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Unsere Filmkritiken August/September zu Kinostarts in der 35. KW 2024

Diesmal drei Filmbesprechungen: "Alles Fifty Fifty" sowie der Berlinale Beitrag "Gloria" und die Doku "Die Unbeugsamen 2".



"ALLES FIFTY FIFTY" Die wunderbare Wohlfühlkomödie von Regisseur Alireza Golafshan dürfte nach der Premiere im Juli auf dem Filmfest München nun auch das Hauptstadt-Publikum begeistern. (Deutschland, 2024; 109 Min.) Mit Moritz Bleibtreu, Laura Tonke, Valentin Thatenhorst, David Kross u.a. ab 29. August 2024 bundesweit im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Wenn Zwei sich streiten...! Andi (Moritz Bleibtreu) und Marion (Laura Tonke) sind geschieden. Sie gehen sich weitgehend aus dem Weg. Doch sie haben zusammen einen Sohn, Milan, gespielt von Valentin Thatenhorst. Ein schwieriges Kind, das schwierige Entscheidungen treffen muss. Mag ich lieber bei Papa oder lieber bei Mama sein? Zum Beispiel. Eine Frage, auf der es keine einfache Antwort gibt, denn beide Elternteile stehen diametral auf verschiedenen Standpunkten und über Erziehungsfragen wird dann auch mal gestritten.

Moritz Bleibtreu und Laura Tonke, die Eltern, werden eher als Typ gezeichnet. Weder der Papa, der immer Ja sagt, noch die Mama, die immer Nein sagt, wirken auf den ersten Eindruck sympathisch. Das Kind, dass die beide gegeneinander ausspielt, übrigens auch nicht.

"Alles Fifty-Fifty" ist trotzdem und vor allem eine Komödie, die sich aus diesem Erziehungschaos entwickelt. Die Eltern sind ja der Meinung, dass ihr Modell super ist. Dabei weit gefehlt: Er lässt dem Jungen alles durchgehen und beschenkt ihn mit Dingen, die dieser nicht braucht und nicht will. Alles ist etwas zu groß bei ihm. Sie liest jegliches an Erziehungsliteratur, was auf dem Markt ist, und wird auch nicht schlauer. Den Begriff Helikoptermutter hat man für Mütter wie sie erfunden. Was kann da schon schiefgehen?

Die Handlung beginnt am Meer. Sommer, Sonne, Urlaubsstimmung. Es gibt einen Erzähler, der aus dem Off über einen Jungen erzählt, der nicht ins Wasser gehen will. Diese Stimme gehört einem Bademeister, der in einem Ressort für Betuchte arbeitet, also für zahlende Kunden, die in Apulien Urlaub machen. Allerdings ist der Bademeister weder bei der Vorgeschichte noch bei der Entwicklung noch während der Geschichte anwesend. Er taucht ab und an auf, wie aus dem Hut gezaubert. Doch er ist es, der dem Jungen den Tipp gibt und damit die Handlung anstößt, einfach mal von den Eltern frei zu drehen.

Geht es nun um einen Jungen, der von den Eltern unter- und überfordert wird? Oder doch eher um die Eltern, die sich "fifty-fifty" um die Erziehung kümmern? Wir spulen zurück, bevor die Familie in Italien gelandet ist. Die Eltern werden in die Schule gerufen. Ihr Junge wird für etwas, was man dem lieben Buben nicht ansieht, aber doch ziemlich heftig ist, suspendiert.

Damit gerät aber die fein justierte Aufteilung der Eltern, bei wem der Junge wann ist, durcheinander. Was folgt, ist eine perfekte Notlösung. Gemeinsam reisen sie in ihren bereits geplanten Urlaub, um die Erziehungsfehler auszubügeln. Mit im Gepäck der weit jüngere Lover der Mutter. Der ist aber zu nett, als dass er auf Dauer an ihrem Leben teilhaben darf.

Man ahnt die Wiedervereinigung. Was beide Elternteile nicht bedacht haben, ist, dass Milan dabei eher unglücklich ist, und könnten seine Lehrerinnen nicht doch recht haben, damit, dass die widersprüchliche Erziehung der Eltern ihren Tribut fordert?

Regie führte bei der Komödie Alireza Golafsha. Für sein Regiedebüt "Die Goldfische" (2019) gewann der deutsch-iranische Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film München den bayrischen Regienachwuchspreis. Nicht in allen Segmenten ist "Alles Fifty-Fifty" stimmig. Doch besonders Moritz Bleibtreu macht aus seiner im Drehbuch doch sehr vereinfachten Figur das Beste. Seine Rolle des Vaters, der vermeintlich die Sonnenseiten des Elternseins für sich gepachtet hat, wirkt verwundert bis ratlos, wie er denn seinem Kind und eigentlich auch sich selbst helfen soll.

Milan, 11 Jahre alt, trotzig bis maulig, entdeckt im besagten Urlaub die "Schmuddelkinder". Die Kinder vom nahe gelegenen Campingplatz, die anders als im abgeschotteten Urlaubsparadies, ihre Umgebung erkunden können, ohne dass ihre Erziehungsberechtigten sie daran hindern würden. Mitten in der Natur ist der Sommer für Milan plötzlich ein Abenteuer.

Als es ihm mit Papa und Mama endgültig reicht, buchst er aus. Andi und Marion folgen ihm, eher unfreiwillig. Die gut betuchten Juristen-Eltern stranden im Campingzelt, und müssen sich jetzt endlich mal zusammenraufen. Natürlich werden sie dabei ziemlich vorgeführt. Zugegeben, Moritz Bleibtreu und Laura Tonke spielen das Post-Scheidungs-Paar, das alles richtig machen will, und dabei an sich selbst scheitert, mit Verve. Ihr Hick-Hack vor der Nase ihres Nachwuchses hat seine entlarvenden Momente. Bissiger wird es allerdings nicht.

Elisabeth Nagy


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"GLORIA!" Historiendrama über fünf junge, revoltierende Frauen des Waisenhauses San Ignazio bei Venedig, das als Spielfilmdebüt der erfolgreichen 36-jährigen italienische Schauspielerin und Pop-Sängerin Margherita Vicario, seine Premiere im Wettbewerb 74. Berlinale feierte. (Italien / Schweiz, 2024; 106 Min.) Mit Galatea Bellugi, Carlotta Gamba, Veronica Lucchesi u.a. ab 29. August 2024 bundesweit im Kino. Hier der Trailer:



Angelikas Filmkritik:

Die erfolgreiche italienische Schauspielerin und Pop-Sängerin Margherita Vicario hat ihr Spielfilm-Debüt — das sie um 1800 herum ansiedelt — in einem Kloster in der Nähe von Venedig gedreht. Diesen Ort hat sie bewusst für ihr Waisenhaus ausgewählt. Er liegt direkt an der Lagune, welche die eigentliche Stadt Venedig vom Lido trennt, jener langgezogenen Insel, auf der gerade jetzt — wie alle Jahre wieder, mit der Mostra di Venezia eines der berühmtesten Film-Festivals stattfindet.

Natürlich gibt es heutzutage die Mädchenmusikschule „San Ignazio“ nicht mehr so wie früher. Aber an einem solchen vergleichbaren Ort muss sich Teresa (Galatéa Bellugi) um niedere Aufgaben kümmern. Kaum einer beachtet sie oder weiß auch nur ihren Namen. So wird sie der Einfachheit halber von allen immer nur „die Stumme" genannt. Dabei ahnt niemand etwas von ihrem ganz besonderen Talent. 

Denn in Wahrheit hat Teresa eine ganz besondere Begabung für Musik und die in ihrer Umgebung erzeugten Geräusche. Für sie scheint die Welt um sie herum — viel klarer als für alle anderen — von Musik durchwoben zu sein.  

Aber, was sie erlebt, kann sie als Stumme ja leider niemandem erklären. — Und so wird sie ganz selbstverständlich für dumm gehalten sowie für alle unangenehmen Arbeiten wie Spülen, Wäschewaschen und auch Putzen kurzerhand für zuständig erklärt.

Als alle sich sorgfältig auf den Besuch des Papstes vorbereiten und der Kapellmeister sich bemüht, sogar eine neue Komposition für das oberste Kirchenmitglied zu erfinden, macht Teresa eine entscheidende Entdeckung: In einer Abstellkammer steht hinter viel Gerümpel, Trödel und Krims-Kram — nur halbwegs zugedeckt — ein Pianoforte. 

Teresa beginnt zu spielen. Das aber bleibt natürlich niemandem verborgen: Alle anderen Mädchen wollen auch mal auf dem „Gerät“ spielen. Aus der anfänglichen Konkurrenz entwickelt sich so mit der Zeit eine kreative Beziehung. 

Und da das alles zunächst heimlich passieren muss, stärkt die neue Situation nicht nur den musikalischen Erfindergeist, sondern auch das Bewusstsein, dass selbst jedes unmündig gemachte Mädchen ganz allein etwas auf die Beine stellen kann — auch ohne dauernd gemaßregelt zu werden.

Vor allen Dingen aber entwickelt sich in der Gemeinschaft der heranwachsenden Mädchen neben der Kreativität aber auch deren Zuversicht, dass sie in Zukunft ihr Leben außerhalb des Waisenhauses selbständig in die Hand nehmen und so dann auch einer Zwangs-Verheiratung entgehen könnten.

Der Film schildert auf höchst vergnügliche und mitreißende Lebendigkeit die hoffnungsvolle Zukunft auch noch so benachteiligter Mädchen.

„San Ignazio“ ist zwar ein fiktiver Schauplatz, beruht jedoch auf realen Vorbildern. Das berühmteste dieser Institute zur musikalischen Ausbildung von Mädchenchören bei Gottesdiensten, ist das Ospedale della Pietá in Venedig, dessen Hauskomponist, Antonio Vivaldi, komponierte um 1715 jenes "GLORIA IN EXELSIS DEO" in D-Dur, das die Mädchen gleich zu Beginn des Films zum Besten geben.

Angelika Kettelhack


HINWEIS:

Unsere Filmkritikerin und Filmemacherin Angelika Kettelhack gehört zu den Mitbegründern des 1974 entstandenen Berliner Arbeitskreis Film e.V. (BAF), eines vor fast genau 50 Jahren in West-Berlin aus der Taufe gehobenen ersten berufsständischen Filmverbandes.

Aus diesem Anlass zeigt das Bezirksmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim (Schloßstraße 55 / Otto-Grüneberg-Weg | 14059 Berlin) am 5. September 2024 um 18:00 Uhr, mit „Schaufenster des Westens - Tante Emma Laden am Weltboulevard“ ein ganz besonderes Filmprogramm von Angelika Kettelhack.

Die 1979 entstandene Doku nimmt nicht nur das Leben auf dem Kurfürstendamm, dem titelgebenden „Schaufenster des Westens“ in den Fokus, sondern es blickt auch in seine Seitenstraßen. Es rückt Menschen, ihre Schicksale und Lebensgeschichten in den Mittelpunkt.

Dieser Film wurde 1981 auch zur United States Bicentennial-Feier „BERLIN-LOS ANGELES" eingeladen, wodurch Angelika Kettelhack mit sieben weiteren Berliner Filmemacherinnen kostenlos nach Los Angeles reisen konnte.

Im Anschluss an die Vorführung folgt ein Filmgespräch mit der Regisseurin und Journalistin Angelika Kettelhack und der Kuratorin Christine Kisorsy.

Reservierungen unter Tel.: 030 - 90 29 24 106
oder via Mail: museum@charlottenburg-wilmersdorf.de


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"DIE UNMBEUGSAMEN 2 - Guten Morgen ihr Schönen!" Zweiter Teil eines Dokumentarfilms von Torsten Körner – diesmal über Frauen in der DDR, nach seinem 2021 gedrehten erfolgreichen ersten Teil über Politikerinnen in der BRD, die sich ihr Recht auf Gleichberechtigung im politischen Geschehen hart erstreiten mussten. (Deutschland, 2024, 104 Min.) Ab 29. August 2024 bundesweit im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Torsten Körner, Regisseur, Autor und Journalist, Jahrgang 1965, schrieb unter anderem über Heinz Rühmann und Götz George. Auch über Willy Brandt.

Dokumentarfilmisch arbeitete er sich sowohl an Angela Merkel ("Angela Merkel - Die Unerwartete", 2016) als auch Gerhard Schröder ("Gerhard Schröder - Schlage die Trommel", 2020) ab.

Bereits Mitte der 10er Jahre erweiterte er seinen Blick auf die Biographien von Frauen. Genauer gesagt, auf die von Politikerinnen. "Der demokratische Chor ist nicht vollständig, wenn der Sound der Republik immer nur männlich klingt." Das sagte er im Pressematerial zu seinem Film "Die Unbeugsamen", der ursprünglich 2020 ins Kino kommen sollte. Der Film, der zeitgleich mit seinem Buch "In der Männerrepublik: Wie Frauen die Politik eroberten" (erschienen 2020 bei KiWi), konnte pandemiebedingt erst 2021 in die Kinos kommen, hielt sich dann aber dort erstaunliche 37 Wochen lang.

Ihm war "es wichtig, der einseitig männerzentrierten Geschichtsschreibung, die sich bis heute fortpflanzt, etwas entgegenzusetzen". In "Die Unbeugsamen" stellte er eine Kollage an Material zusammen, die deutlich machte, womit Frau es in der Politik einst aufnehmen musste. Der Fokus lag auf der Bonner Republik. Diese Epoche ist zwar schon lange Vergangenheit, doch in den Begegnungen mit zum Beispiel Herta Däubler-Gmelin (SPD), Christa Nickels (Die Grünen) und Rita Süssmuth (CDU), um nur drei der vielen Namen zu nennen, wird deutlich, dass die Zeitgeschichte große Schritte rückwärts geht.

Für unsere Gegenwart ist ein Blick auf die Lebenserfahrungen von Frauen in politischen Positionen in Westdeutschland natürlich nur die Hälfte eines Ganzen. Bereits damals wurde ein zweiter Teil (und es wird wohl auch einen dritten Teil geben) in Aussicht gestellt, der einen Blick auf die Biographien von den Frauen in der DDR wirft. Damit sind wir bei "Die Unbeugsamen 2 - Guten Morgen ihr Schönen!".

Der Titel bezieht sich auf das 1977 erschienene Buch der Österreicherin Maxie Wander, die in die DDR übergesiedelt war: "Guten Morgen, du Schöne", war eine Sammlung von Berichten von Frauen über ihre Wünsche und Erfahrungen. In der DDR war das Buch ein Bestseller.

Wer jetzt denkt, dass Körner hier Ostdeutsche Politikerinnen porträtiert, verkennt die Möglichkeiten, die Frauen in der DDR hatten. Schnell räumt der Dokumentarfilm mit dem Mythos der Freiheit der Frauen in der DDR auf. Aufstiegschancen hatten Frauen nur so weit, wie sie den Männern nicht gefährlich werden konnten. Ein Film über ostdeutsche Politikerinnen wäre kaum mehr als ein Kurzfilm. Umso interessanter ist Körners Ansatz, trotzdem von etwas Vergleichbarem zu erzählen, beziehungsweise erzählen zu lassen.

Gemeinhin denkt man, in der DDR hätten die Frauen mehr Chancen und mehr Wertschätzung erfahren. Hier mussten Ehemänner nicht erst ihre Einwilligung geben, wenn Ehefrau arbeiten gehen wollte. Gleichberechtigung war jedoch eher eine Parole, obwohl 1950 im "Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau" festgeschrieben, um die Frauen in die Produktion zu holen. Ihre Arbeitskraft wurde gebraucht. Nach der Arbeit blieb der Haushalt in der Regel entgegen aller Gleichberechtigung an ihnen hängen. Zwar kümmerte sich die DDR, ganz eigennützig, um Krippen und Kinderbetreuung. Aber es brauchte auch noch die Hilfe der Oma, wenn man eine hatte.

15 Frauen hat Torsten Körner vor die Kamera geholt. Brunhilde Hanke gehört als langjährige Oberbürgermeisterin von Potsdam tatsächlich zur Politik. Solveig Leo ist Landwirtin. Barbara Mädler erzählt, wie lange es brauchte, bis sie Regie studieren durfte. Katrin Sass ist Schauspielerin. Zum Beispiel in dem Film "Bis dass der Tod euch scheidet", der sie in einer Rolle zeigt, in dem sie sich ihrem Mann widersetzt, der sie nur als Hausfrau und Mutter sehen möchte. Tina Powileit war als Schlagzeugerin erfolgreich. Die Band Mona Lise war eine reine Frauenband und sie galt als erste Schlagzeugerin der DDR. Sie war sogar erfolgreicher als ihr Partner.

Ulrike Poppe kam als Aktivistin für den Frieden in Haft und erfuhr dort die Solidarität unter den Mitgefangenen. Katja Lange-Müller ist Schriftstellerin, Doris Ziegler Malerin. Dies sind Beispiele in einem unterhaltenden und erhellenden Film, der deutlich macht, mit welchen Hürden die Biographien ausgebremst wurden und wie Frauen sich ihren Platz erarbeiten und erkämpfen mussten. Wie ihnen Möglichkeiten und somit Ziele in Aussicht gestellt wurden, als Versprechen, das man nicht dachte einzulösen. Zwischendrin gibt es dann Anekdoten, zum Beispiel über den internationalen Frauentag.

Jetzt können 15 Biografien nicht 30 Jahre DDR-Geschichte abdecken und auch wenn "Die Unbeugsamen 2" einen breiten Einblick auf die Gesellschaft erlaubt, bleiben Lücken. Körner, der die Gespräche thematisch bündelt und sich in keiner Weise einmischt, erreicht aber, dass man sich Gedanken macht. Zum Beispiel, welche Stärken die Frauen in der DDR haben mussten. Daraus folgt auch, dass man sich fragt, wo wir heute stehen.

Elisabeth Nagy


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