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»Gondola«, eine Urlaubsreise in den Süden - Unsere Filmbesprechungen im März 2024

Kino soll verzaubern, begeistern und anregen. Genau dies tut die nachfolgende Filmbesprechung - die beste Einstimmung für den nächsten Urlaub im Süden.



"GONDOLA" Ein romantisches Film-Essay aus dem Kaukasus von Veith Helmer (Georgien / Deutschland, 2023; 83 Min.) Mit Mathilde Irrmann, Nino Soselia, Niara Chichinadze u.a. ab 7. März 2024 in ausgesuchten Kinos. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Irgendwo in den Bergen. Hier ist eine Seilbahn Dreh- und Angelpunkt für Begegnung, Verbindung und die Liebe. Zwei Gondeln fahren stetig hoch und runter zwischen einem Dorf oben in den Bergen und einem Dorf unten im Tal. Als der alte Seilbahnschaffner stirbt, trägt diese auch seinen Sarg hinunter in die Tiefe. Seine Tochter, die aus der Fremde zurückkehrt, übernimmt, aber da es nun einmal zwei Gondeln sind, braucht es noch einen zweiten Mitarbeiter oder eine zweite Mitarbeiterin. Die Entscheidung fällt für die Person, der die Uniform passt. Und so lernt das Publikum Iva (Mathilde Irrmann) und Nino (Nini Soselia) kennen, zwei junge Frauen, die fortan die Gondeln betätigen werden. "Gondola" von dem deutschen Regisseur Veit Helmer ist ein Kino-Märchen, zeitlos und verspielt. Humorvoll und aufmüpfig.

Viele Regisseure und Regisseurinnen haben eine unverkennbare Handschrift. So auch Veit Helmer. Schon in seinem ersten Kurzfilm. In "Surprise" (1995) erzählte er seine Geschichten ohne Dialoge. Sein erster Langspielfilm, "Tuvalu" (1999) spielte in einem verfallenen Schwimmbad. Anton, der Bademeister und Martha, die Kassiererin, verwenden allerlei Tricks, um Antons blindem Vater den Eindruck zu vermitteln, das Schwimmbad wäre voller tobender Kinder. Eine Eifersuchtsgeschichte und eine Liebesgeschichte gibt es natürlich auch. Schon damals war für Veit Helmer ein Film mit Dialogen zu wenig Kino.

Eine Erzählung ohne Dialoge erfordere auch vom Publikum viel mehr Aufmerksamkeit, das war und ist sein Motto und er versucht stets, alle im Kinosaal mitzunehmen. Ohne Dialoge standen und stehen ihm auch alle Schauspieler und Schauspielerinnen zur Verfügung, ungeachtet ihrer Nationalität und ihrer Sprachkünste. Schon in "Tuvalu" wählte Helmer einen internationalen Cast. Er besetzte einen Franzosen, eine Rumänin und eine Tatarin. Die Möglichkeiten waren grenzenlos. Aber Helmer zog es doch immer wieder in den Osten. Die Drehorte von "Tuvalu" fand er damals in Bulgarien. Nach "Absurdistan" (2008), den er in Aserbaidschan, oder nach "Baikonur" (2011), den er in Kasachstan drehte, folgt jetzt "Gondola", dessen Drehort, unschwer erkennbar durch die Hausaufschriften, in Georgien gedreht worden ist.

Hier fand Veit Helmer tatsächlich eine Seilbahn, die ihn zu einer Geschichte über zwei Frauen, die sich immer nur begegnen, wenn ihre Gondoln sich auf gleicher Höhe treffen, inspirierte. All die Einfälle, auf die die Beiden kommen, um die Aufmerksamkeit des jeweils anderen zu erlangen, möchte ich gar nicht aufzählen. Sicherlich ist die Form hier für den Spielfilm prägend und die Form bestimmt den Inhalt. Viel passiert da gar nicht. Veit Helmers Liebe zum "Analogen" im Gegensatz zu dem "Digitalen", den man allgemein den Fortschritt zuschreibt, ermöglicht hier die kurze Begegnung. In einer Moderne, in der Seilbahnen viel schneller fahren würden, würde eine Begegnung, und sei sie noch so kurz, gar nicht stattfinden können.

Zudem es gibt noch den Seilbahnaufseher (Zviad Papuashvili), der die Gondeln in Betrieb hält, und der ist gar nicht erfreut, dass die zwei jungen Schaffnerinnen ihn so schnöde ignorieren. Ganz der Platzhirsch, versucht er es mit den tradiierten Mitteln, um dann ganz wütend auch mal das Spiel der beiden Frauen zu sabotieren. Da Veit Helmer gerne Liebesgeschichten erzählt, die sich aus ihrer Unschuld heraus entwickeln, fügt er der Geschichte noch zwei Kinder hinzu. Ein Junge sucht die Aufmerksamkeit eines gleichaltrigen Mädchens, die ihn erst einmal abweist. Aber auch hier geht es mehr um das Wie, als um das Warum. Helmer bleibt sich treu, auch wenn manche ihm vorwerfen mögen, sich nicht weiterzuentwickeln.

Veit Helmer glaubt mit unbändiger Kraft an diese Magie, die wir Kino nennen, und die sich auch nur dort entfalten kann. Er ist ein Träumer, für den das Stummfilmkino und der Slapstick der frühen Kinojahre die Welt bedeuten. Der magische Raum der engen Gondel weiß er mit Einfällen zu öffnen, die nicht nur der Phantasie Raum geben, sondern die Figuren auch nie in Passiviität erstarren lassen. Helmers Figuren in "Gondola" sind klug und geschickt und gewitzt. Sie tauschen sich nicht nur in Blicken und Gesten aus, sondern sie hämmern und schweißen und man könnte denken, die Gondoln lösen sich von den Seilen und gleiten über die Berge hinweg, so wie sich Iva und Nino das erträumen, aber dann ist es nur die angeregte Phantasie, die hier auf teils absurde Einfälle reagiert. "Gondola" will das Kino gar nicht ändern, nur einen Raum zum Träumen schaffen.

Elisabeth Nagy


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"DER ZOPF" Tragikomödie dreier Frauen an drei verschiedenen Orten der Erde von Laetitia Colombani nach ihrem gleichnamigen Roman, der Armut, Ausbeutung und Geldgier verknüpft. (Belgien / Frankreich / Italien / Kanada, 2023; 121 Min.) Mit Mia Maelzer, Fotinì Peluso, Kim Raver u.a. ab 7. März 2024 überall im Kino. Hier der Trailer:

Ulrikes Filmkritik:



Die französische Regisseurin und Autorin Laetitia Colombani hat mit ihrem gleichnamigen Roman "Der Zopf" einen Bestseller geschrieben, den sie auch verfilmt hat. Er handelt von drei Frauen, deren Leben nicht nur miteinander verbunden ist, sondern einen Wirtschaftskrimi par Excellence widerspiegelt.

In Indien träumt Smita (Mia Maelzer), die zur Kaste der „Unberührbaren“ gehört, von einer besseren Zukunft für ihre Tochter. Die Unberührbaren dürfen nicht zur Schule gehen, denn Kinder von armen Familien werden wieder zurückgeschickt. Sie müssen sogar mit einem Besen ihre Spuren verwischen, damit andere nicht von ihrem Dreck angesteckt werden.

In Italien hatte Giulias (Fotinì Peluso) Vater, von dem sie sich gerade noch fröhlich verabschiedet hat, einen Unfall und liegt auf der Intensivstation. Nun muss sie sich um die verschuldete Perückenwerkstatt kümmern und alles tun, um diese zu retten.

In Kanada erfährt eine ehrgeizige, aufstrebende Anwältin Sarah (Kim Raver), dass sie an Krebs erkrankt ist und durch die Chemotherapie ihr Haar verlieren wird.

Der Titel "Der Zopf" steht für drei miteinander verwobene Frauenschicksale, deren oberstes Gebot ist, sich bloß nicht unterkriegen zu lassen und den Kampf aufzunehmen. Zugleich wird aber unterschwellig deutlich, wie Wirtschaft durch weltweite Ausbeutung funktioniert und alles miteinander zusammenhängt.

Smita muss gegen ein unmenschliches System aufbegehren, dass ihrer Tochter und ihrer Familie Bildung und berufliches Fortkommen verwehrt und macht sich mit ihrer kleinen Tochter auf einen Ortswechsel auf, wo es die „Unberührbaren besser haben. Tagelang sind sie unterwegs, bisher musste sie die Fäkalien ihrer Nachbarn entsorgen.

Giulia muss sich gegen konservative, katholische Wertevorstellungen in der italienischen Community wehren und muss Insolvenz anmelden, wenn die Schulden nicht bezahlt werden.

Die alleinerziehende Sarah muss mit ihrer Krebskrankheit umgehen, berufliche Abstriche machen und sich überlegen, was ihr wichtiger ist. Ihre Karriere oder ihre Kinder. Ihrer Firma tischt sie Lügen auf, dass sie ihren Vater pflegen muss, obwohl sie selbst fast zum Pflegefall wird. Wenigstens hat sie genügend Geld, um sich eine Echthaarperücke zu leisten, wie sie die italienische Firma von Giuilias Vater herstellt.

Obwohl die drei Frauen kilometerweit auseinander sind, kämpfen sie mit ähnlichen Problemen. Der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Locations und Kulturen sorgt einerseits für Spannung, anderer verdeutlicht er auch die globalen wirtschaftlichen Verflechtungen.

Laetitia Colombanis Film ist mehr als nur eine Hommage an die Frauen. (Passend zum 8. März, der zum Frauenfeiertag ernannt wurde.)

Ulrike Schirm


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"SULTANAS TRAUM" Animation von Isabel Herguera über eine feministische Science-Fiction-Novelle aus dem Jahre 1905, in der Frauen die Gesellschaft regieren. (Deutschland / Spanien, 2023; 80 Min.) Im Original mit den Stimmen von Paul B. Preciado, Mary Beard, Miren Arrieta u.a. ab 7. März 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

„Sultanas Traum“ ist ein spanischer Zeichentrickfilm, der auf einer 1905 veröffentlichten Science-Fiction-Kurzgeschichte der bengalischen Schriftstellerin und Aktivistin Rokeya Hussein basiert, die später eine Berufsschule für Muslima gründete.

Der Animationsfilm folgt einer Künstlerin Sultana auf ihrer Suche nach einem utopischen Land, in dem Frauen frei von Unterdrückung leben können, einem Ladyland, in dem es keine Männer gibt.

Sultana findet sich in einer Welt wieder in der die Frauen keine Schleier mehr tragen müssen und von Männern beherrscht werden und in der die Männer zum Wohlergehen der Frauen verstoßen wurden. Die Frauen kommen gut alleine zurecht und können sich in Freiheit behaupten, alle öffentlichen Ämter bekleiden und angstfrei leben, während die Männer den häuslichen Bereich nicht verlassen dürfen. In Ladyland sind die Männer out.

Es lebt sich wie im Paradies, keine Kriege, keine Kriminalität. Frauen lenken den Staat und die Wissenschaft.

Die Autorin der Buchvorlage musste selber eine Purdah tragen, eine bengalische Burka. Sie träumt von einer Welt, in der die Menschen mit der Natur in Einklang leben. Sie ahnte schon damals, was für miserablen Techniken sich in der Welt etablieren werden. Das ist filmisch wunderschön umgesetzt, in einem künstlerisch, abwechslungsreichen und fantasievollen Zeichnungsstil, hinter dem eine reale Leidenschaft steckt. Träume haben die Macht, Dinge zu verändern.

Ein visueller Traum, aufgeteilt in drei parallele Geschichten über die Künstlerin:

1.) One and a thousand of silences.
2.) Meine Schritte zurück verfolgen.
3.) Eine Blume im Winter.

„Sultanas Traum“ ist nicht nur für Indien anzuwenden, sondern universell.

Ulrike Schirm


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