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Fünf Filmkritiken zu Kinostarts in der zweiten KW 2023

Nach der gelungenen Premiere zur 71. Sommerberlinale vor zwei Jahren kommt jetzt endlich einer der wenigen guten Kinderfilme ins Kino.



"MISSION ULJA FUNK" Kinderfilm-Komödie von Barbara Kronenberg (Deutschland / Luxemburg / Polen, 2021; 92 Min.) Mit Romy Lou Janinhoff, Jonas Oeßel, Hildegard Schroedter u.a. seit 12. Januar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

In "Mission Ulja Funk" büxt die 12-jährige Ulja (Romy Lou Janinhoff) mit ihrem Klassenkameraden Henk (Jonas Oeßel) aus, um mit einem ausrangierten Leichenwagen nach Belarus, knapp hinter die polnischen Grenze zu fahren, wo ein Asteroid einschlagen soll, den sie am Himmel entdeckt hat. Denn Ulja liebt die Wissenschaft, besonders die Sternenkunde. Diese Hingabe ist zumindest ihrer Familie, vor allem ihrer Oma Olga (Hildegard Schroedter), suspekt. Oma Olga meint es nur gut, schließlich mögen Männer doch keine zu klugen Frauen. Der Pastor, in dessen Kirche die Kinder des Ortes ihre Talente vorführen, ist auch nicht begeistert, als Ulja über ihre Entdeckung referiert. Mit Wissenschaft im Hause Gottes, damit eckt Ulja an.

Die Regisseurin Barbara Kronenberg, die an der Kunsthochschule für Medien in Köln Regie und Drehbuch studiert hat, überspitzt in ihrem Langspielfilmdebüt, das sie 2021 in der Generation Kplus-Sektion der Berlinale erstmals vorstellen durfte, die Figurenzeichnungen, nur um sie im Verlauf eines abenteuerlichen Road-Movies voller Witz und Tempo zunehmend vielschichtig auszuarbeiten. Die Figuren wachsen mit der Handlung und haben Ecken und Kanten bzw. auch eine weiche Seite. Barbara Kronenberg inszeniert eine höchst vergnügliche Komödie, in der der Humor auch schon mal skurril oder slapstickartig daher kommt. Sie nimmt aber alle Figuren ernst.

"Mission Ulja Funk" ist ein Projekt der Reihe "Der besondere Kinderfilm", in der originäre Stoffe gefördert werden, die den Kinderfilm für die Altersgruppe zwischen 6 und 12 in Deutschland stärken sollen. Davon kann es gar nicht genug geben.

"Mission Ulja Funk" ist eine Deutsch-Polnisch-Luxemburger Produktion, die ab Herbst 2019 bis in den Januar 2020 in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Luxemburg und Polen gedreht wurde. Doch dann verdrängte die Covid-19-Pandemie die Filme aus den Lichtspielhäusern. Der Filmstart von "Mission Ulja Funk" wurde immer wieder verschoben, auch um dem besonderen Stoff die Plattform zu geben, den es verdient. Im Kino.

Die Zeit hat das Drehbuch in einem Punkt überholt. Hier wird Belarus noch als "Weißrussland" bezeichnet. Ohne auf die Kontroversen oder auf sensible Sprache in der Gesellschaft einzugehen. Inzwischen wird auch amtlich nur noch von Belarus gesprochen und vielleicht sollte man nach dem Filmbesuch mit Kindern mal darüber reden.

Aber zurück zum Filmgeschehen. Uljas deutschrussische Oma verbündet sich nach dem Referat in der Kirche mit dem Pastor und gemeinsam räumen sie im Kinderzimmer alles weg, was irgendwie mit Wissenschaft zu tun hat. Vermeintlich zu Uljas Bestem, was Ulja gar nicht cool findet. Doch sie lässt sich in ihrem Forschungsdrang nicht beirren.

Sie büxt also ausgerechnet mit jenem Schulkameraden aus, der so ziemlich das Gegenteil von ihr ist. Aber er kann Auto fahren. Bestechen muss sie ihn trotzdem erst einmal. Auch im besten Buddy-Movie sind sich zwei beste Freunde erst einmal spinnefeind. Im Wagen befindet sich allerdings ein blinder Passagier. Damit kommt die Komödie ins Rollen. Kaum unterwegs, macht sich gefühlt das halbe Dorf auf den Weg und reist ihnen hinterher. Um sie zu stoppen. Die Handlung überschlägt sich fast. Bei all den Stationen haben dann nicht nur Kinder sicherlich ihren Spaß, sondern auch Erwachsene, die die eine oder andere Filmreferenz entdecken dürfen.

Elisabeth Nagy


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"SO DAMN EASY GOING" Jugend-Dramödie von Christoffer Sandler nach einem Drehbuch von Jenny Jägerfeld & Lina Åström (Schweden / Norwegen, 2022; 91 Min.) Mit Nikki Hanseblad, Melina Benett Paukkonen, Shanti Roney u.a. seit 12. Januar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

Joanna hat ADHS. ADHS übersetzt sich mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Die Diagnose wird erst nach einem längeren Prozess erstellt. In Einzelfällen erfolgt die Therapie auch mit Medikamenten. Joanna, gespielt von der Newcomerin Nikki Hanseblad, verheimlicht ihre Krankheit ihrem Umfeld. Jetzt könnte man denken, in die Therapie wird ihr Umfeld, wozu auch Schule und Lehrkräfte gehören, mit eingebunden. Joanna ist aber bereits 18 und viele Details fehlen, als das Publikum sie kennenlernt.

Joanna hat vor nicht langer Zeit ihre Mutter verloren. Ihr Vater hat den Verlust nicht überwunden und verbringt die Zeit weitgehend in einer depressiven Starre. Seiner Tochter, zumal arbeitslos, ist er keine Hilfe. Darum steht Joanna ziemlich blöd vor dem Apotheker, der ihr ihre unverzichtbaren Medikamente nicht geben will, weil sie die letzten beiden Chargen noch nicht bezahlt hat. Bitte nicht darüber nachdenken, ob es in Schweden keine Unterstützung gibt, die in ihrem Fall greift, und was ihre zuständige Praxis dazu sagen könnte. Joannas Krankheit ist hier der Auslöser für eine Kettenreaktion, die sie vor schier unlösliche Probleme stellt, aber auch positive Wendungen ermöglicht.

Ohne Medikamente kann Joanna den Schein nicht aufrecht erhalten. Sie wird hyperaktiv, sie bekommt Panikattacken, sie fällt auf. Sie mag das nicht, sie will das nicht. Der Regisseur Christoffer Sandler, dessen Fernsehserie "Sjukt Oklar" bei Jugendlichen in Schweden wohl beliebt ist, möchte mit seinem Spielfilmdebüt Jugendlichen vermitteln, dass sie sich und ihre Persönlichkeit annehmen. Die Unruhe, der Stress, der bei Joanna ausbricht, die schiere Überforderung durch das Zuviel von allem, wird visuell eins zu eins umgesetzt, also zum Stilmittel. Nur in wenigen Momenten findet sie, und mit ihr das Publikum, die Ruhe, nach der sie sich sehnt. Sandler verfilmte für diese Coming-of-Age-Geschichte den Roman "I’m Just So-o Easy Going" von Jenny Jägerfeld von 2013. Jenny Jägerfeld ist nicht nur Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendromane, sondern auch Psychologin.

Übrigens, im Februar 2022 zeigte das Generation-Programm der 72. Berlinale den schwedischen Film "Comedy Queen" (Regie Sanna Lenken. Unsere Rezension kann man hier nachlesen. Auch dieses Werk ist eine Verfilmung eines Romans von Jenny Jägerfeld. Ebenso wie in "Comedy Queen" geht es auch diesmal um die Themen Trauer und Depression. Richtet sich ersterer Film an eine etwas jüngere Altersgruppe, ist "So Damn Easy Going" schon fast erwachsen. Joanna sucht keine Hilfe, sie will sich praktisch selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen. Doch dann bekommt sie doch Hilfe. Sie lernt Audrey (Melina Paukkonen), eine neue Mitschülerin, kennen, die eine innere Ruhe ausstrahlt und in die sie sich, quasi aus heiterem Himmel, verliebt.

Sandler wendet das Blatt hin zu einer Annäherung von zwei jungen Frauen. Wir werden Zeuge eines Aufflackern der Gefühle, erleben Joannas Unsicherheit. Werden Zeuge dabei, was sie alles anstellt, um an Geld zu kommen. Um an ihre Medikamente zu kommen. Um zu funktionieren. Um Audrey beeindrucken zu können und so weiter. Da schlägt die Handlung Haken, um immer wieder kurzfristig innezuhalten. Der Film zeigt Joanna und Audrey als zwei Pole, die sich anziehen und abstoßen und wieder anziehen. Bis auch Audrey mit Joannas vermeintlicher Unzuverlässigkeit und Unbeständigkeit nicht mehr klar kommt. Denn erst wenn man ganz bei sich ist, kann man auch eine Zweisamkeit leben, vermittelt uns der Regisseur. Aber bis dahin zieht der Film alle Register von Komödie, Tragödie, Krimi und Drama. Dafür gab von dem Verband der "Unabhängigen deutschen Queer Film Festivals" den QueerScope-Debütfilmpreis.

Elisabeth Nagy


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"ACHT BERGE" italienisches Drama um eine langanhaltende Jugendfreundschaft von Charlotte Vandermeersch & Felix Van Groeningen. (Belgien / Frankreich / Italien, 2022; 147 Min.) Mit Luca Marinelli, Alessandro Borghi, Filippo Timi u.a. seit 12. Januar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

Pietro ist 11 Jahre alt, als er mit seinen Eltern den Sommer in den Bergen verbringt. Kinder leben dort gar keine mehr. Nur Bruno ist im gleichen Alter. Die Buben freunden sich an, nachdem Pietros Eltern die beiden zusammenbringen. Ihre Freundschaft wird ein Leben lang halten. Ihre Freundschaft ist eine, die auch lange Zeiten der Trennung überdauert.

Die Geschichte nach der Vorlage des gleichnamigen Romans von Paolo Cognetti erzählt von den Wendepunkten im Leben von zwei Kindern bis hinein in ihre Lebensmitte. Dabei verlaufen die Entwicklungen dieser Zwei teils parallel zu einander. Teils gehen beide Figuren ihren ganz eigenen, konträren Weg. Immer aber beeinflusst das Leben des einen, das des anderen.

Pietro (Lupo Barbiero spielt das Kind, Andrea Palma den Jugendlichen und Luca Marinelli den Erwachsenen) ist ein Stadtkind. Auf den Wiesen und zwischen den Bergen blüht er auf. Die Natur sieht er als Gegenstück zur hektischen, luftverschmutzten Stadt an.

Bruno (Cristiano Sassella spielt den 11-jährigen, Francesco Palombelli den Heranwachsenden und Alessandro Borghi den Älteren) kennt nichts als die Berge. Schon von klein an muss er auf der Alm mit anpacken. Die Freundschaft der Beiden ist vollkommen und vollkommen unschuldig. Ein Riss tut sich auf, als sich die Eltern von Pietro darum bemühen, Bruno die gleichen Möglichkeiten zu geben, die ihr eigener Sohn hat. Sie würden ihn aufnehmen, mit in die Stadt holen, damit er dort zur Schule gehen kann. Pietro fühlt instinktiv, dass Bruno in der Stadt nicht mehr derselbe wäre. So als würde ihn die Stadt verderben. Dazu kommt es nicht. Das Verantwortungsgefühl der Eltern für den zweiten Jungen ist das eine. Aber ist es die richtige Entscheidung? Ist Pietro egoistisch, wenn er sich sträubt? Zumindest diese Entscheidung wird von jemand ganz anderem getroffen werden. Die Wege der Beiden trennt sich daraufhin auf viele Jahre.

Es ist Pietro, der diese Geschichte erzählt. Pietro, der seinen Platz im Leben nicht findet. Zu einem Zeitpunkt der Trauer begegnet er Bruno wieder und ihre Freundschaft ist jetzt eine andere. Gemeinsam bauen sie in den Bergen eine Hütte, die für viele Jahre ihr gemeinsamer Ort der Begegnung wird. Dieser Ort in den Bergen ist die Konstante des Spielfilmes von Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch. Van Groeningen hatte mit "The Broken Circle" seinen internationalen Durchbruch. Und auch "Acht Berge" hält Tragik und Melodram bereit. Während Pietro hinaus in die Welt zieht, immer auf der Suche, immerzu rastlos, bleibt Bruno an dem einen Ort, wo seine Kindheit ihn verankert hat. Er will weder irgendwo anders sein, noch sich auf neue Begebenheiten einlassen.

Was ist nun der bessere Lebensweg? Veränderung oder Verharren? Was verliert man, wenn man sich für das eine, was, wenn man sich für das andere entscheidet? Indem das Publikum beide Lebenswege parallel verfolgt, kann es beide Seelen erfühlen. Dass das Leben viel Schmerz bereit hält, versteht sich dabei von selbst.

Die Wendungen, die Eckpunkte sollen gar nicht verraten werden. Leicht könnte man "Acht Berge" auf die Beziehung der zwei Kinder bzw. Männer reduzieren. Das jährliche Zusammentreffen von zwei im Wesen so wortkargen Männern am immer selben Ort in der Wildnis weckt vielleicht auch Assoziationen zu anderen Filmen. "Acht Berge" lockt mit wunderschönen Naturaufnahmen und hält im Tempo immer wieder inne, verlangsamt sich, wartet und trottet dann weiter. Aber vielleicht will die Geschichte uns auch nur die Möglichkeit geben, darüber nachzudenken, wie sehr uns die, die uns nahe stehen auf unserem Weg beeinflussen und wie sehr wir ihre Geschichte mittragen auf unserem Lebensweg.

Elisabeth Nagy


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In der nachfolgenden Filmbesprechung geht es nicht um eine Kinder- oder Jugendfilm, sondern um eine traurige Geschichte nach einer wahren Begebenheit im Iran, bei der eine iranische Journalistin einen Prostituiertenmörder jagt. Ein Spielfilm-Thriller, der angesichts der aktuellen Proteste, tiefe Einblicke in die islamisch-persische Männergesellschaft gibt.

"HOLY SPIDER" Kriminalfilm des ins schwedische Exil ausgewanderten persischen Regisseurs Ali Abbasi, der im Mai 2022 bei den Filmfestspielen in Cannes seine Premiere feierte. (Dänemark / Deutschland / Schweden / Frankreich, 2022; 119 Min.) Mit Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi, Arash Ashtiani u.a. seit 12. Januar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Iran 2000/2001: Es ist höchst selten, dass die Realität finsterer ist, als ein fiktionaler Spielfilm.

„Holy Spider“ sorgte schon bei seiner Weltpremiere in Cannes für Furore. Der Film erzählt die grausame Geschichte eines 16-fachen Frauenmörders, den die Polizei gewähren ließ und dessen dramatische Entstehung gleichwohl zeigt, wie stark die Freiheit im Iran unterdrückt wird. Seine Themen sind nicht nur beklemmend aktuell, sondern auch äußerst schmerzhaft.

Ort der Handlung ist die heilige Stadt Maschhad im Iran, in der die 22-jährige Mahsa Amini von der Sittenpolizei ermordet wurde, weil sie ihr Kopftuch nicht vorschriftsmäßig trug.

Zu Beginn des Films sieht man eine Prostituierte, die angesichts der düsteren Location es sich im letzten Moment anders überlegt, um ihrem Freier zu entkommen. Es gelingt ihr nicht. Sie wird von ihm umgebracht und wie Müll entsorgt.

Angelehnt an wahre Ereignisse, handelt es sich bei dem Mörder um Saeed Hanei (Mehdi Bajestani), ein Kriegsveteran und tiefreligiöser Familienvater, der nach jedem Mord bei einem Journalisten anruft, um seine Taten zu erklären und auf keinen Fall Mörder genannt werden will, sondern „Sittenwächter“.

Man spricht von ihm als den „Spinnenmörder“, der, wenn seine Familie außer Haus war, nachts auf seinem Motorrad herumfuhr, seine Opfer in die leere Wohnung brachte, quasi wie eine Spinne ins Netz lockte, um die Frauen dann mit ihren eigenen Kopftüchern zu strangulieren, immer fest in dem Glauben als Vertreter Gottes, die heilige Stadt vom Abschaum zu befreien.

Die engagierte Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) reist aus Teheran an, weil sie verwundert ist, dass nach einigen Morden, die Polizei immer noch keine Spuren hat. Nun will sie auf eigene Faust den Nachforschungen nachgehen, was den Behörden absolut nicht passt. Und weil sie eine Frau ist, legt man ihr so einige Steine in den Weg. Sie beschließt, sich dennoch des nachts als Lockvogel auf die Lauer zu legen.

Der iranische Regisseur Ali Abbasi, der jetzt in Dänemark lebt, dort auch Film studiert hat, aber weiterhin seine iranische Staatsbürgerschaft besitzt, nimmt sich die Zeit, um die Lebenssituation der Frauen vor ihrer Ermordung zu schildern, die meistens in großer Armut leben. Dazu kommt, dass nicht nur Sexarbeiterinnen des nachts der Gewalt ausgeliefert sind, sondern alle Frauen.

Natürlich hat Abbasi nicht wirklich im Iran gedreht. Das Team wollte in der Türkei drehen. Als sie bereits bei den Proben waren, wurde ihnen die Drehgenehmigung entzogen und das Team wich nach Jordanien aus, um eine möglichst authentische Umgebung zu haben.

Die 48-jährige Schauspielerin Zar Amir Ebrahhimi, die 2008 aus dem Iran nach Paris floh, übernahm die Rolle der fiktiven Journalistin, weil die iranische Schauspielerin, die sie für die Rolle gefunden hatten, eine Woche vor Drehbeginn in den Iran zurück fuhr. Amir wollte sich nur um das Casting kümmern. Auf die Frage wie sich das Leben als Frau im Iran anfühlt, antwortet sie:

„So, wie im Film. Rahimi kann nicht allein in einem Hotel einchecken. Eine Frau kann Mutter sein aber im Beruf gibt es Schwierigkeiten, weil das Land von einer patriarchalischen Gesellschaft einer totalitären Regierung beherrscht wird, der es nur um Tradition und Religion geht. Rahimi spürt Widerstände bei jedem Schritt. Frauen haben zehnmal so viel Probleme im Iran wie Männer. Wir haben keine Stimme, nicht unseren Körper, wir haben keine Kontrolle über unser Leben“.


Als Lockvogel hat Rahimi gute Arbeit geleistet, aber jetzt wird es unerträglich. Nach der Festnahme des Kriegsveteran Saeed, der an posttraumatischer Belastungsstörung litt, wurde er von seinen Anhängern als Held gefeiert. Seine Frau und sein kleiner Sohn sind stolz auf seine Taten.“Ich habe das alles für Gott getan“, sagt er vor Gericht. Im Gefängnis erzählt er dem Sohn wie er die Frauen umgebracht hat. Sein Sohn wurde von seinen Anhängern aufgefordert, in die Fußstapfen des Vaters zu treten.

Inspiriert zu diesem Film wurde Abbasi nachdem er eine Dokumentation über Saeed Hanaei gesehen hatte. Dass Abbasi seinen Film wie einen düsteren Thriller mit drastischen Bildern drehte, war gewollt. So erreicht er auch beim Mainstream Publikum eine eine Aufmerksamkeit.

Regisseur Ali Abbasi:

„Wenn du in einem Land lebst, in der sie einer Sechzehnjährigen ins Gesicht schießen, ihre Leiche zehn Tage später der Familie zeigen, dann die Leiche stehlen, heimlich beerdigen und auf die Verwandten schießen, die zum Trauern gekommen sind, um schließlich die Mutter zu foltern, damit sie im Fernsehen auftritt, dann hast du alle verdammten Grenzen, alle moralischen Linien überschritten.“


Zar Amir Ebrahimi wurde in Cannes für ihre Rolle als Journalistin als beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Ulrike Schirm


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Die »Love Parade« ist längst vorbei und in die Annalen der Geschichte eingegangen. Die elektronische Musik mit ihren vielen Facetten und Richtungen von House bis Techno lebt weiter. Der Berliner Sender PURE-fm, der lange Zeit diese Musik über den digitalen Rundfunk DAB bundesweit verbreiten durfte, musste zwar kürzlich Insolvenz anmelden, kann aber im Internet weiter empfangen werden. An seiner Stelle wird jetzt mit ähnlicher Ausrichtung BEATS-Radio über DAB mit der Moderatorin Anja Schneider gesendet, die man aus früheren Zeiten von Kiss FM und dem rbb Jugendradio FRITZ her kennt.

Ende des Monats werden auch die Berliner Festivals "TRANSMEDIALE - Festival für Medienkunst und digitale Kultur" sowie die einstige Club Trans Mediale, heute "CTM - Festival for adventurous music and art" wieder am Start sein.

Einer der visuellen Höhepunkte wird die Uraufführung eines Dokumentarfilmes über die ehemalige Kölner Band "CAN" sein, die 1968 von Irmin Schmidt und Holger Czukay gegründet wurde. Bis 2018 standen sie in wechselnden Formationen mit ihren sphärischen Klängen und elektronisch erzeugten Bildern auf der Bühne.

Da die meisten Band-Mitglieder inzwischen tot sind, kann leider kein Konzert mehr stattfinden. Im Rahmen des CTM-Festivals werden andere Bands in dem seit 18 Jahren bestehenden Club BERGHAIN auftreten, bei dem es selbstironisch im aktuellen Monatsprogramm heißt: «Endlich volljährig, aber immer noch nicht erwachsen».

Der Dokumentarfilm "CAN and ME" von Michael P. Aust, wird am Freitag, den 27. Januar 2023, um 19:00 Uhr im Kuppelsaal des Silent Green Kulturquartiers in Berlin-Wedding gezeigt. Das Werk erlaubt einen intimen Blick auf das Leben des 85-jährigen Band-Mitbegründers Irmin Schmidt. Der Film, der ebenfalls im Rahmen des CTM-Festivals uraufgeführt wird, zeigt den Weg des letzten noch lebenden Gründungsmitglied von Kölns Krautrocklegende vom klassischen Dirigenten über den Schüler von Stockhausen zu CAN, weiter über Filmmusik für Wim Wenders und Roland Klicks Oper bis zur elektronischen Clubmusik.

Hier der Trailer:


Ab 09. März 2023 in den deutschen Kinos.

Ganz im Gegensatz dazu, grölte einst von einem Love-Parade-Track DJ Baxxter sein "Hyper, Hyper!" eher unsensibel, sondern die Masse anstachelnd, in die Meute. Ein Filmteam sollte ihn mit seiner Band SCOOTER auch mehr als 20 Jahre später bei seiner noch immer unter gleichem Motto vorhandenen Tour begleiten. Doch wegen Corona kam alles anders und man erlebt einen Techno-DJ, der auch intelligent und sensibel sein kann, während seine Bandmitglieder sich inzwischen in alle Winde verstreut haben. Mehr dazu verrät uns Ulrike in ihrer Filmkritik, die ihn anfangs gar nicht mochte, nach dem Film aber sympathisch empfindet.

"FCK 2020 - zweieinhalb Jahre mit SCOOTER" Dokumentation und Musikbiopic von Cordula Kablitz-Post über den ostfriesischen DJ und Sänger H.P. Baxxter mit seiner Band Scooter. (Deutschland, 2022; 113 Min.) Seit 12. Januar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Zweieinhalb Jahre hat Regisseurin Cordula Kablitz-Post die Technoband Scooter begleitet. Eigentlich sollte es eine Tour-Begleitung sein, doch Corona machte einen Strich durch dieses Vorhaben.

Ihr Film beginnt mit einem Konzert ohne sichtbares Publikum, denn man konnte die Show nur streamen. Statt dessen erlebt man H.P. Baxxter wie er selbstironisch Einblicke in sein Privatleben gibt, so etwa nach dem Motto: „Was ich schon immer über ihn wissen wollte“.

Wie viele andere auch, gehörte ich nie zu den Fans dieser erfolgreichen Liveband. Wenn ich schon dieses „Hyper, Hyper!“ hörte war ich bedient und Frontmann Baxxter gehörte nie zu meinen Idolen. Er wurde wohl öfter angefeindet, wie er in dieser Doku zugibt und darunter auch gelitten hat. Obwohl etwa 30 Millionen Tonträger der Technoband verkauft wurden, leben sie von ständigen Touren. Nun müssen sie sich in den Corona-Zeiten irgendwie zurechtfinden. Sie streamen Konzerte. Corona und Autokino lehnt Baxxter ab. Dann machen sie es in Ingolstadt doch, mit Tänzern und Pyrotechnik unter ohrenbetäubendem Lärm und wackelnden Autos. Sie sind ganz begeistert von der Atmosphäre.

Cordula Kablitz-Post hatte schon die Düsseldorfer Band "Die Toten Hosen" mit der Kamera begleitet. Baxxter war von ihrer Arbeit überzeugt und willigte ein, obwohl er eigentlich keine Homestorys erlaubt.

Und das war auch gut so. H.P. Baxxter zeigt sich als offener Gesprächspartner, ohne Scheu lässt er Einblicke in sein Privatleben zu. Er zeigt sich beim Schminken, erzählt, dass er jede Woche zum Friseur muss, sonst fühle er sich ganz schlecht. Erzählt weiter, dass im Backstage-Bereich seine Gesetze gelten und dass er nach ihren Auftritten, den „Barzwang“ mit Wodka-Besäufnis ausrief.

Sein Zuhause ist ein luxuriöses Haus mit einem riesigen Garten. Im Haus, mit seinen Ölgemälden an den Wänden, alten Teppichen und grün gestrichenen Wänden, ist alles picobello aufgeräumt, um seine innere Unordnung zu kompensieren. Selbst beim Feiern braucht er bestimmte Rituale, damit er im chaotischen Musikerleben, nicht aus der Bahn gerät. Auch über eine gescheiterte Beziehung redet er offen.

Wie die seltsamen Lyrics „How much is the fish“ oder „The question is: What is the question?“ oder „Hyper, Hyper!“ entstehen, zeigt, mit welchem Vergnügen er und die Musiker sich diese merkwürdigen Zeilen ausdenken, fern von jeder Arroganz, die man ihm fälschlicherweise gerne unterstellte.

Hans Peter Geerdes ist sein richtiger Name. Er stammt aus dem ostfriesischen Leer, berichtet von seinen Anfängen, zeigt sich mit Mutti am Kaffeetisch und übt auch an Mitstreitern Kritik.

Einige Shows fanden in der Zeit nur im Ausland statt. In Tallinn (Estland) war ein Open-Air- Konzert geplant. Es gießt wie aus Eimern. Das Konzert findet trotzdem statt. Keiner trug eine Maske. Auch in Manchester gaben sie ein Konzert in einem Zelt. Es war brechend voll.

Im Januar 2022, endlich wieder ein Auftritt in Deutschland, Bremen. Sogar Baxxters Familie ist dabei. Ein Auftritt, auf den sie zweieinhalb Jahre gewartet haben. 90.000 Menschen bei „Rock im Park“. Die Menschenmenge tobt.

"FCK 2020" – der Titel des Scooter Songs ist auch Programm für den Film. Als die Pandemie 2020 ausbrach, dachte Baxxter, der Dreh ergebe nun keinen Sinn mehr...

Das Gegenteil ist der Fall. Der Film zeigt, wie kreativ man sein muss, um diese Zeit zu überstehen, ohne in Depressionen zu verfallen. Außerdem hat man einen Baxxter kennengelernt, den man so, wahrscheinlich sonst nicht kennengelernt hätte. Ein ganz normaler Typ, humorvoll, eitel, kleine Macken, wie wir alle und ohne Arroganz. Hätte er auf Mutti gehört, wäre er heute Finanzbeamter. Dieses Kennenlernen hat mir Spaß gemacht, obwohl der Hintergrund eigentlich traurig ist. Ich finde ihn jetzt sehr sympathisch. Der Film beinhaltet auch ein unterhaltsames Stück Musikgeschichte. Baxxter würde wohl zu den zweieinhalb Jahren „FCK...It. sagen. Im Nachhinein.

Ulrike Schirm


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