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Hochgelobter DFFB Film endlich im Kino - und drei weitere Filmkritiken

Sozialdrama der Deutschen Film- und Fernsehakademie und weitere Filmstarts im Kino.



"NICO" Sozialdrama von Eline Gehring (DFFB, 2021). Mit Sara Fazilat, Javeh Asefdjah, Sara Klimoska u.a. seit 12. Mai 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Mit geballten Fäusten einer Martial Arts Kämpferin ist die junge Deutsch-Perserin Sara Fazilat auf dem Filmplakat zu sehen. Aber der Schein trügt, denn Hauptdarstellerin Nico (Sara Fazilat) ist Altenpflegerin in Berlin und liebt ihren sanften Job. Besonders wegen ihrer fröhlichen und unbekümmerten Art ist sie allseits beliebt. Doch das Glück des Sommers währt nur so lange, bis sie Opfer eines rassistischen Angriffs wird.

Trotz sonst markiger Sprüche lässt sie sich von drei Jugendlichen einschüchtern. Die unangenehme Begegnung, unter der sie noch wochenlang leidet, hat aber auch ihr Gutes. Nach langer Zurückgezogenheit fasst sie schließlich Mut, einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen, was ihrem Leben eine neue Wendung gibt.

Regisseurin Eline Gehring, Hauptdarstellerin Sara Fazilat und Kamerafrau Francy Fabritz haben zu dritt das Drehbuch geschrieben und eigene Erlebnisse als Person of Colour und queere Person mit eingebaut.

Seit einem Jahr räumt der Film auf zahlreichen Festivals Preise ab und kann nun endlich auch bei uns in den Kino gesehen werden. "Nico" ist anders, der Film spielt und bricht ganz bewusst mit Stereotypen. Frauen können hier alles sein. Männer aber auch, um mit den üblichen Klischees aufzuräumen.

Nach anfänglicher Skepsis waren wir am Ende ebenfalls begeistert.

W.F.


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Um ein LGBTQ-Drama geht es auch beim nächsten Film "FIREBIRD", den der Verleih Salzgeber zusammen mit der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) bereits am Dienstag, den 17. Mai 2022, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-und Transphobie (IDAHOBIT), im Berliner Zoo Palast zusammen mit Hauptdarsteller Tom Prior und Regisseur Peeter Rebane dem Publikum vorstellen wird.

"FIREBIRD" mitreißender Liebesthriller von Peeter Rebane (Estland/UK, 2021). Mit dem russischen Darsteller Tom Prior und ukrainischen Schauspieler Oleg Zagorodnii, basierend auf einer wahren Geschichte. Ab 17. Mai 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

"Firebird" basiert auf den Memoiren des russischen Schauspielers Sergey Fetisow und seinem Buch „Die Geschichte von Roman“. Er war in den 1970er-Jahren auf einer sowjetischen Luftwaffenbasis in Estland stationiert.

Dass Peeter Rebanes Spielfilmdebut über verbotene schwule Liebe in der Sowjetarmee auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges- einen dermaßen aktuellen Filmstart in Deutschland bekommen würde, hätte man nicht geahnt. Noch heute sind queere Menschen in Russland schwersten Repressionen ausgesetzt.

Bei der Premiere des Films auf dem Internationalen Filmfestival in Moskau wurde versucht, die Aufführung zu behindern und das Filmteam zu diffamieren.

Estland in den 1970er-Jahren.

Der junge, künstlerisch interessierte Soldat Sergey (Tom Prior „Kingsman: The Secret Service“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“) absolviert seinen Militärdienst in Haapsalu, im sowjetisch besetzten Estland, während seine beste Freundin Luisa als Sekretärin des Basiskommandanten arbeitet.

„Aufstehen! Nutzlose kleine Ratten! Keine Mama, die euch hilft!“ Das ist der Jargon, mit dem die Soldaten geweckt werden. Sergey zählt die Tage bis zum Ende seines Militärdienstes auf der Luftwaffenbasis. Er träumt davon, in Moskau Schauspieler zu werden. Als der smarte, russische Kampfjetflieger Roman (dargestellt vom ukrainischen Schauspieler Oleg Zagordnii) auf die Basis versetzt wird, verfällt Sergey dem Charme des Piloten.

Roman zeigt Sergey, der viel fotografiert, wie man Fotos entwickelt. Es bleibt Roman nicht verborgen, dass Sergey das Theater liebt. Heimlich nimmt er ihn mit zur Aufführung von Strawinskys „Feuervogel“. Sergey ist fasziniert von den Tänzern. Von nun an bewegen sich die beiden auf dem schmalen Grat zwischen Liebe und Freundschaft, noch nicht bemerkend, dass sie bespitzelt werden.

Der KGB wurde anonym informiert. Der Name des Gefreiten wurde in der Anzeige nicht erwähnt. Die Situation wird für beide immer brenzliger. Beide riskieren ihre Freiheit und ihr Leben, sollten sie so weiter machen.

(Artikel 121: Eine sexuelle Beziehung eines Mannes mit einem Mann wird mit einer Gefängnisstrafe von 5 Jahren im Arbeitslager belegt.)

Sie müssen sich entscheiden: Leben sie ihre verbotene Liebe weiter, oder entscheiden sie sich, eine Ehe mit einer Frau einzugehen, um den bürgerlichen Schein zu bewahren. Luisa ist in Roman verliebt. Von dem Verhältnis der beiden Männer ahnt sie nichts. Nach dem Wehrdienst trennen sich die Wege der beiden Männer. Noch Jahre später ist ihre Liebe noch längst nicht vergessen.

Regisseur Peeter Reban nennt sein Debut einen mitreißenden Liebesthriller. Und das ist er auch. Der Film zeigt deutlich, was derartige Verbote nicht nur mit den akut Betroffenen macht, sondern auch mit Personen um sie herum.

Ulrike Schirm


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"BETTINA" Portrait von Lutz Pehnert über die Liedermacherin und Widerstandskämpferin Bettina Helene Wegner (Deutschland, 2022). Der Film feierte seine Premiere in der Sektion Panorama der 72. Berlinale. Im Kino ab 19. Mai 2022. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Bettina Helene Wegner, 1947 in Westberlin geboren, in Ostberlin aufgewachsen.

Bekannt wurde die Liedermacherin mit dem einfühlsamen und aufrüttelnden Lied „Sind so klein die Hände…“. Sie singt es heute noch. Aber am liebsten singt sie Liebeslieder.

In dieser Berliner Biografie blickt Bettina Wegner humorvoll, offen und unbeirrt auf ihr Leben zurück.

Regisseur Lutz Pehnert portraitiert diese ungewöhnliche Frau, die eigentlich gerne Schauspielerin geworden wäre und die im Laufe von vierzig Jahren ihre eigenen Gebote entwarf, nach denen sie ihr Leben gestaltet:

„Aufrecht stehen, wenn andere sitzen, Wind sein, wenn andere schwitzen, lauter schreien, wenn andere schweigen, beim Versteckspiel sich zu zeigen…“ Mit 12 hat sie Lieder und Gedichte geschrieben, die sich um die Atombombe rankten.

„Es war nur eine kleine Bombe, sie sah ganz harmlos aus, doch als sie fiel, fiel auch dein Haus“.

Als die Leute weinten, wenn sie die Lieder hörten, war ihr klar, alles richtig gemacht zu haben.

Sie war eine glühende Verehrerin von Stalin, weiß aber nicht so genau warum: „Er war einfach überall“.

Mit 21 Jahren stand sie vor Gericht, weil sie gegen das gewaltsame Ende des Prager Frühlings protestiert hatte, indem sie Flugblätter mit folgenden Losungen verteilt hat:

„Hände weg von Prag. Nieder mit den Mördern von Prag“ und ähnliches. „Lieber hätte ich mich offen auf die Straße gestellt und laut gesagt, was ich denke“, sagt sie der Richterin im Verhör.

Pehnert nutzt Archivmaterial aus Ost und West und Audiomitschnitte aus ihrem Prozess, wo sie ehrlich Rede und Antwort steht. Er gibt ihr viel Raum zu erzählen, nicht nur mit Worten, sympathisch gefärbt im Berliner Dialekt, Hochdeutsch ist nicht ihre Sprache, sondern auch gesanglich. Ihre Lieder stimmen, ihre Texte treffen und ihre Melodien gehen unter die Haut.

Wegen staatsfeindlicher Hetze wurde sie für ein Jahr und vier Monaten verurteilt, in einer Fabrik arbeiten zu gehen. Eine schwere Zeit für sie, denn sie hatte ja den unehelichen Sohn Benjamin aus der Liebesbeziehung mit Thomas Brasch, den sie versorgen musste. Schmerzlich hat sie sich von Brasch getrennt, der sie betrogen und belogen hat.

Später hatte sie mit ihrem Mann Klaus Schlesinger die Idee im Haus der jungen Talente Veranstaltungen zu organisieren, wie „Eintopp“ und „Kramladen“, wo sie neben Gastauftritten von gleichgesinnten Künstler*innen ihre eigenen Lieder sang. Anschliessend gab es Diskussionen mit dem Publikum. Sie war jetzt eine freiberufliche Sängerin mit Berufsausweis.

Nach Biermanns Ausbürgerung war die Stimmung betrübt. „Ich weiß nur sicher, dass ich bleiben musste“, sagt Bettina.

Seit März 1980 tritt sie nur noch in der BRD auf. Sie hat ein Ausreisevisum und kann hin-und herfahren. Ihre Auftritte waren in der DDR nicht mehr erwünscht. Sie wollte unbedingt ihren Beruf ausüben und singen. Das ging im Osten nun nicht mehr. Die Ehe mit Schlesinger war auch am Ende.

Dem Staat wurde sie mit ihren politischen Texten immer unangenehmer und sie sollte nun endgültig die DDR verlassen und nach West-Berlin gehen. Das Ausreisevisum wurde für ungültig erklärt. Wie eine Löwin kämpfte sie darum, in ihrer Heimat zu bleiben. Widerwillig fügte sie sich, denn es drohte ihr eine erneute Haftstrafe. Mit 36 Jahren musste „sie ihre Wurzeln aus der Heimaterde drehen“. Ein Schmerz, den die heute 74-jährige noch immer spürt. Dass sie vor 20.000 Leuten in der Waldbühne auftrat, konnte sie nicht trösten.

„Wenn ich drüben sage, dann meine ich noch immer den Westen. Ich dachte immer in der kurzen Zeit der Wende könnte die DDR eine Option sein. Erst hieß es: Wir sind das Volk, dann hieß es: Wir sind ein Volk und dann: Wir sind ein blödes Volk“. Ein Witz von Schlesinger.

Der Werdegang dieser beseelten Künstlerin und unverbesserlichen Widerstandskämpferin, die eigentlich nur von der Liebe singen wollte, gehört zu den spannendsten Lebensläufen des 20.Jahrhunderts. Das hinreißende Portrait beginnt mit dem Lied „Wenn ich ein Vöglein wär…“ und endet mit gleicher Zeile.

Ulrike Schirm


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"SUN CHILDREN" Drama von Majid Majidi über das Leben in Armut eines zwölfjährigen Straßenjungen in Teheran. (Iran, 2020). Mit Rouhollah Zamani, Mahdi Mousavi, Ali Nasirian, Abofazl Shirzad, Shamila Shirzad u.a. seit 5. Mai 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Nachdem seine Mutter bei einem Brand schwer traumatisiert wurde, ist der zwölfjährige Ali auf sich allein gestellt. Um schnell an Geld zu kommen arbeiten Ali (Rouhollah Zamani) und seine Clique hart, machen kleine Jobs in einer Werkstatt, klauen Autoreifen von Luxuswagen, müssen vor der Polizei flüchten, und werden von windigen Auftraggebern ausgenutzt. Es bleibt ihnen nichts anderes, denn die Väter hocken im Knast, sind drogensüchtig oder verschwunden. Und so hetzen sie von Auftrag zu Auftrag, immer in Eile. Das könnte sich ändern.

Der alte Patriarch Hashem, der über den Dächern des Viertels eine Taubenzucht betreibt, erzählt von einem geheimnisvollen Goldschatz, der sich in einem verschüttenden Tunnelsystem befindet, das unter der „Sun-School“, einer gemeinnützigen Schule beginnt und den Ali mit seinen Freunden ausheben soll. Er hat Ali ein wenig unter seine Fittiche genommen. Das lassen sich Ali, Mamad, Reza und der albanische Migrant Abofazl nicht zweimal sagen. Sie melden sich kurzerhand in der Schule an, um auf dem Gelände graben zu können. Es herrscht gerade Aufnahmestopp. Ali schafft es, den Schulleiter zu überreden und erreicht eine kurzfristige Aufnahme. Die Hoffnung auf ein besseres Leben, treibt Ali und die Jungen zur heimlichen Schwerstarbeit im Kellergewölbe an. Wie besessen arbeitet sich Ali Stück für Stück durch Geröll und Schlamm vor, wenn er nicht gerade in der überfüllten Klasse dem Unterricht folgt.

Überhaupt ist es nur noch eine Frage der Zeit, wie lange die spendenfinanzierte Schule noch existiert. Da können sich die Lehrer noch so sehr engagieren. Es gibt diese Schulen tatsächlich in Teheran, sie sind aber permanent gefährdet und somit auch die Bildung der Straßenkinder. In diesem Fall stellt sich die Frage: „Was ist segensreicher? Der Goldschatz oder die früchtetragende Bildung“.

Einer von den Jungen macht Fortschritte in Geometrie, da er bei einem Fliesenleger gejobbt hat, der andere entwickelt sich zu einem Fußballtalent und darf in einem Verein trainieren. Er ist stolz, dass man sein Talent erkannt hat. Beide graben nicht mehr weiter.

Ali buddelt und buddelt. Ein bisschen hat er sich in Zahra, die Schwester seines Kumpels Abofazl (Abofazl Shiraz) verliebt, die illegal in der U-Bahn Schwämme verkauft und fleißig in der Schule mitarbeitet, denn sie will unbedingt etwas werden. Doch dann wurde sie in der U-Bahn festgenommen, die Haare werden ihr geschoren und die afghanische Flüchtlingsfamilie ist verschwunden. Traurig steht Ali vor der leeren Behausung.

"Sun Children", das neue Meisterwerk von Majid Majidi ("Kinder des Himmels", Farben des Paradieses") ist die visuell beeindruckende und emotional mitreißende Geschichte von vier Straßenkindern, die versuchen, sich ihren Weg aus der Armut zu erkämpfen. Es ist erstaunlich, dass Majidi sein Drama unter den Zensurbedingungen des Mullah-Regimes realisieren konnte.

Einige Kinder hat er auf der Straße gecastet, wie den kleinen Abofazl und seine Schwester Shamila, die die Zahra spielt. Majidi verwebt Krimielemente mit Abenteuerelementen und sozialem Realismus, vergisst aber nicht poetische Momente einzubauen. Es gelingt ihm virtuos, die Zuschauer zu verführen, um die jugendlichen Helden zu bangen und mitzufiebern.

Der iranische Film feierte seine Premiere vor zwei Jahren im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig 2020, wo er mit dem Laterna Magica Award und der Hauptdarsteller Rouhollah Zamani mit dem Marcello Mastroianni Award für den besten jungen Schauspieler ausgezeichnet wurde.

Ulrike Schirm


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