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Zwei Filmkritiken zu Kinostarts vom 16. + 24. Oktober 2024

Unsere beiden wichtigsten Filmkritiken zu Kinostarts in Deutschland in der 42. + 43. Kalenderwoche 2024, wobei wir die zweite Filmkritik bereits anlässlich des DOK.Fest München erstmals am 30. April 2024 veröffentlicht hatten.



"THE APPRENTICE - The trump Story" von Regisseur Ali Abbasi ist ein faszinierendes und unterhaltsames Psychogramm über den jungen Donald Trump, einem von seinem Anwalt angestachelten egomanischen Unternehmer, der von Sebastian Stan grandios gespielt wird. (Kanada, Irland, Dänemark / 2024; 120 Min.) Mit Sebastian Stan, Jeremy Strong, Maria Bakalova, Martin Donovan, Catherine McNally u.a. seit 16. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Der Spielfilm "The Apprentice" - zu deutsch "Lehrling" - erzählt, wie der junge und von Macht besessene Millionenerbe Donald Trump (Sebastian Stan) im New York der 1970er und 1980er Jahre zum Immobilien-Tycoon aufgestiegen ist und von seinem skrupellosen Anwalt und Mentor Roy Cohn (Jeremy Strong) jene Taktiken lernte, die er noch heute anwendet: Nie Schwäche zeigen, keine Fehler zugeben und immer voll angreifen. Ein faszinierendes und unterhaltsames Psychogramm eines egomanischen Unternehmers. Donald Trump selber will den Kinostart des Films in den USA übrigens verhindern.

Ulrikes Filmkritik:

Regisseur Ali Abbasi („Holy Spider“) heftet sich an die Fersen des jungen Donald Trump (Sebastian Stan) und verfolgt dessen Entwicklung von den Siebzigern, wo er noch Sohn seines Vaters Fred Trump (Martin Donovan) einem Immobilien-Mogul ist. Als jüngstes Mitglied in einem exklusiven Club, lernt er den skrupellosen, ausgebufften Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong) kennen, der ihm nach und nach die Grundregeln für ein erfolgreiches Geschäftsleben beibringt. Der noch naive Trump hat so seine Ideen, sich von seinem Vater zu emanzipieren und eigene größenwahnsinnige Immobilien zu bauen. Die Gespräche unter den Mitgliedern in diesem Club sind regelrecht abstoßend.

Regel Nr.1: Angreifen, angreifen, angreifen. Nr. 2: Nie eine Niederlage zugeben. Nr.3: Nur mit einem Killerinstinkt kommt man weiter.

Dank Roys Einfluss kann er in New York seinen Luxus-Bau den „Trumptower“ und das Hayatt Grand Central realisieren. Bürgermeister Koch ist absolut nicht begeistert von Trumps Bauwahnsinn. Roy hat es geschafft, für Donald eine millionenschwere Steuerbefreiung zu erreichen. Roy besitzt ein Archiv, in dem er alle Gespräche mit seinen Ex-Klienten aufgezeichnet hat und kann so bei Zweifeln ihre Gespräche gegen sie benutzen. Ein erfolgreicher Anwalt, der genau wusste, wie man sich das System geschickt zunutze machen konnte und hat seine Taktiken, Erpressungen und Einschüchterungen, mit Donald geteilt. Je länger der von Roy profitierte, desto stärker wurde sein Ehrgeiz und auch sein Narzissmus.

Man kann Abasis Film in zwei Teile einordnen. Der erste Teil zeigt, wie eifrig er dazu lernt. Der zweite Teil zeigt ihn als kühlen Ehemann von Ivana Trump (Maria Bakalova), seine Abstumpfung, seine Sex-Gier, seine Einnahme von Amphetaminen und für den es nur den Macht -und Geldrausch gibt. Ein Lebemann, der vor nichts zurückschreckt. Das Augenmerk liegt auf der Beziehung zwischen Roy und Donald und welche Abgründe daraus resultieren.

Ein interessantes, schonungsloses Porträt über den Werdegang eines verwöhnten Sohnes zu einem gnadenlosen und seelenlosen Geschäftsmann. Beide Protagonisten spielen ihre Rollen großartig, denn sie wechseln ihre Charaktere, bis zum Ende des Films. Es ist auch ein Film über ein System, indem überhaupt so etwas möglich ist.

Ulrike Schirm


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"E.1027 – EILEEN GRAY und das Haus am Meer"
(Schweiz 2024 – Regie: Beatrice Minger & Christoph Schaub – Originalfassung: Englisch, Französisch – Untertitel: Englisch – Länge: 88 min.) Mit Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache und Charles Morillon. Am 14.10.2024 in Berlin bei der dOKUMENTALE und ab 24. Oktober 2024 bundesweit im Kino.

Nach dem Studium der Filmwissenschaft, Germanistik und Geschichte drehte die Schweizerin Beatrice Minger Kurzfilme und Videoclips, die auf internationalen Kurzfilmfestivals liefen. Christoph Schaub wurde in Zürich geboren. Er brach das Germanistikstudium ab, um als Autodidakt eine Filmkarriere zu starten. Viele seiner Dokumentarfilme behandeln architektonisch und urbanistische Themen.

Hier der Trailer:



Die irische Designerin und Architektin Eileen Gray baut 1929 ein Refugium an der Côte d'Azur. Ihr erstes Haus ist ein diskretes, avantgardistisches Meisterwerk. Sie nennt es »E.1027«, eine kryptische Vermählung ihrer Initialen mit denen des rumänischen Architektur-Journalisten Jean Badovici, mit dem sie es gebaut hat. Als Le Corbusier das Haus entdeckt, ist er fasziniert und besessen. Nachdem sich das Paar getrennt hat und Eileen Gray auszieht, bemalt Le Corbusier mit der Erlaubnis des Rumänen die Wände mit bunten Frauenfiguren und veröffentlicht Fotos davon. Eileen Gray bezeichnet diese Gemälde später als dreisten, männlichen Vandalismus und fordert Restitution. Er ignoriert ihre Wünsche und baut stattdessen sein berühmtes »Le Cabanon« direkt hinter »E.1027«, das bis heute die Erzählung des Ortes dominiert.

»E.1027« ist eine filmische Reise in die Gedankenwelt von Eileen Gray. Eine Geschichte über die Macht des weiblichen Ausdrucks und den Wunsch der Männer, ihn zu kontrollieren. Eileen Gray war nicht nur eine der ersten Architektinnen der Neuzeit. Die berühmte Stardesignerin schuf Möbel und Einrichtungsgegenstände, die heute zu den exklusivsten und teuersten der Welt gehören. Sie entwarf auch die gesamte Inneneinrichtung und das Mobiliar in E.1027, die dem Haus seinen einzigartigen Charakter verleihen. Der Film ist mehr als nur eine Doku über Architektur - ein filmisches Essay mit fiktionalen Elementen. Regisseurin Beatrice Minger lässt in kunstvoll arrangierten Reenactments das Dreiergespann wiederauferstehen und gibt Einblicke in künstlerische Konfliktzonen.

Elisabeths Filmkritik:

Eigentlich heißt der Film schlicht "E.1027". E.1027 ist ein Haus. Es heißt auch "das Haus am Meer". Den Titel kann man sich sehr einfach merken. Das E steht für Eileen. Die 10 steht für den zehnten Buchstaben im Alphabet: J. J wie Jean. Die 2 steht für das B, wie Badovici. Jean Badovici. Architekturkritiker, der auch als Architekt Anerkennung suchte. Und bekam. Die 7 steht folglich für das G. G wie Gray. Eileen Gray, Architektin und Designerin. Ihr Tisch mit dem Titel "Adjustable Table E 1027" ist sicherlich heute auch jenen bekannt, die ihren Namen nicht kennen. Sie entwarf den Tisch damals für das Gästezimmer in eben jenem Haus. Ihren Namen kannte man lange nicht. Nicht mehr. Er wurde verdrängt. Sie wurde von einer männlichen Rezeption von Architektur und Kunst verdrängt.

Ihre Karriere als Designerin öffnete sich mit der Bekanntschaft zu dem Rumänen Jean Badovici. Der Entwurf eines Hauses war eigentlich eine natürliche Entwicklung. Sie solle ein Haus für ihre Möbel bauen, so der Gedanke von ihm. Sie suchte und fand einen Ort, der ihrem Wesen entsprach. An der französischen Riviera, versteckt, viel zu nahe am Meer. Es sollte ein Refugium sein. Klein und los gelöst von der lauten Welt. Schlicht sollte es sein. Sie liebte weiße Wände. Das Haus, einmal vollendet, wirkt wie ein Boot auf dem Meer. Raum, Geist und Funktion verschmolzen. Ihr Ansatz war dabei das Gegenteil von dem, was der große Architekt der Zeit, Le Corbusier, postulierte. Er begriff "das Haus" als "Wohnmaschine". Sie, die sich durchaus mit seinen Ansätzen der Architektur auseinandergesetzt hatte, setzte dem entgegen, ein Haus sei keine Maschine. Ein Haus ist mit ihren Worten "das Gehäuse, die Schale des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine spirituelle Ausstrahlung."

Doch sie hatte das Haus auf Jean Badovici eintragen lassen. Das Haus wurde Mitte der 20er erbaut, in den 30ern überschwemmte die High Society die Côte d'Azur. Badovici zeigte das Haus allen und wurde endlich auch als Architekt wahr genommen. Sie musste die Ruhe schließlich woanders suchen. Aber auch Le Corbusier entdeckte das Haus und es war ihm eine Freude, es "zu beschmieren". Weiße leere Wände, da juckt es einem von einer weiblichen Architektin vermeintlich übertrumpft, in den Händen. Er griff zur Farbe und machte alles bunt. Von den Motiven der Fresken, die nun das Werk einer selbstbewussten, modernen Frau Hohn zeugten, ganz zu schweigen.

Bereits 2015 wurde ein Spielfilm gedreht. "The Price of Desire" behandelte, wenig erfolgreich, die Verflechtungen zwischen Gray, Le Corbusier und Badovici. Damals, als in dem Haus am Meer auch gedreht wurde, ist das Gebäude wieder hergestellt worden. Seit 2021 ist es restauriert und gehört heute dem französischen Staat.

"E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer" fängt die Seele dieses Hauses ein und inszeniert viele Szenen jedoch auf einer Studiobühne. Beatrice Minger und in Co-Regie Christoph Schaub, drehten einen Doku-Fiction-Film, der in der Ausrichtung Dokumentarfilm ist, aber mit Reenactments expressiv arbeitet. Dabei fangen sie essayistisch die Gedankengänge der Hauptfigur ein und stellen die Männer, die sie verdrängt hatten, als Gegenpol an ihre Seite. Sparsam behandeln sie das Biografische. "E.1027" ist wie ein Tanz, den die Figuren gemeinsam tanzen und doch bewegt sich jede Figur, auch ganz wörtlich, für sich.

Im Zentrum ist das Haus selbst. Wobei man die Erzählstimme aus dem Off sowohl der irischen Architektin als auch dem Haus zuschreiben könnte. Archivaufnahmen zeigen das Haus in verschiedenen Zeitspannen. Auch im unwürdigen Zustand des Verfalls. Jedoch ebenso bei den Restaurierungsmaßnahmen. Der Zugang, die den Blick verstellenden Wände, die Beschreibungen der Funktionen, die Verschachtelungen, die versteckten Räume im Raum, ohne diesen ihr Geheimnis zu entreißen, vielmehr wird hier die Präsenz von Geheimnis geteilt. Mit der Kamera gleiten wir durch diesen Raum und erfassen auch den Geist seiner Erschafferin. Um so brutaler kommt der Akt der Vertreibung und der Verschandelung rüber.

Wenn sie mal wieder den Dreck nach den Besuchern weg machen muss. Wenn achtlos Tücher hingeworfen wurden, dann begreift das Publikum, dass sie in dem Ambiente nicht mehr leben und arbeiten konnte. Die Vertreibung geschah zuerst aus Unachtsamkeit. Die Gemeinheiten folgten später. Dabei hatte sie diesen Angriff wohl kaum antizipiert.

Lange wurde das Haus, weil es die "Schmierereien" von Le Corbusier ausstellte, als seines gehandelt. Richtig gestellt wurde das damals nicht. Wie konnte das geschehen, mag man sich heute fragen. Darauf gibt dieses filmische Essay von Beatrice Minger und Christoph Schaub durchaus Antwort. Es ist eine Pointe, dass auch das Filmprojekt, als man es Beatrice Minger antrug, von Le Corbusier handeln sollte.

Die Weltpremiere feierte "E.1027" in Dänemark auf dem Festival CPH:Dox. In Deutschland wurde der Film zuerst auf dem Dok.Fest München im April gezeigt und diese Woche auch in Berlin beim Filmfestival dOKUMENTALE. Ab Donnerstag, den 24. Oktober 2024 kann der Film auch bundesweit im Kino gesehen werden.

Elisabeth Nagy


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