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Zwei weitere Filmbesprechungen zu Kinostarts in der 3. KW. 2023

In Ergänzung zu den von uns am letzten Donnerstag besprochenen Kinostarts folgen heute noch zwei Kritiken zu Dokumentarfilmen, die man zum Teil auch als Doku-Fiction betiteln könnte.



Die quasi-faschistische Architektur von Francisco Salamone (1897–1959) in der argentinischen Pampa, Jorge Luis Borges’ Erzählung Deutsches Requiem (1946), die utopischen Bauwerke des indigenen Architekten Freddy Mamani Silvestre (*1971) in El Alto/Bolivien und das restaurative „Stadtschloss“ a.k.a. „Humboldt Forum“ in Berlin sind die Eckpunkte von Heinz Emigholz’ analytischem Dokumentarfilm "Schlachthäuser der Moderne".

Der Film untersucht den Doppelcharakter der architektonischen Moderne im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und politischer Propaganda. Dazu gab es im Anschluss an die Premiere des Films in der Akademie der Künste am 14. Januar 2023 ein Gespräch auf dem Podium mit dem Filmemacher Heinz Emigholz sowie den Gästen Arno Brandlhuber, Ulrike Lorenz und Hanns Zischler.

Im zweiten Teil des Programms wurde zudem Emigholz' derzeit angeblich liebste filmische Dokumentation "Mamani in El Alto" über den bolivianischen Architekten Freddy Mamani Silvestre gezeigt, die in 95 Minuten eine Vertiefung der Bilder darstellt, die bereits im vorangegangenen Werk über einen bunten Prachtpalast des bolivianischen Architekten Mamani kurz vorgestellt worden waren.

"SCHLACHTHÄUSER DER MODERNE" Dokumentation des mehrfach preisgekrönten Fotografen und Architektur-Filmers Heinz Emigholz. (Deutschland, 2022; 80 Min.) Mit Stefan Kolosko und Susanne Bredehöft. Seit 19. Januar 2023 auch regulär im Kino. Hier zwei Filmstills, anstelle eines leider nicht vorhandenen Trailers:

oben: Friedhofsarchitektur in Argentinien (Filmstill, © "Schlachthäuser der Moderne")
unten: Bunte Plattenbauten von Mamani/Bolivien © Emigholz Filmstill (Filmgalerie 451)

Unsere Filmkritik:

Es ist kein Zufall, dass die Premiere der DOKU über Nazi-Architektur in Argentinien von Heinz Emigholz in der Akademie der Künste stattfand. Emigholz ist Mitglied der Akademie und die Präsidentin Jeanine Meerapfel, die auch bei uns im BAF e.V. lange Jahre Mitglied war, hat ebenfalls argentinische Wurzeln.

Argentinien hat viel Weideflächen und große Rinderherden, deren Fleisch bei uns im Steakhaus landet. Doch dem preisgekrönten Architekturfilmer und Dozenten, geht es um mehr. Nämlich um die in den 1930er Jahren entstandenen Bauten in Argentinien, die eine auffallende Ähnlichkeit mit deutscher Nazi-Architektur aufweisen und sich zwischen Avantgarde und politischer Propaganda ansiedeln.

Zwar kann die für Hitler entworfene Architektur wie z.B. das Berliner Olympiastadion, auch unschuldig daherkommen und sogar denkmalgeschützt sein. Doch Emigholz geht es bei diesem Film nicht um das reine Ablichten von Bauten, sondern um die Darstellung geschichtlicher Zusammenhänge mit Tod, Ermordung und Schlachtungen oder Beerdigungen in einer faschistisch-futuristischen Architektur.

Obwohl seine Filme meist 'stumm' sind, versucht er hier erstmals durch ansonsten von ihm nie verwendete Kommentare einen Zusammenhang herzustellen. Sozusagen der Vorläufer eines fiktionalen Spielfilms auf Architekturebene, was leider gründlich schief geht.

Dass Friedhofsarchitektur (wie oben abgebildet) mit Mausoleen in Beton oftmals gewaltig aussehen kann, dürfte hinlänglich bekannt sein. Schon die Ägypter errichteten mit den Pyramiden für ihre verstorbenen Könige zahlreiche Bauten für die Ewigkeit.

Für die argentinischen Großgrundbesitzer wurden offensichtlich von dem selben Architekten (Francisco Salamone, *1897-†1959) unter der Prämisse eines ähnlichen Zeitgeschmacks auch Schlachthöfe für die Rindviehschlachtung aus stabilem Beton errichtet, denn drinnen ging es nicht zimperlich zu. Zudem sollten die Bauten ein Aushängeschild seines Besitzers sein und offensichtlich etwas hergeben, weshalb diese Bauten mit monumentalen Betonelementen verziert wurden, damit ihr protziges Aussehen schon von Weitem als solches erkannt wurde.

In gewohnter Manier, mit oft leicht schräger Kameraposition, lichtete Emigholz diese Bauten aus allen Richtungen ab, mal einen Friedhofsbau, mal ein Schlachthaus, jeweils abwechselnd und langatmig, um etwaige Zusammenhänge deutlicher werden zu lassen, wodurch ein experimenteller Essayfilm als Filmbild-Diavortrag mit weitreichenden symbolischen Konstrukten entsteht, der als Zeugnis für die Unmenschlichkeit, zu der ein Mensch fähig ist, in seinem Verständnis dient. Statt nüchterner Architekturaufnahmen wendet Emigholz also diesmal die politische Keule an.

Zudem zitiert er den hierzulande kaum bekannten argentinischen Schriftsteller und Bibliothekar Jorge Luis Borges (*1899 in Buenos Aires; † 1986 in Genf), der nach dem Zweiten Weltkrieg in argentinischen Zeitungen vor einem vierten Reich warnte. Dies könnte womöglich durch aus Deutschland ins Exil nach Südamerika geflohene Nazis gemeinsam mit hier bei uns lebenden Reichsbürgen erneut errichtet werden.

Leider springt Emigholz dann plötzlich unvermutet nach Berlin, schimpft über die Replik des Berliner Stadtschlosses, ohne über dessen positive Bedeutung als Humboldtforum ein Wort zu verlieren. Stattdessen schwadroniert über den sofortigen Abriss des Schlosses, weil dessen Architektur ebenfalls ein Zeugnis des Terrors und der Exzesse sei, denn Kaiser Wilhelm II. (1859-1941), König von Preußen und Deutscher Kaiser, der in diesem Schloss wohnte, sei nicht nur mitschuldig am Ausbruch des Ersten Weltkrieges, sondern auch an der Ermordung seiner Vorfahren. Deshalb müsse er immer die Augen schließen, wenn er am wiedererrichteten Schloss vorbei führe, sagte er im Anschluss an die Vorführung.

Im Film selbst bemängelt er den Abriss von Erich Honeckers Lampenladen, dem ehemaligen Palast der Republik. Anstelle des Schlosses hätte man unbedingt etwas modernes errichten sollen, wie z.B. die bunten Häuser des Architekten Freddy Mamani Silvestre aus Bolivien (siehe 2. Bild oben), die unserer Meinung aber nichts besseres wären als bunt angestrichene Plattenbauten wie man sie auch aus der ehemaligen DDR her kennt. Im Inneren der Häuser befinden sich allerdings häufig sogenannte Cholets, die für Festivitäten genutzt werden, denn sie beherbergen die sogenannten „salones de eventos“ (Eventlocations), deren Innenleben an einen bunt leuchtenden Flipper mit Hunderten von blinkenden Lampen erinnern.

Emigholz meinte es hoffentlich ironisch, als er sagte, dass die deutschen Autohersteller darin ihre neuen Luxuslimousinen hätten anpreisen können, denn im Schloss sei dafür wohl kein Platz vorhanden.

W.F.


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Auch die zweite DOKU haben wir nicht im Kino, sondern passenderweise im Maxim Gorki Theater gesehen, ein Ort, der für das Shakespeare-Thema "Das Hamlet-Syndrom" wie geschaffen schien. Zudem waren die beiden polnischen Regisseur*innen sowie zwei ukrainischen Schauspielerinnen für das anschließende Gespräch auf der Bühne zugegen.

Unsere Filmkritikerin Elisabeth hat allerdings den Film schon vorab und frei von irgendwelchen sie möglicherweise beeinflussenden Diskussionen, in einer Pressevorführung sehen können.

"DAS HAMLET-SYNDROM" Dokumentation von Elwira Niewiera & Piotr Rosołowski über "Sein oder Nichtsein" kriegstraumatisierter ukrainischer Schauspieler. (Deutschland / Polen, 2022; 85 Min.) Mit den fünf Protagonisten Katya, Slavik, Roman, Rodion und Oksana Cherkashyna, bekannt aus dem preisgekrönten ukrainischen Kriegs-Drama "KLONDIKE" von Maryna Er Gorbach sowie Theaterregisseurin Roza Sarkisian, die alle im Donbass dem Tod ins Auge gesehen haben. Seit 19. Januar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

"Das Hamlet-Syndrom" ist kein Theaterfilm. Die Bühne ist allerdings der Handlungsort. Es handelt sich um eine Off-Bühne in Kiew. Die Akteure erarbeiten sich ein Stück und bauen auf eigene Erfahrungen und Erlebnissen, die sich ähneln und doch sehr unterschiedlich sind. Das polnische Regie-Duo Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski verfolgten bereits die Maidan-Ereignisse, die 2014 medial um die Welt gingen, mit großem Interesse. Eine junge Generation demonstrierte für sein Land und als in der Ostukraine der Krieg ausbrach, galt es Entscheidungen zu fällen.

Die ersten Bilder in "Das Hamlet-Syndrom" zeigen Dokumentaraufnahmen aus dieser Zeit. Die Filmproduktion nahm, nachdem man bereits kurz nach den damaligen Ereignissen in Kontakt trat, 2018 konkret Gestalt an. Auf diesen Krieg, der inzwischen in weiten Teilen gar nicht mehr präsent war, wie anders ließe es sich erklären, dass die Welt kaum mehr Notiz davon nahm, wollte das Regie-Duo aufmerksam machen. Das Duo wählte die Teilnehmenden des Stückes mit Bedacht aus, allein dieser Prozess dauerte Jahre. Voraussetzung war auch, dass die Teilnehmenden eine Therapie durchlaufen haben.

Die Ereignisse im Februar 2022, der Film befand sich damals in der Postproduktion, veränderte alles. Die Protagonisten, deren Kriegstraumata für das Publikum im Laufe der Theaterproben mehr und mehr greifbar werden, stehen jetzt sinnbildlich für eine ganze Generation, eine Nation, die vom aufflammenden Kriegsgeschehen betroffen ist.

Auf das Hamlet-Stück fiel die Wahl, weil sich auch die Figur Hamlets in einem Umfeld von Machtkämpfen befand und sich entscheiden musste. Dabei ist die Frage, die Aufgabenstellung zu Beginn der Theaterproben noch, welche Entscheidungen für die Mitwirkenden von elementarer Bedeutung waren. Kämpfen oder nicht kämpfen, war zu dem Zeitpunkt, so muss man das jetzt sagen, noch eine Frage. Doch jeder kämpft unter anderen Voraussetzungen und jeder und jede der Mitwirkenden trägt sein oder ihr eigenes Päckchen. Hier prallen die unterschiedlichen Erfahrungen aufeinander.

Katya geriet in die Menschenmenge am Maidan und schloss sich bei Kriegsausbruch einer Einheit von Freiwilligen an. Slavik wollte Schauspieler werden, und meldete sich ebenfalls nach dem Kriegsausbruch zum Militär. Roman wurde zum Wehrdienst eingezogen, wollte aber nicht mit der Waffe kämpfen und entscheid sich dafür, als Sanitäter zu dienen. Rodion stammt aus dem Donbass und demonstrierte 2014 für die Ukraine. Er ging dann nach Kiew. Sein Engagement gilt der LGBTQ-Community. Oxana ist ein durchaus bekanntes Gesicht in der Ukraine. Als Theaterschauspielerin engagierte sie sich seit den Ereignissen von 2013 für politischen und gesellschaftlichen Wandel. Erst nach und nach schält der Dokumentarfilm Schicht um Schicht frei. Die Unmittelbarkeit der Bühne rückt diese Figuren noch näher an das Publikum. Auf der Bühne, sozusagen ein geschützter Ort, können Konflikte aufflammen und bewältigt werden. Gerade in dem Clash der Erfahrungen und der jeweils unterschiedlichen Perspektiven und Gewichtungen, finden die Figuren zu einem Miteinander.

Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski kommen beide aus Polen und beide leben bereits seit Jahren in Berlin. Bereits 2007 arbeiteten beide an dem mittellangen Dokumentarfilm "Mauerhase", eine Parabel auf die Lebenssituation in Ost und West nach dem Mauerfall. Elwira Niewiera war damals für den Film, der das Leben auf dem Mauerstreifen aus der Perspektive der dort ungestört lebenden Kaninchen zeigt, für die Recherche zuständig. Piotr Rosołowski arbeitete am Konzept und an der Kamera. Ihr letzter gemeinsamer Film, Regie und Konzept veranwortete man gemeinsam, war eine Dokumentation über den polnisch-jüdischen Filmemacher Michał Waszyński. "Der Prinz und der Dybbuk" kam damals mit dem Verleih Salzgeber in die deutschen Kinos.

Für "Das Hamlet-Syndrom" führten die Beiden Gespräche mit den Teilnehmenden. Aus diesen Gesprächen erarbeitete die Theaterregisseurin Roza Sarkisian eine Struktur und die Vorlage für das Theaterstück. Das Stück wurde mit diesem Material erst zum Stück. Das Filmteam war bei dem Prozess der Proben anwesend. Vieles lag dann in der Hand der Montage von Agata Cierniak. Als Zuschauerin nahm ich die ersten Szenen noch als Theaterprobe wahr. Das Regie-Duo führt die Figuren jedoch auch in ihrem persönlichen Umfeld ein, in dem man sie besser kennen lernt. Natürlich spielt es eine Rolle, dass die Ereignisse nach Beendigung der Dreharbeiten in den Köpfen des Publikums sind. Man weiß mehr, als die Akteure in dem Moment, in dem Konflikte bearbeitet werden. Doch an ihre Erfahrungen kommt man nur so weit heran, wie sie es zulassen. Das Publikum muss entsprechend bereit sein, sich diesen Erlebnissen anzunähern. "Das Hamlet-Syndrom", eine deutsch-polnische Koproduktion, wurde unter anderem in Locarno in der Sektion Semaine de la critique aufgeführt und erhielt dort den großen Preis.

Elisabeth Nagy


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Slavik, Katya und Roman sind inzwischen wieder an der Front, wie man beim anschließenden Gespräch auf der Bühne erfährt. Von Roman, dem Sanitäter, gab es sogar noch einen Handy-Einspieler direkt vom Kriegsgeschehen. Rodion ist nach Lviv weitergeflüchtet, er schneidert Uniformen und organisiert humanitäre Hilfe. Das tut auch Oksana, die inzwischen in Polen lebt. Regisseurin Elwira Niewiera organisiert seit neun Monaten Hilfstransporte für die Bataillone der Filmprotagonisten, mit Schutzwesten, Nachtsichtgeräten, Medikamenten und Generatoren; sie half auch bei der Evakuierung eines Kinderheims nach Bayern.

W.F.

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