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AG-DOK siegt vor Landgericht Leipzig über ARD

Landgericht Leipzig erklärt sogenannte "VFF-Klausel" in Sender-Verträgen für unzulässig.


Thomas Frickel, Vorsitzender der AG DOK kann zufrieden sein. Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm hat mit ihrer Klage gegen die sogenannte "VFF-Klausel" vor dem Landgericht Leipzig recht bekommen, sodass alle Filmemacher, die bei zu geringer Vergütung fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen arbeiten (darunter auch BAF-Mitglieder), wieder aufatmen können.

Mithilfe dieser Klausel verpflichten ARD und ZDF TV-Auftragsproduzenten vertraglich dazu, ihre entstehenden Filme an die Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten (VFF) zu melden. Ein irreführender Name, wie die AG DOK in ihrer Pressemitteilung schreibt, denn die Hälfte des dort ausgeschütteten Geldes gehe an die Eigenproduktionen der öffentlich-rechtlichen Sender und von der anderen Hälfte, die den TV-Auftragsproduktionen vorbehalten sein soll, komme nur ein Teil bei den Produzenten an, den Rest bekämen ebenfalls die öffentlich-rechtlichen Anstalten – und zwar „unbeschadet der Rechtsfrage“, ob dem Sender überhaupt Leistungsschutzrechte an dem betreffenden Film zustehen oder nicht. Dadurch seien der Produktionswirtschaft allein im vergangenen Jahr 7,5 Mio. Euro vorenthalten worden.

In einer bahnbrechenden Entscheidung stellt die 5. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig am 08.08.2012 fest:

"Durch die »VFF-Klausel« werde nicht nur die Entscheidungsfreiheit über die Auswahl der Verwertungsgesellschaft signifikant beeinträchtigt, zugleich werde die gesetzlich vorgesehene Partizipation der Filmhersteller an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen unterlaufen".

Schließlich, so die Auffassung des Gerichts, stünden die Verwertungserlöse ausschließlich den Inhabern der Leistungsrechte zu, also den Auftragsproduzenten.


Dokumentarfilmproduzenten „unangemessen benachteiligt“!
Durch eine offensichtlich rechtswidrige Vertragsklausel haben ARD und ZDF jahrzehntelang Verwertungserlöse beansprucht, die ihnen nie zustanden. Das ist die Konsequenz des Urteils, mit dem das Landgericht Leipzig jetzt dem Mittdeutschen Rundfunk die weitere Verwendung der so genannten „VFF-Klausel“ untersagt.

"Das Leipziger Urteil bestätigt unseren Verdacht, dass die Gelder der VFF nicht auf gesetzlicher Grundlage, sondern willkürlich verteilt werden. Wir hoffen, dass durch das Leipziger Urteil jetzt endlich die längst überfällige Debatte um die bislang tabuisierten Fragen im Geschäfts-Konzept der VFF in Gang kommt.", kommentiert Thomas Frickel, Vorsitzender der AG DOK, die Entscheidung des Gerichts.

Zugleich kündigte er weitere Schritte an, denn von „angemessener Bezahlung“ und einer „fairen Aufteilung der Verwertungsrechte“ sind die freien Dokumentarfilm-Autoren, -Regisseure und -Produzenten in Deutschland, noch Lichtjahre entfernt.

Die so genannte VFF-Klausel wurde über viele Jahre hinweg nahezu gleichlautend von allen ARD-Anstalten sowie vom ZDF verwendet und verpflichtet die Fernseh-Auftragsproduzenten, alle entstehenden Filme der Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten (VFF) in München zu melden. Schon der Name dieser Verwertungsgesellschaft ist irreführend, denn dort kassieren die öffentlich-rechtlichen Sender von vornherein die Hälfte aller Verwertungserlöse für ihre Eigenproduktionen. Die andere Hälfte des Geldes sollte zwar den Fernseh-Auftragsproduktionen vorbehalten sein – aber auch davon kommt nur ein Teil tatsächlich bei den Produzenten an. Den Rest, so sieht es der interne Verteilungsplan der VFF vor, streichen wiederum die Sender ein. Für das Jahr 2011 summieren sich auf diese Weise 7,5 Millionen Euro, die der Produktionswirtschaft vorenthalten wurden. Abgesichert wurde dieser Griff in die Tasche der Produzenten durch eine standardmäßig verwendete Vertragsklausel, mit der die Sender alle Auftragsproduzenten in die VFF zwangen, sie damit der dort üblichen Verteilungspraxis unterwarfen - und jedesmal mit kassierten. Damit ist jetzt Schluss.

In der schriftlichen Begründung vom 10.08.2012 (AZ 05 O 3921/09) der 5. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig heißt es weiter:

"Die Verwertungserlöse stehen ausschließlich den Inhabern der Leistungsschutzrechte zu – also denen, die auch die wirtschaftlichen Risiken der Produktion tragen."

Und das sind nach einhelliger Meinung der Rechtssprechung in jedem Fall die Auftragsproduzenten. Außerdem verstößt die Klausel gegen das zum Schutz der schwächeren Vertragspartner gesetzlich verfügte Verbot der Vorausabtretung von Vergütungsansprüchen, „weil die Vertragspartner hierdurch die Hälfte der gesetzlich ihr zustehenden Vergütungen an die Beklagte abtreten.“ Durch all das würden die Produzenten „unangemessen benachteiligt“.


Geschichtlicher Hintergrund.
Ein Blick auf die Binnenstruktur der VFF mag erklären, wie es zu dieser nachteiligen Regelung kam: die Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten ist eine GmbH, an der ARD und ZDF auf der einen, sowie Bundesverband Deutscher Fernsehproduzenten e.V. auf der anderen Seite jeweils 50 Prozent der Gesellschaftsanteile halten. Im Fernsehproduzentenverband wiederum, der sich inzwischen der „Allianz deutscher Produzenten“ angeschlossen hat, zählen die großen Tochterfirmen öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten zu den einflussreichsten und umsatzstärksten Mitgliedsfirmen. Sie geben aufgrund ihres Stimmgewichts bei der Besetzung aller wichtigen Entscheidungsgremien den Ton an. Dadurch gab es innerhalb der VFF immer eine stabile Mehrheit zur Durchsetzung der Sender-Interessen, kritische Fragen zur VFF-Klausel und zum Verteilungssystem der VFF waren unter solchen Umständen kaum zu erwarten.

Diesen für sie komfortablen „status quo“ wollte die Sender-Seite offenbar erhalten. Deshalb zielte ihre Verteidigungsstrategie in dem Leipziger Gerichtsverfahren vorrangig darauf ab, der AG DOK die Legitimation zur Interessenvertretung der deutschen Dokumentarfilmbranche abzusprechen und stattdessen die Produzentenallianz als alleinige Repräsentanz der deutschen Produzentenlandschaft zu etablieren, heißt es bei der AG DOK.

Diese Sichtweise hat das Gericht ebenso detailliert wie unmissverständlich zurückgewiesen und der AG DOK dabei bescheinigt, dass sie sehr wohl zur Führung derartiger Verfahren legitimiert ist. Um so mehr, als sie sich nachweislich seit Jahren aktiv für die Interessen der Branche einsetzt und die Verteilungs-Praxis dieser Verwertungsgesellschaft immer wieder kritisch hinterfragt hat. Dennoch war die AG DOK mit ihrer Kritik bei der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem deutschen Patent- und Markenamt, immer wieder auf taube Ohren gestoßen.

Sender weisen Kritik an den gescheiterten Gesprächen zurück.
ARD und ZDF haben die Kritik der AG Dokumentarfilm an der Vertrags- und Vergütungspraxis im Dokumentarfilmbereich zurückgewiesen. Die Sender behaupten, bei den seitherigen Verhandlungen «sei in substanziellen Fragen Konsens erzielt» worden und versuchen, der AG DOK das Scheitern der Gespräche anzulasten. Doch Annäherung gab es allenfalls in einigen „weichen“ Punkten am Rande. In der Kernfrage einer wirklich spürbaren Besserstellung der vom Geschäftsgebaren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an den Rand des Ruins getriebenen Dokumentarfilmproduktion stießen die Verhandlungen immer wieder auf Beton.

Von Sender-Seite gab es:

• kein Angebot für Wiederholungs-Vergütungen an Autoren und Regisseure.
• keine Bereitschaft, die Arbeitsleistung des Produzenten anzuerkennen und zu bezahlen.
• keine Akzeptanz der Forderung, die Allgemeinkosten der Produktionsfirmen endlich auf ein kostendeckendes Niveau zu heben - so, wie es die Filmförderungsanstalt und die Filmförderungen der Länder in ihren Richtlinien längst vollzogen haben - und wie es in anderen Branchen und in anderen europäischen Ländern üblich ist.

Allerdings gibt es nach wie vor buy-out-Verträge zu dumping-Preisen, den allumfassenden Zugriff der Sender auf alle wirtschaftlich interessanten Verwertungsrechte, teilweise mehr als 30 unbezahlte Wiederholungen pro Film. Und es gibt immer mehr Dokumentarfilm-Regisseure und Regisseurinnen in Deutschland, die wegen der miserablen Bezahlung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen von ihrem erlernten Beruf nicht mehr leben können.

Verteilungsplan der VFF war nicht Gegenstand der Klage.
Die Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten (VFF), weist in einer Pressemitteilung am 17.08.2012 alle Anschuldigungen zurück und stellt zunächst klar, dass das Leipziger Urteil nicht den Verteilungsplan der VFF betreffe, dieser also nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens gewesen sei. Es sei außerdem nicht richtig, dass dieser - wie von Frickel behauptet - eine Aufteilung der Mittel zwischen Auftrags- und Eigenproduktionen zu gleichen Teilen vorsehe. Vielmehr gingen 55 Prozent der Mittel an Auftragsproduktionen. Die Ausschüttungen wiederum erfolgen aufgrund von Meldungen der Sender. "Öffentlich getroffene Aussagen, nur ein kleiner Teil des Gesamtaufkommens der VFF für Auftragsproduktionen werde an die Produzenten ausgeschüttet, sind damit unzutreffend", so die von Norbert Flechsig, Aufsichtsratsvorsitzender der VFF, unterzeichnete Stellungnahme.

Aus dem Mitgliederbrief über das Scheitern der ARD-Verhandlungen.
Nachdem die öffentlich-rechtlichen Anstalten schon Monate vorher mit der Produzentenallianz klare vertragsrechtliche Regelungen im Bereich der fiktionalen Auftragsproduktionen ausgehandelt hatten, ist es unverständlich, dass die Dokumentarfilmproduzenten von der ARD nicht fair behandelt werden und die Anstalten sich weigern einer generellen Anerkennung von realistischen Produktionskosten zuzustimmen.

Für die AG DOK war die Schmerzgrenze erreicht, als die ARD-Anstalten nach einem langwierigen internen Abstimmungsverfahren signalisierten, dass sie weder die Begriffe "Handlungskosten" und "Produzentenhonorar" noch der Forderung einer Kompromisslösung in Form einer "producers fee" nachgeben wollten. Verhandlungsziel war (und ist) immer für die AG DOK die nachhaltige materielle Verbessserung der unabhängigen dokumentarischen Fernsehproduktion, denn die überwiegende Anzahl der Produktionen ist chronisch unterfinanziert, weil sich die Independent Filmemacher und Produzenten den unrealistischen und praxisfremden Vorgaben der sendereignen Kalkulationsrahmen unterwerfen sollen.

Politiker wollen sich mit digitalen Verwertungsrechten bei TV-Sendern befassen.
Nachdem bis heute eine 2008 verabschiedete Protokollerklärung der Ministerpräsidenten-Konferenz, die den öffentlich-rechtlichen Sendern „ausgewogene Vertragsbedingungen und eine faire Aufteilung der Verwertungsrechte“ abverlangt, nicht in die Praxis umgesetzt worden ist, verspricht Björn Böhning, Chef der Berliner Senatskanzlei, eine politische Initiative:

"Für die digitale Welt ist das, was bisher vereinbart wurde, noch nicht genug. Wir brauchen neue Vertragskonditionen und Geschäftsmodelle, die es möglich machen, Programme gemeinsam über Internetplattformen auszuwerten.

Böhning kündigte an, dass sich die Film- und Rundfunkreferenten der Länder nach der Sommerpause mit diesem Thema befassen werden.

"Anscheinend bedarf es bei diesen erkennbar verhärteten Positionen tatsächlich einer Moderation. Denn sicher ist, dass die Sender nicht ohne die unabhängige Produzentenschaft, die Produzenten aber auch nicht ohne die Aufträge der Sender auskommen können", so Björn Böhning, SPD, Chef der Berliner Senatskanzlei.

"Zudem passt der Piraterie-Vorwurf der AG DOK gegen ARD und ZDF gut ins Bild der aktuellen Diskussion um ein modernes Urheberrecht. Klar ist, es muss einen fairen Ausgleich der Interessen vom Urheber über die Verwerter bis zum Konsumenten geben, das bisher nicht gewährleistet ist", so Böhning weiter.

Weitere Informationen unter www.agdok.de
Quellen: AG DOK | Blickpunkt Film | filmecho


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