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Kann das Popduo MILLI VANILLI den Jahreserfolg »BARBIE« noch vom Thron stoßen?

Greta Gerwigs "Barbie" ist in diesem Jahr ein unumstrittener Kino-Hit, der 2023 sogar als umsatzstärkster Film weltweit gilt. Doch das Biopic über das Popduo MILLI VANILLI könnte zum Jahresausklang noch kräftig aufholen. - Außerdem mit "LOLA" ein englischer Science-Fiction-Film ab heute im Kino.



Die OSCARS® werden zwar erst im März 2024 vergeben und Greta Gerwigs "BARBIE" ist ebenso wie bei den Golden Globes in vielen Kategorien nominiert, doch in den deutschen Blockbuster-Kinos liegt derzeit das Popduo-Biopic um MILLI VANILLI mit "GIRL YOU KNOW IT'S TRUE" an vorderster Stelle, während "BARBIE" nach fast 6 Millionen verkauften Kinokarten in Deutschland jetzt kaum noch gefragt ist.

Auch Christopher Nolans Historiendrama "OPPENHEIMER" war in 2023 mit 4,1 Millionen verkaufter Kinokarten sehr erfolgreich. Erst dahinter folgten Actionfilme wie "JOHN WICK 4", oder immerhin mit knapp 1,4 Millionen Zuschauern auf Platz 10 Harrison Fords Leinwandabschied mit "INDIANA JONES und das Rad des Schicksals".

Große Hoffnungen hatte die Filmbranche zum diesjährigen Weihnachtsfest auf "DUNE 2" mit Timothée Chalamet gesetzt, doch durch den Streik der Hollywood Schauspieler wurde der Start des Films auf Frühjahr 2024 verschoben.

Stattdessen hat aber Paul Kings Musicalkomödie "WONKA" mit Timothee Chalamet in der Hauptrolle an den nordamerikanischen Kinokassen innerhalb von zwei Wochen mehr als 100 Mio. Dollar eingespielt. Die Story soll die frei erzählte Vorgeschichte von Roald Dahls bereits dreimal verfilmten Kinderbuch "Charly und die Schokoladenfabrik" darstellen.

Kaum einer hat geglaubt, dass Simon Verhoevens Biopic-Drama über das Discopop-Duo MILLI VANILLI aus den 1980er Jahren heute noch an der Kinokasse großen Erfolg haben würde. Doch der Film mit Matthias Schweighöfer überrascht recht positiv und lässt zum Jahreswechsel gute Laune im Kino aufkommen, auch wenn das Ende traurig stimmt.

"GIRL YOU KNOW IT'S TRUE" Musik-Biopic-Drama von Simon Verhoeven über das Pop-Duo MILLI VANILLI, das einst den bedeutendsten Preis der Musikbranche, den Grammy, gewonnen hat, bis ein Skandal allen Erfolg zunichte machte. (Deutschland / Frankreich / USA, 2023; 124 Min.) Mit Tijan Njie, Elan Ben Ali, Matthias Schweighöfer u.a. seit 21. Dezember 2023 im Kino.

Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Ob Rock'n'Roll, Rock oder Pop, die Musikbranche lebt vom Skandal.

Elvis Presleys Hüftschwung erregte in den 50ern die Gemüter. Jimi Hendrix verbrannte in den 60ern seine Gitarre auf der Bühne, die Sex Pistols galten in den 70ern an sich schon als Skandal. Ihr Song "God Save The Queen" spaltete das Heimatland Großbritannien. Es war in den 80ern, als Ozzy Osbourne auf der Bühne einer Fledermaus den Kopf abgebissen hatte. Sicherlich, es gibt positive Skandale und negative Skandale. Skandale, die eine Band oder eine Performance cooler machen und Skandale, bei denen man heute "canceln" würde.

John Lennon könnte ein Lied davon singen. Als er die Beatles für populärer als Jesus benannte, in den USA wohl gemerkt, da war aber die Hölle los. Madonna war auf Skandale abonniert. Sie brachte nicht nur die prüde Kirche gegen sich auf. Dieses Jahr hatte der Berliner Radiosender Radioeins in seiner Sommersonntagsreihe nach den 100 skandalösesten Songs gefragt. Die Sex Pistols gewannen mit "God Save The Queen" und Milli Vanillis "Girl You Know It's True" erreichte nur den 47ten Platz. Der Skandal um Milli Vanilli ist also mitnichten der größte in der Popgeschichte.

Eigentlich ist es ein Skandal, dass eine Inszenierung eines Acts wie Milli Vanilli mit den beiden Tänzern Fab Morvan (Elan Ben Ali) und Rob Pilatus (Tijan Njie) überhaupt erst ein Skandal werden konnte. Hat denn niemand richtig hingehört? Wer Playback spielt, weicht doch keine Unze von dem eingespielten Track ab. Ist das denn niemandem aufgefallen bei den Konzerten?

Oder die Tatsache, dass die Zwei zwar akzentfrei singen, aber keine Unterhaltung führen konnten, das kann man doch nicht nicht-merken. Das amerikanische Publikum fühlte sich jedoch betrogen, der Hype legte den Rückwärtsgang ein, und man gab diesem Gefühl mit der Dampfwalze ein Ventil. Es war sicherlich auch das damals junge Medium MTV, dass die attraktive Band in jeden Haushalt gebracht hatte. Ein Skandal ist wahrscheinlich eher, wie die zwei von Milli Vanilli von der Branche ausgepresst und vermarktet wurden. Waren sie wirklich so naiv zu glauben, dass sie den Erfolg, den sie als Tänzer erreichten, auch mit ihrem Gesang hätten reproduzieren können?

Simon Verhoeven nutzt das Etikett Skandal, gerne auch mit dem Hinweis auf Superlative, um die Band aus der Versenkung zu holen. Dabei stellt er schon die richtige Frage: Waren die zwei von Milli Vanilli nicht doch eher die Opfer? Durch einen Trick erzählen sie uns ihre Geschichte selbst.

Als Klammer durchbrechen die Beiden die vierte Wand und erzählen uns damit die Ereignisse aus ihrer eigenen Sicht, auch mit dem Hinweis, dass man sie ja gar nicht mehr kennen würde. Dabei gibt es nur einen kleinen Schönheitsfleck. Rob Pilatus, und damit verrate ich ja nichts, zerbrach an dem Erfolg und an dem Niedergang des Erfolges. Er kann seine Geschichte nicht mehr selbst erzählen. Fabrice Morvan könnte es, darf es aber nicht. Er verkaufte die Rechte an seiner Geschichte an die Produktionsfirma von Bret Ratner, der in Folge von Vorwürfen der sexuellen Belästigung von der filmwirtschaftlichen Landkarte verschwand und damit auch seine entsprechenden Filmprojekte.

Was war denn passiert? Laut Verhoevens Drehbuch beschränkten sich die Ambitionen der beiden Tänzer, die von Frank Farian gecastet wurden, nicht darauf, nur die Lippen zu bewegen. Sie wollten höher hinaus, sich selbst verwirklichen, raus aus der Provinz, raus aus Deutschland. In der großen weiten Welt war aber auch das Fischbecken größer und fortan diktierte ihnen nicht nur der Produzent im fernen Deutschland, was sie zu tun und zu lassen hätten.

Milli Vanilli wollten eine eigene Platte mit eigenen Songs. Bei einem Konzert flogen sie theoretisch auf. Das Playbackband kam ins Stottern. Ops. Doch damit war ihre Karriere noch nicht am Ende. Erst als Frank Farian die Bombe platzen ließ, dass alles nur ein Fake war, dass ganz andere Sänger den Song eingespielt haben, da trat er eine Lawine los, die den beiden Milli Vanillis den Boden unter den Füßen wegriss. Und das ist auch die Moral der Geschichte. Vertraue niemandem, und wenn du auffliegst, dann schiebe die Verantwortung ab. "Blame It On The Rain" quasi.

Ja, die Musikbranche lügt. Nicht nur diese. Junge Acts wurden schon immer übers Ohr gezogen. Wie man es anders als Fab Morvan und Rob Pilatus machen kann, zeigt "Girl You Know It's True" auch, aber viel versteckter.

Es könnte auch der Film über Numarx sein. Bitte wer, bitte was? Numarx waren eine US-amerikanische Hip-Hop-Band aus Baltimore und sie hatten den Song ursprünglich geschrieben. Frank Farian "klaute" den Song und Milli Vanilli haben ihn dann gecovert. Während die eine Band nun in Saus und Braus lebt und weltweit gefeiert wird, gucken die Jungs von Numarx blöd aus der Wäsche und erfahren quasi erst via MTV von dem Siegeszug ihres Songs. Woraufhin Numarx-Mitglied Kevin Liles (gespielt von Stevonté Hart) sich hinter die Bücher klemmt, sich in Sachen Urheberrecht schlau macht (ganz dröges, kompliziertes Zeug und überhaupt nicht cool) um die rechtlichen Möglichkeiten auszuloten. So macht man das.

Liles blieb scheinbar auf der Schiene und machte Karriere in den höchsten Kreisen bei Def Jam Recordings und der Warner Music Group. Das Billboard Magazine kürte ihn 2020 sogar zum "R&B/Hip-Hop Executive of the Year". Bei Verhoevens "Girl You Know It's True" fungierte er dann auch als Executive Producer.

Taugt denn "Girl You Know It's True" als Film etwas? Sicherlich hängt das davon ab, was man erwartet. Es ist ein Flashback in die 80er, an die man sich doch nicht bis ins Detail erinnert. (Hat man damals wirklich noch Bluna getrunken?)

Die beiden Darsteller Elan Ben Ali und Tijan Njie sind exzellent gecastet und von der Choreographie lebt dann auch der Film. Das sieht einfach klasse aus. Matthias Schweighöfer gibt den berühmt, berüchtigten Produzent Frank Farian und da Farian eh fast eine Karikatur seiner selbst ist, überzeugt Schweighöfer mit vermeintlicher Zurückhaltung.

Sicherlich, Verhoeven strebte ein Publikumsfilm an und er war sich sicherlich bewusst, dass er eine Altersgruppe in die Kinos locken möchte, die Milli Vanilli, wenn sie denn für sie ein Begriff sind, eher nur als oberpeinliche Nummer der Elterngeneration wahrnehmen. Die Biographien der beiden Tänzer vermittelt er nur über ein paar wenige Eckdaten. Die Chemie zwischen den Beiden ist auch nicht wirklich erkennbar. Für die Unterhaltung werden Szenen auf ihr Potential für Komik abgeklopft. Die Musikindustrie selbst ist der pure Moloch.

Eine Auseinandersetzung oder gar Kritik an den Strukturen bleibt hier aus. Es bleibt bei den Schauwerten.

Elisabeth Nagy


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LOLA Sci-Fi Kriegsdrama von Andrew Legge über eine Maschine, die während des Zweiten Weltkriegs angeblich Radio- und Fernsehsendungen aus der Zukunft abfangen kann. (Irland / Großbritannien, 2022; 79 Min.) Mit Emma Appleton, Stefanie Martini, Rory Fleck-Byrne u.a. ab 28. Dezember 2023 im Kino.

Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

L.o.l.a. ist eine Maschine. Genauer gesagt: L.o.l.a. ist eine Zeitmaschine. Sie wurde von den Schwestern Hanbury konstruiert.

Nach dem Tod der Eltern leben Thomasina (Emma Appleton) und Martha (Stefanie Martini) allein in einem Landhaus und sind sich selbst genug. Und dann ist da noch "Lola" oder auch L.o.l.a. Die Maschine besteht aus einer großen aufgehängten Platte, auf der man Bilder empfangen kann.

Unterhaltungssendungen aus der Zukunft entfachen plötzlich mitten im Weltkrieg die David-Bowie-Manie bei ihren Erfinderinnen. Doch was zuerst Vergnügen bereitet, bedeutet alsbald Verantwortung von den Beiden. Der Krieg fordert seinen Tribut, Luftgeschwader der Deutschen bedrohen auch die Zivilbevölkerung. Mit Hilfe der Zeitmaschine wissen die Schwestern, wann und wo es zu Angriffen kommen wird. Rechtzeitig übermitteln sie Warnungen via Funk.

Es heißt aber nicht von ungefähr, dass man sich bei Zeitreisen nicht in den Verlauf der Geschichte einmischen sollte. Jetzt ist die Implikation, wie die Zukunft verlaufen wird, für die Schwestern nur eine wage Möglichkeit, die ihnen bis zu einem gewissen Punkt nur Vergnügen bereitet hat.

Das Drehbuchteam von Regisseur Andrew Legge und Angeli Macfarlane bindet das Wissen des Publikums über den Verlauf des II. Weltkrieges und der Pop-Geschichte der Nachkriegszeit mit ein. Ohne zuerst zu wissen, inwiefern sich die Zukunft durch ihre Einmischung verändert, fuschen sie der Weltgeschichte "as wie know it" gehörig ins Handwerk. So sehr, dass sie zwar anfangs Menschenleben retten, aber Großbritannien mehr und mehr den Krieg zu verlieren droht.

Es kommt noch ärger: Insbesondere Thomasina verfällt ihrer Maschine und ihr gefällt die Macht, die sie erlangt. Andrew Legge versucht sein Gedankenexperiment, das visuell aufwendig gestaltet wurde und wahrlich fasziniert, hier auf einen philosophischen Kurs zu bringen. Ab wann verliert man die Kontrolle über das, was man tut, und ab welchem Punkt verliert man den ethischen und den moralischen Kompass? Was ist eine Zukunft wert, wenn es Stanley Kubrick, Bob Dylan und David Bowie so nie gegeben haben wird? Wenn alle Popsongs lyrisch stattdessen feuchte Nazi-Träume bedienen?

"Lola" ist als Mockumentary aufgezogen. Zum einen drehte das Filmteam über weite Strecken mit einer Bolex 16 mm, damit alles so aussieht, als wären wir wirklich in den 40er Jahren. Jede Menge Found Footage wurde erstellt. Handfestes Archivmaterial wurde mit eingebunden und teilweise verfremdet und es passt höllisch genau.

Andererseits bricht das Material auch immer wieder den Erzählfluss. Legge variiert hier einen seiner Kurzfilme. In "The Chronoscope" von 2009 hatte er einen Wissenschaftler erfunden, der mit einer Maschine in die Vergangenheit schauen konnte. Was Andrew Legge aber auch ausklammert, ist, dass seine alternative Wirklichkeit eigentlich mehr als ein paar handelnde Figuren haben müsste. Er konzentriert sich auf die Maschine und die beiden Schwestern. Es gibt keine Bevölkerung im Widerstand. Es gibt scheinbar überhaupt keinen Widerstand.

Die Ereignisse bedrohen schließlich auch das Schicksal der Schwestern. Eine Figurenentwicklung aus sich selbst heraus bleibt halbherzig. Eine angedachte Romanze überzeugt wenig. Dass ausgerechnet eine queere Figur auf die falsche Seite geraten könnte, verärgert sogar ein bisschen. Dass angedachte Fragestellungen nach der Wichtigkeit von Kultur und Wissenschaft irgendwann zugunsten von Spionage-Allerlei und Actionszenen vernachlässigt werden, ist bedauernswert. Andrew Legge möchte aus der Nummer herauskommen, indem er alle Änderungen rückgängig macht. Alles auf Anfang sozusagen. Nach Zeitreiselogik sollte das aber nur in parallele Wirklichkeiten führen.

Elisabeth Nagy


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