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Donnerstag ist Kinotag - Unsere Filmtipps mit Nachträgen

Aus gesundheitlichen Gründen gab es von uns im April 2022 weniger Einträge als üblich, sodass wir einige Filmkritiken erst heute nachliefern können.



Als am Berliner Kurfürstendamm in den 1960er Jahren noch Filmpremieren mit großem Tamtam gefeiert wurden, konnte man sich sicher sein, dass die damals angepriesene Filme meist wochenlang im selben Kino zu sehen waren. Werke wie z.B. Davis Leans "Dr. Schiwago" lief sogar mehr als 365 Tage im längst verschwundenen Royal Palast am Europa Center, ohne dass die Plakate hätten gewechselt werden müssen.

Im heutigen Zeitalter von Stream, Blu-ray Disc oder VoD und DVD kann man sich nicht einmal sicher sein, dass die angekündigten Filme nicht bereits nach kurzer Zeit wieder aus dem im favorisierten Lieblingskino Kino verschwunden sind, oder tatsächlich überhaupt in den deutschen Filmtheatern erscheinen.

Andererseits tauchen aktuelle Filme leider erst Jahre später wieder im Free-TV der öffentlich rechtlichen Sender auf - von denen sie meist mitproduziert wurden - wenn das behandelte Thema (wie z.B. Corona) kaum noch jemanden interessiert. Die Zeit ist viel zu schnelllebig geworden, um alle Leser und Kinogänger richtig und rechtzeitig bedienen zu können.

"VORTEX" Demenz-Drama von Gaspar Noé (Frankreich/Belgien, 2021,135 Min). Mit Francoise Lebrun, Dario Argento, Alex Lutz, Kylian Dheret u.a. seit 28.04.2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

In letzter Zeit wurden so einige Filme über das älter werden und seine Folgen gedreht und es handelte sich meistens um den Umgang mit Demenz. Auch Gaspar Noé ("IRREVERSIBLE", "ENTER THE VOID", "LOVE" und "CLIMAX"), von dem man es am allerwenigstens erwartet hätte, hat sich mit "VORTEX" diesem Thema gewidmet.

Die Bedeutung von vortex im Englischen Wörterbuch: "A dangerous or bad situation in which you become more and more involved and from which you cannot escape".

Noé widmet seinen Film allen Menschen, „deren Hirn sich früher zersetzen wird, als ihr Herz“.

Ein Ehepaar, beide um die achtzig, lebt in einer großen in Pariser Altbauwohnung. Sie (Francoise Lebrun) war Psychoanalytikerin und er (Dario Argento) Filmkritiker. Sie treffen sich auf dem Balkon und stossen mit einem Glas Wein an. Sie sagt: „Ist das Leben nicht ein Traum“. Er antwortet: „Ein Traum in einem Traum“.

Während die Kamera durch die Wohnung streift, die einer Bohème-Behausung gleicht, singt die junge Francoise Hardy „Mon ami la rose“, ein trauriges Lied über frühere Schönheit und später nur noch alt zu erwachen. Das Paar verbringt seine letzten gemeinsamen Tage in ihrer Wohnung und es ist doch getrennt. Sie erwachen gemeinsam in ihrem Ehebett, doch dann teilt sich das Bild, auf der einen Hälfte sieht man sie, auf der anderen Hälfte ihn. Sie werden nur noch wenige Szenen im selben Bild verbringen. Noé hat ihren Alltag durch einen Split-Screen erbarmungslos getrennt. Beide leben bereits in unterschiedlichen Welten.

Sie irrt durch die Wohnung, bleibt stehen, überlegt was sie eigentlich wollte, während er an seinem Buch über das Kino und seine Träume, denn für ihn sind alle Filme Träume, schreibt. Oder er telefoniert. Wenn sich seine Frau mal wieder im Kramladen verläuft, verzweifelt nach etwas sucht und es nicht findet, geht er raus, sucht sie, kauft ihr Blumen und bringt sie nach Hause. Sie blättert in alten Rezepten, er in einem Buch. Sie dreht das Gas auf, er kann gerade noch das Schlimmste verhindern. Die Atmosphäre wird immer beklemmender. Ihre Rezepte, für ihre Medikamente, stellt sie sich selber aus.

Auch er verzweifelt daran, seine demente Frau zu unterstützen. Es kommt noch hinzu, dass sie kaum noch spricht. Auch Geräusche, die sie nicht kennt, jagen ihr Angst ein. Ihr drogenabhängiger Sohn (Alex Lutz)ist auch keine Hilfe. Sein Vorschlag in eine Wohnung in einer Pflegeeinrichtung zu ziehen, lehnt sein Vater ab. Der Gedanke, sich von seinen Büchern, seinen Filmplakaten , Briefen und liebgewonnen Krims-Krams zu trennen, ist für ihn unvorstellbar: „Ich kann doch nicht meine Vergangenheit wegwerfen.“ Die Wohnung spiegelt ihr Leben. Überall stapeln sich Bücher, die Wände sind voll mit Fotos, Plakaten, Zetteln mit Notizen, Erinnerungen, wohin man auch blickt.

Jahrelang hat er eine Affäre aber sie reagiert nicht mehr auf seine Anrufe. Dennoch ist er derjenige, der seine demente Frau trösten kann, wenn sie weint.

Es ist schon eine emotionale Tour de force, Noés Film bis zum Ende zu folgen und dem schleichenden Tod, bei seiner Arbeit zuzusehen, gleichzeitig ist sein Film auch eine Hommage an das Kino und ein Plädoyer an die Liebe, wenn der Geist langsam schrumpft und das macht ihn sehenswert.

Gedreht wurde größtenteils ohne Drehbuch und statt dessen improvisiert, was die Tragödie zweier Menschen noch mehr intensiviert und die beiden Protagonisten zu Menschen aus dem wahren Leben macht.

Ulrike Schirm


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"DOWNTON ABBEY II: EINE NEUE ÄRA" Historiendrama von Simon Curtis (Großbritannien, USA), um Aufregung mit einem amerikanischen Filmteam und einer unverhofften Erbschaft bei den Crawleys. Mit Hugh Bonneville, Michelle Dockery, Elizabeth McGovern u.a. seit 28.04.2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Schon seit zwölf Jahren führt uns die britische Serie „Downton Abbey“ in die Welt des Adels zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ein Anwesen, dass so prächtig wirkt, dass man es für eine Kulisse halten könnte. Entweder sind die Bewohner in Romanzen verstrickt oder in Streitereien um irgendwelche Erbschaften und wo man die Hausherren an ihren schwarzen Fliegen erkennt, während die Lakaien weiße Fliegen tragen.

Nach sechs Serienstaffeln erzählt der zweite „Downton“-Kinofilm „Eine neue Ära“ wie es mit den Crawleys und ihren Angestellten zu Beginn der 1930er Jahre weitergeht.

Viel Neues gibt es erst einmal nicht. Erst als Lady Violet (Maggie Smith) für eine Überraschung sorgt: Sie gibt bekannt, dass sie in den Besitz einer Villa in Süd-Frankreich gekommen ist. 65 Jahre ist es her, dass sie eine kurze Affäre mit einem französischen Marquis hatte, der nun verstorben ist.

Schon lässt seine Lordschaft Grantham (Hugh Bonneville) die Koffer packen, um mit einem Teil der Familie und Butler Carson nach Frankreich zu reisen, um die Villa in Augenschein zu nehmen.

Während seiner Abwesenheit übernimmt Lady Mary (Michelle Dockery) die Verantwortung für das Anwesen.

Während sich die einen in Südfrankreich tummeln, staunen die anderen nicht schlecht, als eine amerikanische Stumm-Film-Crew sich im Downtown Abbey breit macht.

„Soweit ist es also schon gekommen, dass die feine Herrschaft ihr Domizil für Hollywood-Banausen hergeben muß“ wird getuschelt. Da schon lange der Regen durch das Dach tropft, will man auf das Geld der Filmfirma nicht verzichten. Die coole Mary kümmert sich um alles und genießt ihre Wichtigkeit.

Die Dienstboten sind aus dem Häuschen vor lauter Aufregung und ganz gespannt auf die platinblonde Stummfilm-Diva Myrna Dalgleish (Laura Haddock), deren überzeichnete Zickigkeit für amüsante Abwechslung sorgt.

Da sich die Stummfilm-Ära ihrem Ende neigt, entscheidet die Hollywood-Crew kurzerhand, aus dem Stummfilm einen Tonfilm zu machen. Jetzt ist Lady Marys wohlklingende Stimme gefragt, zum Leidwesen von Myrna Dalgleish.

Und da man sich Downton Abbey ohne Maggie Smith nicht vorstellen kann, ist sie es, die mit ihrem trockenen Humor nicht nur für komische, sondern auch rührende Momente sorgt.

Auch eine queere Liebe zwischen Butler und dem amerikanischen Hauptdarsteller bahnt sich an und leider gibt es auch einen Todesfall.

„Eine neue Ära“ sorgt für ein unbeschwertes Kinovergnügen und Popkorn-Kino, nicht nur für Downton-Fans.

Ulrike Schirm


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"HEIL DICH DOCH SELBST" Dokumentarfilm von Yasmin C. Rams (Deutschland, 2021). Mit Helmut Rams, Yasmin C. Rams, Fiona Burns, Miguel Cárdenas, u.v.a. mehr, seit 21. April 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Seit ihrer Kindheit leidet die Filmemacherin Yasmin C. Rams an Epilepsie. Seit dem nimmt sie täglich Tabletten mit einer ganzen Reihe von Nebenwirkungen, um dann wieder Tabletten gegen die Nebenwirkungen zu nehmen. Ein Teufelskreis.

Sie trifft eine drastische Entscheidung, indem sie sich auf die Suche nach alternativen Heilmethoden macht und mit ihrem an Parkinson erkrankten Vater darüber spricht. Dieser hält Alternativ-Mediziner jedoch für Quacksalber, die einem nur das Geld aus der Tasche ziehen.

Dennoch lässt sie sich nicht beirren, begleitet sich selbst auf ihrem Weg nach neuen Erfahrungen und Inspirationen und sucht Heilpraktiker*innen, die von traditioneller chinesischer Medizin über heilendes Marihuana bis hin zu Ayahuasca, eine Pflanze die Visionen auslöst und zur Heilung dient, nutzen.

Sie lässt sich auf das Experiment ein und trinkt den Sud. Die mit der Natur verbundenen Indigenen schwören darauf, denn sie sehen und fühlen etwas, dass wir längst verloren haben. Auf ihrem Weg begegnet sie Menschen aus aller Welt, die sich mit alternativen Mitteln von Krankheiten wie Parkinson, Krebs, Multipler Sklerose und anderen Krankheiten geheilt haben und Menschen, die noch immer versuchen Heilung zu finden, wie ihre Freundin Hillary, die durch strikte Diät und Yoga seit über 10 Jahren symptomfrei von ihrer Multiplen Sklerose ist. Über ihre Erfahrungen und auch ihre Rückschläge spricht sie ungeschönt. Sie traf auf Menschen, die sie in ihrer Entscheidung positiv bestärkt haben und auch auf jene, deren Versuch sich mit alternativen Methoden zu heilen, gescheitert sind.

Ihre Suche hat ihr viele neue Perspektiven aufgezeigt und sie hat gelernt ihrem Körper zu vertrauen. Es war ein langer Weg, der sich für sie gelohnt hat. Sie muss nur noch ein Viertel der verschriebenen Tabletten einnehmen und dafür ist sie dankbar.

„Heil dich Selbst“ ist ein sehr ehrlicher Film über Heilung, der Mut macht, andere Wege zu gehen und wenn es auch nur ein Versuch ist. Der Placebo-Effekt ist nicht zu unterschätzen.

Ulrike Schirm

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"IN DEN BESTEN HÄNDEN - La Fracture" Tragikomödie von Catherine Corsini (Frankreich). Mit Valeria Bruni Tedeschi, Marina Fois, Pio Marmai, Aissato Diallo Sagna, Caroline Estremo, seit 21. April 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die Comic-Zeichnerin Raphaela (Valeria Bruni Tedeschi), Spitzname »Raf« und die Verlegerin Julie (Marina Fois) sind schon längere Zeit ein Paar. Doch nun droht ihrer Beziehung ein Aus.

Rafs neurotisches Gebaren reicht Julie, sie packt ihre Sachen und geht. Raf rennt ihr panisch hinterher, stürzt und bricht sich den Ellenbogen. Sie muss in die Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses. Während sich draußen Polizei und Gelbwesten eine Straßenschlacht liefern, treffen private Notfälle und von der Polizei verletzte Demonstranten*innen in der überfüllten Notaufnahme aufeinander.

Die Lage scheint außer Kontrolle zu geraten. Raf schwankt zwischen Wehleidigkeit und Wut hin und her, während ihre Freundin Julie versucht sich trotz der Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen, sich zu kümmern und dennoch Distanz zu bewahren. Ihre Sorge gilt ihrem Sohn, der auch zur Demo wollte.

Zwischen Raf und dem Fernfahrer Yann (Pio Marmai), der bei der Demo am Bein von einem Geschoss der Polizei verletzt wurde, entsteht ein Gespräch, was aber in ein Gezänk mündet, bedingt durch die gesellschaftlichen Unterschiede der beiden. Es ist laut, es ist voll und zwischendrin das überforderte Krankenhauspersonal, das versucht jedem Patienten gerecht zu werden.

Besonders herausragend Schwester Kim ( Aissatou Diallo Sagna), die ein krankes Kind zu Hause hat und ihre sechste erschöpfende Nachtschicht hintereinander verrichtet, die die Nerven behält, ermutigt und beruhigt, umgeben von einem paranoiden Suchtkranken, den vor der Polizei flüchtenden Demonstrierenden, gefolgt von Polizisten, die versuchen deren Personalien festzustellen, während Raf immer noch dabei ist, ihre Beziehung zu retten und sich mit dem Fernfahrer versöhnt. Die Lage spitzt sich immer mehr zu. Draußen brennen die Barrikaden aus Protest gegen Macrons unsoziale Politik.

Zu Beginn des Films liegt der Fokus noch auf dem Paar, dass seine Trennung diskutiert, besonders Valeria Bruni Tedeschi, in einer ihrer neurotischsten Rollen, ging mir auf die Nerven und ich wollte schon die Vorstellung verlassen. Zum Glück, habe ich es nicht getan.

Regisseurin Catherine Corsini zeigt eine turbulente Nacht in einer Notaufnahme indem sie den Zuschauer unmittelbar in das Geschehen mit hineinzieht und uns vor Augen führt in welch einer überforderten Notlage sich das erschöpfte Klinikpersonal befindet und zu der auch so neurotische Charaktere wie Raf gehören und kein Einzelfall sind.

„Ich wollte den Pulsschlag des Krankenhauses einfangen und ihn zum Rhythmus des Films machen“, sagt Corsini. Und das macht sie nicht nur auf dramatische Weise sondern auch mit komödiantischem Ton.

Auch wenn die einzelnen Geschichten frei erfunden sind, so sind der Pflegenotstand und die Missstände im Klinikalltag leider real.

Gedreht wurde zum Teil mit echtem klinischen Personal, so auch mit Aissatou Diallo Sagna, in der Rolle der Kim, die an dem Casting teilnahm und mit einem César ausgezeichnet wurde. Der sei ihr von Herzen gegönnt.

Ulrike Schirm


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