61. Theatertreffen Berlin sowie Filmkritik über die Ruhrgebiets-Doku: "Vom Ende eines Zeitalters"
Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele, der BÜHNE FÜR NEWCOMER, mit Aufklärungsstück der Salzburger Festspiele.

Lessings "Nathan der Weise" hat das Theatertreffen in Berlin am gestrigen Donnerstag, den 2. Mai 2024 eröffnet.
Der Appell für Toleranz, gegenseitiges Verständnis und friedliches Zusammenleben statt Spaltung sei in diesem so wichtigen Stück der Aufklärung von erschreckender Aktualität, so Kulturstaatsministerin Claudia Roth.
Der deutsche Regisseur Ulrich Rasche hatte den Klassiker für die Salzburger Festspiele neu inszeniert. Das Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele zählt zu den großen Bühnenfestivals im deutschsprachigen Raum. Eine Jury lädt jährlich zehn aus ihrer Sicht bemerkenswerte Inszenierungen ein.

Wie immer begleitet der Kultursender 3sat das Theatertreffen mit drei starken Stücken in seinem TV-Programm oder diesmal sogar vorab in der 3sat Mediathek mit dem Eröffnungsstück von der Berliner Schaubühne: "Bucket List" über posttraumatische Belastungsstörungen in Form eines Musicals.
Das zweite Stück wird diesmal vom ZDF ausgestrahlt, steht aber dennoch in der gemeinsamen Mediathek mit 3sat vorab im Stream zur Verfügung. Es geht um den Feldherrn "Macbeth", der siegreich nach der Schlacht nach Hause zurückkehrt und drei Hexen begegnet, deren Weissagung sich als Fluch herausstellen.
Auch das dritte Stück ist ein Klassiker. Die Geschichte des unglückseligen Ödipus, der seinen Vater ermordet und die eigene Mutter heiratet, gehört zu den bekanntesten antiken Mythen. Doch was geschah davor? Das erzählt "Laios".
Der mit 10.000 Euro dotierte 3sat-Preis geht beim diesjährigen 61. Berliner Theatertreffen an die kollektive Autor*innenschaft von "Die Hundekot-Attacke" am Theaterhaus Jena. Das Stück ist allerdings nur auf der Bühne erlebbar und nicht in der Mediathek.
Link: www.3sat.de/.../theatertreffen
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Weil am gestrigen Donnerstag nicht nur das Theatertreffen begann, sondern wie immer auch neue Filme im Kino anliefen, wollen wir insbesondere auf ein Werk hinweisen, das schon letzte Woche im Ruhrgebiet seine Kinopremiere feierte, in Berlin aber erst seit gestern ausschließlich im fsk Kino in Kreuzberg zu sehen ist und wunderbar zum aktuell kuratierten Programm »Working Class Heroes« der Deutschen Kinemathek Berlin - Museum für Film und Fernsehen passt. Dazu mehr Infos weiter unten.
"VOM ENDE EINES ZEITALTERS" Die vielschichtige Dokumentation von Christoph Hübner & Gabriele Voss begleitet eine Arbeitersiedlung in Bottrop nach dem Ende der Steinkohleförderung und der Schließung ihrer Zeche. (Deutschland , 2023; 155 Minuten) vereinzelt seit 25. April 2024 im Kino. Hier der Trailer:

Das kuratierte Programm »Working Class Heroes« (engl. UT) steht seit 1. Mai 2024 drei Monate lang kostenfrei auf der Website der Deutschen Kinemathek zur Verfügung. Der Titel ist Programm der achten Ausgabe von »Selects«. Neun Filme aus drei Jahrzehnten und unterschiedlichen Genres erzählen von Arbeitern, den »Working Class Heroes«.
Die Arbeiterschaft war seit Beginn der Filmgeschichte Thema und Motiv. Schon in einem der ersten Filme nehmen die Lumière-Brüder 1895 Fabrikarbeiter*innen in den Fokus. Fast 130 Jahre später ist das Thema immer noch aktuell. In neun ausgewählten Filmen aus mehreren Jahrzehnten blicken wir auf die individuellen Lebensrealitäten. Die Lohnarbeit, so zeigen es uns die porträtierten Held*innen, ist eine laute, körperlich schwere und zeitverschlingende Tätigkeit. Sie ermöglicht auch die Entwicklung des Einzelnen in Abgrenzung zur werktätigen Masse oder als Teil von ihr. Arbeit kann identitätsstiftend sein: ein Ort, an dem Freundschaften und Solidarität entstehen, sich ein Klassenbewusstsein herausbildet, das den Blick für soziale Ungerechtigkeiten schärft und bessere Verhältnisse einfordert.
DIE FILME:
"Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?"
D 1932, Regie: Slatan Dudow, 71 min, engl. UT
Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter, Adolf Fischer, Lilli Schoenborn und Max Sablotzki
Ein Klassiker des proletarischen Films und Solidaritätsaufruf an die Arbeiterschaft, aktiv die Welt zu gestalten und zu verändern. Unter der Regie von Slatan Dudow und nach einem Drehbuch von Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt wird in kontrastreicher Bild-Ton-Montage –mit Musik von Hanns Eisler– exemplarisch die Geschichte einer Berliner Arbeiterfamilie Anfang der 1930er-Jahre erzählt. Geprägt durch Arbeitslosigkeit und soziale Not ziehen Vater Bönike, seine Frau sowie Tochter Anni und ihr Freund Fritz in die Gartenkolonie »Kuhle Wampe«. Während die Eltern die Verhältnisse hinnehmen, beginnt Anni sich politisch zu engagieren und mit ihren Freund*innen der kommunistischen Jugend aktiv gesellschaftliche Veränderungen einzufordern.
Der Film wurde 2020 von der Deutschen Kinemathek aufwendig restauriert und digitalisiert.
"Rheinstrom"
BRD 1966, Regie: Peter Nestler, 13 min, engl. UT
In diesem Kurz-Essay nähert sich Dokumentarist Peter Nestler dem Rhein aus dem Blickwinkel der Arbeiter. Er beobachtet Weinbauer und Rheinschiffer bei ihrer Tätigkeit, filmt Gesichter, Hände und Körper, die immer in Bewegung sind. Schwere Arbeit als Grundlage für den Müßiggang, so fängt die Kamera auch das Freizeitvergnügen beim Weinfest oder auf Bootsfahrten ein. Und die Arbeiter? Sie stehen am Ende des Tages vor einem Tresen in der Kneipe und blicken mit Gesichtern in die Kamera, deren Furchen vom harten Alltag erzählen.
"Berlin um die Ecke"
DDR 1965/87, Regie: Gerhard Klein, 86 min, engl. UT
Dieter Mann, Monika Gabriel, Erwin Geschonneck, Hans Hardt-Hardtloff, Kaspar Eichel und Kurt Böwe.
Die Freunde Olaf und Horst arbeiten in der Jugendbrigade eines Metallbetriebs. Zwischen Planerfüllung und Mangelwirtschaft ist die Unzufriedenheit groß. Die älteren Arbeiter haben dafür kein Gehör und auch kein Verständnis. Ihnen fehlt das Vertrauen in die neue Generation. So kommt es immer wieder zu lebhaften Auseinandersetzungen. Erst die Bekanntschaft Olafs mit dem älteren Arbeiter Paul führt zu einer langsamen Annäherung. Episodenhaft erzählt und an Berliner Originalschauplätzen gedreht, sorgen vor allem Wolfgang Kohlhaases pointierte Dialoge für ein authentisches Generationenporträt, in dem die propagierte Einheit der Arbeiterschaft ebenso wie die sozialistischen Losungen im realen Arbeitsalltag als leere Worthülsen entlarvt werden.
"Für Frauen, 1. Kapitel"
BRD 1972, Regie: Cristina Perincioli, 29 min, engl. UT
Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, anzügliche Bemerkungen durch männliche Kollegen und kaum Chancen auf Beförderung: Vier Supermarkt-Mitarbeiterinnen haben genug von der täglichen Diskriminierung. Doch eine Revolution im Alleingang kann nur scheitern. Erst als alle vier sich solidarisieren und gemeinsam streiken, verändern sie etwas. Regisseurin Cristina Perincioli drehte und entwickelte die Geschichte ihres Abschlussfilms an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) gemeinsam mit Hausfrauen und Verkäuferinnen und lotete dabei die Möglichkeit von Veränderungen der Machtverhältnisse am Arbeitsplatz unterhaltsam aus.
"… sonst steht ja der Betrieb hier still"
BRD 1973, Regie: Jörg Gförer, Wolfgang Jung, Walter Krieg, 61 min, Deutsch ohne UT
Selbstbestimmung als Rettung vor der Arbeitslosigkeit: 1972 ersteigert in Franken die Belegschaft des insolventen Beton- und Kunststeinwerkes BEKU mithilfe von Fremdkapital den Konkursbetrieb. Vier Monate danach filmen drei dffb-Studenten dieses Experiment und stoßen auf Frustration, Hilflosigkeit und fehlende Solidarität unter den Beschäftigten. Vor allem die Interviews mit der Arbeiterin Rosa prägen sich ein. Stolz spricht sie von der schweren Arbeit, die sie immer noch schafft, und entlarvt mit scharfem Blick und lauter Stimme die absurden Forderungen und Fehlentscheidungen der Leitung.
"Martha"
DDR 1979, Regie: Jürgen Böttcher, 49 min, engl. UT
Martha, 68 Jahre, Trümmerfrau aus Berlin, steht tagein, tagaus im übergroßen Mantel am Fließband der Rummelsburger Kippe und sammelt dort den Müll aus den Schuttbergen. An ihren letzten Arbeitstagen lässt sie sich beim Sortieren am Band und später im Frühjahr noch einmal mit ihrer Brigade zum Abschied filmen. Der Ton ist rau und herzlich. Ohne viel Pathos erzählt sie vom Neubeginn im zerbombten Berlin, dem Aufbau mit bloßen Händen und der schweren physischen Arbeit ihr Lebenlang. Am Ende sitzt eine glückliche Arbeiterin vor der Kamera, die sich aufs »Ausruhen« freut.
"Lebens-Geschichte des Bergarbeiters Alphons S."
BRD 1979, Regie: Christoph Hübner, Gabriele Voss, 8 Folgen, 267 min
Bergarbeiter Alphons S. (1906–1979) erzählt offen und ungeschönt aus seinem Alltagsleben als Kind und Jugendlicher im Ruhrgebiet, als Landarbeiter, »Tippelbruder«, Anarchist und Linkssozialist in der Zeit von 1906 bis 1939. Das Porträt ist ein früher Höhepunkt filmischer »Oral History«, das deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive eines Arbeiters und klug reflektierenden Zeitzeugens erfahrbar macht.
"Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann"
DDR 1989, Regie: Helke Misselwitz, 53 min, engl. UT
Eine private Kohlehandlung mitten im Prenzlauer Berg: Die Chefin sitzt an einem runden Biertisch und stellt ihre siebenköpfige männliche Belegschaft herzlich und pointiert vor. Die Männer lachen. Dies ist nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch eine Gemeinschaft, auf die man sich verlassen kann. Schwer ist die Arbeit und wenig angesehen. Kohlenstaub fliegt durch die Luft, setzt sich im Gesicht und an den Händen fest. Tagtäglich liefern die Arbeiter die Kohlebriketts direkt in die Berliner Wohnungen. Regisseurin Helke Misselwitz gelingt eine Sozialstudie, die durch eine unaufdringliche Kamera und behutsame Fragestellungen hinter die raue Fassade der einzelnen Arbeiter blicken lässt.
"Du bist nicht allein"
D 2007, Regie: Bernd Böhlich, 97 min
Axel Prahl, Katharina Thalbach, Katerina Medvedeva, Herbert Knaup, Karoline Eichhorn, Mathieu Carrière und Jürgen Holtz
Arbeitslos und nun? Ein Plattenbau in Marzahn: Der arbeitslose Maler Hans Moll flieht aus seiner Lethargie, als eine schöne neue Nachbarin auftaucht. Seine Frau, ehemalige Wurstfachverkäuferin, bereitet sich derweil auf den vom Arbeitsamt versprochenen Karrieresprung durch einen neuen Job vor und verliert das Wesentliche aus den Augen. Auch die Mittelschicht bleibt von Krisen nicht verschont: Schauspielerin Sylvia Welk bekommt keine Hauptrollen mehr und hält sich als Synchronsprecherin über Wasser, während ihr Mann, ein arbeitsloser promovierter Physiker, untätig zuhause sitzt. Regisseur Bernd Böhlich zeigt in seiner Tragikomödie mit viel Sympathie für seine Protagonist*innen, was passiert, wenn gewohnte Lebenswege, vor allem beruflich, aber auch privat, zum Stillstand kommen.
Links: www.deutsche-kinemathek.de |
www.deutsche-kinemathek.de/.../online/streaming

Lessings "Nathan der Weise" hat das Theatertreffen in Berlin am gestrigen Donnerstag, den 2. Mai 2024 eröffnet.
Der Appell für Toleranz, gegenseitiges Verständnis und friedliches Zusammenleben statt Spaltung sei in diesem so wichtigen Stück der Aufklärung von erschreckender Aktualität, so Kulturstaatsministerin Claudia Roth.
Der deutsche Regisseur Ulrich Rasche hatte den Klassiker für die Salzburger Festspiele neu inszeniert. Das Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele zählt zu den großen Bühnenfestivals im deutschsprachigen Raum. Eine Jury lädt jährlich zehn aus ihrer Sicht bemerkenswerte Inszenierungen ein.

Wie immer begleitet der Kultursender 3sat das Theatertreffen mit drei starken Stücken in seinem TV-Programm oder diesmal sogar vorab in der 3sat Mediathek mit dem Eröffnungsstück von der Berliner Schaubühne: "Bucket List" über posttraumatische Belastungsstörungen in Form eines Musicals.
Das zweite Stück wird diesmal vom ZDF ausgestrahlt, steht aber dennoch in der gemeinsamen Mediathek mit 3sat vorab im Stream zur Verfügung. Es geht um den Feldherrn "Macbeth", der siegreich nach der Schlacht nach Hause zurückkehrt und drei Hexen begegnet, deren Weissagung sich als Fluch herausstellen.
Auch das dritte Stück ist ein Klassiker. Die Geschichte des unglückseligen Ödipus, der seinen Vater ermordet und die eigene Mutter heiratet, gehört zu den bekanntesten antiken Mythen. Doch was geschah davor? Das erzählt "Laios".
Der mit 10.000 Euro dotierte 3sat-Preis geht beim diesjährigen 61. Berliner Theatertreffen an die kollektive Autor*innenschaft von "Die Hundekot-Attacke" am Theaterhaus Jena. Das Stück ist allerdings nur auf der Bühne erlebbar und nicht in der Mediathek.
Link: www.3sat.de/.../theatertreffen
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Weil am gestrigen Donnerstag nicht nur das Theatertreffen begann, sondern wie immer auch neue Filme im Kino anliefen, wollen wir insbesondere auf ein Werk hinweisen, das schon letzte Woche im Ruhrgebiet seine Kinopremiere feierte, in Berlin aber erst seit gestern ausschließlich im fsk Kino in Kreuzberg zu sehen ist und wunderbar zum aktuell kuratierten Programm »Working Class Heroes« der Deutschen Kinemathek Berlin - Museum für Film und Fernsehen passt. Dazu mehr Infos weiter unten.
"VOM ENDE EINES ZEITALTERS" Die vielschichtige Dokumentation von Christoph Hübner & Gabriele Voss begleitet eine Arbeitersiedlung in Bottrop nach dem Ende der Steinkohleförderung und der Schließung ihrer Zeche. (Deutschland , 2023; 155 Minuten) vereinzelt seit 25. April 2024 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Ruhrgebiet. Bergbau-Gebiet. Der Kohleabbau prägte die Region und die, die hier lebten und arbeiteten. Über 40 Jahre lang haben die Filmemacher Christoph Hübner und Gabriele Voss sozusagen Land und Leute begleitet.
Immer schon war das Thema Strukturwandel im Vordergrund. Die damals jungen Chronisten zogen 1979 in eine Zechensiedlung, um mit der Kamera nicht immer wieder disruptiv zu kommen und zu gehen, sondern um inklusiv immer nahe dran zu sein. Ein paar Jahre blieben sie vor Ort. In den 90ern kehrten sie zurück. Dabei waren ihnen auch immer Einzelschicksale wichtig. Geschichte, Zeitgeschichte, Lokalgeschichte, diese fügt sich eben aus vielen Geschichten zusammen.
Aus diesem Fundus bedient sich auch "Vom Ende eines Zeitalters". Der Dokumentarfilm, der gerade im Kinoformat funktioniert, weil er das Publikum mit in das Geschehene und den Wandel hineinzieht. Dabei werden vielleicht nicht alle Ereignisse in diesen Jahren abgehandelt. Doch ein Gefühl für Zeit und Wandel überträgt sich auf die Zuschauenden. "Vom Ende eines Zeitalters" verbindet als Film Fragmente und Episoden. Oft gibt es ein Gefühl der Wehmut, aber dieser bleibt nicht ohne einen Blick in die Zukunft. Abschiedsschmerz und Hoffnung liegen in der Dramaturgie nahe beieinander.
Das Regie-Duo konzentriert sich auf Ebel. Ein Stadtteil von Bottrop. Einst als das "Tal der fliegenden Messer" verschrien. Auch im Ruhrgebiet gab es bessere und weniger geschätzte Wohnorte. Der Ort wurde im nördlichen Ruhrgebiet sozusagen auf grüner Wiese errichtet und wurde schnell von der Industrie umschlossen. Das Ruhrgebiet funktioniert durch den Zusammenhalt ihrer Bewohner. Tradition und Vereine hatten eine Funktion. Mit dem Wegfall der alten Arbeit müssen sich auch die Menschen neu orientieren. Mit der Modernisierung und Renaturierung wird der Ort aber auch attraktiver. Es ziehen Familien zu. Menschen, die mit der Geschichte des Ortes nichts verbindet. Der Zusammenhalt muss neu austariert werden. Auch das ist ein Prozess. Sicherlich.
Der Bergbau ist Geschichte. Die letzte Zeche, Prosper-Haniel in Bottrop, wurde 2018 geschlossen. Seit 1863 wurde hier Steinkohle gefördert. Einst arbeiteten etwas über 300 Leute vor Ort. Zum Schluss waren es 2600. Die Geschichte des Ruhrgebiets war auch immer eine Geschichte der Migration. Was die Menschen verband, war die Arbeit.
Mit der Kamera geht es noch einmal hinunter in einen Schacht. Es begann ein Rückbau. Eine Arbeit, die wichtig und schwierig ist, aber auch notwendig. Wir betrachten die Maschinen, die nach und nach auseinandergenommen werden. Bei diesem Ende gleich am Anfang endet die Chronik jedoch nicht. Es entsteht etwas Neues, weil etwas Neues entstehen muss. Und somit ist "Vom Ende eines Zeitalters" auch die Chronik eines Beginns und erzählt von einer neuen Nutzung. Räume werden zu Museen, Landschaften zu Parks. Das konstant abgepumpte Wasser lässt Seen entstehen. Gerne dürfen jetzt auch Touristen kommen.
Einer, der uns durch den Film begleitet, tut dies auch beruflich. Thomas Schwarzer arbeitet für die Stadt und ist quasi ein Touristenführer für das Postindustrielle. Damals, als die Kameras kamen, war er noch ein Kind. Damals reagierte er neugierig auf das Team, das alles filmte. Seit den 70ern bis in die 90er hinein entstand ein Zyklus an Dokumentationen. Erst vor wenigen Jahren wurde dieser ins Nationale Filmerbe der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen und in Folge mit der Unterstützung der Filmförderungsanstalt (FFA) auch digitalisiert. Für Interessierte: der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat die sieben Stunden Filmzeit unter dem Titel "Prosper/Ebel. Chronik einer Zeche und ihrer Siedlung (1979 - 1998)" hier auf sieben DVD's für 29,90 € zugänglich gemacht.
Christoph Hübner und Gabriele Voss zogen damals in eine Bergbauwohnung. Sie stimmten sich mit den Bewohnern ab. Hinterfragten dadurch auch immer wieder ihren dokumentarischen Ansatz. Auch dieses Suchen und sich Hinterfragen prägt jetzt diesen vielleicht vorläufigen Schlusspunkt.
Wir begegnen einem ehemaligen Bergarbeiter, der seine Kumpels überlebt hat. Betrachten Gräber, deren Liegezeit auch schon wieder abläuft. Es ist auch nicht schlimm, wenn nichts für die Ewigkeit gleichbleibt. Erinnerung sitzt im Herzen derer, die sich für sie interessieren. Wir begegnen aber auch einem Pfarrer, der seine Gemeinde in einen kleineren Raum umsiedeln muss. Weil sich auch die Rolle der Kirche geändert hat. Und auch der Sportplatz soll sich ändern. Heute ist Individualsport angesagt, der alte Fußballverein nicht mehr zeitgemäß. Melancholie und Empathie ist somit immer mit dabei.
Wer mehr von Christoph Hübner und Gabriele Voss sehen möchte, kann das ganz aktuell auf dem Online-Portal der Deutschen Kinemathek tun. Mit wechselndem Programm zeigt das Archiv seine Schätze frei zugänglich. Seit dem 1. Mai (und bis Ende Juli) geht es um "Working Class Heroes". Zu der aktuellen Auswahl gehört die achtteilige Dokumentation über die "Lebens-Geschichte des Bergarbeiters Alphons S.".
Elisabeth Nagy

Das kuratierte Programm »Working Class Heroes« (engl. UT) steht seit 1. Mai 2024 drei Monate lang kostenfrei auf der Website der Deutschen Kinemathek zur Verfügung. Der Titel ist Programm der achten Ausgabe von »Selects«. Neun Filme aus drei Jahrzehnten und unterschiedlichen Genres erzählen von Arbeitern, den »Working Class Heroes«.
Die Arbeiterschaft war seit Beginn der Filmgeschichte Thema und Motiv. Schon in einem der ersten Filme nehmen die Lumière-Brüder 1895 Fabrikarbeiter*innen in den Fokus. Fast 130 Jahre später ist das Thema immer noch aktuell. In neun ausgewählten Filmen aus mehreren Jahrzehnten blicken wir auf die individuellen Lebensrealitäten. Die Lohnarbeit, so zeigen es uns die porträtierten Held*innen, ist eine laute, körperlich schwere und zeitverschlingende Tätigkeit. Sie ermöglicht auch die Entwicklung des Einzelnen in Abgrenzung zur werktätigen Masse oder als Teil von ihr. Arbeit kann identitätsstiftend sein: ein Ort, an dem Freundschaften und Solidarität entstehen, sich ein Klassenbewusstsein herausbildet, das den Blick für soziale Ungerechtigkeiten schärft und bessere Verhältnisse einfordert.
DIE FILME:
"Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?"
D 1932, Regie: Slatan Dudow, 71 min, engl. UT
Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter, Adolf Fischer, Lilli Schoenborn und Max Sablotzki
Ein Klassiker des proletarischen Films und Solidaritätsaufruf an die Arbeiterschaft, aktiv die Welt zu gestalten und zu verändern. Unter der Regie von Slatan Dudow und nach einem Drehbuch von Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt wird in kontrastreicher Bild-Ton-Montage –mit Musik von Hanns Eisler– exemplarisch die Geschichte einer Berliner Arbeiterfamilie Anfang der 1930er-Jahre erzählt. Geprägt durch Arbeitslosigkeit und soziale Not ziehen Vater Bönike, seine Frau sowie Tochter Anni und ihr Freund Fritz in die Gartenkolonie »Kuhle Wampe«. Während die Eltern die Verhältnisse hinnehmen, beginnt Anni sich politisch zu engagieren und mit ihren Freund*innen der kommunistischen Jugend aktiv gesellschaftliche Veränderungen einzufordern.
Der Film wurde 2020 von der Deutschen Kinemathek aufwendig restauriert und digitalisiert.
"Rheinstrom"
BRD 1966, Regie: Peter Nestler, 13 min, engl. UT
In diesem Kurz-Essay nähert sich Dokumentarist Peter Nestler dem Rhein aus dem Blickwinkel der Arbeiter. Er beobachtet Weinbauer und Rheinschiffer bei ihrer Tätigkeit, filmt Gesichter, Hände und Körper, die immer in Bewegung sind. Schwere Arbeit als Grundlage für den Müßiggang, so fängt die Kamera auch das Freizeitvergnügen beim Weinfest oder auf Bootsfahrten ein. Und die Arbeiter? Sie stehen am Ende des Tages vor einem Tresen in der Kneipe und blicken mit Gesichtern in die Kamera, deren Furchen vom harten Alltag erzählen.
"Berlin um die Ecke"
DDR 1965/87, Regie: Gerhard Klein, 86 min, engl. UT
Dieter Mann, Monika Gabriel, Erwin Geschonneck, Hans Hardt-Hardtloff, Kaspar Eichel und Kurt Böwe.
Die Freunde Olaf und Horst arbeiten in der Jugendbrigade eines Metallbetriebs. Zwischen Planerfüllung und Mangelwirtschaft ist die Unzufriedenheit groß. Die älteren Arbeiter haben dafür kein Gehör und auch kein Verständnis. Ihnen fehlt das Vertrauen in die neue Generation. So kommt es immer wieder zu lebhaften Auseinandersetzungen. Erst die Bekanntschaft Olafs mit dem älteren Arbeiter Paul führt zu einer langsamen Annäherung. Episodenhaft erzählt und an Berliner Originalschauplätzen gedreht, sorgen vor allem Wolfgang Kohlhaases pointierte Dialoge für ein authentisches Generationenporträt, in dem die propagierte Einheit der Arbeiterschaft ebenso wie die sozialistischen Losungen im realen Arbeitsalltag als leere Worthülsen entlarvt werden.
"Für Frauen, 1. Kapitel"
BRD 1972, Regie: Cristina Perincioli, 29 min, engl. UT
Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, anzügliche Bemerkungen durch männliche Kollegen und kaum Chancen auf Beförderung: Vier Supermarkt-Mitarbeiterinnen haben genug von der täglichen Diskriminierung. Doch eine Revolution im Alleingang kann nur scheitern. Erst als alle vier sich solidarisieren und gemeinsam streiken, verändern sie etwas. Regisseurin Cristina Perincioli drehte und entwickelte die Geschichte ihres Abschlussfilms an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) gemeinsam mit Hausfrauen und Verkäuferinnen und lotete dabei die Möglichkeit von Veränderungen der Machtverhältnisse am Arbeitsplatz unterhaltsam aus.
"… sonst steht ja der Betrieb hier still"
BRD 1973, Regie: Jörg Gförer, Wolfgang Jung, Walter Krieg, 61 min, Deutsch ohne UT
Selbstbestimmung als Rettung vor der Arbeitslosigkeit: 1972 ersteigert in Franken die Belegschaft des insolventen Beton- und Kunststeinwerkes BEKU mithilfe von Fremdkapital den Konkursbetrieb. Vier Monate danach filmen drei dffb-Studenten dieses Experiment und stoßen auf Frustration, Hilflosigkeit und fehlende Solidarität unter den Beschäftigten. Vor allem die Interviews mit der Arbeiterin Rosa prägen sich ein. Stolz spricht sie von der schweren Arbeit, die sie immer noch schafft, und entlarvt mit scharfem Blick und lauter Stimme die absurden Forderungen und Fehlentscheidungen der Leitung.
"Martha"
DDR 1979, Regie: Jürgen Böttcher, 49 min, engl. UT
Martha, 68 Jahre, Trümmerfrau aus Berlin, steht tagein, tagaus im übergroßen Mantel am Fließband der Rummelsburger Kippe und sammelt dort den Müll aus den Schuttbergen. An ihren letzten Arbeitstagen lässt sie sich beim Sortieren am Band und später im Frühjahr noch einmal mit ihrer Brigade zum Abschied filmen. Der Ton ist rau und herzlich. Ohne viel Pathos erzählt sie vom Neubeginn im zerbombten Berlin, dem Aufbau mit bloßen Händen und der schweren physischen Arbeit ihr Lebenlang. Am Ende sitzt eine glückliche Arbeiterin vor der Kamera, die sich aufs »Ausruhen« freut.
"Lebens-Geschichte des Bergarbeiters Alphons S."
BRD 1979, Regie: Christoph Hübner, Gabriele Voss, 8 Folgen, 267 min
Bergarbeiter Alphons S. (1906–1979) erzählt offen und ungeschönt aus seinem Alltagsleben als Kind und Jugendlicher im Ruhrgebiet, als Landarbeiter, »Tippelbruder«, Anarchist und Linkssozialist in der Zeit von 1906 bis 1939. Das Porträt ist ein früher Höhepunkt filmischer »Oral History«, das deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive eines Arbeiters und klug reflektierenden Zeitzeugens erfahrbar macht.
"Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann"
DDR 1989, Regie: Helke Misselwitz, 53 min, engl. UT
Eine private Kohlehandlung mitten im Prenzlauer Berg: Die Chefin sitzt an einem runden Biertisch und stellt ihre siebenköpfige männliche Belegschaft herzlich und pointiert vor. Die Männer lachen. Dies ist nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch eine Gemeinschaft, auf die man sich verlassen kann. Schwer ist die Arbeit und wenig angesehen. Kohlenstaub fliegt durch die Luft, setzt sich im Gesicht und an den Händen fest. Tagtäglich liefern die Arbeiter die Kohlebriketts direkt in die Berliner Wohnungen. Regisseurin Helke Misselwitz gelingt eine Sozialstudie, die durch eine unaufdringliche Kamera und behutsame Fragestellungen hinter die raue Fassade der einzelnen Arbeiter blicken lässt.
"Du bist nicht allein"
D 2007, Regie: Bernd Böhlich, 97 min
Axel Prahl, Katharina Thalbach, Katerina Medvedeva, Herbert Knaup, Karoline Eichhorn, Mathieu Carrière und Jürgen Holtz
Arbeitslos und nun? Ein Plattenbau in Marzahn: Der arbeitslose Maler Hans Moll flieht aus seiner Lethargie, als eine schöne neue Nachbarin auftaucht. Seine Frau, ehemalige Wurstfachverkäuferin, bereitet sich derweil auf den vom Arbeitsamt versprochenen Karrieresprung durch einen neuen Job vor und verliert das Wesentliche aus den Augen. Auch die Mittelschicht bleibt von Krisen nicht verschont: Schauspielerin Sylvia Welk bekommt keine Hauptrollen mehr und hält sich als Synchronsprecherin über Wasser, während ihr Mann, ein arbeitsloser promovierter Physiker, untätig zuhause sitzt. Regisseur Bernd Böhlich zeigt in seiner Tragikomödie mit viel Sympathie für seine Protagonist*innen, was passiert, wenn gewohnte Lebenswege, vor allem beruflich, aber auch privat, zum Stillstand kommen.
Links: www.deutsche-kinemathek.de |
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