Skip to content

VDFK Konferenz 2024 - Filmemachen um jeden Preis? – Kino, Kritik, Klimakrise

Erneut zeigt die Woche der Kritik im Rahmen ihrer Konferenz zur 74. Berlinale 2024 eine Auswahl internationaler Filme, die Anstoß geben zu Debatte, Kontroverse, lustvollem Streit.



Heutige Gesellschaften müssen sich angesichts des menschengemachten Klimawandels dringend verändern – die Film- und Festivalwelt ist da keine Ausnahme. Welchen Einfluss Filmschaffende, Kritiker*innen und Aktivist*innen auf die nötigen Veränderungen nehmen können und sollten, debattieren wir zum Auftakt der Woche der Kritik 2024: Wie kann die Kunstfreiheit mit Geboten der Nachhaltigkeit vereinbart werden? Wie industriell darf das Kino der Zukunft sein? Welche Routinen und Automatismen lähmen die Branche? Welche politischen Interventionen sind nötig und sinnvoll?

Einen Tag vor dem Beginn der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin diskutiert der Verband der Deutschen Filmkritik (VDFK) am 14. Februar 2024 in der Akademie der Künste am Pariser Platz mit den Filmproduzent*innen Ada Solomon, Fee Buck und Cassandre Warnauts, begleitet von Vorträgen des Filmemachers und Kulturtheoretikers Manthia Diawara sowie des Kunsthistorikers und Kulturkritikers T. J. Demos, wie die Klimakrise die Arbeit an der Herstellung von Filmen aktuell beeinflusst, welche persönlichen Maßstäbe Produzent*innen nach den Entwicklungen der letzten Jahre an ihre Arbeit anlegen und wie sie sich die Zukunft der Filmproduktion vorstellen.



Am 16. Februar 2024 folgt im Hackesche Höfe Kino Berlin ein von T. J. Demos (Professor für Kunstgeschichte und visuelle Kultur an der University of California, Santa Cruz, Gründer und Leiter des dort angesiedelten Center for Creative Ecologies) kuratiertes Filmprogramm zu künstlerischen Reaktionen auf ökologische und politische Entwicklungen. Dazu diskutiert der VDFK mit internationalen Gästen, mit welchen Bildern und Strategien die Filmkunst sich angesichts der Klimakrise, aktueller geopolitischer Veränderungen sowie sich wandelnder, zunehmend digitaler Vertriebsformen behaupten kann.

Erste Filme stehen fest:

Weil der deutsche Staat versagt hat, leben zahlreiche Menschen außerhalb der Gesellschaft im Wald: Sichtlich inspiriert von den Klima-Aktivist*innen, die seit 2012 in regelmäßigen Abständen den Hambacher Forst besetzen und ihre zivile Identität als Teil ihres Aktivismus ablegen, dringt der Videokünstler Omer Fast (Continuity, Remainder) in seinem dritten Langfilm "Abendland" in surreale Gefilde vor.

Western war gestern! In selbstbewusster Auflehnung gegen das schnörkellose Unterhaltungskino präsentieren sich Clara Winter, Miiel Ferráez und Megan Marsh mit ihrem Langfilmdebüt "Wikiriders" in einem ironischen Road Movie: Während ihre Alter-Egos Texas und Mexiko durchqueren, sind sie auf der Suche nach dem Erbe des Kolonialismus. Dieser erscheint ihnen in Gestalt einer einflussreichen Adelsfamilie – viel lebendiger, als es ihnen lieb ist.

Auch in "Nocturne for a Forest" von Catarina Vasconcelos (The Metamorphosis of Birds) leben die Totgeglaubten weiter: Die Regisseurin lässt Geister von portugiesischen Frauen sprechen, die durch die dortige Kirche lange gesellschaftlich unterdrückt wurden – allen voran die wichtige Malerin Josefa de Óbidos, deren Gemälde Sagrada Familia ins Zentrum einer übernatürlichen Betrachtung rückt.

Der Abend wird eröffnet von Natalia del Mar Kašik, die in "Pistoleras" zum Duell der Blicke aufruft. Ein Film, der schneller vorbeihuscht als ein Schatten.

"Dreams About Putin" basiert auf Träumen über Wladimir Putin, die viele Menschen seit Beginn des russischen Angriffskriegs in Textform im Internet veröffentlicht haben. Nastia Korkia und Vlad Fishez haben aus unterschiedlichen Traumprotokollen sowie Archivaufnahmen Putins einen Trip in das Unterbewusstsein der Gegenwart montiert. Durch computergenerierte Bilder kommentieren die im Exil lebenden Filmemacher*innen auf besonders eindrückliche Weise die realen Verhältnisse und stellen sich der Unmöglichkeit, im heutigen Russland kritische Filme zu drehen.

Was geschieht, wenn die Kunst letztlich doch an politischen Verhältnissen zerbricht? Das beschäftigt Zhenming Guo in seinem Langfilmdebüt "Tedious Days and Nights". Er porträtiert eine Gruppe von chinesischen Künstlern, Widerständlern und Aussteiger*innen um den Dichter Dekuang Zeng, deren Leben und Wirken von der traumatischen Erinnerung an das Tian’anmen-Massaker und von der Frustration über die gesellschaftlichen Zwänge in der Parteidiktatur geprägt sind. In den Ruinen eines ehemaligen Kohleabbaugebiets verhallen ihre großen Widerstandsgesten gemeinsam mit ihrer Melancholie und ihren derben Sprüchen – nicht jedoch im Kino, wo Guos halbfiktionales Filmgedicht eine eigentümliche Kraft entwickelt.

Das umfangreiche Filmprogramm wird noch ergänzt und findet vom 15. - 22. Februar 2024 im Hackesche Höfe Kino statt.


Am 17. Februar 2024 leitet T. J. Demos außerdem einen vertiefenden Workshop zu der Rolle von Film als kritischer Intervention und zu künstlerischen Methoden, die auf die Klimakrise reagieren.

„Deutschland entscheidet, erst 2038 aus der Kohle auszusteigen – und es ist nicht wochenlang ein Skandal. Die EU beschließt ein riesiges Corona-Finanzpaket – und Journalist:innen berichten darüber fast ausschließlich als historische Meisterleistung. Forscher*innen diskutieren tagelang öffentlich, ob der Grönländische Eisschild nun unaufhaltsam schmilzt – und daraus wird in den meisten Fällen nicht mehr als eine Meldung. Das zeigt: Auch viele Journalist*innen scheinen noch immer nicht verstanden zu haben, wie ernst die Klimakrise ist und an was für einem historisch entscheidenden Punkt wir gerade stehen.“


Vor drei Jahren rief die Journalistin Sara Schurmann (Netzwerk Klimajournalismus Deutschland) in einem offenen Brief an die deutsche Presse dazu auf, Klimagerechtigkeit ausdrücklich zum Thema gesellschaftspolitischer Berichterstattung zu machen. Seither hat sich die Situation verschärft. Der Klimawandel zwingt weiterhin alle gesellschaftlichen Bereiche dazu, (selbst-)kritisch den Umgang mit Konsum, Produktion und Expansion zu hinterfragen. In den letzten Jahren haben öffentliche Diskussionen, politische Maßnahmenkataloge und der anhaltende Aktivismus einzelner Filmschaffender zum Umdenken bei Firmen, Sendern und Förderinstitutionen beigetragen. Mittlerweile wurden für die Filmbranche zahlreiche Lösungsmodelle erarbeitet.

Wir wollen Bilanz ziehen über bisherige Entwicklungen in verschiedenen Ländern und die Produktionsrealitäten von Firmen und Produzent*innen beleuchten, die mit ihren Filmen das internationale Festivalgeschehen prägen. Aktuelle Fragen nach einem klimagerechten Kino wollen wir hierbei nicht nur an die Filmbranche stellen, sondern auch an uns selbst, an die Filmkritik. Wie muss sich die Filmkultur angesichts sich erschöpfender planetarer Ressourcen wandeln? Gibt es ein grünes Kino jenseits von Greenwashing? Tragen Festivals und die Filmkritik mit ihrer starken Fokussierung auf aktuelle Produktionen zu einem klimaschädlichen Innovationsdruck bei? Wie können Kulturschaffende und Kritiker*innen durch ihre mediale Sichtbarkeit zur Klimadebatte beitragen? Sollte die Politik entschiedener Filme stärken, die in kleinerem Maßstab und dadurch ressourcenschonender realisiert werden? Filmschaffende und die Kritik müssen sich positionieren und auf neue Weise Verantwortung für die eigene Arbeit übernehmen.

Im Rahmen unseres Themenschwerpunkts Filmemachen um jeden Preis? – Kino, Kritik, Klimakrise will der VDFK nicht zuletzt Perspektiven von Klima-Aktivist*innen und Vordenker*innen der Klimabewegung in die Filmkultur tragen, um mit unseren Gästen die Gegenwart und Zukunft des Kinos zu befragen. Wir wollen damit betonen, dass öffentliche Diskussionen zur Thematik unverzichtbar bleiben. Denn bei der „Jahrhundertaufgabe“, den menschengemachten Klimawandel zu bremsen, sind einfache und kurzfristige Lösungen nicht zu erwarten.

Über die Woche der Kritik:

Die Woche der Kritik ist eine Veranstaltung des Verbands der deutschen Filmkritik, gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds, die Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst und die Rudolf Augstein Stiftung. Die Eröffnungskonferenz findet in Kooperation mit der Sektion Film- und Medienkunst der Akademie der Künste statt.

Links: wochederkritik.de/.../konferenz-2024/ | www.vdfk.de | www.adk.de/.../wochederkritik/

Anzeige