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Eine Preview und zwei weitere Filmkritiken zur 48.+49. KW 2022

Das Berliner Weltkinofestival AROUND THE WORLD IN 14 FILMS zeigt am Mittwoch in einer Preview die Deutschlandpremiere von "ACHT BERGE".



Der Spielfilm "ACHT BERGE" der belgischen Filmemacher*innen Charlotte Vandermeersch & Felix Van Groeningen ist mitnichten ein Heimatfilm à la Luis Trenker, sondern ein preisgekröntes Drama um Jugend- und Männerfreundschaften nach dem gleichnamigen Roman von Paolo Cognetti. Dem im Wettbewerb des Internationalen Filmfestivals von Cannes im Mai 2022 aufgeführten Werk wurde der »Preis der Jury« zuerkannt, der vornehmlich junge Filmemacher ehrt (ex aequo mit "EO" des polnischen Regisseurs Jerzy Skolimowski). Zudem gelangte "ACHT BERGE" in die Vorauswahl zum Europäischen Filmpreis 2022.

Das Festival "14 Films" zeigt vom 1.–10. Dezember 2022 zum 17. Mal ausnahmslos preisgekrönte Werke, die bisher noch keine Deutschlandpremiere hatten. Darunter auch einige Werke, die möglicherweise für Deutschland gar keinen Vertrieb erhalten, dennoch von Thematik und Gestaltung zu den besten Filmen des aktuellen Weltkinos gehören.

"ACHT BERGE" wird erst im Januar 2023 in die deutschen Kinos kommen, aber vorab in einer einzigen Vorstellung am Mittwoch, den 7.12.2022, um 20:30 Uhr im Rahmen des Berliner Filmfestivals im Delphi LUX Kino am Bahnhof Zoo gezeigt.

Den Abschluss des Festivals bildet am Samstag, den 10.12.2022 das Drama "THE BANSHEES OF INISHERIN" des Irischen Dramatikers und Regisseurs Martin McDonagh, bei dem es um das Zerwürfnis einer langjährigen Männerfreundschaft geht. Der Film, für den Hauptdarsteller Colin Farrell auf dem Internationalen Filmfestival von Venedig in diesem Jahr die Coppa Volpi als bester Darsteller erhielt, wird im Anschluss an die Preisverleihung des Postproduction Awards ebenfalls als Preview um 19:45 Uhr im CineStar Kino in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg gezeigt.

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"ACHT BERGE" italienisches Drama um eine langanhaltende Jugendfreundschaft von Charlotte Vandermeersch & Felix Van Groeningen. (Belgien / Frankreich / Italien, 2022; 147 Min.) Mit Luca Marinelli, Alessandro Borghi, Filippo Timi u.a. als Preview am 7.12.2022 in Berlin und ab 12. Januar 2023 regulär im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

Pietro ist 11 Jahre alt, als er mit seinen Eltern den Sommer in den Bergen verbringt. Kinder leben dort gar keine mehr. Nur Bruno ist im gleichen Alter. Die Buben freunden sich an, nachdem Pietros Eltern die beiden zusammenbringen. Ihre Freundschaft wird ein Leben lang halten. Ihre Freundschaft ist eine, die auch lange Zeiten der Trennung überdauert.

Die Geschichte nach der Vorlage des gleichnamigen Romans von Paolo Cognetti erzählt von den Wendepunkten im Leben von zwei Kindern bis hinein in ihre Lebensmitte. Dabei verlaufen die Entwicklungen dieser Zwei teils parallel zu einander. Teils gehen beide Figuren ihren ganz eigenen, konträren Weg. Immer aber beeinflusst das Leben des einen, das des anderen.

Pietro (Lupo Barbiero spielt das Kind, Andrea Palma den Jugendlichen und Luca Marinelli den Erwachsenen) ist ein Stadtkind. Auf den Wiesen und zwischen den Bergen blüht er auf. Die Natur sieht er als Gegenstück zur hektischen, luftverschmutzten Stadt an.

Bruno (Cristiano Sassella spielt den 11jährigen, Francesco Palombelli den Heranwachsenden und Alessandro Borghi den Älteren) kennt nichts als die Berge. Schon von klein an muss er auf der Alm mit anpacken. Die Freundschaft der Beiden ist vollkommen und vollkommen unschuldig. Ein Riss tut sich auf, als sich die Eltern von Pietro darum bemühen, Bruno die gleichen Möglichkeiten zu geben, die ihr eigener Sohn hat. Sie würden ihn aufnehmen, mit in die Stadt holen, damit er dort zur Schule gehen kann. Pietro fühlt instinktiv, dass Bruno in der Stadt nicht mehr derselbe wäre. So als würde ihn die Stadt verderben. Dazu kommt es nicht. Das Verantwortungsgefühl der Eltern für den zweiten Jungen ist das eine. Aber ist es die richtige Entscheidung? Ist Pietro egoistisch, wenn er sich sträubt? Zumindest diese Entscheidung wird von jemand ganz anderem getroffen werden. Die Wege der Beiden trennt sich daraufhin auf viele Jahre.

Es ist Pietro, der diese Geschichte erzählt. Pietro, der seinen Platz im Leben nicht findet. Zu einem Zeitpunkt der Trauer begegnet er Bruno wieder und ihre Freundschaft ist jetzt eine andere. Gemeinsam bauen sie in den Bergen eine Hütte, die für viele Jahre ihr gemeinsamer Ort der Begegnung wird. Dieser Ort in den Bergen ist die Konstante des Spielfilmes von Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch. Van Groeningen hatte mit "The Broken Circle" seinen internationalen Durchbruch. Und auch "Acht Berge" hält Tragik und Melodram bereit. Während Pietro hinaus in die Welt zieht, immer auf der Suche, immerzu rastlos, bleibt Bruno an dem einen Ort, wo seine Kindheit ihn verankert hat. Er will weder irgendwo anders sein, noch sich auf neue Begebenheiten einlassen.

Was ist nun der bessere Lebensweg? Veränderung oder Verharren? Was verliert man, wenn man sich für das eine, was, wenn man sich für das andere entscheidet? Indem das Publikum beide Lebenswege parallel verfolgt, kann es beide Seelen erfühlen. Dass das Leben viel Schmerz bereit hält, versteht sich dabei von selbst.

Die Wendungen, die Eckpunkte sollen gar nicht verraten werden. Leicht könnte man "Acht Berge" auf die Beziehung der zwei Kinder bzw. Männer reduzieren. Das jährliche Zusammentreffen von zwei im Wesen so wortkargen Männern am immer selben Ort in der Wildnis weckt vielleicht auch Assoziationen zu anderen Filmen. "Acht Berge" lockt mit wunderschönen Naturaufnahmen und hält im Tempo immer wieder inne, verlangsamt sich, wartet und trottet dann weiter. Aber vielleicht will die Geschichte uns auch nur die Möglichkeit geben, darüber nachzudenken, wie sehr uns die, die uns nahe stehen auf unserem Weg beeinflussen und wie sehr wir ihre Geschichte mittragen auf unserem Lebensweg.

Elisabeth Nagy


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"CALL JANE" Drama von Phyllis Nagy um einen 1968 noch streng verbotenen Schwangerschaftsabbruch in den USA, der auch heute erneut in einigen konservativen Bundesstaaten verboten ist. (USA, 2022; 122 Min.) Der Film feierte seine Weltpremiere auf der 72. Berlinale in Berlin. Mit Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Chris Messina u.a. seit 1. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Chicago, 1968. Joy Griffin (Elisabeth Banks) lebt mit ihrem Mann Will (Chris Messina) ein sorgenfreies Leben in einem wohlsituierten Vorort. Er ist Anwalt und sie kümmert sich um den Haushalt und ihre 15-jährige Tochter Charlotte. Sie ist mit ihrem Leben zufrieden. Als sie ihren Mann zu einem Firmenempfang begleitet, erlebt sie eine Yippie-Demo auf der Straße. Befremdlich äußert sie: „Und die ganze Welt sieht zu“.

Bei ihnen zuhause wird gebetet und die erste Periode ihrer Tochter ist etwas ganz Großartiges. Das Paar erwartet ein zweites Kind. Bisher lief alles zufrieden und selbstbestimmt.

Bei einer Routineuntersuchung erhält sie die Diagnose Kardiomyopathie, verursacht durch die Schwangerschaft. Joy steht vor einem Dilemma. Soll sie die Schwangerschaft abbrechen, denn ihr Zustand ist lebensbedrohlich. Joy und ihr Mann bitten bei der Ärztekammer um eine Notabtreibung.

Die Kammer, bestehend aus Männern, lehnt ihr Gesuch ab. „Es könnte ja sein, dass sie die Geburt doch überlebt oder zwei Psychiater bezeugen, dass sie selbstmordgefährdet ist.“ Sie überlegt, ob sie sich die Treppe hinunterstürzt. In den sechziger Jahren bestimmte die Männergesellschaft über den Körper der Frauen, egal aus welchem Grund sie schwanger wurden und was es für sie im schlimmsten Fall bedeutete.

„Call Jane“ beschreibt was für ein Glück Joy hatte, auf die „Vereinigung Jane“ zu stoßen. Zufällig sieht sie einen der zahlreichen Zettel die an Bushaltestellen kleben mit dem Aufruf: „Schwanger? Hier bekommst du Hilfe.“ Sie notiert sich die Telefonnummer.

Auf der Fahrt zu dem geheimen Ort, muss sich Joy die Augen verbinden, denn Viktoria (Sigourney Weaver) und ihre Aktivistinnen können keinerlei Risiko eingehen. Das Vorgehen ist ziemlich konspirativ.

Der Arzt, der die Abtreibung macht, nimmt die um Hilfe suchenden Frauen zwar aus und verlangt 600 Dollar für den Eingriff, aber er ist der Beste seines Fachs. Seine erste Frage an Joy: „Gehören sie der Polizei an?" Diese muss sich nämlich ausweisen, wenn man sie direkt fragt.

Nach dem Abbruch werden die Frauen bestens umsorgt. Ihrem Mann und ihrer Tochter erzählt sie eine glaubhafte Geschichte wie sie ihr Baby verloren hat und das es jetzt im Himmel sei. Charlotte (Grace Edwards) will davon nichts hören. Ihr Mann glaubt an eine Fehlgeburt.

Nach und nach fühlt sich Joy im Kreis des Kollektivs immer sicherer. Der Kontakt zu den Aktivistinnen verändert nicht nur ihre politischen Ansichten, sondern sie findet auch zu sich selbst. Sie übernimmt Fahrdienste, betreut die Frauen, assistiert Dr. Dean (Rupert Friend) bei den Eingriffen bis sie so weit geht und eigenständige Abtreibungen ausführt.

Ihr Mann und ihre Tochter glauben, dass sie ganz viel Zeit in einem Malkurs verbringt. Charlotte wundert sich, dass sie noch nie ein Bild mit nach Hause gebracht hat. Es wird viel diskutiert. Was passiert mit den Frauen, die das Geld für die Abtreibung nicht aufbringen können? Finanziell ziehen nicht nur die schwarzen Frauen den kürzeren , sondern auch die weißen Frauen haben das Geld oftmals nicht. Lösungen müssen gefunden werden. Die Zahl der Frauen die von der Organisation Hilfe brauchen und nicht zahlen können, wird immer größer. Abtreibungen waren verboten bis zum Grundsatzurteil des Supreme Court Roe v. Wade 1973. Bis dahin gab es bei den „Janes“ nicht einen einzigen Todesfall bei ihrer Arbeit. „Freiheit für Jane!“ lautet das Motto. 1973 geht der Dank auch an die Männer, die es geschafft haben, ihre Frauen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das Netzwerk „Jane Collective“, das in den 60er und 70er Jahren in Chicago hunderte von illegalen aber sicheren Schwangerschaftsabbrüchen durchgeführt hat, ist keine Erfindung, sondern hat es wirklich gegeben.

Regisseurin Phyllis Nagy (Carol) legt den Fokus nicht auf die Verzweiflung der betroffenen Frauen sondern auf den Mut und den Zusammenhalt der Aktivistinnen, die sich auf den Boden der Illegalität begeben haben und bei denen sogar eine Nonne mitwirkte. Leider, leider ist ihr Film schon wieder hochaktuell, denn das Recht auf Selbstbestimmung im Fall von Schwangerschaftsabbrüchen wird schon wieder eingeschränkt und man darf es nicht zulassen, dass die Rechte womöglich ganz verloren gehen, denn der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court, das oberste US-Gericht, hat unlängst das Recht auf Abtreibung schon wieder kassiert.

Ulrike Schirm


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"SHE SAID" Gerichtsdrama von Maria Schrader über zwei Journalistinnen der New York Times, die mit ihren Recherchen die #MeToo Debatte 2017 ins Rollen gebracht haben. (USA, 2022, 129 Min.) Mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson u.a. ab 8. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Irland 1992. Die Schauspielerin Laura Madden rennt. Ihre Bluse ist weit geöffnet, ihr Gesichtsausdruck panisch. Kurz zuvor sah man sie fröhlich am Set von Harvey Weinsteins Filmproduktionsfirma Miramax. So beginnt Maria Schraders Film „She Said“.

Es sind Szenen aus ihrem neuen Film über zwei Journalistinnen der New York Times, die an einer Enthüllungsgeschichte über Harvey Weinstein arbeiten, die auf dem Buch der beiden Reporterinnen von 2019 basiert. Jodi Kantor und Megan Twohey. Jahre später wird Laura Madden den beiden erzählen, was damals passiert ist.

USA 2016. Trotz des Bekanntwerdens von sexuellen Übergriffen Donald Trumps auf Frauen, ist er als US-Präsident vereidigt worden. Eine der Frauen bekommt nach ihrer Veröffentlichung ein Briefcouvert voller Scheiße.

Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan) regen sich schon nicht mehr darüber auf. Viel mehr interessiert sie ein Tweet der Schauspielerin Rose McGovan, die einen namenhaften Hollywood-Produzenten beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben. Jodi und Megan machen sich auf die Suche nach weiteren Frauen, denen Ähnliches passiert ist. Sie werden fündig. Das Problem, keine von ihnen will alleine öffentlich darüber reden.

Der Film beschreibt die monatelangen Recherchen, die den einst mächtigen Hollywood-Produzenten wegen sexueller Übergriffe zu Fall gebracht haben. Jodi und Megan decken ein übles System von Schweigeklauseln, Schweigegeld und Einschüchterungen auf.

Die Schauspielerin Ashley Judd, die sich im Film selbst spielt, ist die Einzige, die öffentlich aussagt, dass 8 bis 12 Zahlungen vorgenommen wurden. Auch Gwyneth Paltrow ist eine von den Betroffenen.

Weinstein selbst taucht im Film nicht auf. Es gibt eine kurze Szene, da sieht man ihn, gespielt von Mike Houston, nur von hinten. Es gibt auch keine Vergewaltigungsszenen, sondern Hinweise und Tonaufnahmen, die unter die Haut gehen.

Schrader zeigt, wie anstrengend die Arbeit der beiden Investigativ-Journalistinnen ist. Beide Frauen haben Familie und Kinder. Megan leidet unter postnatalen Depressionen und Jodi ist Mutter einer kleinen Tochter. Beide Frauen sind mehr unterwegs als zuhause, angetrieben von dem Gedanken, den zum Opfer gewordenen Frauen die Stimme zurückzugeben. Psychologen haben herausgefunden, dass es oft Jahre dauert, bis die Opfer über die Taten privat und öffentlich sprechen können. Die Scham ist groß. Jahre später berichtet Laura Madden, was ihr damals passiert ist und das Weinstein ihr an dem Tag ihre Stimme nahm.

„She Said“ reiht sich durchaus in die Reihe von journalistischen Aufklärungsfilmen ein, wie die „Unbestechlichen“ und „Spotlight“.

Für ihre Recherche erhielten die Reporterinnen Jodi und Megan 2018 den Pulitzerpreis. Ihre intensive Arbeit hat die #MeToo-Bewegung eingeläutet. Am Ende waren es 82 Frauen, die ihr Schweigen gebrochen haben.

Vielleicht gewinnt der Film „She Said“ bei der Oscarverleihung in einigen Kategorien. Dann kann Weinstein im Gefängnis seinen Untergang filmisch verfolgen. Viel Spaß dabei.

Ulrike Schirm


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