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Unsere Kinofavoriten Oktober/November 2024

Fünf Kinoempfehlungen von Regina und eine längere Filmkritik von Elisabeth zu aktuellen Kinostarts in den letzten Kalenderwochen 2024.



Reginas Kino-Favoriten Okt./Nov. 2024

"IN LIEBE, EURE HILDE" von Regisseur Andreas Dresen, Drehbuch: Laila Stieler. (Deutschland 2024, 124 Min.) Mit Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer, u.a.; Die Weltpremiere fand im Februar 2024 bei den 74. Internationalen Filmfestspielen von Berlin statt. Die Kinopremiere folgte am 17. Oktober 2024. Produktion: Pandora Film Produktion GmbH.

Hier der Trailer:



Andreas Dresen ist ein Meister der leisen Zwischentöne und der präzisen Erzählweise (WOLKE 9 / HALT AUF FREIER STRECKE / GUNDERMANN / RABYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH). Das beweist er einmal mehr in seinem Film IN LIEBE, EURE HILDE. Der Film basiert auf der wahren Geschichte von Hilde und Hans Coppi. 1943 wurden die junge Frau (großartig: Liv Lisa Fries als starke, stille Heldin) und ihr Ehemann Hans (Johannes Hegemann) von den Nazis zum Tode verurteilt und in Berlin Plötzensee hingerichtet. Die Anklage: Mitwirkung bei der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Hilde Coppi war bei ihrer Verhaftung schwanger und bekam ihr Kind im Gefängnis. Insgesamt wurden zwischen 1942 und 1943 mehr als 50 Mitglieder der Aktivistengruppe ermordet.

Dresen gelingt es, die Geschichte der Widerstandskämpfer in der NS-Zeit ohne die gängigen, ikonischen Bilder zu erzählen, keine bildbeherrschenden Nazikreuze, keine krawalligen NS-Chargen, keine Aufmärsche. Sensibel, authentisch und bisweilen sogar in heiteren Episoden zeichnet er ein Bild der Zeit und der jungen Aktivisten, die erstaunlich modern wirken. Umso eindringlicher spürbar wird die menschenverachtende Ideologie des NS-Regimes, die Willkür und zerstörerische Macht. Ein großer, ein wichtiger Film.

Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)


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"THE APPRENTICE - THE TRUMP STORY" von Regisseur Ali Abbasi, Drehbuch: Gabriel Sherman. (Kanada / USA / Dänemark / Irland 2024; 123 Min.) Mit Sebastian Stan, Jeremy Strong, Maria Bakalova u.a.; Seine Weltpremiere feierte der Film im Mai 2024 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Die Deutsche Kinopremiere fand am 17. Oktober 2024 statt. Produktion: Scythia Films/Profile Pic./Tailored Films/Gidden Media/Kinematics im Verleih von DCM.

Hier der Trailer:



Schaut man nicht gern die Geschichten von „Unsympathen“? Erst Recht, wenn gerade einer dieser Menschen erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde? Dass Donald Trump ein Populist und ein Sexist mit höchst unguten narzisstischen Zügen ist: bekannt. Nach dem amerikanischen Wahlkampfdesaster ist es vielleicht erhellend, mehr über die Vergangenheit des wiedergewählten US-Präsidenten zu erfahren. THE APPRENTICE (dt. Der Lehrling) ist der erste Spielfilm, der sich mit Trumps Leben auseinandersetzt, auch die Ehe mit seiner ersten Frau Ivana steht im Fokus.

Ali Abassi, der dänisch-iranische Regisseur, geht zurück zu Trumps „Lehrjahren“, in die 70iger und 80iger Jahre. Der junge Trump (Sebastian Stan) ist damals Vizepräsident in „Papas“ Immobilienunternehmen: tölpisch, unsicher aber schon auf der Suche nach den Hebeln der Macht. Dann lernt er seinen Mentor kennen, den erzkonservativen und skrupellosen Anwalt John Cohn (brillant: Jeremy Strong). Cohn gibt ihm drei Grundregeln an die Hand:

,,Immer angreifen, nichts zugeben und niemals eine Niederlage akzeptieren“.

Kommt Ihnen das bekannt vor? THE APPRENTICE ist ausdrücklich ein fiktionales Biopic, dennoch entlarvend. Trumps Anwälte hatten schon nach der Cannes – Premiere im Mai eine Unterlassungsaufforderung an die Produzenten geschickt, bewirkt hat das bis jetzt wenig. Seit dem 11. Oktober 2024 läuft der Film auch in den amerikanischen Kinos. Jetzt, nach Trumps Wiederwahl, dürfte es spannend sein, zu beobachten, welchen Weg THE APPRENTICE – THE TRUMP STORY in Zukunft gehen wird.

Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)


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"E.1027 - EILEEN GRAY und DAS HAUS AM MEER" Dokumentation mit fiktionalen Elementen von Beatrice Minger & Christoph Schaub. Drehbuch: Beatrice Minger in Zusammenarbeit mit Christoph Schaub. (Schweiz, 2024; 89 Min.) Mit Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache und Charles Morillon. Die Weltpremiere feierte "E.1027" in Dänemark auf dem Festival CPH:Dox und anschließend wurde der Film im April 2024 beim DOK.fest München gezeigt. Seit 24. Oktober 2024 ist er bei uns regulär im Kino zu sehen.

Hier der Trailer:



Eileen Gray war eine hochbegabte Künstlerin in den 30iger Jahren. Sie stand – wie sollte es anders gewesen sein in dieser Epoche – im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Zu Unrecht. Der Film erzählt ihre Geschichte. Im Zentrum: ihr wunderbares, avantgardistisches Haus an der Côte d’Azur, das E.1027. 1929 baut die irische Designerin gemeinsam mit dem rumänischen Architekten Jean Badovici ihr ganz persönliches Refugium: weite, offene Räume, bis zum letzten Winkel durchdacht, geplant und gestaltet, ein Meisterwerk der modernen Architektur.

Als sich der berühmte Architekt Le Corbusier für den Bau begeistert und gegen den Willen der Architektin die Wände bemalt, hat sie sich schon längst wieder aus der männerdominanten Künstlerwelt zurückgezogen und überlässt ihrem Freund Jean Badovici das Haus.

Die schweizerische Regisseurin Beatrice Minger hat mit Christoph Schaub (Drehbuch) diese Dokufiktion geschaffen. Der Film ist ein Kunstwerk für sich. Filmische Sequenzen (Dokumentar- und Spielfilm), Theatersituationen vermischt mit Archivmaterial zeichnen das Bild einer Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Eine Dokufiktion, die mich auch wegen ihrer herausfordernden, hybriden Machart in den Bann gezogen hat.

Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)


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"RIEFENSTAHL" Dokumentation von Andres Veiel mit Ausschnitten aus historischen Filmen und älteren Interviews von Ulrich Noethen mit Leni Riefenstahl. Produktion: Sandra Maischberger. (Deutschland 2024, 116 Min.) Der Dokumentarfilm im Verleih von Vincent Productions feierte seine Weltpremiere im August bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig und ist seit 31. Oktober 2024 bei uns in Deutschland in den Kinos zu sehen.

Hier der Trailer:



Wer war Leni Riefenstahl wirklich? Dieser Frage versucht der bekannte Dokumentarfilmer und Spielfilmregisseur Andres Veiel (DIE ÜBERLEBENDEN / BLACK BOX BRD / WER, WENN NICHT WIR / BEUYS) in seinem Film nachzugehen. Gemeinsam mit Produzentin Sandra Maischberger nahmen sie sich den riesigen Nachlass (700 Kisten) der im NS-Regime gefeierten Propagandaregisseurin vor.

Der Film entlarvt die Widersprüche dieser Frau, einer gekonnten Selbstdarstellerin, überzeugten Faschistin im Dienste Hitlers und einer Opportunistin. Bis zu ihrem Tod mit 101 Jahren (2003) behauptete Leni Riefenstahl, nichts vom Holocaust gewusst zu haben.

Ausschnitte ihrer Propagandafilme, (die bekanntesten TRIUMPH DES WILLENS 1935 und OLYMPIA, 1938) stehen in Veiels Dokumentation neben Fundstücken aus ihrem Archiv: unveröffentlichten Privataufnahmen, entlarvenden Telefonmitschnitten, Briefkorrespondenzen und Interviews aus verschiedenen Zeitepochen. „Eine Meisterin der Lügen und Legenden“, nennt Andres Veiel seine Protagonistin, entlarvt Leni Riefenstahls lebenslanges Mantra „Ich habe nichts gewusst“ und die widersprüchlichen Versionen ihrer Aussagen.

Der Film beschränkt sich nicht auf biografische Fakten, er taucht tief ein in die psychischen Hintergründe einer Frau, die bis zu ihrem Ende sich selbst und die Welt belogen hat. Unbedingt anschauen!

Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)


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"WISDOM OF HAPPINESS / WEISHEIT DES GLÜCKS" schweizerisch-amerikanischer Dokumentarfilm von Barbara Miller und Philip Delaquis über eine persönliche Begegnung mit dem Dalai Lama, deren Offenheit sie zu etwas ganz Besonderem macht. (Schweiz, 2024; 90 Min.) Produktion: Philipp Delaquis, Das Kollektiv für audiovisuelle Werke, Mons Veneris Films GmbH, Richard Gere. Im Verleih von Warner Bros. und X-Filme Berlin AG seit 7. November 2024 im Kino.

Hier der Trailer:



Der 14. Dalai Lama empfängt. Im Film WEISHEIT DES GLÜCKS wendet sich das Oberhaupt der Tibeter in frontaler Kameraeinstellung direkt an die Zuschauer, gewissermaßen eine Art Privataudienz.

Der Friedensnobelpreisträger hat uns einiges zu sagen: über Themen wie den Klimawandel, die Umweltzerstörung, über Kriege und über die Frauen: “Es ist unsere gemeinsame Verantwortung unsere Erde zu beschützen, zu retten. Stattdessen führen wir Kriege und machen uns selbst viele Probleme. Unsere Erde ist unser einziges Zuhause“, erklärt das Oberhaupt der tibetischen Kirche. Überraschend emanzipatorisch äußert sich der spirituelle Führer über Frauen: „Männer gebrauchen zu viel Gewalt. Ich glaube, Frauen liegt das Wohlergehen ihrer Mitmenschen im Allgemeinen mehr am Herzen. Die Welt wäre ein sicherer Ort, wenn wir mehr Frauen in verantwortlichen Positionen hätten“.

WEISHEIT DES GLÜCKS ist das Porträt eines außergewöhnlichen spirituellen Führers, dem es wichtig ist, der Menschheit mit seiner Botschaft zu helfen. Der amerikanische Schauspieler und Menschenrechtsaktivist Richard Gere hat den Film mitproduziert, ein persönliches Anliegen, er selbst ist bekennender Buddhist.

Neben den Interviewpassagen gibt es beeindruckende Landschaftsaufnahmen, die die Botschaften vertiefen. Es sind weniger neue Erkenntnisse, die die Dokumentation sehenswert machen, sondern die Ausstrahlung des Dalai Lamas und seine Intensität. Der Film fühlt sich an, wie eine mit positiver Energie geladene Meditationsstunde. Ein Kinoerlebnis, nicht nur für Buddhisten.

Reginal Roland (filmkritik-regina-roland.de)


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"BLITZ" Kriegs-Drama von Regisseur Steve McQueen (II), das während der Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg in London und Umgebung spielt. (Großbritannien / USA, 2024; 120 Min.) Der opulente Film mit Saoirse Ronan, Harris Dickinson, Benjamin Clementine u.a., der streckenweise auch ein wenig an "Oliver Twist" von Charles Dickens erinnert, feierte seine Uraufführung im Oktober 2024 auf dem London Film Festival (BFI) und ist seit dem 7. November 2024 bei uns für kurze Zeit im Kino zu sehen, danach ab 22. November 2024 im Stream auf Apple tv+.

Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Als »The Blitz« bezeichnet man die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf britische Städte, hauptsächlich London, zwischen September 1940 und Mai 1941. Tag und Nacht wurde aus der Luft angegriffen. Ziel war, neben der Zerstörung, die Moral zu brechen und das Land zur Aufgabe zu bewegen. Der britische Regisseur Steve McQueen ("Hunger", "Shame" und am bekanntesten wohl "12 Years a Slave"), erzählt in der Verfilmung eines eigenen Drehbuchs von dem Alltag der Bevölkerung aus einer bisher vernachlässigten Perspektive. Hauptfigur ist darum auch nur in zweiter Linie die junge Mutter Rita, gespielt von Saoirse Ronan, die ihr Kind alleine aufzieht und tagsüber in einer Munitionsfabrik arbeitet. Vielmehr ist es ihr 9-jähriger Sohn George, wunderbar gespielt von dem Nachwuchstalent Elliott Heffernan, dem wir bei seiner Odyssee durch das Umland und durch ein konstant im Bombenhagel erschüttertes London folgen.

Mit Spannung wurde die fünfte Spielfilm-Regiearbeit von Steve McQueen erwartet. Das London Film Festival zeigte den Film zuerst und natürlich als Eröffnungsfilm. Zürich hatte "Blitz" ebenfalls im Programm und in wenigen Tagen eröffnet der Film das auf die visuelle Filmarbeit spezialisierte Camerimage-Festival in Torun, Polen. Verantwortlich für die Kamera-Regie ist der Franzose Yorick Le Saux, der regelmäßig mit François Ozon zusammenarbeitet, den er an der Filmuniversität kennengelernt hatte. "Blitz" ist visuell, aber auch von der Ausstattung her sehenswert. Vor allem die Ton-Gestaltung ist ansprechend. Allein, die Erzählung selbst, ist etwas unausgewogen und zu märchenhaft.

Damals hatte man Eltern aufgerufen, ihre Kinder aufs Land zu schicken, um sie in relativer Sicherheit zu wissen. Man darf auch nicht vergessen, dass es viel zu wenige Schutzbunker gab. Die Londoner U-Bahnschächte waren eine Notlösung. Die Nutzung musste darüber hinaus auch erst erkämpft werden. Rita hängt sehr an ihrem Sohn, der seinen Vater nie kennenlernen durfte. Steve McQueen erzählt hier auch eine Geschichte von Rassismus, im Kleinen wie im Großen. Früh muss George lernen, für sich einzustehen, sich zu wehren und zu behaupten. Er sieht erst einmal nicht ein, dass seine Mutter ihn nicht grundlos wegschickt. Ihr bricht das Herz, als sie ihn in den Zug setzt und das Kind ihr ein "ich hasse dich" entgegen schleudert.

George ist ein Sturkopf und er denkt gar nicht daran, in die Ferne zu reisen, um dort ob seiner Hautfarbe, ausgegrenzt zu werden. Er springt aus dem fahrenden Zug und macht sich auf einen langen beschwerlichen Heimweg. Damit setzt eine melodramatische On-the-Road-Geschichte ein, die eine Dickenssche Figur gegen die Widrigkeiten des Krieges und der durchaus rassistischen Bevölkerung schickt. Gewalt, Ungerechtigkeit und Tod begegnen ihn. Er gerät in Zwangslagen und muss sich durch Geschick und etwas Glück daraus befreien. Eine klassische Coming-of-Age-Handlung. Die Episoden von heldenhaften Guten und widerlichen Bösen werden jedoch auch über die gut, oder eben böse aussehenden Figuren gekennzeichnet. Das mag der kindlichen Perspektive geschuldet sein, wirft aber ein fragwürdiges Licht auf das große Ganze. In einer geradezu grotesken Szene wird die hässliche Fratze des Krieges ausgerechnet jenen zugeschrieben, die nichts haben. Aber von Gier getrieben werden.

Parallel zu Georges Abenteuern, anders kann man es kaum beschreiben, wird uns Rita gezeigt, die, nachdem sie erfahren hat, dass ihr Sohn nie an seinem Bestimmungsort angekommen war, sich selbst auf die Suche macht. Mit einer Handlung von zwei Figuren, die jeweils durch ein vom Krieg erschütterten London irren, streift der Regisseur nicht nur historische Begebenheiten, sondern zeigt einen Alltag, der nicht von Ressentiments und Klassenkampf verschont bleibt. Wer einen Platz im Bunker bekommt, wer welchen Platz in den Schächten einnehmen darf, wie eine dem anderen nichts gönnt. Hier versucht Steve McQueen ein großes Porträt zu erschaffen, das seine Wirkung nicht verfehlt.

Es gilt schnell zu sein. "Blitz" ist für die große Leinwand gemacht. Der Streaminganbieter AppleTV+ bietet den Film darum auch im Kino an. Doch schon bald folgt die Auswertung auf dem Portal.

Elisabeth Nagy


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