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Neues aus der DVD- & Kinolandschaft mit Filmstarts im Juni 2017

Mit Filmkritiken von Isolde Arnold und Ulrike Schirm.



Diesmal fangen wir ganz anders, an als sonst üblich, denn Isolde Arnold hat uns u.a. auch eine DVD Empfehlung geschickt, weil gute Filme und vor allem Dokumentarfilme zu Biografien immer seltener im Kino zu sehen sind. Die Filmtheater wollen Umsatz machen und zeigen manche Filme, die nur für einen kleineren Zuschauerkreis gemacht wurden, entweder nur für kurze Zeit in ihren Kinos, oder auch gar nicht.

Glücklicherweise gibt es immer noch die beliebte DVD, die man online ordern kann, oder im gut sortierten Fachhandel und in den Mediamärkten erhält sowie manchmal auch in der Lieblingsvideothek recht preiswert ausleihen kann. Oft sogar als Blu-ray Disc in HD-Qualität.

"DIE HÄLFTE DER STADT" ein Dokumentarfilm von Pawel Siczek (Deutsch/Polnisch, 87 Min.)
Seit 21.4.2017 als DVD im Handel. Hier der Trailer:



Isoldes DVD Kritik:

„Chaim“ ist hebräisch und bedeutet auf Deutsch „Leben“. Der Film erzählt die Geschichte des jüdischen Fotografen und Gemeindepolitikers Chaim Berman, der sich vor dem 1. Weltkrieg in dem polnischen Städtchen Kozienice für ein friedliches Nebeneinander von Polen, Juden und Deutschen engagiert:

Der 1. Weltkrieg endete in einer Katastrophe, die Bauern wurden nach Russland verbannt. Es herrschen Armut, Hunger und Angst.

Die Stadt wird von Deutschen besetzt, Polen werden als Sklaven und Juden wie 'Ungeziefer' behandelt. Freunde sind plötzlich Feinde. Die Familie Chaims Berman wird deportiert und er kommt in ein Außenlager der Stadt, von dem er fliehen kann und mit einem seiner Söhne durch einen ehemaligen Lehrer vorerst in dessen Keller versteckt wird. Er erkrankt aber an Typhus und stirbt.

Wie durch ein Wunder können etwa zehntausend Glasnegative seiner Fotos, die nach Jahrzehnten verstreut im Keller seines Hauses aufgefunden wurden, noch vor dem vollständigen Verfall gerettet werden, die Beschichtung hatte sich zum Teil schon abgelöst!

Es ist ein Film entstanden, der die Geschichte Chaim Bermans mit einer noch lebenden Zeitzeugin und anhand aufwendig gestalteter Animationssequenzen, die an Marc Chagalls und naive Malerei einer längst vergessenen Welt erinnern, eindrucksvoll erzählt. 'Die Fotografien sprechen zu uns in ihrer zarten Brüchigkeit von der Kostbarkeit des Lebens' (Booklet).

Unbedingt ansehen und weitersagen!

I.A.


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"GANZ GROSSE OPER - Vorhang auf für eine Liebeserklärung"
Ein Dokumentarfilm von Toni Schmid, (Dtschl. 2017, 88 Min.)
Seit 1. Juni 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Isoldes Filmkritik:

Ein Dokumentarfilm der besonderen Art, denn er gewährt Einblicke in die Bayrische Staatsoper in München, die faszinierender nicht sein könnten.

Die Staatsoper ist fast immer ausverkauft, ist eines der ältesten Opernhäuser der Welt und hat ein treues Publikum, das schon seit dem 19. Jahrhundert bis heute anhaltend als „verrückt“ nach Oper gilt.

So ist der Film auch eine Liebeserklärung an die Kunstgattung Oper geworden. Die Protagonisten sind der Tenor Jonas Kaufmann, der dort gerne und oft auftritt, die Sopranistin Anja Harteros, die zum Ensemble gehört, der Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, der Chefdirigent der Philharmoniker in der Nachfolge von Simon Rattle werden wird, der Dirigent Ivor Bolton und Zubin Mehta, der Intendant Nikolaus Bachler, der ehemalige Intendant Sir Peter Jonas sowie der Ballettdirektor Igor Zelensky. Sie alle kommen ausgiebig zu Wort und man merkt allen ihre Begeisterung für das Haus und die Oper an. Dadurch, dass sie sich in ihren Aussagen nicht unterbrechen, sondern fast spielerisch mit Auszügen aus Proben und Auftritten korrespondieren, entsteht ein authentisches Gesamtkunstwerk, an dem jeder darin Mitarbeitende seinen Platz findet und man den Eindruck gewinnt, dass die Aufführung  nur  gut werden kann.

Die Operninszenierungen von Jean Philippe Rameaus „Les Indes galantes“, Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ und Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ werden in ihrer Entstehungsphase vorgestellt und auch das Bayrische Staatsballett ist bei Proben und Aufführungen zu Ludwig Minkus‘ „La Bayadere“ mit zu erleben.

Jeder Opern-Interessierte sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen, denn er vermittelt den Eindruck, dass durch Begeisterung, Fleiß und Können  Große entstehen kann  und, auch der nicht nach München fahren kann, ist für anderthalb Stunden mit dabei.
 
I.A.


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"LOVING" von Jeff Nichols.
Seit 15. Juni 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Eine Ehe einzugehen, ist für die meisten Menschen das Schönste auf der Welt. So auch für den weissen Bauarbeiter Richard Loving und seine zukünftige schwarze Braut Mildred Jeter. Voller Stolz und Freude zeigt er ihr das Stück Land, auf dem er ein Haus für sich und seine Familie bauen will.

"LOVING", Buch und Regie Jeff Nichols, der schon in "TAKE SHELTER" einen Helden zeigte, der seine Familie vor übersinnlichen Mächten beschützt, widmet sich nun, nach einer wahren Geschichte, dem „Bösen“ in Gestalt des amerikanischen Staates. Ende der Fünfzigerjahre ist es im Staate Virginia gesetzlich verboten eine Ehe zwischen Schwarz und Weiss einzugehen. Loving (Joel Edgerton) und seine bezaubernde Frau Mildred (Ruth Negga) widersetzen sich dem Verbot. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, ein Haus zu bauen, Kinder zu bekommen und nahe bei ihren Familien und Freunden ein friedliches Leben zu führen. Mitten in der Nacht holt die Polizei die Lovings wie zwei Schwerverbrecher ab. Sie werden vor die Wahl gestellt: Entweder wandern sie ins Gefängnis oder sie müssen ihren Heimatort für 25 Jahre verlassen. Der einfach gestrickte Arbeiter Richard versteht die Welt nicht mehr. Er und seine schwangere Frau wählen das Exil.

Dort bekommen sie Kontakt zu Menschenrechtsanwälten, die sich für sie einsetzen. Doch bis es 1967 endlich zu einem bahnbrechenden Grundsatzurteil kommt, die Rechtmäßigkeit ihrer Ehe anerkannt wird, müssen die Lovings noch so manche unfreiwillige Hürde überwinden.

Es geht den beiden einfachen Menschen nicht um Politik. Sie wollen nur in Frieden leben und tun dafür nichts anderes als das, was zu tun ist. LOVING gehört für mich zu einem der besten Filme in diesem Jahr. Schon allein wegen der beiden Hauptdarsteller. Besonders das ausdrucksstarke Gesicht der Schauspielerin Ruth Negga, die für ihr Spiel für einen Oscar nominiert wurde. Auch Joel Edgerton berührt durch sein zurückgenommenes Auftreten. Er spielt Richard als einen Menschen, der mit Worten schwer umgehen kann aber ein herzensgutes Wesen hat. Nichols erzählt das Drama völlig unaufgeregt und zurückgenommen. Er zeigt, wie empathielose politische Anordnungen das private Leben von Menschen zerstören können. Und immer noch gibt es Systeme, die den Bürgern vorschreiben, wen sie lieben dürfen und wen nicht. Eine Schande ist das.

Ulrike Schirm


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"INNEN LEBEN (INSYRIATED)" von Philippe Van Leeuw.
Seit 22. Juni 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

In Syrien tobt der Krieg und ein Ende ist nicht abzusehen und damit auch der Flüchtlingsstrom. Aber wie geht es den Daheimgebliebenen?

"INNEN LEBEN" zeigt auf bedrückende Weise das entsetzliche Leid der Zivilbevölkerung anhand einer Großfamilie, die sich in ihrer Wohnung in Damaskus verbarrikadiert und versucht, den Alltag einigermaßen zu bewältigen. Es gibt kaum Wasser, Telefonleitungen funktionieren mal ja, mal nein und die Beschaffung von Lebensmitteln ist nur unter größter Gefahr möglich. Auf den Dächern lauern Scharfschützen. Die energische Oum Yazan (Hiam Abbass), wir kennen sie aus „LemonTree“ und „Paradise Now“, versucht einen Hauch von Normalität zu wahren. Die junge Halima und ihr Freund Samir haben mit ihrem Baby die Flucht nach Europa gründlich vorbereitet. Salima verlässt nur noch kurz das Haus und wird im Hof erschossen. Niemand der Eingeschlossenen wagt es, der jungen Frau, die auf gepackten Koffern sitzt, die Hiobsbotschaft zu vermitteln. Oum Yazan hat die junge Familie bei sich aufgenommen, denn sie sind die letzten in dem leerstehenden Haus. Gedämpft sind die Frauen mit der Vorbereitung der Mahlzeit, dem Wasserholen, dem Tischdecken in der Küche beschäftigt, während von draußen die bedrohlichen Geräusche des Krieges zu hören sind. Plünderer treiben ihr Unwesen, klopfen an die Tür, auf der Suche nach eventuellen Wertsachen. Als das Dienstmädchen ans Fenster tritt, um zu sehen, ob der Leichnam noch im Hof liegt, sagt der Großvater resigniert: „Was schaust  du aus dem Fenster. Vergiss die Welt da draußen“.

Fünf abgedunkelte Räume, eine Küche und ein Bad, ist der beklemmende Schauplatz dieses klaustrophobischen Kammerspiels. Als zwei Männer sich mit Gewalt Zugang zur Wohnung verschaffen, verstecken sich alle Bewohner verängstigt in der Küche. Es ist ausgerechnet Halima, die von den Männern geschlagen und vergewaltigt wird. Vor Angst erstarrt, werden sie hörbare Zeugen des brutalen Verbrechens. Es ist eine hochbrisante Frage, die der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw in den Raum stellt. Hätte Oum Yazan eingreifen sollen und ihre Kinder zu Opfern der brutalen Gangster werden lassen?

„Insyriated“, so der Originaltitel, lässt die Frage offen. Der Zuschauer ist gefordert, selbst zu entscheiden. Soll eine Familie einen der ihren opfern, um das Leben eines anderen zu schützen?

„Innen Leben“ handelt von dem Dilemma unter unmenschlichen Bedingungen nicht menschlich bleiben zu können. Es sind nicht nur die da draußen, die traumatisiert und verletzt zurückbleiben, nein, auch die drinnen werden zu traumatisierten Opfern eines unbarmherzigen Krieges.

Ulrike Schirm


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"DIE VERFÜHRTEN " von Sofia Coppola : Ab 29. Juni 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Mit "DIE VERFÜHRTEN" wagt Sofia Coppola ein Remake des Clint Eastwood Dramas "BETROGEN" aus dem Jahr 1971. Regie Don Siegel.

Statt Eastwood ist es nun Colin Farrell, der den verwundeten Nordstaaten Soldaten John Mc Burney spielt. Mitten im Amerikanischen Bürgerkrieg im feindlichen Mississippi, stößt ein kleines Mädchen beim Pilzesuchen auf einen verletzten Soldaten und hilft ihm mit aller Kraft in ihr schützendes Zuhause. Das ist ein Mädchenpensionat, geführt von der streng-religiösen Leiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman). Die nimmt ihn erstmal auf, mit der Anordnung, dass er im Musikzimmer zur Ruhe kommen kann, die Tür aber verschlossen bleibt. Weitere Bewohner, die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) und fünf junge Mädchen zwischen acht und achtzehn Jahren, die zur Sittlichkeit und Anstand erzogen werden. Da der Alltag der heranreifenden Schülerinnen überwiegend aus Schule und Gebeten besteht, ist die Ankunft des geheimnisvollen „Gastes“ eine willkommene Abwechslung. 

Ängstlich treiben sie sich vor der verschlossenen Tür herum, dann wächst ihre Neugier und dann spüren sie unausgelebte sexuelle Begierden. Die achtzehnjährige Alicia (ELLE Fanning) nähert sich Mc Burney mit aufreizender Koketterie. Auch Edwina und Leiterin Martha sind nicht frei von erotischen Fantasien. Jede von ihnen buhlt auf ihre ganz eigene Weise um das „Objekt ihrer Begierde“. Wohlweislich darauf bedacht, es ihre Konkurrentinnen nicht merken zu lassen. Das das zu dramatischen Folgen führt, nicht nur für die Frauen, sondern ganz erheblich für den Verwundeten, macht die Geschichte, die hier aus feministischer Sicht erzählt wird, spannend und beinhaltet eine unterschwellige Komik, die sich besonders im unterschiedlichen Verhalten der Frauen versteckt.

Coppola taucht das Melodram in wunderschöne Bilder, die einen Gegensatz zu den erotischen Verwirrungen und bösartigen Machtspielen der weiblichen Protagonisten bilden. Das macht den Unterschied zu Siegels „Betrogen“ aus, in der Eastwood ein machohaftes Spiel betreibt. Ich persönlich hadere etwas mit der Besetzung Farrells, der als ziemliches Weichei herüber kommt. Aber, das ist reine Geschmackssache. Auch das Ende lässt zwei unterschiedliche Interpretationen zu. War es eine medizinische Notwendigkeit oder ein böser Racheakt. Ich behaupte Letzteres. Sofia Coppola hat in Cannes den Regiepreis bekommen. Damit ist sie die zweite Frau in der siebzigjährigen Festivalära.

Ulrike Schirm


PS: post scriptum

Die Filmkritik zu Sönke Wortmanns "SOMMERFEST", der ebenfalls am 29. Juni 2017 startet, haben wir an dieser Stelle wieder entfernt, da Elisabeth Nagy den Film bei uns am 7. Juni 2017 bereits besprochen hatte.


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