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Weiterer Iranischer Filmemacher inhaftiert - unsere Filmkritiken im Juli 2022, Teil 4

Akademie der Künste fordert Freilassung der iranischen Filmemacher Mohammad Rasoulof, Mostafa Al-Ahmad und Jafar Panahi.



Die Akademie der Künste ist tief besorgt über die jüngste Repressionswelle im Iran. Sie protestiert gegen die Inhaftierung der Filmemacher Mohammad Rasoulof und Mostafa Al-Ahmad sowie zuletzt Jafar Panahi, der in Theheran gegen die Verhaftung seines Kollegen vor Gericht protestierte und daraufhin selbst in Gewahrsam genommen wurde.

Mohammad Rasoulof gewann 2020 mit seinem Film "There Is No Evil" ('Doch das Böse gibt es nicht') den Goldenen Bären der Berlinale. Jafar Panahi erhielt die Auszeichnung 2015 für "Taxi Teheran".

Die Verhaftungen der drei Regisseure sind ein Angriff auf die Freiheit der Kunst. Gemeinsam mit der Berlinale, den Filmfestspielen von Cannes und der Europäischen Filmakademie fordert die Akademie der Künste die iranischen Behörden auf, die drei Filmemacher umgehend freizulassen.

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"MEINE STUNDEN MIT LEO" Romanze von Sophie Hyde (Großbritannien, 2022 - OT: "Good Luck To You, Leo Grande"). Mit Emma Thompson, Daryl McCormack, Isabella Laughland u.a. nach den Premieren in Sundance und bei der 72. Berlinale seit 14.07.2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die pensionierte Religionslehrerin und Witwe Nancy Stokes (Emma Thompson), tut nach dem Tod ihres Mannes etwas, was sie vorher wahrscheinlich nicht für möglich gehalten hat. Sie bestellt sich einen jungen Callboy aufs Hotelzimmer, um einmal im Leben guten Sex zu haben, was in ihrem Fall bedeutet, nie wieder einen Orgasmus vorzutäuschen, sondern endlich zu spüren, was das bedeutet.

Der Escort-Service schickt ihr einen attraktiven jungen Mann, Leo Grande (Daryl McCormack), der über gute Manieren verfügt und ein ausgesprochen guter Gesprächspartner ist, sehr feinfühlig und ihre Bedürfnisse versteht. Das erste Treffen verläuft noch ziemlich schüchtern und befremdlich für Nancy. Das zweite Treffen ist schon lockerer, findet im selben Hotelzimmer statt und Nancy hat sich vorbereitet, in dem sie eine Liste geschrieben hat, die sie Punkt für Punkt abarbeiten will.

„Es gibt Nonnen, die mehr Sexerfahrungen haben als ich“, klagt die anfänglich noch trutschige Nancy. „Okay, fangen wir mit dem Blow-Job an“. Was so locker klingt, ist von Nervosität begleitet aber aufgeben will sie auch nicht.

Gelockert wird die Atmosphäre durch die privaten Gespräche, die die beiden zwischendurch führen und Nancy ihre Scheu vor dem, was sie hier tut, immer mehr verliert und die Chemie zwischen beiden stimmt. Was als Film über den Alltag von Sexarbeit beginnt, entwickelt sich nach und nach zu einem humorvollen, sowohl als auch anrührenden Seelenstriptease, mit der Botschaft, dass Sex auch im Alter möglich ist und seine Berechtigung hat.

Sensationell, wie wagemutig Emma Thompson an ihre Grenzen geht und sich nicht scheut, ihren Körper nackt zu zeigen.

Ausschnitt aus einem Interview mit Emma Thompson: Erfordert die Nacktheit viel Mut beim Dreh? „Ja, das war ganz schön hart. Zumal wir alle es einfach nicht gewohnt sind, untrainierte Körper auf der Leinwand zu sehen. Ich wusste, dass Nancy niemand ist, der ins Fitnessstudio geht und den Körper einer 62-jährigen hat, die zwei Kinder geboren hat“.

Sollten wir in unserer Gesellschaft offener über Intimes sprechen? „Natürlich. Darum geht es. Genau das will dieser Film uns vermitteln“. (Quelle: cinema 7 / 22)

Ulrike Schirm


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"DIE RUHELOSEN" Familiendrama von Joachim Lafosse (Belgien, Luxemburg, Frankreich - OT: "Les intranquilles"). Mit Leïla Bekhti, Damien Bonnard, Gabriel Merz Chammah u.a. nach der Wettbewerbspremiere 2021 in Cannes, bei uns erst seit 14.07.2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Auf den ersten Blick wirkt die Familie ganz normal. Vater Damien malt großflächige Ölbilder. Seine Frau Leila restauriert alte Möbel und ihr gemeinsamer Sohn Amine hat viel Spaß mit seinen Schulkameraden draußen in der Natur, denn ihr geräumiges Haus ist umgeben von viel Grün und einem See in der Nähe.

Dass Amines Mutter besorgt ist, als ihr Sohn allein am Steuer des Motorboots zum Strand zurückkehrt und stolz darauf ist, kommt einem auch noch nicht merkwürdig vor. Von seinem Vater ist weit und breit nichts zu sehen. Dass Damien nachts aufsteht und sein Mofa repariert, hängt ganz offensichtlich mit seinen Schlafstörungen zusammen. Doch dann fällt es einem langsam auf. Damiens Verhalten wechselt von rauschhaften Phasen, in denen er anfängt zu kochen, mittendrin aufhört, seinen Sohn in Schlangenlinien zur Schule fährt oder ganz spontan alle Kinder auffordert zum See zu kommen und er ihnen zeigt, wie man ein Salto macht.

Dass Künstler anders ticken als Büroangestellte, ist bekannt. Aber bei näherem Hinsehen erkennt man, dass Damien krank ist und seine auffälligen Stimmungsschwankungen nicht nur ihn, sondern auch seine Familie belasten. Das Drama zeigt deutlich, was der Umgang mit einem psychisch kranken Menschen für die Angehörigen bedeutet und wie wichtig sie auch für seinen Schutz sind. Ab und zu muss Amine seine Mutter holen, meistens dann, wenn sein Vater Dinge tut, die ihm vor seinen Klassenkameraden peinlich sind. Amine weiß, dass sein Vater schon einmal wegen seiner bipolaren Störung im Krankenhaus war und wenn seine Anfälle wieder stärker werden, hat er nicht nur Angst, dass er wieder in die Klinik muss, sondern hat auch mit der Zeit ein feines Gespür entwickelt, wenn er besondere liebevolle Zuwendung braucht.

Leila ist mit ihrer Kraft auch am Ende. Nacht für Nacht wird sie durch seine Schlaflosigkeit geweckt. Inbrünstig bittet sie ihn, seine Tabletten zu nehmen, denn ohne, bekommt er regelmäßig besorgniserregende Schübe, bis hin zur Gewalttätigkeit und dem Gerede von wirrem Zeug. Ihm ist überhaupt nicht klar, wie ernst sie es meint, dass er sein Lithium vor ihren Augen einnimmt. Stattdessen beschimpft er sie und behauptet, sie sei krank. Gott sei Dank wohnt Damiens Vater in der Nähe. Mit einem Trick schaffen sie es, Damien in die Psychiatrie zu bringen. Leila und Amine bleiben traurig zurück.

Damien ist wieder zu Hause. Er ist sehr geschwächt. Die Dosierung seiner Medikamente ist sehr hoch und Leila muss sich um alles kümmern. Auch Amine ist überfordert, denn er muss auf den Vater aufpassen, wenn seine Mutter nicht da ist. Er empfindet Wut auf sie und ihre Verbote, die sie ihrem Mann gegenüber abverlangt. Sie hat Angst, dass er wieder rückfällig wird und nachts anfängt wie ein Wilder zu malen, denn sie weiß, dass Bipolarität nicht heilbar ist. Diesmal stößt sie an ihre Grenzen. Aus der liebenden Ehefrau ist eine strenge Pflegerin geworden.

Der belgische Regisseur Joachim Lafosse bezieht sich in seinem Film auf seine eigene Kindheit mit seinem bipolaren Vater. Er lenkt sein Augenmerk aber mehr auf die Familie, ihr Verbundensein, ihre Angst um den Vater und die verdammte Ruhelosigkeit, die zu Aggressionen und womöglich zum tragischen Ende einer Liebesbeziehung wird.

Damien beschließt zu seinem Vater zu ziehen, wenigstens so lange, bis es ihm wieder besser geht. Er will unbedingt wieder anfangen zu malen. Vater und Sohn fahren zum See. Leila macht sich Sorgen und will den Jungen zurückholen. Macht sie sich zu große Sorgen?

Damien sagt einen abschließenden Satz: „Ich kann auf ihn aufpassen, ich kann mich kümmern, aber ich kann nicht versprechen gesund zu werden“.

Ulrike Schirm


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