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Neue Filmkritiken im Oktober - Teil 4

Etwas verspätet unsere Filmkritiken zu Kinostarts letzter Woche sowie pünktlich zu einem Film, der heute startet.



Am heutigen Donnerstag starten wieder neue Filme in den Kinos. Einige sind lang erwartet, andere verstopfen nur die Leinwände und wären besser ohne Kinostart im Online-Angebot aufgehoben. Doch Vereinbarungen mit den Filmförderern lassen dies nicht zu, auch wenn das Ergebnis manchmal nicht den gewünschten Erwartungen entspricht und der Verleiher den Kinostart deshalb schon mehrfach verschoben hat.

In einer kürzlich in Berlin geführten Diskussionsrunde zum Filmnachwuchs und ihren Ansprüchen, (siehe Bericht vom 18. Oktober 2018) wurde klar, wie schwer es die wenigen verbliebenen Kinos in der Provinz haben, mit guten, aktuellen Filmen beliefert zu werden. Berlin mit seinen vielen Leinwänden sollte nicht als Maßstab für eine gut funktionierende Filmwirtschaft herangezogen werden, sondern als Ausnahme gelten.

Der häufig zitierte Einwand, dass Kinos mit Events durchaus auch wieder junges Kinopublikum anlocken können, betrifft nur wenige Veranstaltungen. Danach ist alles wie zuvor, mit Klagen über zu geringe Einnahmen und deutlich zu geringen Publikumszuspruch bei zahlreichen Filmen.

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"FEIERABENDBIER" Komödien-Drama von Ben Brummer (Deutschland). Mit Tilman Strauss, Julia Dietze, Christian Tramitz und anderen ab 25. Oktober 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Magnus hat ein Auto, eine Bar und eine gescheiterte Beziehung mit Sohn vorzuweisen. Wichtig ist ihm nur der Wagen, ein 81er Mercedes SEC und der wird ihm geklaut. Mensch, begreif das doch als Chance, endlich frei. Sein bester Kumpel ist sein Automechaniker, der nebenbei Philosophie studiert, um an der Uni Bräute abzuschleppen.

Aber Magnus ist nicht cool, nur die Szenen, in die Ben Brummer, Münchner und Jahrgang 1980, einst Beleuchter an der Bayrischen Staatsoper und Student an der HFF München, seinen trostlosen Helden setzt. Brummer studierte Dokumentarfilm, arbeitet dann als Werbefilm-Producer. Stilwillen hat “Feierabendbier” ganz gewiss. Einen ausgeklügelten Soundtrack allemal. Magnus stolpert von einer Gefühlswallung in die nächste und merkt nicht, dass ihm das Auto den Blick auf seine Umwelt verbaut.

Es beginnt eine Spurensuche und einen Täter macht er überschnell auch aus. War da nicht der schlaksige Hipster, der ihm den Wagen abkaufen wollte? Der hat längst seinen eigenen Wagen gefunden, aber Magnus ist blind für die Zeichen und für die Hinweise der Freunde. Allerdings opfert Brummer der fast schon nostalgischen Romanze zwischen Barkeeper und seinem besten Gefährten, dem Auto, allzu viel Logik. Spätestens als er eine Freundin in einen Swingerclub vorschickt, um dem Verdächtigen einen Namen geben zu können, klappt die Handlung zusammen. Warum sollte Frau das tun? Warum überhaupt werden Frauen als Verführerinnen gezeichnet? Selbstbewusst und forsch sind die Freundinnen des Kumpels, sie nehmen sich, was sie wollen. Nur wirkt es als charakterlicher Gimmick und entbehrt einer Überzeugung.

Die Generation Y soll auf die Schippe genommen werden, Klischees wurden absichtlich eingebaut. Selbst die Darsteller haben ihre Rollen im deutschen Film mit im Paket. “Feierabendbier” fehlt dennoch etwas. Ohne seine Freunde ist Magnus keine Figur mehr, für die man sich interessieren könnte. Die Suche nach dem Wagen bleibt beliebig. Sein Leben ist ein langer ruhiger Fluss, aber ein Kurzfilm, der sich auch die Interaktion in der Bar beschränkt, hätte es auch getan. Immerhin der Soundtrack bleibt haften. 25 Songs sind es wohl insgesamt, viele davon wurden eigens für den Film komponiert und geben dem Film die melancholische Note.

Elisabeth Nagy


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"DOGMAN" Krimi-Drama von Matteo Garrone (Italien, Frankreich). Mit Marcello Fonte, Edoardo Pesce, Nunzia Schiano u.a. seit 18. Oktober 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

["Dogman", eine düstere Parabel über die desolate Lage im heutigen Italien.]

In einem heruntergekommenen italienischen Küstenort lebt der gutmütige Marcello (Marcello Forte), ein Hundefriseur. Seine ganze Liebe gehört den Hunden seiner Kunden und seiner Tochter. Ihr zu Liebe handelt er ab und zu mit Kokain, denn er will dem Kind etwas Schönes bieten. Reich kann man mit dem Scheren der paar Vierbeiner nicht werden. Es reicht gerade für das Nötigste.

Der unbeliebte Schläger, ein ehemaliger Boxer, Simone (Edoardo Pesce) ist sein Hauptkunde. Einige Einwohner schmieden schon Mordpläne gegen den jähzornigen Koloss von einem Mann. Da der schmächtige Marcello einfach nicht nein sagen kann und ihn für einen Kumpel hält, lässt er sich auf einen Deal mit Simone ein und landet, ähnlich einem treuen Schoßhündchen, für ein Jahr im Knast. Zuvor rettet er noch den Hund, der von dem unbarmherzigen Simone ins Eisfach des Kühlschranks gelegt wurde, weil der ihn beim Einbruch gestört hat. Es gelingt ihm, das Tier zu retten.

Marcello, wieder aus dem Knast entlassen, indem er unschuldig gehockt hat, hofft auf Simones Dankbarkeit. Stattdessen wird er von ihm total ignoriert. Auch seinen Anteil an der Beute verweigert er ihm hohnlachend. Obwohl alle im Ort wissen, dass er unschuldig ist, wollen sie mit ihm nichts mehr zu tun haben. In seiner Wut ramponiert er Simones Motorrad und wird von dem Schläger aufs Übelste zusammengedroschen. Verzweifelt schmiedet er einen Racheplan, um seine Würde und den Respekt seiner Nachbarn zurückzugewinnen.

„Gomorrha“ Regisseur Garrones, erzählt die Geschichte eines einfachen, schmächtigen und gedemütigenden Mannes, der alles tut, um anerkannt zu werden und dabei auf der Strecke bleibt, in einer Welt, in der das Gesetz des Stärkeren gilt. Es ist rührend-komisch wie Marcello in seinem schäbigen „Hundesalon“ seine vierbeinigen Kunden wäscht und föhnt und mit zärtlichen Kosenamen verwöhnt und der in dieser rauen Umgebung seine Sanftmütigkeit nicht verliert und letztlich doch an ihr scheitert. Er, der seine Nachbarn für seine Kumpels hält, der Simone sogar nach seinem Gefängnisaufenthalt noch das Leben rettet und der ihm alles, was er hat zerstört. Nein, man kann es dem hageren, leicht buckligen Mann mit den schiefen Zähnen nicht verdenken, dass er einen furchtbaren Racheakt begehen will. Hoffentlich geht er dabei nicht vor die Hunde.

Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes gewann Marcello Fonte die Goldene Palme als Bester Darsteller.

Ulrike Schirm


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"GIRL" Drama von Lukas Dhont (Belgien). Mit Victor Polster, Arieh Worthalter, Oliver Bodart u.a. seit 18. Oktober 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

["Girl", Sensibles Drama eines Transgender-Mädchens.]

Schon als Kind stand für das 15-jährige Transgender-Mädchen Lara eines fest: Sie will unbedingt eine professionelle Ballerina werden. Um sich ihren Traum zu erfüllen, zieht sie mit ihrer Familie, dem alleinerziehenden Vater und ihrem kleinen Bruder nach Brüssel, um an einer der renommiertesten Ballettschulen, eine Tanzausbildung zu machen. Eigentlich ist das Mädchen, das im Körper eines Jungen geboren wurde, schon viel zu alt. Mit eisernem Willen, nimmt sie die körperlichen Strapazen auf sich. Hinzu kommt, das Lara seit einiger Zeit pubertätshemmende Mittel einnimmt und es kaum erwarten kann, endlich mit der erlösenden Hormonbehandlung zu beginnen.

Sie hat das große Glück, dass ihr liebevoller Vater in allem hinter ihr steht und sie unterstützt. Lara spricht nicht viel. Muss sie auch nicht. Ihre Mimik sagt mehr als alle Worte und an ihrer Gestik erkennt der Vater ihre emotionale Verfassung. Die Kamera ist den ganzen Film über ganz nah an ihr dran. Es gibt kaum eine Einstellung, in der der Darsteller Victor Polster, der selbst ein Tänzer ist, sich nicht gnadenlos in die Rolle der Lara einfühlt. Lara vor dem Spiegel wie sie akribisch ihren Körper beobachtet, sehnlichst auf die erlösende Veränderung wartend. Lara, die ihre blutenden Füße nach stundenlangem Spitzentanz verbindet, Lara, die ihr Geschlechtsteil abklebt. Lara, deren Gesicht strahlt, wenn die Lehrerin sie lobt und immer wieder der Kampf um ihre wahre Identität., bis zu dem Tag, an dem sie eine unüberlegte Entscheidung trifft.

Mit grosser Sensibilität bleibt Lukas Dhont ganz nah bei seinem Transgender – Mädchen, dem man zu gerne den Zauber eines Lächelns gönnt. Es ist schwer zu ertragen mit anzusehen, wie sie ihren Körper beim Tanztraining bis zur äußersten Schmerzgrenze malträtiert, voller Ungeduld auf die sichtbaren Erfolge der Hormonbehandlung wartet und sich obendrein in der Pubertät befindet, bei der, wie wir alle wissen, das Gehirn verrückt spielt.

Ein Glücksgriff der niederländische Kameramann Frank van den Eeden („Cobain“), dessen einfühlsame Fotografie den inneren Zwiespalt Laras behutsam einfängt.

Der belgisch-holländische Film "GIRL" wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, unter anderem erhielt er in Cannes die Goldene Kamera für das beste Erstlingswerk und geht für Belgien ins Oscar-Rennen um den besten ausländischen Film. Bewundernswert das Spiel des Newcomers Victor Polster.

Ulrike Schirm


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"THE GUILTY" Polizeithriller von Gustav Möller (Dänemark). Mit Jakob Cedergren, Jakob Ulrik Lohmann, Morten Thunbo u.a. seit 18. Oktober 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

["The Guilty", ein hochspannendes Kammerspiel.]

Der Polizist Asger Holm ist wegen eines dienstlichen Vorfalls in die Kopenhagener Notrufzentrale strafversetzt worden. Mitten in der Nacht meldet sich eine Frau, die so tut, als ob sie mit ihrer kleinen Tochter telefoniert. Offensichtlich ist sie von ihrem gewalttätigen Ehemann entführt worden. Pflichtgemäss gibt er den Anruf weiter. Obwohl es ihm nicht erlaubt ist, versucht er eigenmächtig einzugreifen. Zur Verfügung hat er lediglich ein Telefon und seinen Dienstcomputer. Das hätte er mal lieber nicht tun sollen. Sein Handeln hat böse Folgen.

Dem Regisseur Gustav Möller ist ein hochspannendes Kammerspiel gelungen. Der gesamte Film spielt ausschließlich in der Notrufzentrale mit dem Blick auf Asger und seinen Bemühungen, den Personen am Telefon irgendwie zu helfen. Der Zuschauer kann sich seine eigenen Bilder zu den gesprochenen Dialogen machen. Hier bekommt der Begriff Kopfkino seine wahre Bedeutung und wird mal nicht abfällig benutzt. Asgers Bemühungen erscheinen aussichtslos. Am nächsten Tag steht er wegen seiner eigenen Verfehlung vor Gericht.

Der nervenaufreibende Thriller wurde von den Dänen für den Auslands-Oscar ins Rennen geschickt.

Ulrike Schirm


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"DER VORNAME" Komödie von Sönke Wortmann (Deutschland). Mit Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters u.a. seit 18. Oktober 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:

[Film- und Theatererfolg neu aufgelegt.]

Ehrlich gesagt, wir haben uns anstecken lassen, haben allen Verstand ausgeblendet und uns stattdessen köstlich amüsiert. Selten wurde bei einer Pressevorführung so schallend gelacht wie bei dieser Constantin Produktion. Als Berliner Filmverband erwartet man vielleicht, dass deutsche Produktionen von uns besonders wohlwollend behandelt werden. Dem ist aber nicht so.

Getreu dem Motto: Opas Kino ist tot - es lebe der neue unabhängige Film, sind uns meist internationale Koproduktion aus dem Arthouse-Bereich lieber, als irgendwelcher Klamauk aus der Münchner Filmszene.

In diesem Fall ist aber übertriebene Kritik fehl am Platz. Im Vergleich zur gleichnamigen französischen Warner Bros. Produktion "Le Prénom" aus dem Jahre 2012 (deren Trailer wir zur Erinnerung anschließend eingefügt haben), die wiederum auf dem gleichnamigen Theaterstück von Alexandre de La Patellií¨re und Matthieu Delaporte aus dem Jahr 2010 basiert, erscheint uns die neue deutsche Fassung jugendlicher und schmissiger zu sein, sodass nicht nur älteres Klientel, die ansonsten vielleicht ins Theater gehen würden, angesprochen wird, sondern vor allem jüngeres Kinopublikum, dass schon im Begriff ist sich vom Kino abzuwenden, um nur noch Serienfilme im Streaming-Angebot zu sehen.

Am Buch selbst kann man wohl kaum etwas verändern. Der witzige, ironische Text um den vermeidlich unaussprechlichen Vornamen Hitlers, dem deutschen Führers des Dritten Reiches, hat schon viele Zuschauer begeistert. Dennoch ist Sönke Wortmann hier eine Version gelungen, die vorhergehende Fassungen alt aussehen lassen.

Mag sein, dass dies u.a. auch an den reichlich zu Verfügung stehenden Mitteln lag. Produzent Oliver Berben (Constantin Film) erhielt 900.000 Euro Fördermittel von der Film- und Medienstiftung NRW - die höchste Einzelsumme, die die Stiftung seit langem vergab.

W.F.


Wie weiter oben versprochen, haben wir zum Vergleich hier einen kurzen Trailer der französischen Fassung beigefügt, damit jeder selbst entscheiden kann, welche Version besser gefällt, oder welche Schauspieler*innen einem lieber sind.

Was uns auffiel: Im Gegensatz zur neuen, deutschen Version tragen die Protagonisten in der Fassung aus dem Jahre 2012 noch spießige und heute meist verpönte Krawatten.



Übrigens steht im Berliner Renaissance Theater das Stück um den umstrittenen, aber nicht verbotenen Vornamen »Adolf« ebenfalls auf dem Programm.


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