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Neu angelaufen im Kino in der 48 KW 2024

EMILIA PÉREZ ein Musical über einen berüchtigten Drogenboss, der als Frau für immer untertauchen will. | DAS MEER IST DER HIMMEL über einen Migranten aus Albanien, der seinen Großvater in der Heimat beerdigen soll | und VENA über eine Drogensüchtige, die trotz Schwangerschaft in den Strafvollzug muss, sind die interessantesten Werke, die wir zum gestrigen Kinostart empfehlen möchten.



"VENA" Drama von Chiara Fleischhacker (Deutschland, 2024; 115 Min.) Mit Emma Nova, Paul Wollin, Friederike Becht u.a. seit 28. November 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Jenny (Emma Drogunova) würde den Brief, den sie vom Amt erhält, sicherlich gerne verschwinden lassen. Aber es gibt Probleme im Leben, denen man nicht ausweichen kann, denen man sich stellen muss. Jenny erhält einen Aufruf zum Haftantritt und jetzt hat sie noch zwei Wochen Zeit, ihre Angelegenheiten zu regeln.

Die Debütregisseurin Chiara Fleischhacker zeigt in ihrer Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg, den sie in Ko-Produktion mit dem SWR und dem Hessischen Rundfunk realisieren konnte, eine präzise Milieustudie, die sich ganz auf die Hauptfigur einer jungen Frau konzentriert, die im Kampf mit ihrer Sucht steht, die lernen muss, sich selbst anzunehmen und wertzuschätzen, die aber auch im schier ausweglosen Kampf gegen ein System steht, das ihr keine Chancen lässt.

Chiara Fleischhacker führt Jenny in ihrem Umfeld ein. Vermeintliche Freunde feiern ihren 30-jährigen Geburtstag. Das Leben tritt für viele in einen Wandel ein. Sie verbringt einen Nachmittag mit ihrem 6-jährigen Sohn, der in Kürze eingeschult wird. Süßigkeiten ohne Ende für das Kind. Aber am Ende des Tages kommt der Junge zu seiner Großmutter, die ihn faktisch aufzieht. Jenny konnte diese Verantwortung nicht übernehmen und kann es immer noch nicht.

Und jetzt ist sie wieder schwanger. Sie ist schwanger, muss von den Drogen los, muss in den Knast. Ihr Freund Bolle (Paul Wollin) ist ihr wahrlich keine Hilfe. Erst die Hebamme Marla (Friederike Becht), zu der sie von ihrer Ärztin verwiesen wird, ist eine Person, auf deren Hilfe sie angewiesen ist, sondern zu der sie Vertrauen fassen kann. Marla, die tief in ihrem eigenen Chaos steckt und eine Helfende ist, die schwer Nein sagen kann und sich vielleicht zu wenig abzugrenzen weiß, sieht Jenny in ihrem wahren Wesen und begegnet ihr auch so. Zum ersten Mal ist da jemand, der Jenny nicht bewertet, sie nicht beurteilt und nicht per se ablehnt.

Das Publikum muss sich auf Jenny einlassen. Von ihrer Vorgeschichte, ihrem Umfeld und den Gründen, die sie nun in den Strafvollzug bringen werden, erfährt es praktisch nichts. Es kann Jenny natürlich anhand ihres Auftretens und ihrer Beziehung bewerten. So wie das wohl viele tun. Es kann aber auch in sie hineinhorchen und die Frau und Mutter und zukünftige Mutter erspüren, die in ihr steckt und die sich entwickeln kann. Wenn ihr nicht noch mehr Hürden auferlegt würden. Die Handlung setzt auf den Verlauf ihrer Bemühungen, auf ihre Abgrenzung von ihr schädlichen Einflüssen, auf ihr langsam aufkeimendes Selbstvertrauen. Je mehr sie sich selbst findet, auch durch ihre aufkeimende Freundschaft zu Marla, desto mehr Hoffnung gewinnt sie. Auch das Publikum spürt diese Hoffnung. Mehr soll gar nicht verraten werden.

Mag "Vena" auch hier und dort die Qualitäten eines Erstlingswerkes aufweisen, so sticht die exzellente Schauspielführung heraus. Emma Drogunova (auch Emma Nova genannt) trägt den Film und bald kann man kaum mehr von ihrer Entwicklung unbeeinflusst bleiben. Chiara Fleischhacker schenkt uns aber keine falschen Auflösungen. Im Gegenteil. Die grafische Art, in der Fleischhacker, die Dokumentarregie studiert hat, ihre zärtliche Coming-of-Age-Geschichte in einer dokumentarischen Darstellung vom Werden kumuliert, mag sogar verstören. Der Schmerz, der Leben schenkt, lässt Jenny reifen. Das System dagegen bewegt sich nicht. Das auszuhalten ist noch einmal ein ganz anderer Schmerz, der der Figur und auch dem Publikum nicht geschenkt wird.

Für das Drehbuch hat die Regisseurin zuerst den Caligari Förderpreis gewonnen und in Folge gewann sie auch den Thomas Strittmatter Drehbuchpreis. "Vena" wurde dieses Jahr auf dem Filmfest in Hamburg aufgeführt. Das Produzententeam von Dietmar Güntsche, Martin Rohé und Svenja Vanhoefer gewann dort den Preis für die beste deutsche Kinoproduktion. Beim First Steps-Award gewann Chiara Fleischhacker den Preis für den besten abendfüllenden Spielfilm und ihre Kamerafrau Lisa Jilg den Michael-Ballhaus-Preis.

"Vena", der Titel wird sich erklären, verortet seine Hauptfigur zwischen den Zwängen ihrer Realität und ihren Träumen, die sie sich bewahrt. Ihre Reise ist eine in Etappen, von Entscheidung zu Entscheidung. Einfach macht es der Film weder ihr noch dem Publikum. Trotzdem oder gerade deswegen ist "Vena" eine echte Entdeckung.

Elisabeth Nagy


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"DAS MEER IST DER HIMMEL" Drama von Enkelejd Lluca (Hochschule Darmstadt) auf der Suche nach den eigenen Wurzeln, das auch unter den Titeln "Die Asche meines Großvaters" und "The Sea Is Heaven" bekannt ist. (Deutschland, 2024; 113 Min.) Mit Blerim Destani, Ariana Gansuh, Gëzim Rudi u.a. seit 28. November 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Der Frankfurter Regisseur Enkelejd Lluca präsentierte die Weltpremiere seines neuen Werkes vor wenigen Tagen im Frankfurter Cinema am Roßmarkt. Die Idee zu seinem zweiten Langfilm: „Das Meer ist der Himmel“ hatte der aus Albanien stammende Regisseur und Produzent bereits 2018. Ein Jahr später reiste er in seine Heimat Albanien, die er im Alter von fünf Jahren verlassen musste, um sie für sich neu zu entdecken sowie neu kennen und lieben zu lernen.

Auch der Hauptdarsteller seines Roadmovies, Blerim Destani, hat albanische Wurzeln, weshalb die Ausstrahlung seiner Rolle als fieser Eintreiber von ausstehenden Mieten einer zwielichtigen Immobilienfirma in Frankfurt/Main sehr authentisch wirkt. Ein Ruf aus der fernen Heimat weist er ebenfalls zunächst mürrisch ab, um sich dann doch noch auf eine abenteuerliche Reise zu begeben, denn sein Wunsch nach der Wahrheit seiner Flucht, die Konfrontation mit seiner Vergangenheit und seinem Geburtsland lassen ihn nicht los.

Kaum in Albanien angekommen, verstirbt sein Großvater. Dessen letzten Willen muss er nun laut Familienbeschluss alleine ausführen und gerät dabei in skurrile Situationen am laufenden Band. Mit der Urne des Großvaters muss er das ganze Land durchqueren, um die Asche ins Meer zu streuen. Auf seiner Fahrt begegnet er den unterschiedlichsten Menschen. Sogar eine aus Deutschland stammende Fotojournalistin lernt kennen und schätzen.

W.F.


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"EMILIA PÉREZ" eine Musical-Kriminalkomödie von Jacques Audiard (Frankreich / Belgien, 2024; 132 Min.), die in Mexiko spielt und als französischer Kandidat für den sogenannten „Auslandsoscar“ 2025 nominiert wurde. Der Film mit Zoe Saldana, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez u.v.a. feierte seine Weltpremiere beim 77. Festival de Cannes und ist bei uns in Deutschland seit 28. November 2024 im Kino zu sehen. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Filme wie das Musical "Emilia Pérez", das eigentlich nur auf der großen Kinoleinwand mit Dolby-Atmos-Surround-Sound gut zur Geltung kommt, ist jedoch für den Streamingdienst Netflix produziert worden und wird deshalb nur für kurze Zeit bei uns im Kino zu sehen sein.

Jüngere Zuschauer*innen wird vor allem Selena Gomez, die ehemalige Freundin von Justin Bieber ins Kino locken. Sie spielt eine der drei Frauen, die im Leben des berüchtigten mexikanischen Gangsterbosses Juan Del Monte eine wichtige Rolle spielen. Dieser will sich aus dem Drogengeschäft zurückziehen und für immer aus der Öffentlichkeit verschwinden. Sein Plan ist heikel. Er will sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen, um auch äußerlich zu der Frau zu werden, die er innerlich schon immer war: Emilia Pérez.

Nun sind solche Operationen nicht gerade ideal für ein Musical geeignet, weshalb es lange Strecken im Film ohne Musik gibt. Auch mit der durchaus einprägsamen Titelmusik schafft das Werk nicht, die großen Vorbilder wie z.B. "West Side Story" zu erreichen. Regisseur Jacques Audiard schrieb nämlich das Stück, das lose auf dem Roman Écoute von Boris Razon basiert, ursprünglich als Oper, um es in vier Akten auf die Bühne zu bringen. Eines der Kapitel handelt von einem Polizisten in einem Abhörfahrzeug die Titelfigur "Emilia Pérez" ins Spiel brachte.

Sehenswert ist der Film dennoch. Immerhin gewann er in Cannes den Preis der Jury und wurde unter allen Darstellerinnen der Wettbewerbsfilme als bestes weibliches Ensemble ausgezeichnet.

W.F.


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