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Berlinale Kommentare: "A fucking good film!"

Eindrücke und Ausdrücke von den 62. Internationalen Filmfestspielen Berlin.



Der diesjährige Wettbewerbsjahrgang der 62. Berlinale gilt als einer der besten der letzten Jahre. Zwar hat der von vielen Kritikern hoch favorisierte deutsche Beitrag "Gnade" von Matthias Glasner keinen Preis gewonnen, doch dafür konnte der zweite Beitrag "Barbara" von Christian Petzold einen Silbernen Bären für die Regieleistung holen und wurde darüber hinaus vom Kölner Weltvertrieb The Match Factory an den US-Indie-Verleih Adopt Films verkauft. Der Verleih plant den Film allerdings erst im Dezember 2012 in die US-Kinos zu bringen, um dann zugleich eine Oscarkampagne für den Regisseur und die Hauptdarsteller des Films im nächsten Jahr starten zu können.

Die Amerikaner sicherten sich auch die Rechte am Goldenen-Bären-Gewinner “Cesare deve morire" von Paolo und Vittorio Taviani und an Ursula Meiers "L' enfant d'en haut" ("Das Kind von oben" - Ein Wortspiel, das sich auf ein Kind aus der besseren und wohlhabenden Gesellschaft bezieht, aber auch der Trottel vom Berg bedeuten könnte). Der Film wurde mit einer besonderen Erwähnung der Jury und einem zusätzlichen Silbernen Bären ausgezeichnet. Er lief zugleich in der Jugendfilm Cross-Section als Generation 14plus Auswahl.

Überhaupt scheinen dieses Jahr sehr viele Filme in allen Sektionen das soziale Brennpunkt Thema, vernachlässigter Jugendlicher abzuhandeln. Von 395 Filmen konnten wir immerhin ca. 60 Filme sehen. Das bedeutete für die Redaktion, die diesmal nur aus einer Person bestand, aber viel Stress und Ausdauer. Täglich mussten 5-7 Filme gesehen werden, um sich einen umfassenden Überblick verschaffen zu können. Doch es hat sich gelohnt und hat dieses Jahr viel Spass gemacht, außergewöhnlich gute Filme zu sehen.

Im Forum lief gleich zu Anfang in einer extra Pressevorführung "Kid-Thing". Wer glaubt, mit dem oben genannten "Kind vom Berg" oder "Sister" wie der englische Titel des offiziellen Wettbewerbsfilmes heißt, das schlimmste Drama sozialer Benachteiligung je gesehen zu haben, dem wurde mit "Kid-Thing" über eine 12 Jährige, die aus langer Weile - aber auch aus Verzweiflung das eigene Ende in Kauf nimmt, ein wahrer Albtraum vorgeführt. Dieser Film hätte unbedingt ebenfalls in der Generation 14plus Sektion laufen sollen.

Stattdessen sahen wir im ausverkauften Auditorium der HKW "Two Little Boys", ein Mischmasch aus Splatterfilm und nicht ganz ernst zunehmender Komödie mit skurrilem englischen schwarzen Humor, bei der eine Leiche verschwinden soll und deshalb zerstückelt wird. Ob dieser Film aus Neuseeland ein gutes Vorbild für die Jugend von heute ist, mag bezweifelt werden, auch wenn der Film einen ehrenwerten guten Ansatz verfolgt. Im Kino wird er allerdings kaum die FSK-Hürde nehmen und das Fernsehen wird ihn - wenn überhaupt, dann nur spät nachts in stark beschnittener Version ausstrahlen. Ein junger Engländer, der allerdings schon knapp 18 Jahre alt war, kam nach der Vorführung noch ganz benommen heraus und sagte nur: »What a fucking good film!« Für Jüngere dürfte der Film auch kaum geeignet sein.

Herausragend und wahrscheinlich ein Film mit einem der besten Drehbücher der letzten Zeit, die von traumatisierten Jugendlichen handeln, war der außer Konkurrenz gezeigte Stephen Daldry Film "Extremely lound and incredibly close" (Extrem Laut und Unglaublich Nah - Trailer). Aber auch die mit Preisen und Bären bedachten Filme "Rebelle" (War Witch) und "Csak a Szél" (Just the Wind) erzählen Stories von traumatisierten Jugendlichen, die unbedingt ins Kino gehören und nicht nach der Berlinale wieder in der Versenkung verschwinden sollten.



Leider geschieht das immer wieder. Von den letztjährigen Wettbewerbsfilmen haben es nur fünf Filme geschafft, weltweit einen Verleih zu finden. Bei uns kam sogar mit "Nader & Simin" nur der Preisträger des letztjährigen »Goldenen Bären« ins Kino.

Doch anderen Festivals geht es kaum besser. "Le gamin au vélo" (Der Junge mit dem Fahrrad - Trailer) der Brüder Dardenne gewann auf dem Festival von Cannes im Mai 2011 und ist bei uns erst jetzt zu sehen. Das Filmkunst 66 in der Charlottenburger Bleibtreustraße wird ihn vielleicht sogar länger als geplant im Programm behalten, so viel Zuspruch erntet plötzlich der Film nach dem Ende der Berlinale, obwohl auch er das gleiche Thema vernachlässigter Jugendlicher zum Mittelpunkt macht.



Offensichtlich ist das Interesse an sozialen Fragen und Beziehungen, das typische Milieu der Menschen am Rande der Gesellschaft, der Kinder und der Schwachen, die Anteilnahme und Solidarität mit "Verlierern" und "Außenseitern", nicht nur ein Thema der Internationalen Filmfestspiele Berlin, sondern ein Thema, das immer wieder auf allen Festivals in der Welt auftaucht, aber leider immer seltener einen Weg in unsere Kinos findet.

Die Verleiher setzen dagegen ganz konventionell auf Mainstream und vergessen dabei, dass es auch ein Publikum für den anspruchsvollen Independent Film gibt. Wie sonst lassen sich die unglaublichen und abermals gesteigerten Kartenverkaufszahlen der Berlinale sonst erklären.

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