Unsere Filmbesprechungen zu Kinostarts in der 34. KW 2023
Filmkritiken zu: "LETZTER ABEND", "JEANNE DU BARRY", "THE INSPECTION" und "POLITE SOCIETY".
"LETZTER ABEND" preisgekrönter Debütfilm von Lukas Nathrath, der unter schwierigen Umständen 2020 während der Corona-Pandemie aufgenommen wurde und seine Premiere erst 2022 in Locarno feierte sowie im Januar 2023 auf dem Festival Max Ophüls Preis in Saarbrücken den Regiepreis gewann. (Deutschland 2022, 90 Min.) Mit Sebastian Jakob Doppelbauer, Julius Forster, Susanne Dorothea Schneider, Valentin Richter, Pauline Werner, Isabelle von Stauffenberg u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Verleih und Vertrieb: Filmwelt Verleihagentur GmbH. Hier der Trailer:
Zum bundesweiten Kinostart der Tragikomödie "LETZTER ABEND" geht Regisseur Lukas Nathrath zusammen mit dem Schauspielensemble auf eine umfassende Kinotour und wird auch in unserer Region Fragen des Publikums gern beantworten.
Freitag, 25. August 2023:
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"JEANNE DU BARRY - Die Favoritin des Königs" kostümgewaltiges Historiendrama von Maïwenn, das zur Eröffnung der Cannes Filmfestspiele gezeigt wurde und diejenigen erfreuen dürfte, die auch zur Berlinale an Frauke Finsterwalders "SISI & ICH" ihren Spaß hatten. (Frankreich / Belgien / Großbritannien, 2023, 117 Min.) Mit Maïwenn, Johnny Depp, Benjamin Lavernhe u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:
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"THE INSPECTION" US-Militär-Drama von Elegance Bratton um einen schwulen schwarzen Soldaten, der von seiner Mutter verstoßen wurde. (USA, 2022; 85 Min.) Mit Jeremy Pope, Gabrielle Union, Bokeem Woodbine u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:
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"POLITE SOCIETY" britische Coming-of-Age-Komödie der in Singapur geborenen pakistanischen Regisseurin Nida Manzoor mit turbulenten Martial-Arts-Einlagen. (Großbritannien, 2023; 96 Min.) Mit Priya Kansara, Ritu Arya, Seraphina Beh u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:
"LETZTER ABEND" preisgekrönter Debütfilm von Lukas Nathrath, der unter schwierigen Umständen 2020 während der Corona-Pandemie aufgenommen wurde und seine Premiere erst 2022 in Locarno feierte sowie im Januar 2023 auf dem Festival Max Ophüls Preis in Saarbrücken den Regiepreis gewann. (Deutschland 2022, 90 Min.) Mit Sebastian Jakob Doppelbauer, Julius Forster, Susanne Dorothea Schneider, Valentin Richter, Pauline Werner, Isabelle von Stauffenberg u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Verleih und Vertrieb: Filmwelt Verleihagentur GmbH. Hier der Trailer:
Zum bundesweiten Kinostart der Tragikomödie "LETZTER ABEND" geht Regisseur Lukas Nathrath zusammen mit dem Schauspielensemble auf eine umfassende Kinotour und wird auch in unserer Region Fragen des Publikums gern beantworten.
Freitag, 25. August 2023:
17:00 Uhr im Thalia Potsdam
19:00 Uhr im Moviemento, Berlin
20:30 Uhr im Kant Kino, Berlin
19:00 Uhr im Moviemento, Berlin
20:30 Uhr im Kant Kino, Berlin
Reginas Filmkritik:
Ein Debütfilm muss sitzen, das wissen Regiestudenten. Über das Sujet und die Machart macht man sich jahrelang Gedanken, schließlich kann der erste lange Kinofilm, falls gelungen, das Entree in die ersehnte Filmwelt bedeuten.
Wenn man als junger Filmemacher durch Corona gehandicapt ist, bedeutet das eine doppelte Herausforderung: wie kann ein überzeugendes Spielfilm-Debüt gelingen in einer Zeit von Personenbeschränkungen und einem Drehverbot in öffentlichen Räumen?
Genau in dieser Zeit hat der Regisseur Lukas Nathrath gemeinsam mit seinem Freund und Hauptdarsteller Sebastian Jakob Doppelbauer ein Skript entwickelt, das Corona trotzt: mit Dreharbeiten, die größtenteils in einem geschlossenen Raum stattfinden: ein Kammerspiel, ein Ensemblefilm. Finanziert mit niedrigem Budget durch lokale Spendengelder und aus Eigenmitteln der Klinkerfilm. Die Postproduktion erhielt dann Nachwuchsförderung der Media Talents Niedersachsen. Das war ein Wagnis und es war eine Herausforderung – es hat funktioniert.
Der Film handelt von einem jungen Paar, das kurz nach dem Corona Lockdown von Hannover nach Berlin ziehen will. Lisa hat als Neurologin ein verlockendes Jobangebot an der Charité und Clemens, als freiberuflicher Musiker, hofft in der Metropole auf bessere Startchancen. Am Abend vor dem Umzug laden die beiden ihre Freunde zu einem gemeinsamen Abschiedsessen ein in die schon fast leer geräumte Wohnung. LETZTER ABEND, ein in mehrfacher Hinsicht symbolischer Titel für diesen Film.
Vertraute, alte Freunde sagen kurzfristig ab oder kommen verspätet. Stattdessen tauchen nicht eingeladene Gäste auf, die Nachbarin von oben und eine Rucksacktouristin. Nach und nach gerät die Dinnerparty in Schieflage.
Zu seiner Inspiration, den Film zu machen sagt Lukas Nathrath:
„In den Filmen, die uns inspiriert haben, werden zwischenmenschliche Konflikte verhandelt, bis das zivilisierte Verhalten Risse bekommt und Alltagssituationen in teils bourgeoisen Milieus eskalieren: "ALLE ANDEREN" von Maren Ade, "WILD TALES" von Damián Szifron, "WOMAN UNDER THE INFLUENCE" von John Cassavetes, "FRANCES HA" von Noah Baumbach, "HUSBANDS AND WIVES" von Woody Allen und "FESTEN" von Thomas Vinterberg.“
Es ist die Authentizität der handelnden Personen, die diesen Film auszeichnet.
Improvisation, ob im Leben, oder bei der Vorbereitung der Abschiedsparty. Am Anfang sieht man Clemens mit seiner Gitarre. Er komponiert ein Liebeslied für Lisa, obwohl er eigentlich das Bücherregal ausräumen soll, denn der Umzug steht kurz bevor und die Gäste kommen. Die Lasagne müsste vorbereitet werden, doch eine Freundin erzählt Lisa von ihren Lebenskrisen. Nach dem Einkauf fällt Clemens im Hausflur eine Tüte zu Boden, eine Rucksacktouristin hilft ihm, die Scherben aufzusammeln. Sie wurde bei einem Treffen versetzt und will ihr Handy in der Wohnung von Lisa und Clemens aufladen. Dann verbrennt die Lasagne, Essen wird bestellt, ein gestresster Bote nimmt nur Bargeld. Inzwischen kommen die Freunde und die, die sich selbst eingeladen haben, die Nachbarin und die Rucksacktouristin.
Es brodelt unter der Oberfläche, auch bei dem scheinbar glücklichen Paar, das bald nach Berlin ziehen will. Clemens, als Musiker begabt, aber erfolglos, leidet unter depressiven Anfällen, die er allein im Badezimmer auslebt. Lisa ist die Erfolgreiche, die Verständnisvolle, sie trägt hauptsächlich zum gemeinsamen Einkommen bei. Doch unter ihrer Freundlichkeit lauert Enttäuschung und Aggressivität.
Als das Paar beginnt, unterschwellige Beziehungskonflikte über die neuen Gäste auszutragen, als aus Smalltalk Vorwürfe werden, Gesellschaftsspiele entgleisen und sich Konkurrenzkämpfe zuspitzen, steuert der Abend immer mehr auf einen emotionalen Crash zu: Lisas Halbbruder nennt Clemens einen „Psycho“, ein Ex-Kommilitone von Lisa macht sich schwer an Lisa heran – Ängste, Begierden, Sehnsüchte und Lebenslügen bei allen Gästen liegen offen zu Tage.
„Auslöser, diesen Film zu drehen, war nach Monaten der Pandemie-Isolation der Drang, unsere Eindrücke und Erfahrungen tragikomisch zu reflektieren und uns gemeinsam filmisch auszudrücken. Diese Energie hat sich auf die Figuren übertragen, die alle nach Abenteuern und Ablenkung gieren. Es sind Charaktere, die materiell nicht leiden, aber Angst haben, im Zeitalter der Instagram-Gesellschaft nicht zu genügen. Obwohl sie unglücklich oder einsam sind, meinen sie, fröhlich, stark und erfolgreich wirken zu müssen, was viel tragikomisches Potential für zwischenmenschliche „awkwardness“ und Abgründe bietet. Es fasziniert mich, Hoffnungen und Selbsttäuschungen darzustellen, die Menschen zum Überleben brauchen: Figuren, die versuchen, ihr Gesicht zu wahren, aber irgendwann die Fassung verlieren.“
Lukas Nathrath, Regisseur
Nathrath gelingt es, das Lebensgefühl junger Erwachsener authentisch einzufangen. Es sind die Wunden der sogenannten „Millennium Generation“ auch „Generation Y“ genannt, die Geburtsjahrgänge zwischen 1980 und dem beginnenden Jahrtausend. Junge Menschen geprägt durch die Krisen der Gegenwart wie Corona und dem Krieg in der Ukraine, aber auch existenziellen Einbrüchen in ihrer Jugend, wie dem Terroranschlag in New York, der Finanz – und Eurokurse. Eine Generation, die erfahren hat, dass nichts sicher und endgültig ist, die vieles nur theoretisch hinterfragt. Es wird gefrotzelt und diskutiert, doch der Wertekanon, ob politisch, kulturell oder im Privaten ist unsicher, man versucht sich zwischen Beziehung, Beruf und Zukunftsängsten zurechtzufinden.
Lukas Nathrath ist 1990 in München geboren, er kennt sich aus in seiner Generation. Bis 2019 studierte er Filmregie an der Hamburg Media School, konnte schon während der Studienzeit Erfolge vorweisen. Mit seinem Kurzfilm MIT IM BUND wurde er 2018 ins Next Generation Programm von German Films beim Cannes Film Festival eingeladen. Sein Abschlussfilm KIPPA erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Europäischen Civis Medienpreis und den Studio Hamburg Nachwuchspreis.
Im Sommer 2020 beginnen die Dreharbeiten zu "LETZTER ABEND" mit Akteuren vom Schauspielhaus Hannover. Die Drehzeit: 7 Tage!
„Die Rollen haben Sebastian Doppelbauer und ich in enger Absprache mit dem Schauspiel-Ensemble entwickelt und parallel dazu das Drehbuch geschrieben. Beim Drehen ging es mir immer darum, die Spielfreude und Fantasie der Darstellerinnen und Darsteller zu ermutigen. Die Gruppendynamik der Figuren war dabei sehr spannend, und der Dreh wurde zu einer intensiven, erfüllenden Zeit.”
Lukas Nathrath, Regisseur
Als der Film in der »First Look Sektion« des 75. Locarno Filmfestivals 2022 den Hauptpreis gewinnt, wird auch der Verleih Beta Cinema aufmerksam. "LETZTER ABEND" wurde daraufhin im Januar 2023 als einziger deutscher Beitrag im Hauptwettbewerb des 52. Internationalen Filmfestivals Rotterdam (IFFR) eingeladen und gewann kurz zuvor bei der 44. Ausgabe des Filmfestivals »Max Ophüls Preis« sogar den Preis für die beste Regie.
"LETZTER ABEND" – eine schräge Komödie oder eher ein Drama? Für mich eine „Dramödie“, die es schafft, die Balance zu halten, der Film verfällt nicht ins Depressive, ist aber auch nicht komödiantisch überkandidelt – es passt das altmodische Wort „wahrhaftig“. Die Charaktere sind präzise ausgearbeitet, die Dialoge sitzen, auch dank eines beeindruckenden Schauspielerensembles. Drehbuch, Schnitt, Spiel und Kamera überzeugen in diesem Debüt. Ein Kammerspiel, das nie langweilig wird.
Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)
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"JEANNE DU BARRY - Die Favoritin des Königs" kostümgewaltiges Historiendrama von Maïwenn, das zur Eröffnung der Cannes Filmfestspiele gezeigt wurde und diejenigen erfreuen dürfte, die auch zur Berlinale an Frauke Finsterwalders "SISI & ICH" ihren Spaß hatten. (Frankreich / Belgien / Großbritannien, 2023, 117 Min.) Mit Maïwenn, Johnny Depp, Benjamin Lavernhe u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Die Geschichte der Beziehung zwischen König Ludwig XV. (Johnny Depp) und der Mätresse Jeanne du Barry (Maïwenn) hätte das Potential gehabt, mehr als ein Kostüm- und Ausstattungsfilm zu werden.
Ludwig, also Louis XV. (1710 - 1774) ist vielen vielleicht nur durch die nach ihm benannte Stilepoche "Louis-quinze" bekannt. Er pflegte eine oft in Kunst und Literatur verarbeitete Beziehung zu der Marquise de Pompadour, aber eben auch zu Jeanne du Barry (1743 - 1793), die ihn noch auf seinem Krankenbett pflegte. Seine Reformbemühungen sind weniger im Fokus.
Die Aussöhnung mit Österreich, die mit der Verheiratung von Marie Antoinette mit seinem Enkel, der zum schicksalhaften König Ludwig XVI. wurde, mag nur Geschichtsenthusiasten im Gedächtnis geblieben sein. Marie Antoinette und die ihr nachgesagten Extravaganzen inspirierten vor einigen Jahren z.B. aber Sofia Coppola zu ihrem bekannten Pop-Opus, das wiederum Maïwenn aufgriff und zu einem eigenen Werk abwandelte.
Für die Politik und Geschichte der Zeit interessiert sich das Biopic der letzten Mätresse des Königs, eben jener Jeanne du Barry, nicht. Die Regisseurin und Schauspielerin Maïwenn ("Poliezei", "Mein ein, mein alles") zeigt den vermeintlichen Aufstieg einer jungen Frau aus dem Proletariat, Tochter einer Köchin, die es aus eigener Kraft und mit Hilfe ihres Charmes zu etwas bringen will. War es denn wirklich so? Wohl kaum.
Maïwenn nimmt sich Freiheiten in der Vita, was an sich nicht verwerflich ist. Allerdings geht es ihr auch nicht um das Zeremoniell und - oder um die Hierarchie, folglich die Politik am Hof der französischen Könige. Natürlich ist es nicht ohne, wenn man visuell damit auftrumpfen kann, tatsächlich in Versailles gedreht zu haben. Zumindest an den publikumsfreien Tagen, das heißt nur einmal in der Woche. Drehorte, Ausstellung und Kostüme sind bei Historienfilmen aber wohl das Mindeste, auf das man wert legt.
Wir lernen Jeanne als Kind kennen. Wir erfahren, dass sie vom Herrn ihrer Mutter gefördert wurde und etwas Bildung erhalten hat. Die Rolle der Frauen in dieser Zeit war allerdings sehr beengt. Jeanne wählte das Leben als Kurtisane. Sie fiel dem Grafen Jean-Baptiste du Barry auf, der sie heiratete, aber sogleich, um seinen eigenen Einfluss am Hof auszuweiten, weitervermittelte. Aus Sicht einer jungen Frau im 18. Jahrhundert gab es kaum eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung oder zur Emanzipation. Eine Verkuppelung mit dem König hat also wenig mit Romantik und rein gar nichts mit Eigenständigkeit zu tun. Im Gegenteil. Die Ausgangslage ist eine Demütigende. Das Kind beim Namen zu nennen, wäre hier besser angekommen. Dazu kommt, dass die Regisseurin einen nahezu männlichen Blick auf die Hauptfigur wirft und so jede neue Facette, die man einbinden könnte, von vornherein ausschließt.
Trotzdem wurde die Geschichte der Du Barry immer wieder Stoff von Romanen, Operetten und Spielfilmen. Bereits Pola Negri spielte die Du Barry 1919 unter der Regie von Ernst Lubitsch. 1934 drehte William Dieterle "Madame du Barry" mit Dolores del Río. Cole Porter machte ihre Geschichte zum Musical, und zuletzt tauchte sie in Sofia Coppolas "Marie Antoinette" als intrigante Nebenfigur auf, die von Asia Argento gespielt wurde. Maïwenn machte den Stoff zu ihrem Herzensprojekt und besetzte sich gleich selbst in der Hauptrolle. Dabei ist sie rund 15 Jahre zu alt für die Rolle.
Geht es ihr denn um die Beziehung zu dem König oder zeigt sie die Beziehung, die der König zu den seinen und zu ihr hatte? Eigentlich nicht. So gar nicht hilfreich ist, dass Maïwenn ausgerechnet Johnny Depp in der Rolle des französischen Königs besetzte. Depp war zwar Jahre lang mit der Französin Vanessa Paradies verheiratet, aber den Franzosen nimmt man ihm nicht ab.
In Cannes, wo "Jeanne du Barry" dieses Jahr das Festival eröffnete, gab es ob der Besetzung sogar einen Aufschrei. Über einen langwährenden Prozess musste sich Depp den Vorwürfen seiner ehemaligen Freundin Amber Heard juristisch erwehren. Ungeachtet des Ausgangs dieser eigentlich privaten und uneigentlich öffentlichen Auseinandersetzung ist seine Besetzung fragwürdig. Dass die Regisseurin und Hauptdarstellerin Maïwenn sich explizit nicht als Verfechterin der #metoo-Bewegung ansieht, färbt nun auf das Historienspektakel ab.
Schließlich ist jeder Historienfilm nicht nur das Porträt einer Ära, sondern auch ein Spiegelbild der Zeit, in der das Werk entstand. Reflektion ist aber keine Stärke von Maïwenns Figuren. Geschichtlich verbürgt ist, dass sie einen Sklavenjungen, Louis-Benoit Zamor, geschenkt bekam. Sie wollte ihm Bildung schenken und ihn gut behandeln, aber letztendlich dankte er es ihr nicht. Natürlich nicht, sagt man sich aus heutiger Sicht. Im Drehbuch verläuft sich die Figur, wie so viele andere Aspekte, die sich nicht um ihre Hingabe für den König drehen.
Eine Handlung, die die Zwänge der Gesellschaft allgemein und am Hof, thematisiert hätte, wäre um einiges spannender gewesen. Stattdessen inszeniert sich Maïwenn als anmutige, unverbrauchte Unschuld, die am Hof zwar durchaus Akzente in Sachen Mode setzen kann, die aber im Großen und Ganzen gemieden wurde.
Trotzdem und gegen alle Widerstände opferte sie sich für ihren König auf. Ihrem König, der sie nach seinem Tod per Anordnung ins Kloster verbannte. Nicht einmal die gesellschaftlichen Umbrüche der Zeit, die Französische Revolution am geschichtlichen Horizont, konnte Jeanne du Barry mit ihrer Herkunft versöhnen. Die Konsequenz musste sie tragen, wie hier zumindest das Nachwort nicht verschweigt. Auch das hätte eine interessante Geschichte ergeben.
Maïwenn blendet die französische Geschichte außerhalb des Hofes fast gänzlich aus. Die Monarchie, die kurz vor ihrem Ende steht, wird hier eher verklärt, wenn nicht sogar verharmlost. Die Intrigen am Hof richten sich stets nur gegen die Titelfigur. Maïwenn zeigt die Absurditäten im Protokoll auf, um sie vorzuführen. Sicherlich kann man sich an den Kostümen satt sehen. Aber insgesamt bleibt ein schaler Nachgeschmack.
Elisabeth Nagy
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"THE INSPECTION" US-Militär-Drama von Elegance Bratton um einen schwulen schwarzen Soldaten, der von seiner Mutter verstoßen wurde. (USA, 2022; 85 Min.) Mit Jeremy Pope, Gabrielle Union, Bokeem Woodbine u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
Für den Theaterschauspieler Jeremy Pope, Sänger, Fashion-Ikone und Vorbild in der Queer-Community ist es ein wahrer Glücksfall, die Identifikationsfigur in Elegance Brattons Film „The Inspection“ erhalten zu haben. Der offen queere Schwarze Schauspieler, hat für seine erste Hauptrolle in einem Kinofilm auch gleich eine Golden-Globe-Nominierung bekommen.
Der Film wurde anhand von Brattons persönlichen Erfahrungen in einem Bootcamp gedreht.
Als Sechzehnjähriger outete sich Bratton, daraufhin wurde er von seiner streng religiösen Mutter verstoßen und war zehn Jahre lang obdachlos. Seine einzige Chance von der Straße wegzukommen war, eine Marine-Ausbildung anzutreten. Ein Los, das viele Schwarze trugen, da ihnen oft nichts anderes übrigblieb, als zum Militär zu gehen.
Es beginnt traurig. Jeremy, der im Film Ellis French heißt, steht vor der Wohnungstür seiner Mutter Inez (Gabrielle Union) klingelt und klingelt, weil er für die Marines seine Geburtsurkunde braucht. Endlich lässt sie ihn rein, eine verhärtete Persönlichkeit, die ihn sogleich mit Demütigungen überschüttet, weil auch sie es nicht leicht hat und lieber einen heterosexuellen Sohn hätte.
Wer den Film „Full Metall Jacket“ kennt, weiß was auf Ellis zukommt. Die Demütigungen gehen weiter. Auch wenn er nicht über sein Schwulsein spricht, man sieht es und hört es. In der Dusche wird er aus diesem Grund von Rekruten zusammengeschlagen. Eigentlich werden von den Drillmeistern alle fertig gemacht. Abbrechen will Ellis auf keinen Fall. „Sterbe ich in dieser Uniform, dann bin ich ein Held“. Ellis hat das Glück, gewissen Halt beim Sergeant Rosales (Raúl Castillo) zu finden. Auch der muslimische Rekrut Ismail ist ein Opfer brutaler Übergriffe des sadistischen Sergeant Leland Laws (Bookeem Woodbine) und will nach Hause.
Das passiert, wenn Rekruten keine Christen sind. „Der Herr liebt Marines. Er hat uns Leben gegeben, damit wir Feinde töten können“. Was für eine üble Aussage.
Für Bratton hat sich der starke Durchhaltewillen gelohnt. Er lernte beim Marine Corps das Filmemachen. Nach der Beendigung seiner Militärzeit drehte er 2019 die Doku „Pier Kids“ über obdachlose queere Jugendliche in New York.
„The Inspection“, seinen ersten Spielfilm, hat der US-amerikanische Fotograf, Filmregisseur und Drehbuchautor Elegance Bratton seiner Mutter gewidmet. Ein Film der unter die Haut geht. Ein wichtiger Film!
Ulrike Schirm (ulriketratschtkino.wordpress.com)
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"POLITE SOCIETY" britische Coming-of-Age-Komödie der in Singapur geborenen pakistanischen Regisseurin Nida Manzoor mit turbulenten Martial-Arts-Einlagen. (Großbritannien, 2023; 96 Min.) Mit Priya Kansara, Ritu Arya, Seraphina Beh u.a. ab 24. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Wenn man das Plakat zu "Polite Society" betrachtet, könnte man Nida Manzoors Langspielfilmdebüt für eine Bollywood-Romanze mit vielen Tanzeinlagen halten. Betrachtet man den Trailer, vermutet man einen Martial-Arts-Actioner. "Polite Society" ist keines von beiden, aber Manzoor verwendet vielerlei Genre-Elemente und fügt sie zu einem originellen Coming-of-Age-Film zusammen, der überraschend gut funktioniert und ganz viel Spaß macht. Davon konnte sich schon das Publikum in Sundance ein Bild machen.
Nida Manzoor stammt aus einer pakistanischen muslimischen Familie in Singapur, und lebt seit langer Zeit in Großbritannien. Bereits als Kind hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, eine Art weiblicher Bob Dylan zu werden. Aus ihr wurde keine Musikerin, ihr Weg führte sie geradewegs zum Film. Ihren ersten großen Erfolg hatte sie mit der britischen Serie "We Are Lady Pants", für die Manzor 2021 den Nachwuchstalentpreis des internationalen »Rose d'Or-Festivals« gewann.
In "Lady Pants" schließt sich eine Gruppe muslimischer junger Frauen zu einer rotzigen Punk-Band zusammen, die nicht nur gegen das Establishment anrockt, sondern deren Mitglieder sich auch mit ihren kulturellen Unterschieden gegen Erwartungen behaupten und zu einer gemeinsamen Stärke und damit Freundschaft finden müssen. "We Are Lady Pants" weist bereits eine Handschrift auf, die Manzoor in "Polite Society" ausbaut. Ihre Vorbilder sind nicht von ungefähr sowohl Jackie Chan als auch die Coen Brüder.
Ria Khan (Priya Kansara) geht zwar noch zur Schule, aber sie hat sich eine Karriere beim Film in den Kopf gesetzt. Dabei möchte sie keine dramatischen Rollen spielen. Vielmehr schwebt ihr eine Karriere als Stuntfrau vor. Ihr großes Vorbild ist Eunice Huthart, die in ihrer Karriere bereits für Uma Thuman, Angelina Jolie und Milla Jovovich als Double Stunts ausgeführt hat.
Huthart, soviel sei verraten, wird einen kurzen Gastauftritt haben. Im Jugendzimmer hängt ein Plakat. Ria schreibt ihr immer wieder Fanbriefe und probt komplizierte Kicks, um später auch wirkliche eine Chance in dem Metier zu haben. Ihre größte Unterstützerin ist ihre ältere Schwester Lena (Ritu Arya). Lena hatte ein Kunststudium begonnen, das sie, tief in einer Sinnkrise, abbricht, um doch traditionellen Familienwerten zu folgen. Sollen ihre Eltern ihr doch einen Ehemann suchen. Ria und Lena sind dickste Freunde, aber dass Lena ihren Lebenstraum aufzugeben droht, damit kommt Ria gar nicht klar. Die Möglichkeit, dass sich ihre Welten voneinander trennen und sie auseinanderdriften, könnte man als Prozess der Abnabelung werten. Aber Ria sieht nicht nur ihre heile Welt in Gefahr, sie traut dem ausgewählten Verlobten kein Stück über den Weg.
Nida Manzoor vermengt hier Elemente des Erwachsenwerdens mit den kindlichen Befürchtungen, allein gelassen zu werden. Ihre Ria ist aber ein lebenslustiges Energiebündel, dass für ihre Probleme ganz eigene Lösungen finden will und damit durchaus auch aneckt. Sie droht ihre Schwester ganz zu verlieren, wenn sie ihre Entscheidungen nicht respektiert. Schon diese Konstellation wäre ein solider Jugendfilm.
Manzoor schaltet jedoch in den Turbomodus. Sie schickt das Publikum auf eine Achterbahnfahrt und führt Klischees ad absurdum. Übertreibt Ria in ihrer Sorge um das Glück ihrer Schwester, oder steckt hinter ihren Intrigen, um die Partnerwahlsuche der Erwachsenen zu sabotieren, doch mehr? Um es mal so zu sagen: Jeder James Bond-Film setzt auf Übertreibungen. Nichts anderes strebt auch Manzoor an. Dabei setzt sie auf Humor und Action. Sie würfelt Elemente eines Actioners mit denen einer romantic Comedy (Rom-Com) zusammen. Halb spielt die Handlung in der Welt der Schule, wo Ria ihre Freundinnen erst kräftig vor den Kopf stößt, um später doch ihre Hilfe bei einem bestimmten Unterfangen zu gewinnen. Halb ist "Polite Society" ein Schuldrama, dann auch wieder ein Krimi oder sogar ein diabolischer Thriller, dann aber auch ein Spionage-Abenteuer mit Hochzeitstänzen und Martial Arts-Kämpfen. Das macht unheimlichen Spaß.
Im Vordergrund bei all den Intrigen und Sabotagen, steht dabei die Verbundenheit von zwei Schwestern, die zwischen traditionellen, aber aufgeschlossenen Elternhaus und ihrem Alltag als Einwanderer in England, ihren Weg finden müssen. Während die eine Schwester strauchelt und sich fast auf einen vermeintlich vorgezeichneten Lebensweg verirrt, rammt die andere mit jugendlicher Unbekümmertheit und unbändigen Starrköpfigkeit jede Schranke nieder. Nida Manzoor spielt mit den filmischen Genres und lässt ihr Stück mal auf die eine, mal auf die andere Seite kippen. Doch sie behält zu unserem Filmglück die Balance.
Elisabeth Nagy
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