Berlinale Eröffnungsfilme - Unsere ersten Filmkritiken aus drei Sektionen
Wettbewerb: "Small Things Like These" / Encounters: "Favoriten" / Panorama: "Crossing".
WETTBEWERB:
"Small Things Like These" - (Kleine Dinge wie diese)
Drama von Tim Mielants (Irland / Belgien, Weltpremiere 2024, 96 Min.)
Mit Cillian Murphy, Clare Dunne, Michelle Fairley, Emily Watson, Amy De Bhrún, Joanne Crawford, Eileen Walsh, Abby Fitz, Helen Behan, Ian O'Reilly, Liadan Dunlea, Tom Leavey, Cillian O'Gairbhi, Sarah Morris, Louis Kirwan, Ella Cannon, Aoife Gaffney.
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ENCOUNTERS:
FAVORITEN Langzeitdokumentation von Ruth Beckermann über eine Grundschulklasse mit Migranten*innen in Wien. (Österreich, Weltpremiere 2024, 118 Min.)
Mitwirkende: Ilkay Idiskut, Nerjiss Aldebi, Liemar Aljouma, Egemen Ak, Majeda Alshammaa, Enes Kerim Bölüktaş, Melisa Bulduk, Furkan Çongar, Dani Crnkić, Eda Dzhemal, Beid Emini, Arian Grošić, Elif Gürdal, Rebeca Harambaşa, Ibrahim Ibrahimovič, Alper Ismetov, Davut Kaplan, Manessa Lakhal, Mohammed Maksoud, Selen Mehmedova, Selin Mehmedova, Teodora Mladenović, Hafsa Polat, Natalia Sălăgean, Danilo Tomić, David Tomic, Amina Tungaev, Valentin Vujcic, Fatima Yapici.
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PANORAMA:
"Crossing" Spielfilm-Drama von Levan Akin (Schweden / Dänemark / Frankreich / Türkei / Georgien, Weltpremiere 2024,105 Min.)
Mit Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanlı u.a.
Anmerkung:
Trailer zu den oben besprochenen Filmen gibt es bei Weltpremieren so gut wie nie, weil die Filme meist noch keinen Verleih haben. Darüber hinaus müssen Sperrfristen bis zur Erstaufführung eingehalten werden.
Link: www.berlinale.de
WETTBEWERB:
"Small Things Like These" - (Kleine Dinge wie diese)
Drama von Tim Mielants (Irland / Belgien, Weltpremiere 2024, 96 Min.)
Mit Cillian Murphy, Clare Dunne, Michelle Fairley, Emily Watson, Amy De Bhrún, Joanne Crawford, Eileen Walsh, Abby Fitz, Helen Behan, Ian O'Reilly, Liadan Dunlea, Tom Leavey, Cillian O'Gairbhi, Sarah Morris, Louis Kirwan, Ella Cannon, Aoife Gaffney.
Elisabeths Filmkritik:
Eine kleine Stadt in Irland. "Kleine Dinge wie diese", im Original "Small Things Like These", eröffnet mit einem harmonischen Bild auf ein Städtchen in der Totalen. Die Kirchenglocken läuten. Das ist die Klammer. Das zarte Glockengeläut stimmt uns auf die Märchenhaftigkeit der Handlung ein und sie lässt die Geschichte, wenn sie noch gar nicht auserzählt scheint, auch gar nicht los. Der Klang der Kirchenglocken, der den Charakter der Handlung als ein Märchen noch verstärkt, deutet aber auch auf eine der Interpretationsmöglichkeiten hin. Es ist die Kirche, die hier alles bestimmt.
Wir sind in Irland, es ist Mitte der 80er Jahre. Aber alles wirkt hier zeitlos oder wie aus der Zeit gefallen. Wie ein alter Film aus den 50ern. Man wünscht sich, dass die Hauptfigur, der schweigsame William (Cillian Murphy), den alle nur Bill nennen, gerne noch sein Handwerk dazu setzen, Bill der Kohlenhändler, erkennen möge, welchen Wert er hat. Aber sein Wert ist nur der, den Menschen Wärme in Form von Kohle-Briketts zu bringen. Bill hat eine Familie, fünf Töchter, eine patente Frau. Die würde sich wünschen, wenn Bill nicht immer jedem zu helfen versuchen würde.
"Kleine Dinge wie diese" ist ein Märchen, wie eines von Charles Dickens. Es ist Weihnachten, die Welt hält inne und tut Gutes. Denkt man. Bill redet zwar nicht viel, aber der Film erzählt uns auch seine Geschichte, die uns seine Schweigsamkeit und seine Sensibilität näherbringen wird. Das Weihnachtsfest erfüllte ihm nicht seine Wünsche. Er verstand das. Traurig machte es ihn trotzdem. Nun ist wieder Weihnachten und er kann nicht wegsehen, als ein junges Mädchen aus dem nahen Kloster, in das er Kohlen liefert, um seine Hilfe bittet.
Regie führte Tim Mielants, ein Belgier, dessen Debütfilm "De Patrick" 2019 in Karlovy Vary ausgezeichnet worden war. Weit bekannter dürfte seine Arbeit an der Fernsehserie "Peaky Blinders - Gangs of Birmingham" sein, in der Cillian Murphy eine tragende Rolle spielte. "Kleine Dinge wie diese" ist eine Adaption des Romans von Claire Keegan von 2021. Keegan ist auch für Filmfreunde keine Unbekannte. Ihre Geschichte "Foster" war zum Beispiel die Vorlage für den wunderbaren irischen Film "The Quiet Girl". Auch dieser Film ein Berlinale-Titel, der es bis zur Oscar-Nominierung und nach langer Wartezeit letztes Jahr auch in unsere Kinos geschafft hatte. Das Drehbuch schrieb der Dramatiker Enda Walsh, sein erstes Filmdrehbuch war 2001 "Disco Pigs", in dem der Schauspieler Cillian Murphy seine erste tragende Rolle gespielt hatte. Der Film wurde damals im Panorama der Berlinale vorgestellt. Manchmal wirken Filmaufstellungen wie kleine Dörfer.
"Kleine Dinge wie diese" erzählt von der Armut in Irland, von einer Gesellschaft, die fest im Griff der Kirche verharrt. Der kleine Mann kann nach seinem Gewissen handeln, doch nicht nur die Nachbarschaft blickt auf jede Tat und vergeltet es einem entsprechend. Die Kirche hat überall ihre Finger drin. Das sagt man auch Bill, der sich gar nicht auflehnen möchte, der aber den Hilferuf eines jungen Mädchens nicht überhören kann. Er hat fünf Töchter und sorgt sich auch um ihre Zukunft. Muss man einem Kind in Not denn nicht helfen? Es sind vielleicht die "kleinen Dinge", die hier den Blick auf das, was im Hintergrund weit ausgebreitet liegt, verstellen. Die Geschichte von Bill, herzzerreißend traurig, ist dramaturgisch jedoch mit dem Schicksal von nur einer jungen Frau verbunden. Einer jungen Frau von vielen. Das Ungleichgewicht ist vielleicht der Struktur des Märchens geschuldet. Es wirkt befremdend, wenn das Schicksal von so vielen jungen Frauen nur so leicht angedeutet wird.
Bis weit in die 90er Jahre gab es in Irland die sogenannten Magdalenen-Heime, in denen junge Frauen aufgefangen wurden. Das steht sinnbildlich für "Besserungsanstalt" und Ausbeutung. Man nannte sie auch "Magdalen Laundries", "Magdalenen-Wäschereien", weil die jungen Frauen dort einer entsprechenden Tätigkeit nachgehen mussten. Die Öffentlichkeit nahm diese Einrichtung kaum zur Kenntnis. Im 20. Jahrhundert galten die dort Untergebrachten als "gefallene Mädchen". Man schwieg, schwieg viel zu lange. Erst Ende der 90er Jahre wurden die Zustände in diesen Einrichtungen aufgearbeitet, ehemalige Insassinnen wurden gehört.
Auch filmisch wurden diese "Magdalenen-Wäschereien" thematisiert. Eine Fernsehdokumentation, "Sex in a Cold Climate", berichtete von den Misshandlungen. Der schottische Regisseur Peter Mullan brachte 2002 den Film "Die unbarmherzigen Schwestern" ("The Magdalene Sisters") heraus, in dem übrigens Eileen Walsh eine dieser Mädchen spielte. In "Small Things Like These" gibt sie die Frau von Bill. Der Film, der damals in Venedig den goldenen Löwen gewann und auch als Europäischer Film des Jahres ausgezeichnet wurde, galt in manchen Publikationen als antikatholisch. Ach was.
Die Hintergründe sollte das Publikum also schon kennen, weil sie in "Kleine Dinge wie diese" nicht direkt ins Auge springen. Der Film konzentriert sich auf einen Menschen, der versucht gut zu sein. Der versucht das Richtige zu tun. Der zwar immer auch zu gefallen trachtet, der weiß, wie sehr er auf seine Mitmenschen auch angewiesen ist, der trotzdem einen festen Wertekompass hat und letztendlich diesem folgt.
In "Kleine Dinge wie diese" heftet sich die Kamera an Cilian Murphys Gesicht und an seine Augen, die durchschimmern lassen, was in ihm vorgeht. Man mag einwenden, dass die Konzentration auf die Geschichte eines Mannes die Sicht auf die Geschichte im Hintergrund fast verdeckt. Aber es braucht nur einen Menschen, um das Richtige zu tun. Wird dieser Mensch sich selbst treu bleiben, das ist die Frage. Das ist die Lehre, die man zieht. Schlussendlich geht es um Menschlichkeit. Doch die Kirchenglocken läuten. Der Film spielt Mitte der 80er Jahre. Weit entfernt von der letzten Schließung dieser Anstalten.
Elisabeth Nagy
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ENCOUNTERS:
FAVORITEN Langzeitdokumentation von Ruth Beckermann über eine Grundschulklasse mit Migranten*innen in Wien. (Österreich, Weltpremiere 2024, 118 Min.)
Mitwirkende: Ilkay Idiskut, Nerjiss Aldebi, Liemar Aljouma, Egemen Ak, Majeda Alshammaa, Enes Kerim Bölüktaş, Melisa Bulduk, Furkan Çongar, Dani Crnkić, Eda Dzhemal, Beid Emini, Arian Grošić, Elif Gürdal, Rebeca Harambaşa, Ibrahim Ibrahimovič, Alper Ismetov, Davut Kaplan, Manessa Lakhal, Mohammed Maksoud, Selen Mehmedova, Selin Mehmedova, Teodora Mladenović, Hafsa Polat, Natalia Sălăgean, Danilo Tomić, David Tomic, Amina Tungaev, Valentin Vujcic, Fatima Yapici.
Elisabeths Filmkritik:
"Ich habe eine schlechte Nachricht", sagt der Schuldirektor vor dem versammelten Kollegium. Der normalerweise am Schuljahranfang angesetzte Integrationskurs müsse leider entfallen und die Fachkraft für soziale Integration würde an einer anderen Schule gebraucht. Die Grundschule, in Österreich Volksschule, in der die österreichische Regisseurin Ruth Beckermann ("Waldheims Walzer" - Berlinale 2018, "Mutzenbacher" - Berlinale 2022) eine Klasse von der 2. bis zur 4. Klasse begleitet hat, ist die größte in Wiens Gemeindebezirk Favoriten.
Eine ursprüngliche Fassung war über drei Stunden lang. Dass das trotzdem spannend sein kann, hatte der deutsche Dokumentarfilm "Herr Bachmann und seine Klasse" (Maria Speth, 2021) bewiesen, übrigens auch ein Berlinale-Teilnehmer.
Ruth Beckermann und ihre Mitautorin Elisabeth Menasse, ehemalige Direktorin des Wiener Zoom-Kindermuseums und somit auch vom Fach, haben sich für die Konzentration entschieden. Eine Konzentration auf die Kinder, auf die Interaktion mit ihrer Klassenlehrerin und untereinander. Für die Probleme, die nicht wegdiskutiert werden, braucht man schon etwas Empathie. Im Presseheft sagt Ruth Beckermann: "Irgendwann dachte ich mir, wenn man nicht über den Film versteht, woran es in diesem Schulsystem mangelt, dann funktioniert der Film nicht."
Er funktioniert! Es wird von Anfang an deutlich, dass ein Mangel verwaltet wird. Favoriten ist der bevölkerungsreichste Bezirk von Wien. Hier leben auch weit mehr ausländische Bewohner als im Wiener Durchschnitt. Die Kinder in der Klasse von Frau Ilkay Idiskut, die Mitte 30 Jahre jung und engagiert ist, wird zwingend Deutsch gesprochen. Aber Deutsch ist für ihre Kinder die Sprache der Schule. Zu Hause sprechen sie Türkisch oder Albanisch, Serbokroatisch, Arabisch. Deutsch ist hier mit Mühen verbunden.
Es sind so kleine Wesen und sie haben so viel Mühe sich auszudrücken. Das sticht hervor. Wäre die Klasse besser vermischt, würden einige Kinder tadelloses Deutsch sprechen, die anderen Kinder würden es aufschnappen. Die Lehrerin, die zwar türkischer Herkunft ist, hatte noch ganz andere Möglichkeiten. Sie wurde in Wien geboren und konnte eine Schule besuchen, in der sie als einzige einen Migrationshintergrund hatte. So hatte sie auch nie Probleme mit der Sprache.
Ruth Beckermann legt den Finger nicht direkt in die Wunde, sondern vertraut auf das Material, das sie hat. Drei Schuljahre lang hat sie sie die Kinder in ihrer Entwicklung begleitet. Die Väter sind einfache Arbeiter, oft arbeiten sie auf dem Bau. Die Mütter sind zumeist Hausfrauen. So traditionell? Scheinbar ja. Aber man spürt und sieht, dass die Eltern ihren Kindern alles mitgeben wollen, was sie können.
Kein Kommentar gibt eine Lesart vor. Ruth Beckermann hat sich noch etwas einfallen lassen, um die Routine des Unterrichts, der hier nicht dröge zu viel Raum einnimmt, zu brechen. Gedreht wurde an 31 Drehtagen auf 3 Jahre verteilt. Im Klassenraum war das Drehteam stets zu viert anwesend. Kamera und Ton bewegten sich, Regie und Ko-Autorin saßen in der Ecke. Und so gab Ruth Beckermann ab. Sie gab die Kontrolle auch in die Hände der Kinder. Mit dem Handy sollten sie sich gegenseitig filmen. Ein Blickwinkel, den nur die Kinder einnehmen konnten.
Man mag stutzen, wenn die Mädchen mit Barbie-Puppen und die Jungs Tischfußball spielen, aber an wem liegt es denn, ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen? Wenn dann ein Kind gerne Astronaut werden möchte, sollte man es sich zweimal überlegen, ob man es belächelt.
In Österreich wird der Film Anfang April 2024 das Grazer Festival DIAGONALE eröffnen.
Elisabeth Nagy
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PANORAMA:
"Crossing" Spielfilm-Drama von Levan Akin (Schweden / Dänemark / Frankreich / Türkei / Georgien, Weltpremiere 2024,105 Min.)
Mit Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanlı u.a.
Elisabeths Filmkritik:
"Crossing" von dem schwedischen Regisseur mit georgischen Wurzeln, Levan Akin, ist eine Reise über mehrere Brücken. Die Reise ist gleichzeitig das Ziel.
Akin, der mit "Als wir tanzten" zum ersten Mal in der georgischen Sprache gedreht hatte, wählte auch mit "Crossing" den Ausgangspunkt in Georgien. "Als wir tanzten", den er 2019 in Cannes vorgestellt hatte, erzählte von einem jungen Tänzer, der seiner Berufung folgt, die traditionellen Tänze aber mehr und mehr mit seiner sich entfaltenden Persönlichkeit anreichern wollte. Eine Coming-of-Age und gleichzeitig Coming-Out-Geschichte, der bei den nationalen schwedischen Filmpreisen, den Guldbagge, die Preise in den Hauptkategorien gewann.
"Crossing", der Eröffnungsfilm der Berlinale-Sektion Panorama, die schon immer den LGBTQIA-Filmen (das steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender/transsexuell, queer/fragend, intersexuell und asexuell) ein internationales Podium sichern, erzählt von einer Reise einer älteren Frau, die sich einer Lebensentscheidung ihrer Nichte stellen muss und auch will. "Crossing" behandelt sein Thema aus einer anderen Perspektive als sein erster Film und die Geschichte entwickelt sich sowohl leiser, poetischer als auch eindringlicher.
Wir lernen Lia, gespielt von Mzia Arabuli, in ihrer Heimatstadt Batumi kennen. Batumi ist eine Hafenstadt am Schwarzen Meer und die türkische Grenze ist keine 20 km entfernt. Früher war sie Lehrerin, jetzt ist sie in Rente und nichts hält sie mehr. Weder am Ort noch im Allgemeinen. Sie hat ihrer Schwester jedoch am Totenbett versprochen, ihr einst verstoßenes Kind, Tekla, zu suchen. Tekla, eine junge Transfrau, solle erfahren, dass ihre Mutter sie trotz allem geliebt habe.
Die Suche führt Lia in den Haushalt eines ehemaligen Schülers, der von denen da am Ende der Straße nichts zu wissen meint und auch nichts wissen will. Hier aber läuft ihr Achi (Lucas Kankava) zu. Er ist der jüngere Bruder, der Nichtsnutz seiner Familie, der seine Chance wittert, hinaus aus der Enge und der Lieblosigkeit der Heimat zu entkommen versucht. Er steckt der älteren Frau, dass er Tekla gekannt habe, und dass diese, wie so viele andere, nach Istanbul gezogen sei. Er hätte auch ihre Adresse.
Jetzt machen sich also zwei grundverschiedene Menschen auf, um etwas zu suchen, von dem sie nicht wissen, ob sie es je finden werden. Achi kann aber ein Brocken Englisch. Damit wäre er doch von unschätzbarer Hilfe. Die Suche nach Tekla ist natürlich keine einfache, aber darum geht es Levan Akin gar nicht. Er setzt diese beiden Figuren in eine fremde, pulsierende Großstadt. Die Widerstände, auf die sie treffen, sind jedoch nur aus ihrer Sicht solche. Teklas Freundeskreis, wenn sie diesen finden würden, würde ihresgleichen schützen. Da ist die Frage von der einen Seite, ob sie denn glauben, dass Tekla überhaupt gefunden werden möchte. Gleichzeitig sind sich die Menschen in der LAGBTQIA-Community nicht sicher, ob Tekla denn nicht zumindest wissen müsste, oder möchte, dass ihre Familie sie sucht.
Hier in Istanbul öffnet Akin seine Geschichte und erzählt uns von dieser Community und ihrem Zusammenhalt. Wir lernen die junge Evrim (Deniz Dumanlı) kennen, eine Transfrau, die für ihre Anwaltspapiere nur noch ihre persönlichen Papiere beibringen muss, was sich natürlich bürokratisch schwierig gestaltet und eher von Schikane zeugt. Für viele Transpersonen ist Evrim jedoch die erste Anlaufstelle. Es dauert, bis Akin diese beiden Wege zusammenführt. Er greift noch andere marginalisierte Gruppen auf und fügt sie dem bunten Bild hinzu. Während Achi das Nachtleben entdeckt, fühlt sich Lia sowohl etwas verloren als auch hoffnungsfroh, dass sie vielleicht doch noch Tekla finden könnte. Es ist ein Auf und Ab an Hoffnung. Jede Fährte führt sie an einen neuen Erkenntnisstand, aber zeigt ihr auch auf, wie aussichtslos ihre Suche doch sei.
Die Ungewissheit über den Ausgang der Suche nach einem Finden und die leise Hoffnung mit jedem Erkenntnisgewinn die Welt etwas größer und offener zu erleben, bestimmt den Film auch atmosphärisch. Lia, die aus einer Gesellschaft kommt, die Transpersonen ablehnt, lernt hier eine neue Welt kennen und gleichzeitig erkennt sie, dass die Welt Schattierungen hat und es sich lohnt, diese anzuerkennen. Akin setzt aber nicht nur auf diese eine Figur, sein Stück gibt jedem der Figuren eine Entwicklung, auch wenn sie erst einmal nur die dramaturgische Aufgabe haben, dem Publikum durch die Handlung zu helfen. Levan Akin erzählt von einer Reise, er schlägt Haken, er führt nicht nur seine Figuren in ein Labyrinth an Gassen und Lebensentwürfen.
Die schwedisch, dänisch, französisch, türkisch, georgische Koproduktion hat bereits einen deutschen Verleih und wird wohl im Laufe des Jahres von Mubi ins Kino gebracht werden.
Elisabeth Nagy
Anmerkung:
Trailer zu den oben besprochenen Filmen gibt es bei Weltpremieren so gut wie nie, weil die Filme meist noch keinen Verleih haben. Darüber hinaus müssen Sperrfristen bis zur Erstaufführung eingehalten werden.
Link: www.berlinale.de