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Weitere Filmkritiken von der Berlinale aus den Sektionen 14plus & Forum

Rezensionen zu "PALAZZO DI GIUSTIZIA" (Ordinary Justice) und "THE TWO SIGHTS".



"PALAZZO DI GIUSTIZIA" (Ordinary Justice)

Feature-Film (Weltpremiere)
Generation 14plus

Vor dem Gesetz sind alle gleich. So steht es auf dem Gerichtsgebäude. So heißt es im allgemeinen. Die Frage nach Schuld und Unschuld oder die Schattierungen dazwischen geraten in dem Spielfilmdebüt von Chiara Bellosi in den Hintergrund. Das Gerichtsgebäude zieht den Zuschauer schon über die Tonspur mit einem Gewirr von Stimmen in seine Gänge hinein. Hier laufen Anwälte und Justizbeamte, Geschworene und Zeugen und Sekretäre und Angehörige auf und ab. Die Flure die die Handlung in Innen, der Verhandlung, und Außen, den Wartenden, teilt, ist hier der Mikrokosmos.

Ein kleines Mädchen, Luce (Bianca Leonardi) ist mit seiner Stiefmutter zuerst in der Kantine. Sie bekleckert sich und es macht ihr nichts aus. In den Toilettenräumen spielt sie mit dem Wasser und vor dem Gerichtssaal holt sie einen kleinen Spatz aus dem Rucksack. Ihre Stiefmutter treibt sie damit auf die Palme. Aber Bellosi wertet ihre Figuren nicht. Jeder geht mit der Situation anders um. Und so sehen wir ein älteres Mädchen Domenica (Sarah Short) mit ihrem Vater auf einer anderen Bank. Für ihn geht es sehr wohl um Schuld oder Unschuld, und er möchte nicht, dass seine Tochter überhaupt anwesend ist. Domenica bleibt trotzig da, verschlossen und in sich gekehrt. Als die Verhandlung beginnt und sich schließlich hinzieht, gerät dieser Warteraum in den Fokus und die Figuren müssen mit dem Nichtstun und der Ungewissheit und dem Vergehen der Zeit klar kommen.

Bellosi erkundet durchaus die Räumlichkeiten und bleibt nicht starr in einem Raum. Die Kamera von Maurizio Calvesi zeigt die Figuren mal aus der Ferne, immer wieder aus der Nähe, ist stets auf der Seite der Handelnden. Dem Film voran ging ein Prozess des Beobachtens. Chiara Bellosi verbrachte sechs Monate lang jeden Morgen auf den Fluren des Gerichtsgebäudes in Mailand. In so fern ist "Ordinary Justice" auch ein Film des Beobachtens. Doch mit einem trotzigen Kind und dem verschlossenen Gesicht eines jungen Mädchens und dem Herumflattern eines Spatzen, der so gar nicht dahin gehört, öffnet sich ein Spalt in die Welt hinter der Fassade der Flure und sogar ein bißchen Magie schimmert durch.

Elisabeth Nagy


"Ordinary Justice"
Drama.
Italien / Schweiz 2019
Regie Chiara Bellosi
Drehbuch Chiara Bellosi
Bildgestaltung Maurizio Calvesi
Montage Stefano Cravero
Musik Giuseppe Tranquillino Minerva
Szenenbild Giuliano Pannuti
Kostüm Loredana Buscemi
Make-Up Assunta Ranieri
Ton Christophe Giovannoni, Xavier Lavorel
Casting Massimo Appolloni

Termine:
Mo 24.02. 17:00 Urania
Di 25.02. 15:30 Filmtheater am Friedrichshain
Do 27.02. 15:30 Zoo Palast 1
Sa 29.02. 13:30 CinemaxX 3

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"THE TWO SIGHTS"

Dokumentarfilm (Weltpremiere)
Forum

Kino hat eine magische Qualität. Es wird uns eine Geschichte erzählt und wir saugen diese in uns auf, fiebern mit den Figuren mit, schlagen uns auf die eine oder andere Seite der Handelnden. Filme erzählten von Leuten und von Orten. Es gibt aber auch Filme, die besitzen eine hypnotisierende Qualität. Man lauscht dem Wasser und sieht die Oberfläche sich kräuseln und in der Ferne sieht man ein Boot, das wieder verschwindet. Und nach einer Weile sieht man etwas und ist sich nicht ganz sicher, ob das, was man gesehen hat, was man zu sehen glaubte, auch tatsächlich auf der Leinwand war. Man gerät in einen Zustand der Trance und öffnet sich dem Film auf weiteren Ebenen.

Ob das bei "The Two Sights" von Joshua Bonnetta ("El Mar la mar", den er in einem anderen Jahrgang im Forum vorgestellt hatte) beabsichtigt ist, kann ich nicht sagen. Mich lockte die knappe Beschreibung, die ich im Vorfeld nur zur Hälfte las. Landschaftsaufnahmen in Schottland. Impressionen vom Meer und den Klippen, von Weiden und von Häusern. Die Bilder sind 16-mm-Aufnahmen auf den äußeren Hebriden mit einem Blick für die Weite und das Detail, für Texturen und Formen. Menschen fügen sich meist winzig ein. Die Bilder werden von einer Tonspur begleitet bzw. ergänzt. Es sind nicht nur die Geräusche der Natur, sondern Erzählungen, eine ganze Reihe an Erzählungen, eine Oral-History mit Geschichten von Ereignissen. Diese erzählen davon, was vor Ort eine Besonderheit sein soll. Die äußeren Hebriden sollen ein Ort der Seher*Innen sein, diese hätten die Gabe Dinge vorauszusehen oder zu hören, sozusagen das "zweite Gesicht" oder das "zweite Gehör".

In dem Sinne könnte "The Two Sights", in der sich die Landschaft und das Wetter dieser Gegend und die mystischen Geschichten auf der Leinwand treffen, eine beobachtende Dokumentation sein. Aber Bonnetta gelang es, seinem Film eine schwebende Qualität zu geben, die den Ort des Film-Sehens mit dem Ort des Gefilmten durchlässig macht. Dazu braucht es nur die Kamera und das Mikrofon, das sich gleich zu Beginn in der Bildmitte platziert. Ein Mikrofon, dass zu einer Brücke zwischen Ort und Zeit wird.

Elisabeth Nagy


"The Two Sights"
Dokumentarfilm, Essay.
Kanada / Großbritannien 2020
Regie Joshua Bonnetta
Drehbuch Joshua Bonnetta
Bildgestaltung Joshua Bonnetta
Montage Joshua Bonnetta
Musik Joshua Bonnetta
Ton Joshua Bonnetta

Termine:
Mo 24.02. 20:30 Delphi Filmpalast
Mi 26.02. 19:00 Cubix 9
Fr 28.02. 21:30 CinemaxX 4
So 01.03. 17:00 Werkstattkino@silent green

Link: www.berlinale.de

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