Kate Winslet dreht in der Altstadt von Görlitz
Görlitz, der beschauliche Fachwerkort, ist die östlichste Stadt Deutschlands. Die sächsische Stadt liegt nicht allzuweit von Brandenburg entfernt, im historisch schlesischen Teil der Oberlausitz an der Neiße, die hier seit 1945 die Grenze zu Polen bildet. Am letzten Wochenende war der Ort in regelrechtes Hollywood Fieber versetzt, denn der Titanic Star Kate Winslet drehte in der historischen Altstadt wichtige Außenaufnahmen der Verfilmung des Bestseller Romans "Der Vorleser" von Bernhard Schlink.
Bei dem Buch handelt es sich um einen in der Ich-Perspektive verfassten Entwicklungsroman. Der 15 jährige Protagonist Michael Berg (gespielt von dem Nachwuchsdarsteller David Kross 17J. - bekannt aus Detelef Bucks "Knallhart") erzählt von seiner zufälligen Bekanntschaft mit der wesentlich reiferen Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz und ihrer gemeinsamen heimlichen Beziehung, die anfangs nur auf dem Geschlechtsverkehr basiert. Doch später wird daraus ein Ritual des Duschens und Vorlesens durch Michael für die Analphabetin Hanna.Unter der Leitung von Regisseur Stephen Daldry (Director von "Billy Elliot - I will dance" mit Jamie Bell in der Hauptrolle) wurde die Stadt Görlitz zum Erstaunen der Anwohner in ein frühes Heidelberg der 50er Jahre verwandelt. Dazu ließ man die Hauptdarstellerin, die kurzfristig für die schwangere Nicole Kidman eingesprungen war, auf einer historische Straßenbahn aus dem Jahre 1928 zwischen US-Streitkräften agieren. Ein wenig erinnerte die Szene an die Besatzungszeit in Berlin, in denen die Amerikaner überall mit ihren Reklameschildern und Flaggen präsent waren.
Aus diesem zunächst von beidseitigem sexuellem Interesse geprägten Verhältnis entsteht schließlich eine innige Liebe. Um so schwieriger ist es für Michael über die abrupte Trennung hinwegzukommen, und er fragt sich, ob er für das Scheitern der Beziehung verantwortlich ist. Genauso ungewöhnlich wie die Umstände unter denen sie sich kennen lernen, ist auch ihr plötzliches Wiedersehen in einem Gerichtsprozess, in dem unvorstellbare Vorwürfe gegen seine ehemalige Liebschaft erhoben werden. Zu seinem Unglück muss er jedoch feststellen, dass diese den Tatsachen entsprechen und er in eine Verbrecherin verliebt gewesen ist, die angeklagt wird unterlassene Hilfestellung und mehrfache Beihilfe zum Mord als eine Aufseherin in einem KZ in Auschwitz und später in Krakau begangen zu haben. Es gelingt ihm nicht, sie aus seinen Gedanken zu verdrängen, ihm fehlt aber die Souveränität, um einen direkten Kontakt zu ihr aufzubauen. Kurz vor ihrer Entlassung sieht er sich dazu veranlasst bei ihrem Resozialisierungsprozess mitzuwirken, doch ihr Wiedersehen verläuft nicht nach seinen Erwartungen und so nimmt die Geschichte ihr tragisches Ende.
Die gut sanierte Altstadt von Görlitz steht mit der Produktion schon zum zweiten Mal im Mittelpunkt des Filmgeschehens. Die Stadt, die von Berlin aus gut zu erreichen ist, blieb im Zweiten Weltkrieg von Zerstörungen fast völlig verschont, weswegen es mit 3500 größtenteils restaurierten Baudenkmälern eines der besterhaltenen historischen Stadtbilder in Deutschland aufweist. Dennoch hatte sich die Stadt mit ihren original erhalten Bauwerken aus Gotik, Renaissance, Barock, Gründerzeit und Jugendstil vergeblich als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 beworben. Die Jury in Brüssel entschied anders und empfahl dem EU-Ministerrat der Stadt Essen den Vorzug zu geben. Das Modell des Strukturwandels im Ruhrgebiet gab den entscheidenden Ausschlag.
Auch wenn sich die transkulturelle deutsch-polnische Stadt Görlitz-Zgorzelec mit der Bewerbung nicht durchsetzen konnte, so kennt seitdem fast jeder die Stadt
z w e i e r Nationen. Man hat gezeigt, dass diese Stadt an der Neiße tatsächlich ein Modell und Laboratorium der deutsch-polnischen Versöhnung, der kulturellen Integration und des europäischen Einigungsprozesses sein kann. Was die Städte Frankfurt/Oder und Słubice mit der Universität Viadrina auf wissenschaftlichem Gebiet gegenwärtig leisten, was die Stadt SzczecÄšn (Stettin) auf wirtschaftlichen Gebiet anstrebt, das ist Görlitz auf kommunaler Ebene durch sein zweistaatliches Gemeinwesen mit einer tatsächlichen Perspektive für die Einwohner gut gelungen. Görlitz-Zgorzelec hat sich auf der europäischen Bühne der Kultur und des Tourismus etabliert und ist aus dem Schatten des Provinzialismus, der Unbekanntheit und Unscheinbarkeit herausgetreten. Jetzt kennt den Ort überall. Das ist ein beträchtlicher wirtschaftlicher Aspekt, wie das Interesse der Filmproduktionen bereits gut aufzeigt. Darüber hinaus dürfte die Stadt auch für Berliner und Brandenburger zukünftig als Naherholungsgebiet von Bedeutung gewinnen. Am Rande der Stadt entsteht eines der größten Binnengewässer, die durch Flutung von Braunkohleabbaustätten in den nächsten Jahren am Rande unserer Region entstehen. Für Wasserfreunde ein ideales Ausflugsgebiet. Für Naturfreunde, die gerne mit der Kamera auf Pirsch gehen, dürften sich wunderbare neue Perspektiven ergeben.