Kritische Dokumentarfilme im TV unerwünscht?
Talkshows statt Dokumentarfilm: Ein Genre ist bedroht!
Für die RBB-Produktion „20 x Brandenburg“ drehten 20 Filmteams im vergangenen Sommer 20 Geschichten. Am 1. Oktober war Sendetermin im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), wie wir einen Tag vorher am 30.09.2010 im BAF-Blog berichteten. Doch der Dokumentarfilm ist akut bedroht. Ein Protest!
Unter dem Titel "Das Verschwinden der Wirklichkeit" greift der Autor eines Artikels im Berliner Tagesspiegel vom 19.01.2011 die nachfolgenden Worte des Vorstandsvorsitzenden der AG-Dok auf und beschreibt die unsägliche Situation der Dokumentarfilmer in einem langen, exklusiven Bericht für die Zeitung. Der Dokumentarfilmer arbeitet im Auftrag des Fernsehens. Da er sich diese Möglichkeit nicht versperren will, möchte er anonym bleiben, schrieb die Zeitung. Auszüge aus dem exklusiven Artikel möchten wir gerne unseren Lesern zur Diskussion stellen, denn der Protest des Autors und Regisseurs sollte unserer Meinung nach weitere Verbreitung finden.
Anlass war die Programmreform der ARD, die von den Dokumentarfilmern heftig kritisiert wird. AG-DOK-Verbandschef Thomas Frickel erklärte bereits gegenüber Blickpunkt:Film:
Gegen die Entscheidung, Dokumentationen künftig verstärkt in die zuschauerschwachen Sommermonate zu verschieben, wehrt sich die AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm:
An dieser Stelle möchten wir den Artikel unterbrechen und auf einen Vergleich mit der Bild Zeitung aus dem Hause Springer verweisen. Es ist die Tageszeitung mit der höchsten Auflagenzahl in Deutschland, die von vielen Menschen gelesen wird. Dennoch sind es nicht alle Bürger Deutschlands, die sich für blöd verkaufen lassen, auch wenn die Springer Zeitung gern behauptet die Stimme des Volkes zu sein und deren Ansichten zu kennen. Sogar Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beugte sich der Bild-Zeitung und entließ nach einem Bericht der Zeitung von angeblichen "Ekel-Ritualen" auf dem Segelschulschiff Gorch Fock den Kapitän Norbert Schatz per Telefon. Die Entscheidung war nach einem vorangegangenen tödlichen Unfall sicherlich richtig, aber zwei Tage zuvor hatte der Baron noch erklärt, aus der Ferne keine Vorverurteilung eines erfahrenen und renommierten Kapitäns vornehmen zu wollen, sondern erst alle Vorfälle sorgfältig prüfen zu wollen. Der plötzliche Sinneswandel erfolgte nur auf Druck der Springer Zeitung und noch vielmehr in Hinblick auf anstehende Wahlen.
Druck wollen Politiker gern auch auf öffentlich-rechtliche Sender vornehmen. Ex-Ministerpräsident Roland Koch hatte beispielsweise noch zu seiner Amtszeit in Hessen versucht, ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender zu schassen. (siehe BAF-Blog vom 29.11.2009) Tatsächlich ist die Einflussnahme meist nur von kurzer Dauer, denn für die Öffentlichkeit gibt es noch andere Wege sich objektiv zu informieren. So haben die vielen regionalen, anspruchsvollen Tageszeitungen alle zusammen weitaus mehr Leser als die Bild Zeitung. Hinzu kommen noch die überregionalen Zeitungen, das Internet und die Nachrichten im Fernsehen, die täglich eine ausgewogene – oft aber auch kritische Berichterstattung bringen. Insgesamt listet der Deutsche Journalistenverband (DJV) in einer aktuellen Übersicht ca. 127 verschiedene Tageszeitungen in Deutschland. Das sind weniger als noch vor ein paar Jahren, dennoch ist der Verlust von Lesern vor allem bei den Boulevard Blättern überdeutlich. Dafür kommen neue Vertriebsorganisationen, wie die Zeitung als App. auf iPads und Tablet PCs hinzu und gleichen Verluste wieder aus.
Doch offensichtlich verkennen die ARD-Verantwortlichen diese Tatsache, oder lassen sich allein von der Auflagenstärke - und analog dazu im Fernsehen von den täglichen Zuschauerzahlen blenden, ohne die Wirklichkeit zu reflektieren. Vielleicht war aber auch ein gewisser Druck aus der Politik vorhanden, mehr Talksendungen im Hauptprogramm zu senden, damit die Parteien vor den anstehenden Wahlen mehr Zeit für ihre Selbstdarstellung zur Primetime haben. Doch wer den Kulturauftrag falsch interpretiert und erst nach Mitternacht anspruchsvolle Spielfilme oder kritische Dokumentarfilme ausstrahlt, darf sich nicht wundern, wenn kaum ein Zuschauer sie sehen kann, weil die arbeitstätige Bevölkerung zu dieser Nachtzeit zumeist schläft. Daraus ableiten zu wollen, dass kein Interesse mehr für den Dokumentarfilm besteht, weil angeblich keiner das nächtliche Programm einschaltet, ist aberwitzig. (siehe dazu auch Bericht im BAF-Blog vom 19. November 2010)
Der Artikel im Tagesspiegel fährt fort:
Der komplette Artikel ist hier beim Tagesspiegel abrufbar.
Auch der rbb hat geantwortet und Stellungnahme zum Tagesspiegelartikel bezogen. Seiner Meinung nach müsste der Dokumentarfilm die Erzählweise in Zeiten von Facebook und YouTube ändern. Das wäre unserer Meinung nach aber zu seichte Kost und nicht mehr politisch provokant und kritisch genug. Schade, wie die TV-Verantwortlichen auf Massenphänomene schielen. Die Antwort des rbb kann man hier im Tagesspiegel lesen.
Quellen: Tagesspiegel | Blickpunkt:Film | DJV
Für die RBB-Produktion „20 x Brandenburg“ drehten 20 Filmteams im vergangenen Sommer 20 Geschichten. Am 1. Oktober war Sendetermin im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), wie wir einen Tag vorher am 30.09.2010 im BAF-Blog berichteten. Doch der Dokumentarfilm ist akut bedroht. Ein Protest!
Unter dem Titel "Das Verschwinden der Wirklichkeit" greift der Autor eines Artikels im Berliner Tagesspiegel vom 19.01.2011 die nachfolgenden Worte des Vorstandsvorsitzenden der AG-Dok auf und beschreibt die unsägliche Situation der Dokumentarfilmer in einem langen, exklusiven Bericht für die Zeitung. Der Dokumentarfilmer arbeitet im Auftrag des Fernsehens. Da er sich diese Möglichkeit nicht versperren will, möchte er anonym bleiben, schrieb die Zeitung. Auszüge aus dem exklusiven Artikel möchten wir gerne unseren Lesern zur Diskussion stellen, denn der Protest des Autors und Regisseurs sollte unserer Meinung nach weitere Verbreitung finden.
Anlass war die Programmreform der ARD, die von den Dokumentarfilmern heftig kritisiert wird. AG-DOK-Verbandschef Thomas Frickel erklärte bereits gegenüber Blickpunkt:Film:
"Die Streichung eines kompletten dokumentarischen Sendeplatzes wird dadurch verbrämt, dass ein Mittwochstermin auf den Montag rückt - offenbar hofft man, dass der systematische Ausstieg aus der filmischen Darstellung der Wirklichkeit dadurch weniger auffällt."Das neue Programmschema der ARD sieht u.a. vor, dass der Doku-Sendeplatz vom Mittwochabend um 23.30 Uhr auf den Montag um 22.45 Uhr verschoben wird. Der bisher zusätzliche Doku-Sendeplatz am Montag zur Primetime fällt weg - nach ARD-Angaben nicht ersatzlos, sondern soll für die "talkfreie Zeit eingeplant werden".
Gegen die Entscheidung, Dokumentationen künftig verstärkt in die zuschauerschwachen Sommermonate zu verschieben, wehrt sich die AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm:
"Dokumentarisches Fernsehen ist nicht 'zweite Wahl' und kein Lückenbüßer für die Saure-Gurken-Zeit, sondern es steht im Kernbereich des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags".Die Programmänderungen als Aufwertung zu verkaufen, offenbare den Zynismus des ARD-Programmchefs, so der Verband. Darüber hinaus fordert die AG Dokumentarfilm einen radikalen Umbau des deutschen Filmfördersystems. Die anhaltende Krise der Filmförderungsanstalt (FFA) und der wachsende Einfluss der Fernsehsender auf die Filmförderung der Länder machen es nach Ansicht des Verbandes nötig, über Alternativmodelle nachzudenken.
Wo bitte geht’s zur Wirklichkeit?
Kürzlich wurde von höchster Stelle interveniert. Kulturstaatsminister Bernd Neumann protestierte bei ARD-Intendant Peter Boudgoust und ARD-Programmdirektor Volker Herres dagegen, dass montags um 21 Uhr künftig keine hochwertige Dokumentation mehr ausgestrahlt wird, sondern eine Talkshow. Die Dokumentation, so Neumann, gehöre zur Grundversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. „Mit deren Abschaffung entfernt sich die ARD von ihrem gesetzlichen Programmauftrag und stellt dadurch auch irgendwann ihre Existenz in Frage.“
Anne Will, Sandra Maischberger, Frank Plasberg, Reinhold Beckmann und nun auch Günther Jauch. Jeden Abend ein anderer TV-Gastgeber, so soll es in der ARD künftig aussehen, die Verantwortlichen haben sich nicht um die Worte des Kulturstaatsministers geschert. „Bild“ hat ausgerechnet, dass hierzulande wöchentlich 33 Talkshows laufen. Schon jetzt müssten pro Woche 112 interessante Gäste aufgetrieben werden, von den Kosten für Kerner, Jauch, Plasberg, Will und Co. ganz zu schweigen.
„Der Dokumentarfilm ist langweilig, zu teuer und interessiert unsere Zuschauer nicht mehr.“ So tönt es auf Programmkonferenzen der öffentlich-rechtlichen Sender. „Der Dokumentarfilm ist vielfältig, nah dran an den Menschen, ihren Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Er erzählt von der Welt, indem er einzelne Schicksale erhellt.“ Das hört man auf gut besuchten Dokumentarfilmfestivals. „Nein, das Ausland interessiert den Zuschauer nicht, fremde Sprachen will er nicht hören. Filme mit komplexen Themen oder schrägen Menschen? Zu kompliziert, da steigt er aus. Kunstfilme will er schon gar nicht.“ So denkt man inzwischen selbst in den kulturnahen Sendern. Welcher Zuschauer ist das, der da für blöd erklärt wird? ....
An dieser Stelle möchten wir den Artikel unterbrechen und auf einen Vergleich mit der Bild Zeitung aus dem Hause Springer verweisen. Es ist die Tageszeitung mit der höchsten Auflagenzahl in Deutschland, die von vielen Menschen gelesen wird. Dennoch sind es nicht alle Bürger Deutschlands, die sich für blöd verkaufen lassen, auch wenn die Springer Zeitung gern behauptet die Stimme des Volkes zu sein und deren Ansichten zu kennen. Sogar Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beugte sich der Bild-Zeitung und entließ nach einem Bericht der Zeitung von angeblichen "Ekel-Ritualen" auf dem Segelschulschiff Gorch Fock den Kapitän Norbert Schatz per Telefon. Die Entscheidung war nach einem vorangegangenen tödlichen Unfall sicherlich richtig, aber zwei Tage zuvor hatte der Baron noch erklärt, aus der Ferne keine Vorverurteilung eines erfahrenen und renommierten Kapitäns vornehmen zu wollen, sondern erst alle Vorfälle sorgfältig prüfen zu wollen. Der plötzliche Sinneswandel erfolgte nur auf Druck der Springer Zeitung und noch vielmehr in Hinblick auf anstehende Wahlen.
Druck wollen Politiker gern auch auf öffentlich-rechtliche Sender vornehmen. Ex-Ministerpräsident Roland Koch hatte beispielsweise noch zu seiner Amtszeit in Hessen versucht, ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender zu schassen. (siehe BAF-Blog vom 29.11.2009) Tatsächlich ist die Einflussnahme meist nur von kurzer Dauer, denn für die Öffentlichkeit gibt es noch andere Wege sich objektiv zu informieren. So haben die vielen regionalen, anspruchsvollen Tageszeitungen alle zusammen weitaus mehr Leser als die Bild Zeitung. Hinzu kommen noch die überregionalen Zeitungen, das Internet und die Nachrichten im Fernsehen, die täglich eine ausgewogene – oft aber auch kritische Berichterstattung bringen. Insgesamt listet der Deutsche Journalistenverband (DJV) in einer aktuellen Übersicht ca. 127 verschiedene Tageszeitungen in Deutschland. Das sind weniger als noch vor ein paar Jahren, dennoch ist der Verlust von Lesern vor allem bei den Boulevard Blättern überdeutlich. Dafür kommen neue Vertriebsorganisationen, wie die Zeitung als App. auf iPads und Tablet PCs hinzu und gleichen Verluste wieder aus.
Doch offensichtlich verkennen die ARD-Verantwortlichen diese Tatsache, oder lassen sich allein von der Auflagenstärke - und analog dazu im Fernsehen von den täglichen Zuschauerzahlen blenden, ohne die Wirklichkeit zu reflektieren. Vielleicht war aber auch ein gewisser Druck aus der Politik vorhanden, mehr Talksendungen im Hauptprogramm zu senden, damit die Parteien vor den anstehenden Wahlen mehr Zeit für ihre Selbstdarstellung zur Primetime haben. Doch wer den Kulturauftrag falsch interpretiert und erst nach Mitternacht anspruchsvolle Spielfilme oder kritische Dokumentarfilme ausstrahlt, darf sich nicht wundern, wenn kaum ein Zuschauer sie sehen kann, weil die arbeitstätige Bevölkerung zu dieser Nachtzeit zumeist schläft. Daraus ableiten zu wollen, dass kein Interesse mehr für den Dokumentarfilm besteht, weil angeblich keiner das nächtliche Programm einschaltet, ist aberwitzig. (siehe dazu auch Bericht im BAF-Blog vom 19. November 2010)
Der Artikel im Tagesspiegel fährt fort:
.... Dokumentarfilm, Dokumentation, Reportage, Magazinbeitrag, Nachrichten-Einspieler, Doku-Drama, Doku-Soap, Doku-Feature – das sind die gängigen Genres. Rechnet man alle zusammen, kommt man in ARD, ZDF, Arte, 3sat und den Dritten Programmen auf eine stattliche Menge nichtfiktionalen Programms. Etwa zwei Drittel der Sendezeit werden damit gefüllt, Talkshows inklusive.
Also alles in Ordnung? Nein. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Darum, dass unsere Wirklichkeit immer häufiger kommentiert und einsortiert wird, immer seltener durch Betrachtung ergründet. Die Nachrichten berichten tagesaktuell, Magazinbeiträge reagieren auf laufende politische Ereignisse, 30- bis 45-minütige Reportagen beobachten Polizisten bei der Arbeit, Mütter bei der Geburt, Tiere im Zoo, es werden Reisen zu den schönsten Inseln, den höchsten Bergen, den wildesten Küsten unternommen. Die TV-Dokumentation tendiert in den letzten Jahren deutlich zur leichteren Unterhaltung.
Ein Dokumentarfilm nimmt sich 90 Minuten oder länger Zeit, um einen bestimmten Blickwinkel auf die Welt einzunehmen. Er geht in ein französisches Schweigekloster und beobachtet den Lebensrhythmus von sechs Mönchen („Die große Stille“). Er deckt auf, dass der Wohlstand der reichsten Familie Deutschlands auf der Ausbeutung von NS-Zwangsarbeitern gründete („Das Schweigen der Quandts“). Er erkundet posthum die gedankliche Nähe, die der Terrorist Wolfgang Grams und der Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen bei ihrer Einschätzung der weltpolitischen Probleme mitunter hatten („Black Box BRD“). Er beobachtet den schottischen Künstler Andy Goldsworthy, wie er in der Wildnis Kanadas aus Steinen und Holz imposante Objekte fertigt, und wie die Natur sie sich wieder nimmt („Rivers and Tides“). Oder er begleitet fünf sehr alte Menschen in Finnland, Tschechien, Italien, Österreich und Schweden, die sich ihre Lebensfreude erhalten, indem sie täglich für eine Alten-Olympiade trainieren („Herbstgold“).
Dokumentarfilmer teilen ein Stück Lebensweg mit ihren Protagonisten, sie gehen mit ihnen ins Kloster oder in die Wildnis, diskutieren mit Familienmitgliedern, gewinnen Vertrauen. Erst das ermöglicht Geschichten, ermöglicht Genauigkeit, Humor, politische Schärfe – und nachhaltige Bilder. Kleine Momente, große Weltbilder. Sie kosten Zeit und Geld. Diese Filme sind bedroht....
Der komplette Artikel ist hier beim Tagesspiegel abrufbar.
Auch der rbb hat geantwortet und Stellungnahme zum Tagesspiegelartikel bezogen. Seiner Meinung nach müsste der Dokumentarfilm die Erzählweise in Zeiten von Facebook und YouTube ändern. Das wäre unserer Meinung nach aber zu seichte Kost und nicht mehr politisch provokant und kritisch genug. Schade, wie die TV-Verantwortlichen auf Massenphänomene schielen. Die Antwort des rbb kann man hier im Tagesspiegel lesen.
Quellen: Tagesspiegel | Blickpunkt:Film | DJV