen müssen, um im Wettlauf um den deutschen Zuschauer eine Chance auf nennenswerte Streaming-Marktanteile zu haben. Dabei komme außergewöhnlichen Inhalten eine herausragende Bedeutung zu, wobei es nicht mehr reiche, besser zu sein als andere TV-Sender.
Weitere Infos und Download der Studie hier:
Quellen: Roland Berger | Süddeutsche Zeitung | Hauptverband Cinephilie | Blickpunkt:Film | AG Kino
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