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Neues Kino aus der Türkei - Radio Sendung im rbb

Vom Kitsch zur Kunst - von Angelika Kettelhack und Ulrich Gellermann.



Bis in die 80er Jahre bestand das türkische Kino aus eher kitschigen Herz-Schmerz-Filmen. Inzwischen dominieren andere künstlerische Ansprüche die Filmproduktion. Türkische und deutsch-türkische Regisseure zeichnen gesellschaftliche Veränderungen nach oder ahnen sie sogar voraus. Der Goldene Bär der Berlinale für "Bal" (Honig) von Semih KaplanoÄŸlu und der Regiepreis für Nuri Bilge Ceylan 2008 in Cannes bezeugen das internationale Renommee des neuen türkischen Kinos. Das nationale Filmfestival im Badeort Antalya gibt Gelegenheit, diesen Tendenzen nachzuspüren.

Filme in Antalya
Alle Tage Frauentag - von Angelika Kettelhack

Draußen vor der Tür ist fast alles wie immer. Wo man auch hinsieht, an den Schaltstellen der Macht sitzen in der Türkei Männer. Aber hinter den Toren des Filmfestivals »Altin Portakal« in Antalya wurde die Frauenrevolution geprobt: Alle Auswahlkommissionen und alle Jurys waren ausnahmslos mit Frauen besetzt. Weibliche Kinobesucher mussten nur eine symbolische Lira bezahlen und wurden mit Blumen überschüttet, als wäre aller Tage Frauentag.

Ein Zeichen wollte das Festival setzen, ein Zeichen, gegen die Gewalt, die türkischen Frauen angetan wird. Und so prämierte die Jury denn auch als besten Film
»We will see good days« von Hasan Tolga Pulat, in dem alle Verwicklungen auf einen »Ehrenmord« zurückzuführen sind und der reuige Mörder aller Gewalt abschwört.

An eine andere Sorte Gewalt erinnerte das Festival mit einer feierlichen Gala: Jenen Filmemachern, die wegen des Militärputsches 1979/80 – der von der NATO
und den USA unterstützt wurde – damals ihre Filme zurückzogen, wurde jetzt rund 30 Jahre später die »Goldene Venus« überreicht. Und immer, wenn das Orchester während der Veranstaltung die berühmten Lieder vom Widerstand anstimmte, sang der ganze Saal mit. Es war ergreifend, die alten Filmemacher zu sehen, die, nicht selten mit Tränen in den Augen, ihren jungen Nachfolgern ihr großes ästhetisches und politisches Erbe überantworteten. Dieser öffentliche Schritt zur Ehrung der alten Filme weist auf die schwächer werdende Rolle des Militärs in der Türkei hin. Nur wenige Jahre zuvor wäre ein solcher Akt der Erinnerung an die vielen Toten und Gefolterten des Putsches auf dem Festival undenkbar gewesen.

Ehrung mit »Goldener Venus« 30 Jahre nach dem Akt des Widerstands gegen den Militärputsch in der Türkei.

Mit dem neuen Wettbewerbsfilm "Zenne Dancer", einem ausufernden Schwulendrama, wurde das türkische Militär als größter Sammler pornografischer Bilder denunziert. Denn wenn ein Schwuler den Kriegsdienst erfolgreich verweigern will, muss er der Musterungskommission eindeutige Bilder vorlegen, die ihn mit einem Partner beim Sexualakt zeigen. Die Anklage dieser entwürdigenden Praxis löste beim Publikum in Antalya heftigen, stehenden Applaus aus. Zu den Gewinnern gehörte auch der unglaublich spannende Film "Nar" (Granatapfel). Fast beiläufig wird in dieser Arbeit, in der es um das Recht der Unterschicht gegen jenes der Oberschicht geht, ein Lesbenpaar skizziert. Schon die filmische Erwähnung lesbischer Liebe war in der Türkei bisher selten. Aber zu zeigen, dass lesbische Paare auch keine anderen Herrschaftsstrukturen herausbilden als heterosexuelle, war der Jury einen Spezialpreis wert.

Dass der Ehrengast dieses Jahres eine Frau sein musste, verstand sich von selbst. Mit Jane Birkin (»Blow Up«) hatten die Festivalmacher eine jener selbstbewussten
Frauen eingeladen, die unbekümmert mit ihrer Liebe umgehen: Das mit Serge Gainsbourg gesungene »Je t’aime ... moi non plus« hatte die Birkin bei vielen Radiostationen auf den Index gesetzt und sie weltberühmt gemacht.

KULTURTERMIN
beim rbb-Kultur-Radio auf 92,4
Donnerstag 17.11. 2011 -- 19:04 bis 19:30 Uhr
Web: www.rbb-online.de


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