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Kinobesucherzahlen aus Vor-Pandemiezeiten noch lange nicht erreicht - unsere Filmtipps

In zahlreichen Kinos wird die Abstandsgebot weiter beibehalten - Filmfestivals dagegen benötigen volle Häuser, um auf ihre Kosten zu kommen. - Unsere Filmkritiken im April 2022, Teil 3.



Die Pandemieeinschränkungen sind seit dem 1. April 2022 nahezu überall aufgehoben. Auch die Maskenpflicht ist gefallen, obwohl die Inzidenzwerte immer noch hoch sind. Vielerorts sieht man deshalb in öffentlichen Räumen das Personal und die Besucher von Geschäften oder Veranstaltungs-Locations wie Kinos, weiterhin beim Tragen von Corona-Schutzmasken.

Auch die im Mai 2022 stattfindenden Filmfestspiele von Cannes wollen das Absetzen des Mund-Nasenschutzes nur auf den gebuchten Sitzplätzen erlauben, nicht aber generell im Festspielhaus.

Einige Filmfestspiele, wie das im Mai stattfindende ITFS Trickfilmfestival in Stuttgart, oder das nächste Woche startende goEast - Festival des Mittel- und Osteuropäischen Films in Wiesbaden, setzen als finanziellen Ausgleich - zusätzlich zur physischen Anwesenheit vor Ort - auf einen bundesweiten Online-Stream ausgewählter Filme, die besonders lukrative Einnahmen versprechen.

In Berlin besteht dagegen zumindest die Yorck-Kinogruppe weiterhin auf Abstandspflicht. Nur jeder zweite Sitzplatz kann deshalb - wie während der Hochzeitphase der Corona-Pandemie - derzeit dort in den Kinos gebucht werden. Da die Zuschauerzahlen aber noch lange nicht das Maß früherer Besucherzahlen erreicht haben, scheinen solche Einschränkungen für den Umsatz noch nicht besonders relevant zu sein, denn es bleiben bei den Vorstellungen meist viele Plätze leer.

Natürlich gibt es Ausnahmen, auch im Film. Von Rücksichtnahme und gebotenem Abstand scheint nämlich der eher unsympathische Hauptdarsteller in unserer nachfolgenden Besprechung, wenig zu halten. Der ausgebrannte und wohnungslose ex-Pornodarsteller wird sogar von seiner noch-Ehefrau des Hauses verwiesen, was den abgehalfterten und offensichtlich Testosteron-gesteuerten Mann jedoch nicht abhält, sogar bei seiner Schwiegermutter mit einem Wortschwall an Ausreden weiterhin auf Einlass zu pochen. Die im letzten Jahr in Cannes gezeigte Komödie "Red Rocket" von US-Regisseur Sean Baker macht dennoch Spaß.

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"RED ROCKET" Dramödie von Sean Baker (USA), um einen ausgemusterten Pornodarsteller, der sich als Kotzbrocken entpuppt. Mit Simon Rex, Bree Elrod, Suzanna Son u.a. seit 14. April 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der abgehalfterte Pornodarsteller Mikey Saber (Simon Rex) befindet sich in einer Krise. Nach zwanzig Jahren in L.A., mit restlichen 22 Dollar in der Tasche und einem ramponierten Gesicht, steht er plötzlich vor der Tür seiner Frau Lexi (Bree Elrod) und ihrer Mutter Lil (Brenda Deiss) und bittet auf penetrante Weise um Unterschlupf. Hier in Texas City ist er aufgewachsen, einer ärmlichen Gegend, nahe der Erdölraffinerien. Schamlos beteuert er, sich einen Job zu suchen und sich an der Miete zu beteiligen. Sein Talent als Pornodarsteller bringt ihn bei der Jobsuche nicht weit.

Angeblich hat er mit 1300 Frauen geschlafen und dreimal wurde er mit dem „Adult-Video News-Award" ausgezeichnet, dem Oscar der Pornobranche, prahlt er und wer es nicht glaubt, kann ihn ja Googlen.

„Was sollen denn unsere Gäste denken, wenn sie Sie zufällig wiedererkennen?“, fragt ihn die Besitzerin eines Lokals, als er sich dort vorstellt und schüttelt mit dem Kopf.

Zuhause brüstet er sich mit kleinen Gefälligkeiten, entpuppt sich als Lügner und Nassauer. Doch dann findet er ein Auskommen als Drogendealer. Und wieder kommt ihm seine Schamlosigkeit zu Hilfe. Im DONUT HOLE macht er die Bekanntschaft einer 17-jährigen, rothaarigen, lolitahaften Kassiererin, mit dem Spitznamen Strawberry, die ihm dazu verhilft den abgewrackten Arbeitern aus der nahegelegen Raffinerie Marihuana zu verkaufen, wenn sie ihre Donuts holen.

Das naive aber selbstbewusste Mädchen, erliegt seinem Charme und seinen sexuellen Verführungskünsten. Großmäulig schwärmt er davon, sie zu einem Pornostar an seiner Seite aufzubauen und das große Geld zu verdienen.

Independent-Regisseur Sean Baker ist bekannt dafür, Menschen die am Rande der Gesellschaft leben, in den Vordergrund seiner Filme zu rücken. Gerne besetzt er seine Filme („Starlet“, „Tangerine L.A.“, „The Florida Projekt“) mit Menschen, die das was sie spielen, auch schon selbst erlebt haben.

Auch Simon Rex begann seine Schauspielerkarriere als Pornodarsteller in homosexuellen Pornofilmreihen.

Bisher ist es Baker gelungen, Mitgefühl und Empathie für seine Protagonisten zu entwickeln und das Beste für sie zu hoffen. Mit seiner Sozialstudie "RED ROCKET" will das nicht unbedingt gelingen. 128 Minuten lang erlebt man einen Protagonisten, der schleimt, lügt betrügt und charmiert und das macht er ganz großartig. Man entwickelt eher ein Vergnügen, ihm hoffentlich beim Scheitern zuzusehen. Ähnlich dem blonden Kotzbrocken, der gerade im Wahlkampf steht und ab und zu im Hintergrund auftaucht und zum Glück nicht wiedergewählt wurde.

Es sind die Nebendarsteller in dem prekären Milieu denen unser Mitgefühl gilt. An meinen Lieblingsfilm "THE FLORIDA PROJEKT" aus dem Jahre 2017 reicht er nicht heran.

Ulrike Schirm


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"I AM THE TIGRESS" Dokumentation von Philipp Fussnegger & Dino Osmanovic über eine US-Bodybuilderin (Österreich / USA / Deutschland, 2021). Mit Tischa Thomas, Edward Zahler und Steve Scibelli seit 14. April 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Für ihre Bräune hat die 47-jährige US-Bodybuilderin Tischa Thomas 130 Dollar bezahlt. Während ihrer Body-Präsentation auf der Bühne, fing die Farbe an zu tropfen. Ärgerlich. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Domina und mit verbal-erotischen Videos oder lässt ihren Körper Zentimeter für Zentimeter abfilmen. Es gab mal eine Zeit, da war sie 136 Kilo schwer. Als Kind wurde sie gehänselt und gemobbt.

Die unkonventionelle Dokumentation begleitet sie zu Bodybuilding-Shows in den USA und zusammen mit ihrem Manager und Freund Ed nach Rumänien, mit der Hoffnung den 1. Platz zu gewinnen. Sie landet auf Platz 12 und das Geld wird knapp. Wir sind dabei, wenn sie Besuch von ihrer Tochter und den Enkeln bekommt und wir sind auch dabei, wenn sie sich auf der Straße bösartige Kommentare anhören muss, wobei sie aber furchtlos kontert. Äußere Stärke erlangte sie durch das Training, mit dem sie ihren Körper in Form bringt, so, wie es ihr gefällt.

Doch unter der muskulösen Schale steckt ein emotionaler und von Selbstzweifeln geplagter Mensch. Wir erleben ganz viele Facetten ihrer Persönlichkeit und den Kampf um Anerkennung.

Am Anfang geht ein Vorhang auf, eine Hand wird sichtbar, dann die andere und dann erscheint Tischa in ihrem gesamten muskulösen Körper und ruft: „Look at you! Do you like that?“

Es geht um Selbstfindung und Akzeptanz und der gängigen Vorstellung des weiblichen Körpers.

Warum gilt Bodybuilding bei Männern als ästhetisch, bei Frauen aber nicht. Man kann dieser außergewöhnlichen Frau für ihre Standhaftigkeit nur gratulieren. In der Karaoke-Bar singt sie: "THE EYE OF THE TIGRESS". Ein starkes Portrait.

Ulrike Schirm


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"EINGESCHLOSSENE GESELLSCHAFT" Komödie von Sönke Wortmann (Deutschland, 2022). Mit Florian David Fitz, Anke Engelke, Justus von Dohnányi u.a. seit 14. April 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Nach "Fack ju Göhte" von Bora Dagtekin (2013) und „Frau Müller muss weg“ von Sönke Wortmann (2016), eine neue Schüler-Eltern-Lehrer Komödie.)

Freitagmittag. Das Wochenende steht vor der Tür. Sportlehrer Mertens (Florian David Fitz) ist auf dem Sprung., muss sich aber vom älteren Kollegen Engelhardt (Justus von Dohnányi) noch eine Zurechtweisung anhören, weil er schon wieder sein Auto auf dessen Stellplatz geparkt hat, der ihm nicht zusteht.

Es klopft an der Tür zum Lehrerzimmer. Die spießige, verbitterte Lehrerin Heidi Lohmann (Anke Engelke) zuckt zusammen: „Hoffentlich kein Schüler“. Nein, es ist der aufgebrachte Vater (Thorsten Merten) eines Schülers. Sein Sohn Fabian soll wegen eines fehlenden Punktes nicht in die Abiturklasse versetzt werden. Dem Vater ist es ernst. Er hat eine Knarre bei sich und bittet das anwesende Kollegium nochmal darüber nachzudenken, ob sein Sohn nicht eine Chance verdient oder ob sie ihm seine Zukunft versauen wollen. Engelhardt bleibt stur. In seiner Verzweiflung schließt er die Lehrer kurzerhand in ihrem Zimmer ein und setzt ihnen eine Frist. Das ist der Auftakt eines spritzigen Kammerspiels in dem 6 Pädagogen zu Geiseln werden, um eine neue Notenkonferenz abzuhalten.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ erinnert an Sönke Wortmanns vorhergehenden Schulfilm „Frau Müller muss weg“ (2016) in dem aufgebrachte Helikopter-Eltern auf einem Elternabend ihr Missfallen gegen eine Lehrkraft zeigten.

Jetzt wird das Lehrerzimmer zum Schlachtfeld von gegenseitigen Beschuldigungen einzelner Lehrkräfte, gespickt mit peinlichen Enthüllungen, Arroganz, Abgründen und entlarvenden Pointen, denen man als Zuschauer genüsslich folgt. Und dann brodelt noch ein Chemieexperiment im Labor vor sich hin, was jeder Zeit hochgehen kann, wenn der Bunsenbrenner nicht abgestellt wird.

Ulrike Schirm


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