Neue Filme im Kino - ausgewählte Besprechungen aus der 38. & 33. KW 2025
Unsere Filmkritiken zu folgenden Kinostarts 2025: „Kill the Jockey“ aus Argentinien, "Miroirs No. 3" von Christian Petzold und "Leibniz - Chronik eines verschollenen Bildes" von Edgar Reitz und "Sirât" von Oliver Laxe.

Filme aus Argentinien laufen nur selten im Kino und sind vornehmlich auf Festivals zu finden. Das absurde Werk „Kill the Jockey“ von Luis Ortega zeigte sich nicht nur bei der Weltpremiere der Mostra von Venedig 2024, sondern auch im Dezember 2024 beim Berliner Festival »Around the World in 14 Films« als erfolgsversprechend und kam deshalb jetzt regulär in ausgewählte Kinos.
"KILL THE JOCKEY" Kriminalkomödie von Luis Ortega um einen einst hochtalentierten, erfolgreichen Jockey, der in die ihn selbstzerstörende Schuldenfalle der Mafia geraten ist. (Argentinien, Spanien, USA, Mexiko, Dänemark, Großbritannien, 2024; 96 Min.) Mit Nahuel Perez Biscayart, Úrsula Corberó, Daniel Giménez Cacho u.a. seit 18. September 2025 im Kino.
Hier der Trailer:
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Der gefeierte, mit zahlreichen Preisen bedachte und der Berliner Schule zugeordnete Regisseur Christian Petzold ("Barbara", "Undine", "Roter Himmel") präsentierte im Mai 2025 auf dem Festival de Cannes sein neuestes Werk "Miroirs No. 3", das zwar bemerkenswert, aber dennoch nicht rundum gelungen ist. Das Drama stellt eine junge Pianistin in den Mittelpunkt, die nach einem Unfall im verwirrten Zustand als Spiegelbild einer Verstorbenen agiert, sich zum Schluss jedoch wieder fängt und erfolgreich ihre Prüfung an der UDK mit dem gleichnamigen Klavierstück von Maurice Ravel besteht.
"MIROIRS No. 3" Drama von Christian Petzold, um eine von Prüfungsangst geplagte junge Pianistin. (Deutschland, 2025; 86 Min.) Mit Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt, Enno Trebs u.a. seit 18. September 2025 im Kino.
Hier der Trailer:
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Lars Eidinger, Star an der Berliner Schaubühne ist auch stets im Filmgeschäft zu Hause. In einem Film von Edgar Reitz mimt er einen Maler, der den deutschen Philosophen, Mathematiker, Juristen, Historiker und politischen Berater Gottfried Wilhelm Leibniz portraitieren soll. Mit seiner oft überzogenen Schauspielkunst scheitert er aber und erst die junge Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz) kann das von der preußischen Königin Charlotte in Auftrag gegebene Werk vollenden, denn nur sie ist Leibniz im Streitgespräch über das Leben, die Liebe und den Tod intellektuell ebenbürtig.
"LEIBNIZ - Chronik eines verschollenen Bildnis" Historiendrama von Edgar Reitz, das auf der 75. Berlinale als Spezial Gala präsentiert wurde. (Deutschland, 2025; 104 Min.) Mit Edgar Selge, Aenne Schwarz, Lars Eidinger, Barbara Sukowa, Antonia Bill und Michael Kranz, seit 18. September 2025 im Kino.
Hier der Trailer:
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Das franko-spanische Roadmovie "Sirât" von Oliver Laxe, das in einem abgelegenen Rave in den Bergen Südmarokkos spielt, läuft zwar schon seit dem 14. August 2025 im Kino, hat aber immer noch hohe Verbreitung, denn es gilt als außergewöhnliches Kinoerlebnis des Jahres, dessen Sog man sich kaum entziehen kann, auch wenn der im Wettbewerb von Cannes gezeigte Film streckenweise nur schwer zu ertragen ist.
"SIRᾹT" Drama von Oliver Laxe über Raver zu elektronischer Musik in der marokkanischen Wüste. Eine düstere Metapher auf eine Welt vor dem Weltuntergang. (Frankreich, Spanien, 2025; 115 Min.) Mit Sergi López, Bruno Núñez Arjona, Jade Oukid, Richard Bellamy, Stefania Gadda, Joshua Liam Hederson, u.a. seit 14. August 2025 im Kino.
Hier der Trailer:

Filme aus Argentinien laufen nur selten im Kino und sind vornehmlich auf Festivals zu finden. Das absurde Werk „Kill the Jockey“ von Luis Ortega zeigte sich nicht nur bei der Weltpremiere der Mostra von Venedig 2024, sondern auch im Dezember 2024 beim Berliner Festival »Around the World in 14 Films« als erfolgsversprechend und kam deshalb jetzt regulär in ausgewählte Kinos.
"KILL THE JOCKEY" Kriminalkomödie von Luis Ortega um einen einst hochtalentierten, erfolgreichen Jockey, der in die ihn selbstzerstörende Schuldenfalle der Mafia geraten ist. (Argentinien, Spanien, USA, Mexiko, Dänemark, Großbritannien, 2024; 96 Min.) Mit Nahuel Perez Biscayart, Úrsula Corberó, Daniel Giménez Cacho u.a. seit 18. September 2025 im Kino.
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Axels Filmkritik:
Remo Manfredini (Nahuel Pérez Biscayart) war ein gefeierter Jockey. Jetzt ist er ein bei der Mafia hoch verschuldeter, exzessiver Drogenkonsument mit wachsendem Schuldenberg. Mit einem Sieg würde er ein Comeback feiern und könnte seine Schulden abbezahlen.
Aber die Dinge sind nicht so einfach und Regisseur Luis Ortega („Der schwarze Engel“) hat in seinem neuesten Film „Kill the Jockey“ erkennbar kein Interesse am Erzählen einer herkömmlichen Geschichte. Schon in den ersten Minuten zeigt er, dass alles in Richtung absurder Surrealismus mit abgespacten Tanzszenen, durchgehend unbeeindruckt agierenden Schauspielern (auch wenn sie gerade vom Bett aufstehen und ein Stockwerk tiefer fallen) und einem ausgedehnten Einführungskurs in überraschende Drogenverstecke auf dem Weg zur Rennstrecke geht. Das ist voller Einfälle, witzig, grotesk, fantastisch und absolut kurzweilig irgendwo zwischen Surrealismus, Pedro Almodovar, Wes Anderson und witzigem Giorgios Lanthimos.
In der Mitte, wenige Filmminuten nachdem Remo bei einem Pferderennen die Rennstrecke verlässt und auf einem unglaublich wertvollem Pferd in die dunkle Stadt hineingaloppiert, verlässt Ortega seinen minimalistischen Plot endgültig. Er lässt Remo als Dolores durch Buenos Aires irren und ich hatte zunehmend den Eindruck, dass Ortega sein gesamtes kreatives Potential in der grandiosen ersten Hälfte verschossen hat. Das macht „Kill the Jockey“, nach einem überzeugenden Anfang, zu einem letztendlich fast enttäuschenden Film.
Axel Bussmer (kriminalakte.org)
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Der gefeierte, mit zahlreichen Preisen bedachte und der Berliner Schule zugeordnete Regisseur Christian Petzold ("Barbara", "Undine", "Roter Himmel") präsentierte im Mai 2025 auf dem Festival de Cannes sein neuestes Werk "Miroirs No. 3", das zwar bemerkenswert, aber dennoch nicht rundum gelungen ist. Das Drama stellt eine junge Pianistin in den Mittelpunkt, die nach einem Unfall im verwirrten Zustand als Spiegelbild einer Verstorbenen agiert, sich zum Schluss jedoch wieder fängt und erfolgreich ihre Prüfung an der UDK mit dem gleichnamigen Klavierstück von Maurice Ravel besteht.
"MIROIRS No. 3" Drama von Christian Petzold, um eine von Prüfungsangst geplagte junge Pianistin. (Deutschland, 2025; 86 Min.) Mit Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt, Enno Trebs u.a. seit 18. September 2025 im Kino.
Hier der Trailer:
Axels Filmkritik:
Der Beginn von Christian Petzolds neuestem Spielfilm „Miroirs No. 3“ ist etwas seltsam und auch arg gekünstelt.
Zusammen mit ihrem Freund fährt die Klavierstudentin Laura (Paula Beer) ins Berliner Umland. Weil sie keine Lust auf ein Wochenende mit seinen Freunden hat, streiten sie sich und er will sie zurück zum Bahnhof fahren. Von dort kann sie den nächsten Zug nach Berlin nehmen. Auf einer einsamen Landstraße verunglücken sie. Ihr Freund stirbt. Sie überlebt ohne eine Kratzer, geht zu dem wenige Meter von dem Unfallort stehendem Haus und fragt die ihr bis dahin vollkommen unbekannte Betty (Barbara Auer), ob sie bei ihr einige Tage bleiben kann. Die allein in dem Haus lebende Betty ist emotional gerührt und einverstanden. In den folgenden Tagen erfährt Laura langsam mehr über Betty, ihren Mann Richard (Matthias Brandt) und ihren Sohn Max (Enno Trebs). Die beiden Männer betreiben in der Nähe eine Autowerkstatt. Sie wohnen dort und sind in offensichtlich illegale Geschäfte verwickelt. Sie alle versuchen, vor allem schweigend, den Verlust ihrer Tochter und Schwester verarbeiten. Anscheinend sah sie wie Laura aus.
In jedem Film gibt es Logiklücken und Auslassungen. Manchmal muss halt einfach etwas geglaubt werden, damit die Geschichte funktioniert. Manchmal gibt es am Ende eine gute Erklärung für bestimmte Lücken. In „Miroirs No. 3“ ist das nicht der Fall. Das beginnt mit dem Autounfall. Es wird nie erklärt, wie es auf der nahezu kerzengraden Landstraße dazu kam. Wir sehen nur das davor, als der Wagen über die Straße fährt, und das danach, wenn der Wagen, als sei er für ein Gemälde sorgfältig arrangiert worden, plötzlich auf einem Feld auf der Seite liegt.
Danach wird Laura von Betty aufgenommen und lebt einige Tage mit ihr. Die Polizei, ihre Freunde und auch ihre Eltern glänzen durch Abwesenheit. Es ist, als ob sie über keinerlei Beziehungen verfügt, oder, wie in seinem Film „Yella“, als ob sie bei dem Unfall gestorben ist und sich jetzt in einem Zwischenzustand zwischen Leben und Tod befindet. Dann würde der Film ab dem Unfall in Lauras Kopf spielen.
Das Problem in Bettys Familie wird relativ spät in dem enervierend langsam erzählten Film angedeutet. Einerseits besteht offensichtlich ein gut gehütetes Geheimnis, andererseits wird es nie wirklich enthüllt. Es ist eine Leerstelle, über die Betty, Richard und Max schweigen und sich stumme Vorwürfe machen. Hier gibt Petzold einfach zu wenig Informationen, um mit den Figuren mitfühlen zu können.
Dazwischen wird viel Musik gehört, Klavier gespielt (wir erinnern uns: Laura studiert Klavier) und Fahrrad gefahren.
Natürlich hat ein Film von Christian Petzold dank der Inszenierung, der vielen bewusst gewählten Anspielungen und Querverweise innerhalb des Films und zu anderen Werken und den in ihren Rollen versinkenden Schauspieler (die wir in diesem Fall alle aus früheren Petzold-Filmen kennen) immer eine gewisse Qualität. Aber dieses Mal überdehnt er eine unausgereifte Idee auf Spielfilmlänge, sodass „Miroirs No. 3“ am Ende sein schwächstes Werk wird.
Vielleicht sollte er mal wieder einen Kriminalfilm drehen.
Axel Bussmer (kriminalakte.org)
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Lars Eidinger, Star an der Berliner Schaubühne ist auch stets im Filmgeschäft zu Hause. In einem Film von Edgar Reitz mimt er einen Maler, der den deutschen Philosophen, Mathematiker, Juristen, Historiker und politischen Berater Gottfried Wilhelm Leibniz portraitieren soll. Mit seiner oft überzogenen Schauspielkunst scheitert er aber und erst die junge Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz) kann das von der preußischen Königin Charlotte in Auftrag gegebene Werk vollenden, denn nur sie ist Leibniz im Streitgespräch über das Leben, die Liebe und den Tod intellektuell ebenbürtig.
"LEIBNIZ - Chronik eines verschollenen Bildnis" Historiendrama von Edgar Reitz, das auf der 75. Berlinale als Spezial Gala präsentiert wurde. (Deutschland, 2025; 104 Min.) Mit Edgar Selge, Aenne Schwarz, Lars Eidinger, Barbara Sukowa, Antonia Bill und Michael Kranz, seit 18. September 2025 im Kino.
Hier der Trailer:
Axels Filmkritik:
Damit hätte wohl niemand mehr gerechnet. Zwölf Jahre nach seinem letzten Kinofilm „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ führt der am 1. November 1932 geborene Edgar Reitz noch einmal bei einem Spielfilm Regie. Und es ist, das sei zugegeben, ein kleiner Film mit wenigen Schauplätzen – eigentlich nur einem Zimmer – und einem Co-Regisseur, der ihm mehr oder weniger umfangreich helfend zur Seite stand.
Weil Königin Charlotte ein Bild von ihrem früheren Lehrer Gottfried Wilhelm Leibniz will, erklärt sich der Universalgelehrte 1704 bereit, für ein solches Gemälde Modell zu stehen. Denn Leibniz (Edgar Selge) hat, wie schon während der ersten Sitzung schnell deutlich wird, wenig Lust, tagelang bewegungslos in einem kleinen Kellerzimmer herumzustehen und sich von der niederländischen Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz) porträtieren zu lassen. Er sagt es ihr. Sie antwortet. Und schnell wird aus den geplanten Sitzungen ein wortreich ausgetragenes Duell zwischen dem Philosophen und der Zeichnerin.
Dieses im Zentrum des Films stehende philosophische Gespräch zwischen dem Gelehrten und der Malerin regt auch die Zuschauer zum Nachdenken über die Ansichten von Leibniz an.
Deshalb funktioniert „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ prächtig als glänzend gespieltes und sehr zurückhaltend inszeniertes Quasi-Theaterstück/Hörspiel.
Der Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Film war lang und schwierig. Edgar Reitz („Heimat“) und Gert Heidenreich begannen kurz nach ihrer Zusammenarbeit bei „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ mit der Arbeit an einem Film über Leibniz. Die Realisierung des ersten Drehbuchs hätte unfinanzierbare 25 Millionen Euro gekostet.
Danach folgten mehrere neue Drehbuchentwürfe, deren Realisierung immer günstiger geworden wäre. Zuletzt entschlossen sie sich, ausgehend von einer schon im damaligen Drehbuch stehenden Anfangsszene über eine Sitzung für ein Porträt, diese Szene zu einem Spielfilm auszubauen. Dieses Drehbuch konnte dann realisiert werden.
Über die Dreharbeiten sagt Edgar Reitz in einem im Presseheft abgedrucktem Gespräch mit Robert Fischer:
„Wir bauten die komplette Szenerie in einem Münchener Studio. Ich hatte außerhalb der Dekoration meine sogenannte Combo, also die Regiekabine mit Kontrollmonitor und Sprechfunkverbindung zu meinem Team. Dieser Arbeitsraum lag hinter der Tapetentür, die im Film in die ’schwarze Kammer‘ führt. Der geheimnisvolle schwarze Raum war während der sechs Wochen Drehzeit mein ‚Denkzentrum‘.
Dort saß ich täglich viele Stunden in völliger Dunkelheit vor einem Bildschirm und konnte das Kamerabild, den Lichtaufbau und die Proben beobachten. Mit einem Mikrofon konnte ich wahlweise mit dem Kameramann, den Schauspielern oder meinem Assistenten kommunizieren. Dem Kameramann gab ich meine Anweisungen über seine Kopfhörer. Ich konnte ihm also sagen, geh näher ran, nimm das Ding da links noch mit ins Bild und so weiter. Mein Alter spielte bei den Arbeitsabläufen natürlich eine Rolle, denn mit 92 Jahren kann man nicht mehr wie früher täglich zehn Stunden neben der Kamera stehen und die Schauspieler mit Blickkontakt führen.
Ich musste also irgendwo sitzen; wenn man aber irgendwo sitzt, bewegt sich das Geschehen leicht von einem weg. Eine große Hilfe war deswegen mein eigens aus Altersgründen engagierter Co-Regisseur Anatol Schuster. Anatol ist ein junger Filmemacher, der schon drei Spielfilme geschaffen hat und deswegen in engster Verbindung mit mir in der Lage war, an sämtlichen meiner künstlerischen Überlegungen teilzunehmen.
Anatol war derjenige, der alle Abläufe und Drehtage koordiniert hat. Die Proben konnten wir immer aus doppelten Perspektiven verfolgen: Gleichzeitig am Monitor und stehend neben der Kamera. Vielleicht hätte ich den Film nicht körperlich durchgestanden, wenn ich Anatol nicht an der Seite gehabt hätte.“
Axel Bussmer (kriminalakte.org)
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Das franko-spanische Roadmovie "Sirât" von Oliver Laxe, das in einem abgelegenen Rave in den Bergen Südmarokkos spielt, läuft zwar schon seit dem 14. August 2025 im Kino, hat aber immer noch hohe Verbreitung, denn es gilt als außergewöhnliches Kinoerlebnis des Jahres, dessen Sog man sich kaum entziehen kann, auch wenn der im Wettbewerb von Cannes gezeigte Film streckenweise nur schwer zu ertragen ist.
"SIRᾹT" Drama von Oliver Laxe über Raver zu elektronischer Musik in der marokkanischen Wüste. Eine düstere Metapher auf eine Welt vor dem Weltuntergang. (Frankreich, Spanien, 2025; 115 Min.) Mit Sergi López, Bruno Núñez Arjona, Jade Oukid, Richard Bellamy, Stefania Gadda, Joshua Liam Hederson, u.a. seit 14. August 2025 im Kino.
Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
„Sirat“, schon der Titel verheißt nichts Gutes: Im Islam bedeutet Sirat: Schmale Brücke zwischen Paradis und Hölle. Mit seinem vierten Film war der Regisseur Oliver Laxe dieses Jahr Anwärter auf die goldene Palme in Cannes. Es ist ein Roadmovie durch die marokkanische Wüste. Ein Film wie ein Drogentrip.
Mitten in der Wüste werden riesige Lautsprecherboxen aufgebaut. Kurz darauf, treffen die ersten Raver ein, postmoderne Nomaden, die den perfekten Sound suchen und sich dem dröhnenden Rausch der Musik hingeben und wie wild tanzen. Luis, ein verzweifelter Vater schiebt sich ebenfalls durch die tanzende Masse. Er hat ein Foto dabei auf dem seine Tochter Mar zu sehen ist. Schon seit fünf Monaten haben er und sein zwölfjähriger Sohn Estéban nichts von ihr gehört. Man hat ihm den Rat gegeben, dass sie womöglich unter den Ravern ist. Unermüdlich zeigt er jedem das Foto, doch niemand kennt das Mädchen.
Am nächsten Morgen, nach einer durchtanzten Nacht, taucht völlig unerwartet das Militär auf und treibt die Raver auseinander. Ein Krieg ist ausgebrochen, die Ausländer sollen das Land sofort verlassen. Luis widersetzt sich und schließt sich mit Estéban und dessen Hund Pipa einer Gruppe von Aussteigern an, die sich in ihren riesigen Geländebussen auf den Weg zur mauretanischen Grenze zum nächsten Rave machen, obwohl eigentlich alle Ausländer abgeschoben werden sollen.
Aber sie bauen erneut ihre Boxen auf und dann ertönen auch schon die ersten wummernden Beats. Jetzt erst recht sollte die Welt den Bach runter gehen. Luis hat sich ihnen angeschlossen. Er gibt die Suche nach seiner Tochter nicht auf. Der kleine Estéban ist immer mit ihm. Hinzu kommt, sie müssen sich auf die Suche nach Benzin machen. Es dauert nicht mehr lange und Luis, Estéban und der kleine übrig gebliebene Rest der Raver werden zu einer Familie.
Die Hauptrolle in diesem Wüstendrama spielt Sergi López als verzweifelter Luis und Bruno Nunez als Estéban. Sie haben sich aus Spanien in einem kleinen Van auf den Weg gemacht. Ihre Reise führt sie immer tiefer in eine geröllreiche Landschaft. Im Radio hört man noch immer Berichte über Militäraktionen, aber für die kleine Gruppe, die jetzt noch übrig ist, zählen andere Bedrohungen. Es sind die Raver Stefania Gadda, Joshua Liam Henderson, Tonin Janvier und Richard Bellamy, die sich selbst spielen. Ihre ausgezehrten, teilweise verkrüppelten und gepiercten Körper entsprechen einer Physiognomie, die vom Tanzen in der Wüstensonne geprägt ist.
In einem Interview erzählt Regisseur Oliver Laxe, was ihn bewogen hat, Menschen beim Rave in der Wüste zu zeigen:
„Ich mag die Raver, ihre Radikalität. Sie zeigen ihre Narben und tragen ihre Wunden offen mit sich. Klar, sie haben ihre Widersprüche und ihre Schwächen, wie wir alle. Aber ich sehe das eher als ein Zeichen von Reife. In unserer Gesellschaft, insbesondere in den westlichen Ländern sind wir ständig damit beschäftigt, ein idealistisches Bild von uns selbst zu basteln.
Wir glauben wirklich, dass wir fitte, ausgeglichene Menschen sind. Aber wenn man ein wenig in der Welt herumreist, versteht man, dass die meisten von uns psychisch ziemlich angeschlagen sind.“
Die Wüstenbilder sind spektakulär. Und die Laienschauspieler total glaubhaft. Die pulsierenden Technoklänge begleiten die Techno-Travellers auf ihrem Weg durch die marokkanische Steinwüste und über die halsbrecherischen Pässe des Atlasgebirges. Man hat das Gefühl, die pulsierenden Klänge passen sich den jeweiligen Szenen mit ihren emotionalen Geschehnissen an.
Etwa in der Mitte des Films baut Oliver Laxe eine Schockszene ein, die zutiefst betroffen macht.
Am Ende seines Films, lässt sich die zusammengeschweißte kleine Gruppe nichtsahnend auf einem Minenfeld nieder. Jeder Schritt kann den Tod mitten im Nirgendwo bedeuten. So etwas, wie der letzte Tanz vor dem Weltuntergang.
Ulrike Schirm (ulriketratschtkino.wordpress.com)