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Unsere wöchentlichen Filmkritiken im Oktober 2020, Teil 4

Ulrikes Filmkritiken zu Kinostarts von Donnerstag, den 22. Oktober 2020.



"GREENLAND" Katastrophenfilm von Ric Roman Waugh (USA). Mit Gerard Butler, Morena Baccarin, David Denman u.a. seit 22. Oktober 2020 im Kino.

Der Tobis Film Verleih hat den Start des Katastrophenfilms "Greenland" um eine Woche vorgezogen, schrieben wir am 23. Oktober 2020 anlässlich unserer nicht ganz schmeichelhaften Kurzkritik. Unsere Kollegin Ulrike Schirm hat den Film dann leider doch nicht sehen können, sodass die angekündigte ausführliche Besprechung leider ausbleibt.

Wir bleiben aber dabei, dass die Wahl den Film gerade jetzt zur Katastrophe der weltweiten Corona-Pandemie zu zeigen, keine besonders gute Idee ist. Das schürt nur Unbehagen.


Andere Verleiher halten ihre Blockbuster „nach sorgfältiger Überlegung und gründlicher Bewertung des weltweiten Kinomarktes“ verstärkt zurück, denn die Platzkapazitäten in den Kinos sind durch gesperrte Plätze stark geschrumpft. Manche Filme kommen deshalb gar nicht mehr ins Kino, sondern erscheinen gleich auf Streaming-Portalen.

Keep Distance - Stay Safe | El Gouna Film Festival in Ägypten (© Bernhard Karl)

Sogar für den neuen James Bond Film - "No Time to Die" ("Keine Zeit zu sterben"), der zuletzt auf April 2021 verschoben wurde, könnte dies eine Option sein, um die immensen Produktionskosten schneller amortisieren zu können. Auf der Produktionsfirma Metro-Goldwyn-Mayer liegt auf Grund der aktuellen Krisenlage ein ernsthafter Druck den Streifen zu verkaufen, sodass der Film möglicherweise bald bei Apple TV oder Netflix erscheint, heißt es.

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"BRUNO MANSER – Die Stimme des Regenwaldes" Drama von Niklaus Hilber (Schweiz, Österreich) in atemberaubenden Bildern nach einer wahren Geschichte. Mit Sven Schelker, Charlotte Heinimann, Daniel Ludwig u.a. seit 22. Oktober 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

1984.
Der 29-jährige Schweizer Bruno Maser reist in den Dschungel von Sarawak, dem malaysischen Teil auf der Insel Borneo. Fern der modernen Zivilisation möchte er seinen Traum realisieren. In einem der ältesten Regenwälder der Welt begibt er sich auf die Suche nach einem der letzten Nomadenvölker der Erde: den Penan. Tagelang streift er mutterseelenallein durch den dichten Dschungel und lauscht den Geräuschen der herrlichen Natur. Auf seiner abenteuerlichen Suche stößt er endlich auf eine Penan-Sippe. Er folgt ihnen mit respektvoller Distanz und beobachtet ihre Lebensweise. Als die Penan den Fremden entdecken, sind sie irritiert. Es dauert nicht lange, bis Manser ihr Vertrauen gewinnt. Häuptling Along Sega nimmt den merkwürdigen weißen Mann unter seine Fittiche und bringt ihm alles bei, was man zum Überleben im Dschungel braucht. Nach und nach lernt er ihre Sprache und läuft wie sie, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, herum. Noch ahnt er nicht, dass die Begegnung mit dem friedliebenden Volk sein Leben für immer verändern wird.

Als die Penan auf dem Weg in ein neues Jagdgebiet sind, entdecken sie, dass Holzfäller ein riesiges Gebiet des Regenwaldes abgeholzt haben. Es stellt sich heraus, daß der größte Teil der Penan-Gebiete durch die neue Regierung zur Rodung frei gegeben wurde. Mit dem Export von Tropenholz nach Europa soll Malaysia zu einer Industrienation aufsteigen. Das bedeutet für die Penan, ihr Lebensraum wird zerstört. Manser überzeugt Sega und die Penan, für ihr Land zu kämpfen. Sie schließen sich mit weiteren Penan-Sippen zusammen und beginnen die Holzfällerstraßen zu blockieren, um die schweren Fahrzeuge an der Weiterfahrt zu hindern und damit die Holzindustrie zu stoppen. Ihr Widerstand weckt das Interesse der Medien. Ein junger Journalist, James Carter Long, bietet Manser an, sich bei der Regierung für ihre Landrechtsforderungen einzusetzen. Aus den Verhandlungen wird nichts. Stattdessen setzt der Geheimdienstchef Robert Chang ein hohes Lösegeld auf Mansers Kopf aus. Er muss sich im Dschungel verstecken. Heimlich trifft er sich mit Carter-Long, von dem er die neuesten Nachrichten erfährt. Das der ein falsches Spiel spielt bemerkt Manser als Carter-Long gemeinsam mit dem Geheimdienstchef auftaucht und Maser verhaftet wird.

Auf der Fahrt ins Gefängnis kann Maser fliehen. Als er zu Segas Blockadeort zurückkommt, erwartet ihn ein fürchterlicher Anblick. Ein neues Gesetz wurde kurzerhand verabschiedet. Das Blockieren von Holzfällerstraßen wurde als Terrorakt deklariert. Sämtliche Straßensperren wurden niedergerissen und mehrere Penan getötet.

Manser fühlt sich schuldig. Er glaubt, dass er den Penan jetzt nur noch helfen kann, wenn er in die Schweiz zurückkehrt und den Kampf auf ein internationales Parkett bringt.

Acht lange Jahre kämpft er wie besessen weiter. Er verhandelt mit hochrangigen Persönlichkeiten aber was auch immer er anstellt, den Kampf gegen ein globalisiertes Wirtschaftssystem zu gewinnen, ist wie ein Kampf gegen Windmühlen, eine klassische David-gegen-Goliath-Situation.

Obwohl er in Malaysia noch immer als Staatsfeind Nr. 1 gilt, kehrt er heimlich zurück in den Dschungel. Sega ist überglücklich, als er seinen „verlorenen Sohn“ wiedersieht. 2005 wurde Manser offiziell als verschollen erklärt. Er ist spurlos im Dschungel verschwunden.

„Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes" von Niklaus Hilber mit Sven Schelker in der Titelrolle lief auf dem Neiße-Filmfestival außerhalb der Konkurrenz als Eröffnungsfilm und wurde von der Schweiz für den Auslands – Oscar 2021 nominiert. Der Film erzählt die wahre Geschichte des Umweltaktivisten Bruno Manser in atemberaubenden Bildern. Sven Schelker verkörpert den passionierten Naturfreund mit großer Verletzlichkeit. Hilber hält sich bewusst nicht immer an die historischen Fakten. Das Drama von Manser überspannt einen sehr langen Zeitraum. Für ihn war es wichtig den Fokus auf Mansers Kampf für den Regenwald und die Vertreibung der Penan zu richten und den Namen Bruno Manser auch außerhalb der Schweiz bekannt zu machen. Die Probleme die hier beschrieben werden, sind leider aktueller denn je. Dieser sensible Film über die bedrohte Natur ist auch gleichzeitig ein kämpferisches Pamphlet, das uns aufrütteln soll.

Ulrike Schirm


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"REGELN AM BAND, BEI HOHER GESCHWINDIGKEIT" Dokumentarfilm von Yulia Lokshina (Deutschland). Seit 22. Oktober 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der schon vor den jüngsten Skandalen im Fleischkonzern und Schlachthof von Clemens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück entstandene Diplomfilm der Münchener Filmhochschule berichtet von der Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern aus Osteuropa in der Fleischindustrie, von den katastrophalen Wohnverhältnissen und vertuschten Unfällen an Bändern, die immer schneller laufen, auch wenn die Hände nicht mehr hinterherkommen. Er berichtet aber auch von empathischen Aktivistinnen und Aktivisten, die versuchen ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es handelt sich um Menschen, die oft der deutschen Sprache nicht mächtig sind und kaum Möglichkeiten haben, sich gegen die miserablen Arbeits-und Lebensbedingungen zur Wehr zu setzen. Erst recht nicht kennen sie die Sprache der Verträge und Fußnoten, die für eine begrenzte Zeit ihr Leben am Fließband regelt.

Parallel dazu beobachtet die Regisseurin Yulia Lokshina eine Gymnasialklasse am Rande von München, Jugendliche, die Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ einstudieren und sich mit den marxistischen Ideen Brechts in Diskussionen auseinandersetzen. In seinem 1931 geschriebenen Stück, prangert er die skandalöse Ausbeutung der Arbeiter an. Besonders diskussionsfreudig zeigen die Schüler sich nicht.

In den Betrieben durfte Lokshina mit ihrem Team nicht drehen. Sie konzentriert sich auf die Menschen die in versteckten Waldcampingplätzen hausen, auf deren lange Nachhausewege in der Nacht, auf den erschütternden Vorfall einer jungen Rumänin, die ihr Neugeborenes in einer roten Supermarkttüte ausgesetzt hat. Sie arbeitete bei Tönnies unter katastrophalen Bedingungen. Von ihrem weit unter dem Mindestlohn liegenden Lohn, musste sie 200Euro monatlich für ein winziges Zimmer mit einer Matratze bezahlen. In ihrer Verzweiflung und der Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren, setzte sie ihr Kind aus. Der Fall war eine Schlagzeile wert und dann vergessen.

Ein Bild, was man nicht so schnell vergisst, ein eingepferchtes Schwein, das minutenlang nach einem Ball schnappt, ihn aber nicht bekommt. Was man Lokshina hoch anrechnen muss, ist die Tatsache, dass sie die Menschen, die sie befragt ernst nimmt und sie in keiner Weise vorführt.

Die Tatsache, dass über 660 Millionen Tiere für den deutschen Fleischkonsum jährlich geschlachtet werden, vermittelt, dass dieses Schweinesystem munter weiter existiert. Und somit ist dieser Film ein Appell an uns Verbraucher, endlich den Konsum von Billigfleisch einzustellen, der solchen Ausbeutungen von Mensch und Tier, Tor und Tür öffnet. Diesen Sachverhalt vermittelt uns Lokshina anschaulich und eindringlich, indem sie den Unsichtbaren ein Gesicht gibt.

Ihr Film war der Gewinner des Max Ophüls Preis beim Filmfestival in Saarbrücken, 2020.

Ulrike Schirm


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"KAJILLIONAIRE" eine hintergründige Gaunerkomödie von Miranda July (USA, 106 Min.). Mit Evan Rachel Wood, Gina Rodriguez, Richard Jenkins seit 22. Oktober 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Mutter Theresa (Debra Winger), Vater Robert Dynes (Richard Jenkins) und Tochter Old Dolio (Evan Rachel Wood) halten sich mit Betrügereien über Wasser. Sie sind ein eingespieltes Team. Schon in ihrer Kindheit wurde Old Dolio im Lügen und Stehlen unterrichtet. Elterliche Liebe hat sie nicht erfahren. Dank ihrer akrobatischen Gelenkigkeit kann sie sich an jeder Kamera vorbeimogeln.

Das Trio wohnt in Los Angeles neben einer Seifenfabrik. Regelmäßig quillt rosafarbener Schaum zwischen Wand und Decke herein, der in Eimern aufgefangen werden muss.

Mit Vorliebe plündern sie Postfächer. Die Eltern stehen Schmiere, während Old Olio sich an den Kameras vorbei duckt. Die Beute ist gering. In einem liebevoll eingepackten Briefpäckchen befindet sich eine Krawatte und ein Plüschtier. Egal, sie nehmen was kommt. Auch ihre Scheckbetrügereien reichen nicht aus, um ihre Mietschulden zu bezahlen. Ihr Vermieter, der Besitzer der Seifenfabrik, bricht in Tränen aus, wenn er ihre plumpen Vertröstungen hört. Doch dann hat er die Faxen dicke und droht mit Rausschmiss, wenn sie nicht innerhalb der nächsten 14 Tage ihre Schulden begleichen. Ihre schäbige Bruchbude ist immer noch besser als gar kein Dach über dem Kopf. Jetzt müssen sie sich etwas einfallen lassen. Sie buchen einen Flug nach New York, um ihren Koffer als vermisst zu melden. Ein Trick, der meistens funktioniert. Doch die Bearbeitung des Vorfalls kann mehr als 6 Wochen dauern. Im Flugzeug lernen sie die junge Puertoricanerin Melanie (Gina Rodriguez) kennen. Das frisch-fröhliche Mädchen ist das Gegenteil von der 26-jährigen Old Dolio, die mit ihrer schlampigen Kleidung, ihrer tiefen Stimme und den hüftlangen Haaren, hinter denen sie ihre mürrischen Gesichtszüge verbirgt. Die Betrügereien der Famillie Dynes findet Melanie höchst spannend und sie schließt sich der Familie an, indem sie gemeinsame Sache machen. Nach und nach erkennt Melanie die seelische Verkümmerung von Old Dolio und hilft ihr Schritt für Schritt aus der emotionalen Vernachlässigung herauszufinden.

Ein starkes Erdbeben hat Old Dolios Eltern vordergründig zur Besinnung gebracht. Die Vorstellung, daß ihre Tochter tot sein könnte, hat ihnen bewusst gemacht wie sehr sie sie lieben. „Wir glaubten immer, es sei beleidigend, dich wie ein Kind zu behandeln.“ Aber genau das, hat die junge Frau immer vermisst. Zum ersten Mal hat sie von den Eltern Geburtstagsgeschenke bekommen. Haben sich ihre Eltern wirklich geändert? Melanie und Old Dolio bringen die Geschenke zurück.

Warum die Eheleute Dynes so sind, wie sie sind, wird in dieser schrägen Tragikomödie von Regisseurin Miranda July („The Future“, „Ich und du und alle, die wir kennen“) nicht erklärt. Sie schildert eine dysfunktionale Eltern-Kind -Beziehung, deren miese Betrügereien, sie zu Außenseitern macht und denen jeder Funke Einfühlungsvermögen abhanden gekommen ist. Mit dem Erscheinen von Melanie bekommt die hintersinnige Geschichte eine völlig neue Ebene und das ist auch gut so. Wood verkörpert den Seelenschmerz und die Verlorenheit der Heldin mit einer Intensität, die unter die Haut geht. Hoffentlich hat sie endlich die Geborgenheit gefunden, nach der sie immer gesucht hat.

Ulrike Schirm


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