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Zwei aktuelle Filmempfehlungen zu Kinostarts in der 11. Kalenderwoche 2025

"Ein Tag ohne Frauen", ein engagierter und unterhaltsamer Dokumentarfilm sowie eine mitreißende Hintergrundgeschichte zu Keith Jarretts Köln Concert 1975 als Spielfilm, der auf der Berlinale seine Premiere feierte.



"EIN TAG OHNE FRAUEN" humorvolle Dokumentation von Pamela Hogan über Islands Frauen-Streik vor 50 Jahren und ihre kollektive Kraft die Gesellschaft zu verändern. (USA / Island, 2024; 71 Min.) Mitwirkende: Guðrún Erlendsdóttir, Ágústa Þorkelsdottir, Vigdís Finnbogadóttir, Guðni Th. Jóhannesson, María Sigurðardóttir, Guðrún Ögmundsdóttir, Guðrún Jónsdóttir, Erla Hulda Halldórsdóttir, Kristján Jóhann Jónsson, Lilja Ólafsdóttir, Águsta Þorkeldsottir, Dagny Kristjánsdóttir, Sigrún Hermannsdóttir, Elísabeth Gunnarsdóttir, Guðrún Ágústsdóttir, Guðrún Hallgrímsdóttir, Vilborg Dagbjartsdóttir und Hildur Hákonardóttir. Nach einzelnen Previews zum Frauentag am 8. März nun offiziell ab 13. März 2025 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Der 24. Oktober 1975 hat die Geschicke der isländischen Bevölkerung für immer verändert. Ein einziger Tag reichte aus, um der einen Hälfte der Bevölkerung vorzuführen, wie ohne die andere Hälfte dieser Bevölkerung alles zusammenbrechen würde. Die Frauen des Landes, inspiriert von ähnlichen Bestrebungen in anderen Ländern, hatten sich zusammengeschlossen. Über 90% der weiblichen Bevölkerung zog schließlich bei der großen singulären Protestaktion, das eher einem Fest glich und seitdem jährlich ein entsprechendes Gedenken erfährt, an einem Strang. Nicht nur die Frauen, die arbeiteten, hatten an dem Tag ausgesetzt, um für Gleichberechtigung zu demonstrieren. Auch die Hausfrauen weigerten sich, den Haushalt zu führen und überließen die Kinder den Ehemännern.

Es war ja nicht nur so, dass Frauen keine Anerkennung erhalten haben und schlechter bezahlt wurden. Ihnen wurden berufliche Interessen abgesprochen. Als Frau durften sie gewisse Ämter nicht übernehmen und so einige Berufsfelder blieben ihnen verschlossen. All das änderte sich nach diesem 24. Oktober.

In "Ein Tag ohne Frauen" kommen einige dieser Frauen, die damals mitgemacht hatten und auch an der Organisation beteiligt waren, selbst zu Wort. Das Publikum erfährt aus erster Hand, wie man es schaffte eine ganze Bevölkerungsgruppe zu motivieren, dabei zu sein. In dessen Folge Läden geschlossen und Schulen leer blieben. An dem niemand für die Männer kochte, statt dessen hatten diese die Kinder zu versorgen.

Die amerikanische Journalistin und Filmemacherin Pamela Hogan hatte in einem Lonely-Planet-Reiseführer über Island von diesem "Aufstand" gelesen, über die Frauen, die für einen Tag das Land zum Stillstand gebracht hatten. Sie dachte, darüber ist sicherlich schon ein Film gedreht worden. Den wollte sie sich anschauen. Weit verfehlt. Es lag nun an ihr, diese Geschichte selbst zu erzählen. Dabei hatte sie sehr wohl einen persönlichen Bezug. Ihre Mutter war eine alleinerziehende Angestellte, die, als sie bemerkte, dass sie weit schlechter entlohnt wurde als ihre männlichen Kollegen, zur Aktivistin für eine gerechtere Welt wurde. Sie schloss sich in Boston dem Marsch für die Gleichberechtigung an, und sie hatte ihre Tochter dabei.

Auch die isländische Dokumentarfilmerin Hrafnhildur Gunnarsdóttir war an diesem einen Tag bei der großen Kundgebung in Rejkjavik dabei, mit ihrer Mutter. Für sie war der dieser Tag ein Tag im kollektiven Bewußtsein. Sie hatte zwar über dieses historische Ereignis Beiträge für das Fernsehen erstellt, hatte aber nie daran gedacht, daraus einen Film zu machen. Der Anstoß kam also von außen. Zur richtigen Zeit, denn dieser Tag ist nun 50 Jahre her und einige Zeitzeuginnen leben gar nicht mehr. Pamela Hogan und Hrafnhildur Gunnarsdóttir taten sich also zusammen.

Wie wichtig es ist, Historisches festzuhalten, erleben wir ja gerade. Da werden elementare Rechte beschnitten und salopp gesagt, Frauen wieder massiv an den Herd gedrängt. Die Politik in vielen Ländern, sei es wo Wörter wie "Gleichberechtigung" und "Frau" auf einer Verbotsliste stehen, oder Ländern, die gewisse Erleichterungen nur mit einer Babyquote gewähren, ist eine rückwärtsgewandte. Dabei ist es besonders lehrreich, wie die Organisatorinnen damals vorgingen. Mitnichten wollten sie nur progressive Frauen einbinden. Sie wollten auch den Teil der Frauen motivieren, der eher konservative Meinungen vertrat. So beschloss man den Tag nicht als Streiktag zu deklarieren, sondern als einen "freien Tag".

"Ein Tag ohne Frauen" ist kurzweilig und humorvoll. Zeitzeuginnen erzählen und was man nicht bebildern konnte, wird mit Animationen illustriert. Hrafnhildur Gunnarsdóttir hatte sich auf die Suche nach Archivmaterial gemacht. Viel hatte sie nicht mehr gefunden. Man ahnt, was alles in den Fernseharchiven verrottet, was alles überspielt wurde. Sie stellte fest, dass der isländische Nationalsender das Material einfach weggeschmissen hatte. Nur ein Bruchteil ließ sich finden, Sender aus Schweden und den USA hatten auch noch das eine oder andere.

Mit dem 24. Oktober 1975 änderte sich vieles in Island. Die Erfahrung, in so fest geschlossenen Reihen zusammenzustehen, hatte einen positiven Effekt. Fünf Jahre später wurde Vigdís Finnbogadóttir Präsidentin des Landes. Fast 50% des isländischen Parlaments ist heute von Frauen besetzt, eine Quote, die uns Vorbild sein sollte.

Elisabeth Nagy


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"KÖLN 75" Biopic Musikdrama von Ido Fluk über die erst 17-Jährige Vera Brandes, die als jüngste Jazz-Konzertveranstalterin der 1970er Jahre in die Geschichte einging. (Deutschland / Polen / Belgien, 2025; 116 Min.) Der Film feierte auf der 75. Berlinale in der Sektion Special seine Weltpremiere. Mit Mala Emde, John Magaro, Michael Chernus, Shirin Eissa, Enno Trebs, Leo Meier, Leon Blohm, Ulrich Tukur, Jördis Triebel, Susanne Wolff, Daniel Betts und Alexander Scheer ab 13. März 2025 im Kino. Hier der Trailer:



Axels Filmkritik:

Von mindestens zwei Seiten, nämlich der der Organisatorin und der des Künstlers, nähert Ido Fluk sich in seinem Film „Köln 75“ einem Konzert, das später als Doppel-LP veröffentlicht wurde.

Die siebzehnjährige Vera Brandes (Mala Emde) lebt in den siebziger Jahren in Köln und geht aufs Gymnasium. Ihr Vater ist Zahnarzt und ein Tyrann. Sie ist musikverrückt. Aber sie liebt nicht die Rock- und Popmusik, die Gleichaltrige hören, sondern Jazz. Neben der Schule organisiert sie Konzerte. Als sie in Berlin bei den Jazztagen Keith Jarrett erlebt, ist sie begeistert. Sie will eines seiner Solo-Konzerte in Köln präsentieren. Diese vollkommen frei improvisierten Konzerte spielt Jarrett seit 1972. Seit 1971 veröffentlicht Manfred Eicher, der Gründer des legendären Jazzlabels ECM, bis heute fast alle Aufnahmen von Jarrett in teils umfangreichen Boxsets, die ganze Konzerte und Reihen dokumentieren. Jarretts erste ECM-LP war die 1971 aufgenommene, 1972 veröffentlichte Solo-Piano-LP „Facing You“, die gleichzeitig Jarretts erste Solo-LP war.

Und damit wären wir, wenn wir den Film als klassische LP betrachten, bei der ersten und zweiten Seite von Ido Fluks „Köln 75“. Der süffige Musikfilm beginnt während des fünfzigsten Geburtstag von Vera Brandes. Immer wieder meldet sich der fiktive Jazzkritiker Michael Watts (Michael Chernus) zu Wort. Er vermittelt kurzweilig Hintergrundwissen über verpatzte Anfänge bei Aufnahmen und die Musikgeschichte.

Als während der Geburtstagsfeier die Ansprache von Vera Brandes' Vater (Ulrich Tukur) in einem Eklat endet, erinnert Brandes sich an ihre Anfänge als Konzertveranstalterin. Diese Erinnerungen bilden den ersten Teil des Films. Als Sechzehnjährige organisiert sie eine Tour für den Jazzsaxophonisten Ronnie Scott. Weitere von ihr organisierte Konzerte mit anderen Künstlern folgen.

Der zweite Teil des Films konzentriert sich dann auf Keith Jarrett (John Magaro). Er gibt in Lausanne ein Solokonzert. Zusammen mit Manfred Eicher (Alexander Scheer) als Fahrer und Watts, der Jarrett interviewen möchte, fahren sie in einer klapprigen Kiste nach Köln. In diesem Teil geht es um die künstlerischen Vorstellungen und Marotten von Jarrett. Eicher toleriert Jarretts Eigenheiten, weil er den Pianisten für ein Jahrhundertgenie hält, dessen musikalisches Geschenk an die Menschheit alles andere aufwiegt.

Im dritten Teil, bzw. der dritten LP-Seite, treffen dann Vera Brandes und Keith Jarrett aufeinander. Sie hat das Konzert am 24. Januar 1975 in der Kölner Oper organisiert und sich dafür mit 10.000 DM, was damals sehr viel Geld war, verschuldet. Am Nachmittag stellt sie in der menschenleeren Kölner Oper erschrocken fest, dass auf der Bühne der falsche Flügel steht und Jarrett sich weigert, auf ihm zu spielen. Zusammen mit ihren treuen Freunden, dicken Telefonbüchern, geduldigen Klavierstimmern und viel Lauferei versucht sie das geplante Konzert zu retten. Und auch wenn wir wissen, wie die Geschichte endet, fiebern wir mit.

Ido Fluk („The Ticket“) erzählt in seinem neuen Film „Köln 75“ mitreißend eine Hintergrundgeschichte, die interessant ist, bislang aber auch Jazzfans nicht so wahnsinnig interessierte. Normalerweise ist bei einzelnen Konzerten und sogar bei Festivals nichts über die teils chaotische Organisation des Konzertes bekannt. Schließlich steht das Geschehen auf der Bühne, - die Künstler und ihre Konzerte -, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Etwas seltsam ist, dass in einem Film, in dem es um Jazz, Keith Jarrett und das legendäre „Köln Concert“ geht, sehr wenig Jazz und überhaupt nichts vom „Köln Concert“ zu hören ist. Sie durften die Musik nicht verwenden. Fluk sagt dazu:

„Die Wirkung dieser Musik würde sich in einem Film niemals entfalten können. Man könnte bestenfalls einen kleinen Ausschnitt wiedergeben. Und der würde nichts aussagen. Es ist das ganze Werk oder nichts. Das Köln-Konzert ist kein Popsong. Es ist ein langes, ambitioniertes, auch forderndes Stück Jazzmusik, das man am besten in Ruhe in Gänze anhört. Ich vermute, selbst Keith Jarrett würde mir zustimmen. Es ist eher so, dass man sich den Film ansieht und deshalb Lust bekommt, sich das Konzert zuhause anzuhören. Man geht heim und legt die Platte auf. Unabhängig vom Film. Denn in 'Köln 75' geht es nicht um das Konzert. Es geht um Vera Brandes.“

Und Vera Brandes ist nicht einfach nur ein Mädchen, das einmal ein Konzert organisierte und später Hausfrau wurde. Wer zu den wenigen Menschen gehört, die sich bei Schallplatten und CDs auch für das Kleingedruckte interessieren, und wer zu den noch weniger Menschen gehört, die sich dafür interessieren, wer Tourneen und Konzerte organisiert, las öfter den Namen Vera Brandes. Sie organisierte Konzerte von Oregon, Pork Pie, Dave Liebman und Gary Burton; alles legendäre Jazzmusiker und Jazzgruppen. Sie gründete die Labels CMP, VeraBra und Intuition und veröffentlichte über 350 Alben, unter anderem von Nucleus, Charlie Mariano, Theo Jörgensmann, Mikis Theodorakis, Barbara Thompson, Andreas Vollenweider und den Lounge Lizards.

Der am 8. Mai 1945 in Allentown, Pennsylvania (USA), geborene Keith Jarrett ist heute einer der bekanntesten und wichtigsten Jazzpianisten. Sein „Köln Concert“, von Eicher 1975 als Doppel-LP in der normal-spartanischen ECM-Ausstattung veröffentlicht, wurde zum Bestseller. Es ist die meistverkaufte Jazz-Soloplatte, die meistverkaufte Klavier-Soloplatte und Jarretts meistverkaufte und bekannteste Veröffentlichung. Es ist die Jazz-Platte, die auch Nicht-Jazzfans in ihrem Plattenschrank stehen haben.

Die Hintergründe des Konzerts waren lange unbekannt. Später wurde einiges darüber geschrieben, aber im Mittelpunkt der Rezeption der Aufnahme steht immer noch die Aufnahme und nicht die Umstände der Aufnahme. In Ido Fluks Film „Köln 75“ erfahren wir jetzt mehr über diese Umstände.

Fluks kurzweiliger und sehr stimmiger Rückblick in die Bundesrepublik Deutschland Mitte der siebziger Jahre ist eine Liebeserklärung an den Jazz als Musik und als Lebenshaltung und den jugendlichen Aufbruchsgeist, der ohne helfende Hände in mittleren Katastrophen enden kann. Denn ohne ihre Freunde und andere Helfer hätte Vera Brandes, die treibende Kraft bei der Organisation und der Werbung für das Konzert in der ausverkauften Oper, das Konzert nicht veranstalten können.

Und ohne Martin Wieland gäbe es keine Aufnahme von dem Konzert.

Axel Bussmer (kriminalakte.org)


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