DOK.fest München eröffnet mit »WATCHING YOU« von Klaus Stern
Klaus Sterns neuestes Werk ist eine investigative Annäherung an einen der geheimnisvollsten CEOs des Silicon Valley.
In Berlin würde es wohl kaum ein Veranstalter wagen am 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, an dem es regelmäßig in der Hauptstadt zu Unruhen mit Exzessen kommt, ein Festival zu starten.
In der Münchner Innenstadt scheint dies dagegen durchaus möglich zu sein, Deutschlands größtes Dokumentarfilmfestival vom 1. - 12. Mai 2024 an 20 Partnerspielorten mit 109 der besten und aktuellsten internationalen Dokumentarfilme aus 51 Ländern auf der großen Leinwand gesittet und ohne Randale zu starten.
Gezeigt werden Weltpremieren sowie internationale und deutsche Premieren, sofern diese nicht bereits auf anderen Festivals wie z.B. der Berlinale vorab gesehen werden konnten.
Das Programm gliedert sich in vier Hauptwettbewerbe und neun Reihen. Seit 2022 findet das Festival nach zwei Online-Editionen erneut dual statt: auf der großen Leinwand im Kino sowie anschließend vom 6. - 20. Mai 2024 auf der digitalen Leinwand @home, das auch in Berlin sowie fast überall in Deutschland übers Internet gesehen werden kann.
Die feierliche Eröffnung des DOK.fest München findet mit einer Weltpremiere wie in den vergangenen Jahren im prächtigen, 1.400 Gäste fassenden Saal des Deutschen Theaters von München statt.
"WATCHING YOU: Die Welt von PALANTIR & ALEX KARP"
(Regie: Klaus Stern / Deutschland, 2024 / 99 Minuten, Weltpremiere)
Der Trailer steht erst im Anschluss an die Münchner Uraufführung auf YouTube zur Verfügung:
Einige Filme konnten wir vorab schon bei Pressevorführungen oder anderen Filmfestivals sehen, um unseren Lesern einen virtuellen oder realen Besuch in München schmackhaft zu machen. Uns interessierte dabei nicht nur der Inhalt der Filme wie z.B. das Politische, sondern auch das Visuelle der Werke, deren Machart manchmal durchaus den klassischen Dokumentarfilm mittels fiktionaler Elemente sprengen kann, um neue Formen der Bildsprache zu kreieren, wie weiter unten das Beispiel "E.1027" zeigt.
Nachfolgend haben wir einige Werke aufgelistet, die uns spontan besonders berührt haben.
"EINHUNDERTVIER"
(Regie: Jonathan Schörnig / Deutschland 2023 / 93 Minuten)
"FILMSTUNDE 23"
(Regie: Jörg Adolph, Edgar Reitz / Deutschland 2023 / 82 Minuten)
"DANN GEHSTE EBEN NACH PARCHIM – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters"
(Regie: Dieter Schuhmann / Deutschland, 2023 / 94 Minuten)
"OMAR AND CEDRIC"
(Regie: Nicolas Jack Davies / Deutschland 2023 / 127 Minuten)
"JOANA MALLWITZ – MOMENTUM"
(Regie: Günter Atteln / Deutschland, 2024 / 88 Minuten, Weltpremiere)
"2UNBREAKABLE"
(Regie: Maike Conway / Deutschland 2023 / 90 Minuten)
"BERGFAHRT"
(Regie: Dominique Margot / Schweiz, 2023 / 97 Minuten)
"FOREST"
(Regie: Lidia Duda / Polen, 2024 / 85 Minuten)
"E.1027 – EILEEN GRAY and the House by the Sea"
(Schweiz 2024 – Regie: Beatrice Minger & Christoph Schaub – Originalfassung: Englisch, Französisch – Untertitel: Englisch – Länge: 88 min.)
Nach dem Studium der Filmwissenschaft, Germanistik und Geschichte drehte die Schweizerin Beatrice Minger Kurzfilme und Videoclips, die auf internationalen Kurzfilmfestivals liefen. Christoph Schaub wurde in Zürich geboren. Er brach das Germanistikstudium ab, um als Autodidakt eine Filmkarriere zu starten. Viele seiner Dokumentarfilme behandeln architektonisch und urbanistische Themen.
Hier der Trailer:
»E.1027« ist eine filmische Reise in die Gedankenwelt von Eileen Gray. Eine Geschichte über die Macht des weiblichen Ausdrucks und den Wunsch der Männer, ihn zu kontrollieren. Eileen Gray war nicht nur eine der ersten Architektinnen der Neuzeit. Die berühmte Stardesignerin schuf Möbel und Einrichtungsgegenstände, die heute zu den exklusivsten und teuersten der Welt gehören. Sie entwarf auch die gesamte Inneneinrichtung und das Mobiliar in E.1027, die dem Haus seinen einzigartigen Charakter verleihen. Der Film ist mehr als nur eine Doku über Architektur - ein filmisches Essay mit fiktionalen Elementen. Regisseurin Beatrice Minger lässt in kunstvoll arrangierten Reenactments das Dreiergespann wiederauferstehen und gibt Einblicke in künstlerische Konfliktzonen.
Neben den Filmen ist das DOK.forum die Denkfabrik des Festivals für die Dokumentarfilmbranche und Plattform für Projekte im Entwicklungsstadium. Das Programm 2024 fokussiert das Thema der Stunde: künstliche Intelligenz.
Welche Rolle spielt die Technologie für den Dokumentarfilm heute und in Zukunft? Ein weiterer Schwerpunkt der diesjährigen Edition sind Filmprojekte aus dem Balkan, einer vielfältigen, historisch und (geo-)politisch komplexen Region, deren Geschichten eine größere Sichtbarkeit verdienen.
In Panels, Workshops und weiteren öffentlichen Veranstaltungen laden wir dazu ein, Visionen und Impulse für die Zukunft des Dokumentarfilms zu entwickeln und relevanten medienpolitischen Fragen nachzugehen.
Link: www.dokfest-muenchen.de
In Berlin würde es wohl kaum ein Veranstalter wagen am 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, an dem es regelmäßig in der Hauptstadt zu Unruhen mit Exzessen kommt, ein Festival zu starten.
In der Münchner Innenstadt scheint dies dagegen durchaus möglich zu sein, Deutschlands größtes Dokumentarfilmfestival vom 1. - 12. Mai 2024 an 20 Partnerspielorten mit 109 der besten und aktuellsten internationalen Dokumentarfilme aus 51 Ländern auf der großen Leinwand gesittet und ohne Randale zu starten.
Gezeigt werden Weltpremieren sowie internationale und deutsche Premieren, sofern diese nicht bereits auf anderen Festivals wie z.B. der Berlinale vorab gesehen werden konnten.
Das Programm gliedert sich in vier Hauptwettbewerbe und neun Reihen. Seit 2022 findet das Festival nach zwei Online-Editionen erneut dual statt: auf der großen Leinwand im Kino sowie anschließend vom 6. - 20. Mai 2024 auf der digitalen Leinwand @home, das auch in Berlin sowie fast überall in Deutschland übers Internet gesehen werden kann.
Die feierliche Eröffnung des DOK.fest München findet mit einer Weltpremiere wie in den vergangenen Jahren im prächtigen, 1.400 Gäste fassenden Saal des Deutschen Theaters von München statt.
"WATCHING YOU: Die Welt von PALANTIR & ALEX KARP"
(Regie: Klaus Stern / Deutschland, 2024 / 99 Minuten, Weltpremiere)
Der Trailer steht erst im Anschluss an die Münchner Uraufführung auf YouTube zur Verfügung:
Die von Alex Karp geschaffene Firma Palantir ist bekannt für seine geschaffene Software ''Gotham''. Diese gehört zu den weltweit gefragtesten Datenanalyse-Tools, aber gilt auch als höchst umstritten. Staaten können mittels dieser Technik ihre Bürger umfassend überwachen. Die Dokumentation nähert sich dem globalen Strippenzieher, dessen Spitzname passenderweise ''Big Brother'' lautet.
Der US-Unternehmer Alex Karp hat mit seiner Firma Palantir Technologies die erfolgreiche und gleichzeitig umstrittene Datenanalyse-Software „Gotham“ geschaffen. Sie befähigt einerseits Staaten zur umfassenden Überwachung ihrer Bürger*innen. Andererseits unterstützt sie Geheimdienste, Militär und Polizeibehörden, letztere auch in Deutschland, mit Informationen, die Verbrechen aufklären – oder zum gezielten Töten genutzt werden. Derzeit ist Palantir wichtiger Partner der Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland.
Die Firma ist so verschwiegen wie mysteriös. Sie wurde groß mit ihrer Arbeit für CIA und NSA. An der Börse ist sie über 50 Mrd. US-Dollar wert. Mit ihrer Hilfe soll Osama Bin Laden zur Strecke gebracht worden sein. Der eine Gründer, Peter Thiel, ist ein rechter Libertärer mit recht bizarren Ansichten, der offen Trump unterstützte. Der andere, Alex Karp, bezeichnet sich selbst als Neomarxist und Linker; ist stolz darauf, dass seine Eltern Hippies waren. Heute führt er als CEO die größte kommerzielle Überwachungsfirma der Welt. Er bekennt trocken: „Unser Produkt kann zum Töten von Menschen eingesetzt werden.“
Der Film ist eine investigative Annäherung an einen der geheimnisvollsten CEOs des Silicon Valley, der sich immer dann zu entziehen scheint, wenn zu viele Blicke auf ihn gerichtet sind. Die Spuren führen auch nach Deutschland: Hier promovierte er in Frankfurt am Main – im Umfeld von Jürgen Habermas.
Einige Filme konnten wir vorab schon bei Pressevorführungen oder anderen Filmfestivals sehen, um unseren Lesern einen virtuellen oder realen Besuch in München schmackhaft zu machen. Uns interessierte dabei nicht nur der Inhalt der Filme wie z.B. das Politische, sondern auch das Visuelle der Werke, deren Machart manchmal durchaus den klassischen Dokumentarfilm mittels fiktionaler Elemente sprengen kann, um neue Formen der Bildsprache zu kreieren, wie weiter unten das Beispiel "E.1027" zeigt.
Nachfolgend haben wir einige Werke aufgelistet, die uns spontan besonders berührt haben.
"EINHUNDERTVIER"
(Regie: Jonathan Schörnig / Deutschland 2023 / 93 Minuten)
Wie eine Seenotrettung ablaufen kann, übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Die Echtzeit-Dokumentation begleitet die Seenotrettung eines Flüchtlingsboots aus verschiedenen Perspektiven gleichzeitig. Die Lage spitzt sich zu, als die libysche Küstenwache die Crew mit den geretteten Menschen mehrere Tage in Not lässt. Denn die politische Situation ist vertrackt: Kein Anrainerstaat erlaubt die Anlandung.
"FILMSTUNDE 23"
(Regie: Jörg Adolph, Edgar Reitz / Deutschland 2023 / 82 Minuten)
Im Jahr 1968 verwandelt sich das Klassenzimmer eines Münchner Mädchen-Gymnasiums unter der Leitung des aufstrebenden Jung-Regisseurs Edgar Reitz in ein Filmstudio. Die „Filmstunde“ beginnt: der in der Filmgeschichte erste dokumentierte Versuch, Filmästhetik als eigenständiges Fach zu unterrichten. 55 Jahre später, im Jahr 2023: Edgar Reitz, der weltberühmte Regisseur der 6 Heimat-Trilogie, wird in der Pause eines Konzertes von einer seiner damaligen Schülerinnen angesprochen. Sie verabreden ein Klassentreffen: die „Filmstunde 23“.
"DANN GEHSTE EBEN NACH PARCHIM – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters"
(Regie: Dieter Schuhmann / Deutschland, 2023 / 94 Minuten)
Lange haben Gesa und Arikia um einen Platz an einer Schauspielschule gekämpft. Nach ihrer Ausbildung landen sie auf keiner der großen Bühnen, sondern bekommen ihr erstes Engagement an einem kleinen Theater in der mecklenburgischen Provinz. Der Film begleitet die jungen Frauen während der ersten zwei Jahre, erzählt von ihren Hoffnungen und Zweifeln, den inneren und äußeren Widerständen. Eine Hommage an das Theater.
"OMAR AND CEDRIC"
(Regie: Nicolas Jack Davies / Deutschland 2023 / 127 Minuten)
Ein hautnahes Porträt der Masterminds von »The Mars Volta«, einer experimentellen Rockband mexikanischer und puerto-ricanischer Herkunft, gegründet von Omar Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavala: von den Anfängen in Texas über Ruhm, Drogensucht und Scientology bis zum großen Comeback.
"JOANA MALLWITZ – MOMENTUM"
(Regie: Günter Atteln / Deutschland, 2024 / 88 Minuten, Weltpremiere)
Der Film begleitet die Dirigentin Joana Mallwitz über zwei Jahre bei mehreren Debüts in Europa bis an die Spitze des Konzerthausorchesters Berlin. Während die entscheidende Phase ihrer internationalen Karriere beginnt, müssen sie und ihr Mann sich nach der Geburt ihres ersten Kindes neu organisieren.
"2UNBREAKABLE"
(Regie: Maike Conway / Deutschland 2023 / 90 Minuten)
“2UNBREAKABLE” ist ein Dokumentarfilm über die spannende Welt der Breaking Culture, die in die Fußstapfen der Breakdance-Gruppe "Rock Steady Crew" tritt, die sich bereits 1977 im New Yorker Stadtteil Bronx gründet hatte. Regisseurin Maike Conway versucht, diese Kunstform für die heutige Gesellschaft sichtbarer zu machen, denn Breaking wird als neue Form des Sports 2024 in Paris bei Olympia Premiere feiern.
"BERGFAHRT"
(Regie: Dominique Margot / Schweiz, 2023 / 97 Minuten)
Der Berg ruft. Wie lange noch? Nach Jahren des Massentourismus in den Alpen findet langsam ein Umdenken statt. Ob Forscher*innen, Künstler*innen oder Philosoph*innen, viele versuchen, sich dem Wesen der Berge auf neue – und gegensätzliche – Weise zu nähern. (nur im Kino, nicht online auf der digitalen Leinwand)
"FOREST"
(Regie: Lidia Duda / Polen, 2024 / 85 Minuten)
Ein Film über die Migrationskrise an der Ostgrenze Polens. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Asia und Marek, die mit ihren drei Kindern in einem traumhaften Haus im Białowieża-Urwald leben. Als die Situation an der Grenze eskaliert, beobachtet die Familie, wie ihr friedliches Leben wachsenden Spannungen und Ängsten weicht.
"E.1027 – EILEEN GRAY and the House by the Sea"
(Schweiz 2024 – Regie: Beatrice Minger & Christoph Schaub – Originalfassung: Englisch, Französisch – Untertitel: Englisch – Länge: 88 min.)
Nach dem Studium der Filmwissenschaft, Germanistik und Geschichte drehte die Schweizerin Beatrice Minger Kurzfilme und Videoclips, die auf internationalen Kurzfilmfestivals liefen. Christoph Schaub wurde in Zürich geboren. Er brach das Germanistikstudium ab, um als Autodidakt eine Filmkarriere zu starten. Viele seiner Dokumentarfilme behandeln architektonisch und urbanistische Themen.
Hier der Trailer:
Die irische Designerin und Architektin Eileen Gray baut 1929 ein Refugium an der Côte d'Azur. Ihr erstes Haus ist ein diskretes, avantgardistisches Meisterwerk. Sie nennt es »E.1027«, eine kryptische Vermählung ihrer Initialen mit denen des rumänischen Architektur-Journalisten Jean Badovici, mit dem sie es gebaut hat. Als Le Corbusier das Haus entdeckt, ist er fasziniert und besessen. Nachdem sich das Paar getrennt hat und Eileen Gray auszieht, bemalt Le Corbusier mit der Erlaubnis des Rumänen die Wände mit bunten Frauenfiguren und veröffentlicht Fotos davon. Eileen Gray bezeichnet diese Gemälde später als dreisten, männlichen Vandalismus und fordert Restitution. Er ignoriert ihre Wünsche und baut stattdessen sein berühmtes »Le Cabanon« direkt hinter »E.1027«, das bis heute die Erzählung des Ortes dominiert.
»E.1027« ist eine filmische Reise in die Gedankenwelt von Eileen Gray. Eine Geschichte über die Macht des weiblichen Ausdrucks und den Wunsch der Männer, ihn zu kontrollieren. Eileen Gray war nicht nur eine der ersten Architektinnen der Neuzeit. Die berühmte Stardesignerin schuf Möbel und Einrichtungsgegenstände, die heute zu den exklusivsten und teuersten der Welt gehören. Sie entwarf auch die gesamte Inneneinrichtung und das Mobiliar in E.1027, die dem Haus seinen einzigartigen Charakter verleihen. Der Film ist mehr als nur eine Doku über Architektur - ein filmisches Essay mit fiktionalen Elementen. Regisseurin Beatrice Minger lässt in kunstvoll arrangierten Reenactments das Dreiergespann wiederauferstehen und gibt Einblicke in künstlerische Konfliktzonen.
Elisabeths Filmkritik:
Eigentlich heißt der Film schlicht "E.1027". E.1027 ist ein Haus. Es heißt auch "das Haus am Meer". Den Titel kann man sich sehr einfach merken. Das E steht für Eileen. Die 10 steht für den zehnten Buchstaben im Alphabet: J. J wie Jean. Die 2 steht für das B, wie Badovici. Jean Badovici. Architekturkritiker, der auch als Architekt Anerkennung suchte. Und bekam. Die 7 steht folglich für das G. G wie Gray. Eileen Gray, Architektin und Designerin. Ihr Tisch mit dem Titel "Adjustable Table E 1027" ist sicherlich heute auch jenen bekannt, die ihren Namen nicht kennen. Sie entwarf den Tisch damals für das Gästezimmer in eben jenem Haus. Ihren Namen kannte man lange nicht. Nicht mehr. Er wurde verdrängt. Sie wurde von einer männlichen Rezeption von Architektur und Kunst verdrängt.
Ihre Karriere als Designerin öffnete sich mit der Bekanntschaft zu dem Rumänen Jean Badovici. Der Entwurf eines Hauses war eigentlich eine natürliche Entwicklung. Sie solle ein Haus für ihre Möbel bauen, so der Gedanke von ihm. Sie suchte und fand einen Ort, der ihrem Wesen entsprach. An der französischen Riviera, versteckt, viel zu nahe am Meer. Es sollte ein Refugium sein. Klein und los gelöst von der lauten Welt. Schlicht sollte es sein. Sie liebte weiße Wände. Das Haus, einmal vollendet, wirkt wie ein Boot auf dem Meer. Raum, Geist und Funktion verschmolzen. Ihr Ansatz war dabei das Gegenteil von dem, was der große Architekt der Zeit, Le Corbusier, postulierte. Er begriff "das Haus" als "Wohnmaschine". Sie, die sich durchaus mit seinen Ansätzen der Architektur auseinandergesetzt hatte, setzte dem entgegen, ein Haus sei keine Maschine. Ein Haus ist mit ihren Worten "das Gehäuse, die Schale des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine spirituelle Ausstrahlung."
Doch sie hatte das Haus auf Jean Badovici eintragen lassen. Das Haus wurde Mitte der 20er erbaut, in den 30ern überschwemmte die High Society die Côte d'Azur. Badovici zeigte das Haus allen und wurde endlich auch als Architekt wahr genommen. Sie musste die Ruhe schließlich woanders suchen. Aber auch Le Corbusier entdeckte das Haus und es war ihm eine Freude, es "zu beschmieren". Weiße leere Wände, da juckt es einem von einer weiblichen Architektin vermeintlich übertrumpft, in den Händen. Er griff zur Farbe und machte alles bunt. Von den Motiven der Fresken, die nun das Werk einer selbstbewussten, modernen Frau Hohn zeugten, ganz zu schweigen.
Bereits 2015 wurde ein Spielfilm gedreht. "The Price of Desire" behandelte, wenig erfolgreich, die Verflechtungen zwischen Gray, Le Corbusier und Badovici. Damals, als in dem Haus am Meer auch gedreht wurde, ist das Gebäude wieder hergestellt worden. Seit 2021 ist es restauriert und gehört heute dem französischen Staat.
"E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer" fängt die Seele dieses Hauses ein und inszeniert viele Szenen jedoch auf einer Studiobühne. Beatrice Minger und in Co-Regie Christoph Schaub, drehten einen Doku-Fiction-Film, der in der Ausrichtung Dokumentarfilm ist, aber mit Reenactments expressiv arbeitet. Dabei fangen sie essayistisch die Gedankengänge der Hauptfigur ein und stellen die Männer, die sie verdrängt hatten, als Gegenpol an ihre Seite. Sparsam behandeln sie das Biografische. "E.1027" ist wie ein Tanz, den die Figuren gemeinsam tanzen und doch bewegt sich jede Figur, auch ganz wörtlich, für sich.
Im Zentrum ist das Haus selbst. Wobei man die Erzählstimme aus dem Off sowohl der irischen Architektin als auch dem Haus zuschreiben könnte. Archivaufnahmen zeigen das Haus in verschiedenen Zeitspannen. Auch im unwürdigen Zustand des Verfalls. Jedoch ebenso bei den Restaurierungsmaßnahmen. Der Zugang, die den Blick verstellenden Wände, die Beschreibungen der Funktionen, die Verschachtelungen, die versteckten Räume im Raum, ohne diesen ihr Geheimnis zu entreißen, vielmehr wird hier die Präsenz von Geheimnis geteilt. Mit der Kamera gleiten wir durch diesen Raum und erfassen auch den Geist seiner Erschafferin. Um so brutaler kommt der Akt der Vertreibung und der Verschandelung rüber.
Wenn sie mal wieder den Dreck nach den Besuchern weg machen muss. Wenn achtlos Tücher hingeworfen wurden, dann begreift das Publikum, dass sie in dem Ambiente nicht mehr leben und arbeiten konnte. Die Vertreibung geschah zuerst aus Unachtsamkeit. Die Gemeinheiten folgten später. Dabei hatte sie diesen Angriff wohl kaum antizipiert.
Lange wurde das Haus, weil es die "Schmierereien" von Le Corbusier ausstellte, als seines gehandelt. Richtig gestellt wurde das damals nicht. Wie konnte das geschehen, mag man sich heute fragen. Darauf gibt dieses filmische Essay von Beatrice Minger und Christoph Schaub durchaus Antwort. Es ist eine Pointe, dass auch das Filmprojekt, als man es Beatrice Minger antrug, von Le Corbusier handeln sollte.
Die Weltpremiere feierte "E.1027" in Dänemark auf dem Festival CPH:Dox. Nun wird es auf dem Dok.Fest München gezeigt. Wer ihn hier verpasst, ein Filmstart zum Ende des Jahres ist geplant.
Elisabeth Nagy
Neben den Filmen ist das DOK.forum die Denkfabrik des Festivals für die Dokumentarfilmbranche und Plattform für Projekte im Entwicklungsstadium. Das Programm 2024 fokussiert das Thema der Stunde: künstliche Intelligenz.
Welche Rolle spielt die Technologie für den Dokumentarfilm heute und in Zukunft? Ein weiterer Schwerpunkt der diesjährigen Edition sind Filmprojekte aus dem Balkan, einer vielfältigen, historisch und (geo-)politisch komplexen Region, deren Geschichten eine größere Sichtbarkeit verdienen.
In Panels, Workshops und weiteren öffentlichen Veranstaltungen laden wir dazu ein, Visionen und Impulse für die Zukunft des Dokumentarfilms zu entwickeln und relevanten medienpolitischen Fragen nachzugehen.
Link: www.dokfest-muenchen.de