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Toronto im Glanz der Sterne

Nach Katharina Dockhorns erstem Bericht vom 50. Toronto International Film Festival, den wir am 16. September 2025 veröffentlicht haben, folgt jetzt ihr zweiter Teil.



Die 50. Auflage des TIFF setzte künstlerische und gesellschaftliche Ausrufezeichen

Im Palästina des Jahres 1936 feiert der oberste Befehlshaber der britischen Truppen die Gründung des ersten palästinensischen Radiosenders, der den im Land lebenden Muslimen, Christen und der immer größer werdenden Zahl von Einwanderern jüdischen Glaubens gleichermaßen eine Stimme geben soll. Die Illusion eines friedlichen Zusammenlebens platzt bald. Die Briten agieren wie immer nach dem Motto teile und herrsche. Ohne die einheimische Bevölkerung zu fragen, verkaufen sie das Land an die Zuwanderer. Lange sehen die Betroffenen zu, wie sie vertrieben werden. Bis es zum Aufstand gegen die Briten kommt.

Die palästinensische Regisseurin Annemarie Jacir, geboren 1974 in Bethlehem in den 1967 von Israel besetzten Gebieten, bebildert die historischen Ereignisse in ihrem Drama „Palestine 36“, das sowohl die Defizite in der palästinensischen Gesellschaft mit der Diskriminierung von Frauen als auch das unheilvolle Wirken der Briten benennt. Der Film, der für Palästina ins OSCAR®-Rennen geht, feierte beim 50. Internationalen Filmfestival in Toronto friedlich seine Premiere. Vor den Toren des Theaters wurde für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza ohne Zwischenfälle protestiert. Jeremy Irons, der den britischen Militär spielt, warb erneut eindringlich für ein Ende des Hungers in Gaza und die Freilassung der Geiseln der Hamas.

Hier ein erster Blick presented by AlJazeera



Fan-Gekreische auf der Festivalmeile

Toronto sieht sich selbst als größtes Publikumsfestival der Welt. In den ersten Tagen ist die Straße um vier Hauptspielstätten abgesperrt. Dazu gehört auch das eigene Haus des TIFF mit unzähligen Kinos – ein Filmhaus, von dem Berlin nur träumen kann. Vor den Toren präsentierten sich zahlreiche Festivals, Ausbildungsstätten und die kanadische Filmindustrie mit etlichen Informations- und Mitmachständen. Und die Fans drängen sich in den ersten sieben Tagen des Festivals an den Absperrgittern, um Stars und Sternchen zuzujubeln und ein Selfie mit ihnen zu erhaschen. Die kamen erneut reichlich, denn Toronto ist immer ein Stelldichein und Auflauf der großen Favoriten für Golden Globe und Oscar. Mit dabei war Mascha Schilinski, die ein ungeheures Reisepensum absolviert, und in Kanada „In die Sonne schauen“ präsentierte.

Amazon und AppleTV mit zwei Spielfilmen, die bald anlaufen

Amazon und Apple TV konzentrierten sich je auf einen Titel. Apples „The Lost Bus“ von Paul Greengras, der ab 3. Oktober 2025 nur auf dem Streamingdienst gezeigt wird, erzählt die Geschichte des Schulbusfahrers Kevin McKay aus Paradise in Kalifornien, der unfreiwillig zum Helden wird, als er eine Gruppe von Schülern sicher durch ein Feuer bringt. Produziert wurde der Film unter anderem von Jamie Lee Curtis, die auf der Bühne bekannte, dass dies einer der wichtigsten Filme ihrer langen Karriere sei. Hauptdarsteller Matthew McConaughey brachte zur umjubelten Premiere des rasanten Action-Knallers seinen Sohn Levi mit, der eine kleine Rolle hat.

Hier der Trailer:



Hinter Amazons „Hedda“ verbirgt sich die Neuinterpretation von Hendrik Ibsens Drama „Hedda Gabler“ durch Nia DaCosta mit der charmanten Tessa Thompson als intrigante Strippenzieherin, die sich in einer arrangierten Ehe gefangen sieht. Einen interessanten, inhaltlich durchaus plausiblen Neuansatz erhält der Stoff durch die Besetzung ihres einstigen Lovers mit einer Frau, gespielt von der einmal mehr großartigen Nina Hoss. Ein wenig mehr hätte die Brisanz dieser Liebelei in der Ära Ibsens aber durchaus herausgekitzelt werden können. Der Film soll ab 29. Oktober 2025 leider nur auf Amazons Prime Video Platform zu sehen sein.

Hier der Trailer:



Netflix mit Großaufgebot

Netflix fuhr dagegen groß auf. Der Streamingdienst sicherte sich die Rechte an Richard Linklaters schwarzweiß-Film „Nouvelle Vague“ um den Dreh von Godards Geniestreich „Außer Atem“. Deutschland gehört zu den wenigen Territorien, wo er zunächst am 12. März 2026 ins Kino kommt.

Hier der Trailer:



Leider ist dies dem Drama „Steve“ von Tim Mielants nicht vergönnt, in dem Cillian Murphy als unter seinen eigenen Traumata leidender, seinen Frust im Alkohol ertränkenden Leiter einer von der Schließung bedrohten Besserungsanstalt brilliert. Netflix nimmt den Film am 3. Oktober 2025 gleich ins Streaming Programm. Sonst wird oft auf eine vorherige Kinoauswertung von zwei Wochen gesetzt.

Hier der Trailer:



Bei Guillermo del Toros fulminanter und bildgewaltiger Adaption von Mary Shelleys „Frankenstein“ ist dies anders, wie erwartet soll er ab 23. Oktober 2025 bei uns im Kino zu sehen sein sowie auf Netflix.

Hier der Trailer:



Ebenso Edward Bergers „Ballad of a Small Player“, der dritten Buchverfilmung des deutschen Regisseurs für den Streamingdienst, der ab 16. Oktober 2025 mit Colin Farrell und Tilda Swinton auch im Kino zu sehen sein wird. Berger war in Toronto ein gefragter Gesprächspartner, auch die Verantwortlichen des Studios in Babelsberg wollen ihn überzeugen, den nächsten Stoff in Deutschland zu drehen. Noch seien die Fördersysteme in anderen Ländern aber attraktiver, so Berger.

Hier der Trailer:



Publikumspreise für „Hamnet“ vor „Frankenstein“ und „Knives Out 3“

Auch der dritte Auftritt von Daniel Craig als Benoit Blanc in "Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery" kommt ins Kino, es ist der bislang spannendste Teil der Serie und erneut mit Starauftritten von Glen Close und Andrew Scott gespickt. Der Krimi wurde von den Zuschauern auf den dritten Platz gewählt, wie erwartet konnten sich „Frankenstein“ und „Hamnet“ (dessen Clip wir im ersten Bericht vorgestellt haben) dagegen auf den beiden vorderen Rängen platzieren.

Hier der Trailer:



Mit der „Hamnet“-Geschichte der großen Liebe von William Shakespeare zu seiner Frau Agnes und deren Trauer um den Verlust des einzigen Sohns Hamnet kehrte Chloe Zhao nach Toronto zurück, wo die „Nomadland“-Regisseurin ihre ersten Triumpfe feiern konnte. Die in China geborene und aufgewachsene Regisseurin legt ein zutiefst menschliches Drama vor, in der jede Nuance bei der Schilderung der Emotionen stimmt. Im Januar ist der deutsche Kinostart.

Auflauf für Award Season

„Hamnet“ gilt neben „Frankenstein“ bereits als einer der Favoriten für die Award-Season. Auch andere Länder präsentierten in Kanada ihre Werke. Jafer Panahi kam mit „Ein einfacher Unfall“, der iranische Regisseur tritt für Frankreich an. Er plädierte nach seiner Nominierung für eine Modifizierung der Regeln, damit Filmemacher, die in ihrer Heimat gebannt sind, eine Chance auf den Preis haben.

László Nemes präsentierte persönlich „Orphan“ um das Schicksal eines Jungen vor dem Hintergrund des Aufstands in Ungarn von 1956. Regisseur Kleber Mendonça Filho und sein in Cannes ausgezeichneter Hauptdarsteller Wagner Moura ernteten den verdienten Beifall für „The Secret Agent“ und aus Norwegen kam Joachim Trier mit „Sentimental Value“. Sein Film, der von Norwegen für den OSCAR® eingereicht wurde, soll in Berlin am 28. November 2025 das 20. Weltkinofestival AROUND THE WORLD IN 14 FILMS eröffnen.

Hier der Trailer:



Gerne hätte sich sicher auch die Polin Agnieszka Holland mit ihrem assoziativen Biopic „Franz K“ eingereiht, doch das tschechische Auswahlkomitee entschied sich für einen Dokumentarfilm. Allerdings wurde der Film jetzt von Polen für den sogenannten Auslands-OSCAR® nachgereicht, auch wenn Agnieszka Holland nicht im polnischen Łódź an der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater, sondern vor langer Zeit im tschechischen Prag, der Heimatstadt von Frank Kafka, ihre filmische Ausbildung absolviert hat.

Hier der Trailer:



Wer dachte, über Franz Kafka sei nach der Serie aus der Feder von Daniel Kehlmann alles gesagt, sieht sich eines Besseren belehrt. Holland bettet Kafkas Schicksal stärker als ihre Vorgänger in den damaligen politischen Zeitgeist ein. Außerdem schlägt sie, wie bei ihr nicht anders zu erwarten war, über die Biografie von Kafkas Schwester einen Bogen zum Holocaust und streut eine auf persönlichen Erfahrungen beruhende Auseinandersetzung mit dem verkitschten Rummel um den Dichter im heutigen Prag ein.

Kleine Perlen ohne deutschen Start

In all dem Trubel drohte das Kommen einiger Stars beinahe unterzugehen. Ethan Hawke und Andrew Scott kamen gemeinsam mit Richard Linklaters Berlinale Wettbewerbsfilm „Blue Moon“, der immer noch nicht im Startplan ist. Ebenso wie „Eleonore, the Great“, das Regiedebüt von Scarlett Johansson um eine über 90-jährige Rentnerin, die die Erlebnisse im Holocaust ihrer verstorbenen besten Freundin für ihre eigenen ausgibt. Und nicht zuletzt Rebecca Zlotowski Cannes-Film „La Vie Privée“ mit Jodie Foster in der Rolle eines in Paris lebenden amerikanischen Psychologin, deren Selbstbild nach dem Freitod eines Patienten ins Wanken gerät.

Hier ein Ausschnitt:


Der Film wird jetzt zumindest in Zürich und Hamburg auf den Festivals gezeigt.

Katharina Dockhorn

Link: tiff.net