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Neue, nur z.T. empfehlenswerte Kinostarts in der 24. + 25. Kalenderwoche 2023

Nach acht kurzen Filmkritiken samt Trailer zu Deutschlandpremieren beim Filmfest München, folgen nun wieder längere Besprechungen zu regulären Kinostarts in Deutschland.



Über das in Berlin und Babelsberg gedrehte US-amerikanische Spielfilm-Musikdrama "TÁR" von Todd Field, das den tiefen Fall einer von Cate Blanchet gespielten Dirigentin zum Thema hat, berichteten wir mit einer Filmkritik hier anlässlich der internationalen Premiere zur 73. Berlinale 2023.

Während mit "Tár" ein rein fiktionales Werk über eine Dirigentin im März 2023 in den Kinos anlief und extra für die Oscars 2023 mit überbordenden Effekten gespickt war, kam letzte Woche mit "Divertimento" ein ziemlich nüchternes, fast einfältiges Biopic in die Kinos, das zwar ebenfalls als Spielfilmdrama inszeniert wurde, aber auf einer realen und wahren Geschichte basiert.

Die 17-jährige Musikstudentin Zahia Ziouani (Oulaya Amamra) träumt davon, Dirigentin zu werden. Ein Beruf, der immer noch fast nur in Männerhand liegt. Ihre Zwillingsschwester Fettouma (Lina El Arabi) ist zwar professionelle Cellistin, aber Frauen am Dirigentenpult waren bis 1995 - wahrscheinlich wegen Vorurteilen aus der damals noch sehr dominanten Männerwelt - nur selten zu finden.

Mit der Gründung eines eigenen jungen Orchesters gelang ihr dennoch der Durchbruch, das gewünschte Ziel zu erreichen.

"DIVERTIMENTO - Ein Orchester für alle" Biopic-Drama von der französischen Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar über eine 17-jährige junge Frau mit algerischen Wurzeln, die mit unglaublicher Entschlossenheit und Leidenschaft ihr Ziel verfolgt, Dirigentin zu werden. (Frankreich, 2022; 115 Min.) Mit Oulaya Amamra, Lina El Arabi, Niels Arestrup u.a. seit 15. Juni 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

Zahlreiche französische Filme setzen auf folgendes Schema: Banlieue trifft auf Pariser Stadtkern, reich trifft auf arm und so weiter. Immer ist auch eine Romanze Teil des Plots. Immer auch spielt der Faktor Wettbewerb eine Rolle. Wer ist besser, wer bekommt den Ausbildungsplatz oder den Platz im Ensemble oder am Ballett. "Divertimento", auf deutsch "Divertimento - Ein Orchester für alle" ist erfrischend anders. Hier verweist bereits der Titel darauf, dass ein Zusammenarbeiten den Erfolg bringt. Ein weiterer Faktor ist natürlich, dass es sich hier um einen biografischen Film handelt.

Die Zwillingsschwestern Zahia und Fettouma Ziouani haben die Liebe zur Musik bereits im Elternhaus vermittelt bekommen. Ja, auch die typische Abgrenzung, das Abarbeiten an den Eltern fehlt hier. Fettouma ist als Cellistin schon recht erfolgreich. Zahia hat es etwas schwerer. Ihr Traum ist es, Dirigentin zu werden. Ein traditionell männlicher Beruf, aus patriarchalischen Gründen. Zahia lässt sich nicht beirren. Sie hat nicht nur die musikalische Begabung, sie hat auch das Selbstbewusstsein. Die beiden Darstellerinnen Oulaya Amamra und Lina El Arabi meistern die Rollen der Zwillinge überzeugend. Die eine leise und bestimmt, die andere energisch und sehr körperlich. Ihr Spiel reißt mit.

"Divertimento" ist trotz der jugendlichen Darstellerin eigentlich kein Coming-of-Age-Film. Beide Schwestern wissen, was sie wollen, was sie können. Sie müssen nur für die Anerkennung kämpfen und ihren Platz in einer ihnen nicht so wohlgesonnenen Branche sichern. Kein geringerer als Sergiu Celibidache, gespielt von Niels Arestrup, nimmt Zahia als Schülerin auf, obwohl auch er skeptisch ist, dass Frauen geeignet für den Beruf wären. Ausgerechnet Celibidache, den Zahia als Kind in einer Fernsehübertragung gesehen hatte, als er den "Bolero" dirigierte. Der "Bolero" gibt ihr immer wieder die Kraft, weiterzumachen, wenn die Hürden sie wieder zurückwerfen.

Sie wird auf eine der pikfeinen Musikschulen angenommen und natürlich gibt es da die hochnäsigen Mitschüler (die weibliche Form schließe ich hier bewusst aus), die ihre Proben sabotieren. Aber die Mitschüler und Mitschülerinnen erkennen und kennen Talent an. So erst finden die Hauptstadt und die Außensiedlung für das Orchester mit dem titelgebenden Namen zueinander. Wenn kein Orchester sie will, schafft sie sich ihr eigenes. In Zusammenarbeit mit allen anderen. Es ist ausdrücklich keine Ego-Show.

In Marie-Castille Mention-Schaars Spielfilm ist vielleicht nicht immer alles rund, aber sie stellt die Liebe zur Musik und die Musik in den Mittelpunkt. Sie nimmt die Figuren ernst und verrät sie nicht an ein billiges Genre. Musik darf hier ausgespielt werden, darf seine Kraft ausbreiten. Und noch etwas unterscheidet "Divertimento" von so einigen Konkurrenzfilmen. Die Figuren sind so angelegt, dass sie nicht Respekt einfordern, sondern sich verdienen. Erfrischend.

Elisabeth Nagy


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Nach einem Herzinfarkt will der Busfahrer Franck Dubosc den nie vorhandenen Kontakt zu seiner Tochter endlich aufnehmen. Damit dies gelingt, versucht der Mittfünfziger unter falschem Namen das Tanzbein zu schwingen.

"DIE RUMBA – THERAPIE" Komödie von und mit Franck Dubosc sowie mit Louna Espinosa, Jean-Pierre Darroussin u.a. seit 22. Juni 2023 im Kino. (Frankreich / Belgien, 2022; 103 Min.). Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Irgendwie ist der Mittfünfziger Tony (Franck Dubosc) eine coole Socke. Er trägt Cowboystiefel, Jeans, hat Tätowierungen sowie gerne eine Kippe im Mund und favorisiert Amerika, war aber noch nie da.

Er ist Schulbusfahrer im Pariser Außenbezirk. Es macht ihm Spaß den Kindern bei seiner morgendlichen Tour englische Schimpfwörter beizubringen. Der einzige Ort, wo er gesprächig ist. Abends hockt er vor dem Fernseher, raucht, trinkt Bier und schaut amerikanische Western. Sein einsamer Lebensstil und vor allem das Rauchen bescheren ihm einen Herzinfarkt. Als er im Krankenhaus aufwacht und er bemerkt, dass niemand da ist, der sich um ihn sorgt, wird ihm klar, dass er etwas in seinem Leben ändern muss. Auch sein Arzt, der skurrile Herzchirurg Dr. Mory (in einer köstlichen Gastrolle der Skandalautor Michel Houellebecq) rät ihm soziale Kontakte zu knüpfen und Sport zu treiben. Tony gehört zu denen, die oft erst durch ein ergreifendes Erlebnis erinnert werden, ihr Leben umzustellen.

Er rafft sich auf, seine Ex-Frau Carmen (Karina Marimon), die er vor 20 Jahren, samt seiner Tochter Maria (Louna Espinosa) sitzen ließ, zu besuchen. Carmen hat ein feines Gespür und stellt sofort fest, dass es ihm um die Tochter geht, die er endlich kennenlernen will und die jetzt als Tanzlehrerin in Paris arbeitet.

Eigentlich hält Tony Tanzen für unmännlich. Er folgt dem Rat seines Arbeitskollegen Gilles (Jean-Pierre Darroussin, einer meiner französischen Lieblingsschauspieler), der ihm den weisen Rat gibt, sich bei Maria als Tanzschüler unter falschem Namen vorzustellen, um an seine Tochter näher heranzukommen, bevor sie ihn vielleicht abweist, denn Tanzen ist ja auch ein Sport. „Rumba ist wie Reiten, da wird nicht improvisiert“.

Vielleicht kann er tanzend ihre Zuneigung gewinnen. Er bittet seine Nachbarin Fanny (Marie-Philomène Nga) ihm Rumba beizubringen. Wenigstens so einige Vorkenntnisse, denn er hat ja keine Ahnung. Fanny, eine dunkelhäutige, lebensbejahende, temperamentvolle Frau, hat den Rhythmus im Blut. Seine Tochter entpuppt sich als strenge Lehrerin und die Übungsstunden verlaufen äußerst komisch, was sich auch in Tonys Mimik widerspiegelt.

Vor allem mit der Wahrheit hat er seine Schwierigkeiten. Er schiebt und schiebt sie vor sich her. Dank Fannys Temperament und Einsatz schafft es Tony durch den Tanz nicht nur seinen Körper zu lockern, sondern auch seinen Geist. Dann, endlich klappt es mit der Wahrheit. Allerdings flüchtet sofort in eine Notlüge. Eine Art Mutprobe steht dem ehemaligen Griesgram dennoch bevor: Seine Tochter Maria sucht noch dringend einen Tanzpartner für einen internationalen Tanz-Wettbewerb.

Ulrike Schirm


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Die 32-jährige US-amerikanische Schauspielerin Jennifer Lawrence wurde im Laufe ihrer Karriere mit drei Golden Globe Awards und mit einem Oscar ausgezeichnet. Ob auch ihre jüngste Rolle dem gerecht wird und auch wieder jüngere Zuschauer anlockt, oder doch eher peinlich wirkt, soll die nachfolgende Besprechung klären.

"NO HARD FEELINGS" Komödie von Gene Stupnitsky (USA, 2023; 103 Min.) Mit Jennifer Lawrence, Andrew Barth Feldman, Laura Benanti u.a. seit 22. Juni 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die ca. 30-jährige Maddie (Jennifer Lawrence) arbeitet als Kellnerin und als Uber-Fahrerin. Als sie das Auto wegen verpasster Zahlungen verliert, steht sie fast vor dem Ruin. Glücklicherweise entdeckt sie eine Anzeige, aufgegeben von Helicopter-Eltern, die da etwa lautet: „Brauchst du ein Auto fürs College? Dann plane diesen Sommer ein »Date« mit unserem 19-jährigen Sohn. Er ist ein wunderbarer junger Mann, sehr intelligent, aber sozial schüchtern. Er hatte noch nie eine Freundin und wir haben schon alles versucht“.

„No Hard Feelings“ beruht auf einer wahren Begebenheit, einer echten Annonce, die Regisseur Gene Stupnitsky („Good Boys“) humoristisch aufgearbeitet und mächtig übertrieben inszeniert hat.

Maddie, die nicht auf den Mund gefallen ist und auch keine One-Night-Stands scheut, lässt sich darauf ein. Die Eltern des jungen Percy (Andrew Barth Feldmann) Mathew Broderick und Laura Benanti) wollen nichts anderes als eine intelligente Begleiterin für ihren scheuen Sohn, die ihn aus seinem Schneckenhaus führt, damit er das College, auf das er demnächst geht, „überlebt“, sagt sein Vater. Percy hat keine Freunde, sondern nur Netzbekanntschaften. Es kursiert ein Gerücht, Percy soll noch bei seinen Eltern schlafen und Sex mit ihnen haben.

Das erste Treffen mit dem Jungen muss von Maddie ausgehen. Percy darf auf keinen Fall erfahren, dass seine Eltern hinter diesem Deal stecken. Auch Maddie ist leicht verunsichert, denn sie weiß nicht genau, welche Aufgabe sie wirklich erfüllen soll. Geht es um Sex oder soll sie ihm wildes Partyleben zeigen oder seine Schüchternheit bekämpfen?

Das erste Treffen der beiden wird gelöst, indem sie sich ihre jeweils traurigen Lebensmomente erzählen. Percy erzählt, wie ihm der Hit „Maneater“ Angst eingejagt hat, als er ein kleiner Junge war. Unterhalten können sich die beiden gut. Das macht aber nicht den Sinn dieses Films aus. Es geht Stupritzky viel mehr darum, zu zeigen wie eine ältere Frau einen Jungen verführt, mit seiner Ängstlichkeit umgeht und dabei den Humor nicht verliert. Ein Humor, der ziemlich unter die Gürtellinie zielt.

Ulrike Schirm


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Insgesamt fünf deutsche Wettbewerbsfilme, so viele wie nie zuvor, gab es im Februar 2023 auf der 73. Berlinale. Der Silberner Bär Großer - Preis der Jury war an „Roter Himmel“ von Christian Petzold gegangen und kam im April in die Kinos (hier unsere Kritik). Nun folgt auch Christoph Hochhäusler Großstadt-Thriller, einer der etwas schwächeren Titel, der nur einen Darsteller-Preis abbekam.

"BIS ANS ENDE DER NACHT" Thriller von Christoph Hochhäusler (Deutschland, 2023; 119 Min.) Mit Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob, Rosa Enskat, Aenne Schwarz, Gottfried Breitfuß, Sahin Erylmaz u.a. seit 22. Juni 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

"Bis ans Ende der Nacht" ein Großstadt-Thriller feierte auf der Berlinale (2023) seine Weltpremiere. Thea Ehre, die früher einmal Lenard hieß, in ihrer Rolle als gerade aus dem Knast entlassene Trans-Frau Leni bekam für ihre überragende Darstellung den Silbernen Bären. Sie spielt eine Kämpferin, verletzlich, aber auch wild entschlossen, sich frei zu fühlen. Dafür stellt sie sich als Kontaktperson für Robert (Timocin Ziegler), einen verdeckten Ermittler zur Verfügung, dem sie helfen soll das Vertrauen des Online-Drogenhändlers Victor Arth (Michael Sideris) zu gewinnen. Um Victor zu täuschen und dingfest zu machen, spielen die beiden ein Paar. Die Wahrheit ist, Leni und der schwule Robert waren schon ein Paar vor Lenis Umwandlung. Ihre Gefühle ähneln jetzt einer komplizierten Berg- und Talbahn. Robert behandelt sie nach ihrer Umwandlung ziemlich abwertend.

„Ich bin 100% dieses und 100% jenes. Das wollen die Leute. Man kann sich anziehen, wie man sich fühlt oder wie man sich fühlen möchte“, versucht sie Robert klarzumachen. „Schönes Mädchen will Herz…“, gehört zu ihren Lieblingsliedern.

Es gelingt, mit dem Drogendealer Kontakt herzustellen. Das Undercover-Paar trifft sich mit Victor zum Abendessen. Von nun an befindet sich Leni in einer ziemlich toxischen Situation und lässt sich auf einen folgenschweren Deal ein, aber wohl wissend, wer sie ist und was sie will.

Regisseur Christoph Hochhäusler hat für mein Empfinden zu viel verschiedene Genres zusammengemixt und ist damit einer interessanten und spannenden Zielsetzung aus dem Weg gegangen. Thea Ehre macht jedoch ihre Sache gut.

Ulrike Schirm


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