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Mittelalter im deutschen Film? - Nachschlag zur Medienberichterstattung über Til Schweiger

Pranger-Journalismus und Codes beschäftigen derzeit nicht nur die Branche, sondern auch die Berichterstattung von ver.di und connex.av



Am 4. Mai 2013 berichtete unsere Korrespondentin Katharina Dockhorn erstmals über den sogenannten Fall "Til Schweiger" mit ausufernden Überstunden bei Constantin Film und dazugekommenen Belästigungen oder sogar Gewaltexzessen. Ob diese durch einen freiwilligen "Code of Conduct" binnen einer Zweijahresfrist gestoppt werden können bleibt zweifelhaft.

Heute folgt von unserer Film-Journalistin ein wichtiger Nachschlag, nachdem auch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di über den am 17. Mai 2023 von connexx.av verbreiteten Newsletter sich des Themas bemächtigt hatte.

Kommentar von Katharina Dockhorn:

Til Schweiger schwebte wie so oft bei der Verleihung der Lolas wie ein Geist durch den Raum. Oftmals hatte der Regisseur und Publikumsliebling die Auswahl kritisiert, die Komödien regelmäßig für zu seicht und leicht erklärt. In diesem Jahr musste die Moderatorin eine niveaulose Anspielung auf seinen Namen machen – obwohl Schweiger bereits am Boden liegt. Und der Saal lachte. Manch einem, der seine gute Kinderstube nicht an der Garderobe abgegeben hatte, wird wohl gute Miene zum bösen Spiel gemacht haben.

Denn längst geht die Angst um in der deutschen Produzentenschaft. Sie fürchtet, dass es bald weitere Opfer des von ver.di organisierten Pranger-Journalismus zu Schweiger geben könnte. Das entsprechende Gerücht bestätigte Matthias von Fintel, verantwortlicher Tarifsekretär der Gewerkschaft für den Bereich Film und Fernsehen der Gewerkschaft, dem Onlineportal von Alexander Wallasch auf dessen Nachfrage. Die Mitarbeiter seien leider zu spät gekommen, um eine Unterbrechung des Drehs durch den Arbeitsschutz einzuleiten. Ansonsten war nichts zu beanstanden. Wohl im Gegenteil. Til Schweiger gilt als Arbeitgeber, der Überstunden großzügig und pünktlich vergütet. Und auch die Constantin Film gilt als Firma mit guten Konditionen.

Juristisch nicht justiziable Vorwürfe.

Da juristisch also nichts zu holen war, blieb nur der Pranger. Was bei Jörg Kachelmann, Ulli Seidl oder BSI-Präsident Arne Schönbohn klappte, musste auch bei Schweiger wirken. Die Vorwürfe blieben in den drei genannten Fällen nicht justiziabel, aber der Ruf der Angeprangerten wurde zum Teil nachhaltig geschädigt. Wie dünn und juristisch heikel die Story um Schweiger ist, merkten wohl auch die Journalisten von der „Süddeutschen Zeitung“ wie Stefan Niggemeiers Portal Übermedien.de berichtet. Nach monatelangen Recherchen verzichtete die SZ auf weitere Berichterstattung.

Um nicht missverstanden zu werden. Alkohol am Set ist wie an jedem anderen Arbeitsplatz nicht zu akzeptieren. Ebenso verbale Übergriffe oder tätliche Angriffe. Doch im Gegensatz zu den ersten Anschuldigungen gegenüber Constantin Film ist mittlerweile bekannt, dass von ihr zumindest auf den Vorfall mit einem eigenen Mitarbeiter reagiert und die Dreharbeiten von „Manta Manta – Zwoter Teil“ unterbrochen wurden.

Die Münchner Filmfirma wurde in den vergangenen Wochen wohl auch Opfer der eigenen Zögerlichkeit und missratenen Kommunikation. Inzwischen rudert Constantin zurück und bemüht sich um Schadensbegrenzung. Es ist ihrem Vorstandschef Martin Moszkowicz auch hoch anzurechnen, dass er lange versuchte, Schweiger zu schützen.

Missglückte Mitgliedergewinnung von ver.di

Die Hintergründe haben viele Produzenten verunsichert. Wer kann denn sicher sein, nicht als nächster durch die Medien gezogen zu werden, wenn es Probleme gibt und sich Unzufriedenheit am Set einstellt. Aber alle schweigen. Wenn sie pünktlich Gehälter und Honorare zahlen und jede Überstunde abrechnen.

Und auch ver.di wird wohl nicht das erreichen, was der Gewerkschaft wie Wallasch vermutet vorschwebt. Sie kämpft um Mitglieder und ein besseres Image – nicht vergessen haben viele Filmeschaffende, dass die Gewerkschaftsfunktionäre in der ersten Phase der Corona-Pandemie bei der Bundesregierung dafür plädierten, selbständige Kulturschaffende in "Hartz IV" zu schicken. Viele Betroffene erhielten nicht einen Cent, weil der Partner oder die Partnerin zu viel verdiente. Sie mussten sich andere Jobs suchen, viele kehrten nicht zurück. Die Gewerkschaft hat damit fleißig am Fehlen von Fachkräften mitgewirkt. Was sich sicher nicht positiv auf die Mitgliederzahlen auswirkte.

Freiwillig Codes statt Gesetze.

Vor allem zeichnet sich ab, dass auf den mittelalterlichen Pranger auch die Reaktion im Stil der Feudalgesellschaft kommt. Eine Verschärfung des Paragrafen im Filmförderungsgesetz, die die Einhaltung von Tarifverträgen und Arbeitsschutzregeln fordert, wird diskutiert und wird wohl kommen. Auch bei der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) wird dies diskutiert. Dort stehen die Verantwortlichen unter dem Druck der Politik. Der Thüringer Koalitionsvertrag fordert eine entsprechende Regel.

Doch es wird jetzt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth kaum über Gesetzesänderungen im Stil des demokratischen Rechtsstaates gesprochen. Dafür viel über Codes, im Mittelalter Codex. Sie sind in ihren rechtlichen Verbindlichkeiten wesentlich niederschwelliger als Gesetze und versuchen oft, moralische Standards festzuschreiben, was oft in einer Grauzone endet. Was der eine witzig findet, kann einen anderen gravierend verletzen. Doch wohin mit dem Ärger und dem Wunsch nach Gerechtigkeit? Wenn nichts hilft, dann bleibt nur der Pranger.

Katharina Dockhorn


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NACHTRAG:

Nun meldet sich auch noch Detlev Buck zu Wort.

Zum Start seiner neuen Serie "German Genius" (ab 23.5. beim Streamingdienst WOW und bei Warner TV Comedy) kritisiert Regisseur, Schauspieler und Produzent Detlev Buck ("Männerpension") in einem Podcast-Interview mit ALL YOU CAN STREAM von TV DIGITAL die aktuelle Diskussion über Machtmissbrauch an deutschen Filmsets und sagt:

"Es gibt eine Welle der Betroffenheit, bei der sich die Politik anschließt, wo ich sage: Man muss nicht hysterisch werden. Ein Rainer Werner Fassbinder würde heutzutage nicht mal mehr einen Fuß auf die Erde kriegen, bei dem Machtsystem, das Rainer damals hatte - und bei dem Drogenkonsum. Er hat ja nicht nur gesoffen, sondern auch gekokst ohne Ende! Aber es gehörte eben zum Dasein eines Künstlers."

Buck weiter: "Ich empfinde den Zustand der Angst, in dem alle leben - bloß keinen Fehler machen und nicht anecken zu wollen - als menschlich geradezu katastrophal. Ich empfinde das Hysterisieren der Leute als katastrophal. Kunst hat frei zu sein!"


Quelle: Presseportal ots by dpa


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