Skip to content

Unsere Besprechungen zu den wöchentlichen Kinostarts der 36. KW 2023

Am Donnerstag, den 7. September 2023, starten - von uns ausdrücklich empfohlen, "Dalíland" und "Feminism WTF" sowie das DDR-Nachwendedrama "Alaska" und als weiteres Sozialdrama "Die Verlorenen" aus Polen. Für Familien mit Kindern seien ggf. noch "Neue Geschichten vom Franz" erwähnenswert.



DALÍLAND Biopic Drama von Mary Harron über den berühmten surrealistischen Maler Salvador Dalí. (USA / Kanada / Großbritannien, 2022, 97 Min.) Mit Ben Kingsley, Barbara Sukowa, Christopher Briney u.a. ab 7. September 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Reginas Filmkritik:

Salvador Dalí, das Künstlergenie, ein schillernder Star, aber auch ein launenhafter Exzentriker, ein alternder Kindskopf - so sehen ihn die Regisseurin Mary Harron (AMERICAN PSYCHO, I SHOT ANDY WARHOL) und ihr Drehbuchautor und Ehemann John C. Walsh (A MIDWINTER`S NIGHT`S DREAM)

In ihrem Film Dalíland haben sie sich die Spätphase des Künstlers vorgenommen. Die Geschichte ist in New York und in Spanien angesiedelt, der Fokus liegt auf der ungewöhnlichen und faszinierenden Ehe zwischen Dalí und seiner Ehegattin Gala. Dalí in den 70er Jahren, er ist inzwischen einer der bekanntesten Künstler weltweit, verehrt und gefeiert, aber seine große Schaffenszeit neigt sich langsam dem Ende zu. Er hadert mit seinem Alter und der Endlichkeit des Lebens und gerade darum stürzt er sich in ausschweifende Partys, in eine pompöse, künstlich arrangierte Glitzerwelt.

John C. Walsh, Drehbuch:
"Was ich an der vorliegenden Geschichte, mit der wir arbeiteten, am überzeugendsten fand, war Dalís Angst vor dem Tod. Das machte ihn sehr menschlich. Es war wichtig, die Person hinter der Fassade zu zeigen und Elemente in ihm zu finden, mit denen sich jeder identifizieren kann. Wir waren uns einig, dass dies kein klassisches Biopic werden dürfte. Dalís Leben und Karriere erstreckten sich über sechs Jahrzehnte. Das in einen zweistündigen Film zu pressen, wäre unmöglich. So beschlossen wir, den Zeitrahmen kurz zu halten und den Schwerpunkt nicht so sehr auf den Künstler, sondern auf den Menschen Salvador Dalí zu legen."


Es ist das Jahr 1973, Dalí verbringt zusammen mit seiner Ehefrau, Managerin und Muse Gala einige Monate im St. Regis Hotel in New York. Eine Ausstellung ist geplant, doch statt zu malen, gibt der alternde Künstler lieber rauschhafte Feste umgeben von Models, Filmstars und Avantgardisten - eine Mischung aus High Society, Kunstwelt und kreativer Punkszene. Da tauchen der junge Alice Cooper auf, charmant gespielt von Mark McKenna, und die Travestieikone Amanda Lear (Andreja Pejic), da fließt der Champagner; Kaviar, Sex und Koks führen direkt ins Dalíland. Um den Zuschauer nah an diese schillernde Welt heranzuführen, haben sich Walsh und Harron eine fiktive Figur erdacht, die diesen Kosmos zum ersten Mal erlebt: den jungen, wunderschönen James (Christopher Briney). Nach abgebrochenem Kunststudium arbeitet er als Assistent für einen New Yorker Galeristen, bis er Dalí kennenlernen darf und zu seinem persönlichen „Laufburschen“ aufsteigt. Durch seine erstaunten Augen betrachten wir Dalíland. James soll das Publikum in die exzentrische Künstlerszene mitnehmen. Leider bleibt seine Figur dramaturgisch und auch darstellerisch eher blass.

Regisseurin Harron macht es sichtlich Spaß, dieses New York der Künstler und Avantgardisten in den 70ern zu inszenieren. Mit 22 Jahren erlebte sie diese Szene hautnah mit. Und so wirkt diese Scheinwelt im Film nicht aufgesetzt, sondern authentisch und ist mit viel Liebe zum Detail und einer aufwendigen Ausstattung überzeugend nachempfunden.

Es ist erstaunlicherweise erst das zweite Biopic über Salvador Dalí (1909-1989). Über das Leben seines Künstlerkollegen Vincent Van Gogh, der 56 Jahre früher geboren wurde, gibt es bereits zahllose Filme, der nächste folgt bestimmt.

Salvador Dalí, der Visionär - Maler, Grafiker, Schriftsteller, Bildhauer und Bühnenbildner. Dalí war einer der zentralen Vertreter des Surrealismus, er zählt zu den bekanntesten Malern des 20 Jahrhunderts. Seine Werke wie die schmelzenden Uhren oder die brennende Giraffe sind weltweit bekannt, haben sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben. Auch Filmemacher suchten seine Inspiration, er schuf visionäre Bilder für Luis Bunuels Filme EIN ANDALUSISCHER HUND und DAS GOLDENE ZEITALER, in Hitchcocks Psychothriller ICH KÄMPFE UM DICH war er verantwortlich für die Traumsequenz.

2008 kam das erste Biopic über Salvador Dalí auf die Leinwand LITTLE ASHES. Regisseur Paul Morrison nahm das Leben des jungen Dalí in den Fokus, Robert Pattinson spielte die Hauptrolle.

Jetzt also der alternde Dalí, gespielt von Sir Ben Kingsley. Kingsley vereint in dieser Figur die Mischung aus Exzentrik und perfekter Selbstinszenierung, zeigt aber auch das narzisstische große Kind zwischen Genie und Wahnsinn, Obsession und Todesangst. Wenn er sorgsam seinen berühmten Schnurbart striegelt und sich in Großaufnahme die ganze Palette seiner Emotionen nur in den Augen spiegelt, ist das schon faszinierend anzuschauen.

Sir Ben Kingsley, Schauspieler:
„Ich erinnere mich, dass Peter Brook mir sagte, dass ein Schauspieler immer einen Aspekt einer Figur finden muss, der größer ist als er selbst. Dass man auf etwas zugehen muss, und bei Dalí war es so, als würde man in eine massive spanische Rüstung steigen. Weit größer als meine Silhouette, meine geistige Kapazität, meine Vorstellungskraft, meine Leidenschaften ...Ich brauchte eine gewisse Distanz und musste metaphorisch gesehen am Ende eines Tages meine Pinsel weglegen und die Farbe von meinen Händen abwischen. Ich musste auch vermeiden, meine Figur zu beurteilen. Es gibt viele Bände, in denen Dalí unfreundlich oder abschätzig beurteilt wird. Ich war ein Bewahrer seines Charakters. Ich porträtiere ihn. Ich male sein Porträt, aber ich habe mich nie dabei ertappt, ihn zu verurteilen.“


Kingsley zur Seite steht Barbara Sukowa als seine Ehefrau. Gala, von Zeitzeugen oft als herrschsüchtig und tyrannisch beschrieben, wird von Barbara Sukowa in feinen Nuancierungen gespielt. Sie ist eben nicht nur die lüsterne, hysterische, dominante Diva, die sich ihre jüngeren Geliebten hält, sondern auch die Ehefrau, die sich um Dalí kümmert und ihr Leben diesem Genie gewidmet hat.

Das Zusammenspiel dieser beiden großen Schauspieler macht diesen Film allein schon sehenswert. Szenen einer langen Ehe, Eifersucht, Eitelkeit, Konkurrenz, die ganz Palette, aber immer auch die gegenseitige Sorge und Fürsorge für den anderen - das reizen Sukowa und Kingsley in allen Variationen aus.

Mary Harron, Regie:
„Die Besetzung ist der wesentliche Bestandteil eines Films. Es sind schon viele Filme durch eine schlechte Besetzung zu Grunde gegangen. Ich würde eher von einem Filmprojekt Abstand nehmen, als Leute zu besetzen, zu denen mich kommerzielle Erwägungen zwingen Ich muss an die Leute, die ich besetzte, wirklich glauben. Hier waren die Produzenten von Dalíland verständnisvoll. Ich konnte genau die besetzen, die ich wollte.“


In Rückblenden streift Harron das Leben des jungen Dalí (Ezra Miller). Visuell interessant umgesetzt, lässt sie den alternden Dalí am Bildrand sein jüngeres alter Ego beobachten.

In einer Rückblende sieht der Zuschauer die erste Begegnung zwischen Dalí und Gala (Avital Lvova). Es ist Liebe auf den ersten Blick, er fällt ihr bildlich zu Füßen - eine lebenslange Allianz ist besiegelt. Eine weitere Rückschau zeigt den Künstler am Meer, verzweifelt auf eine Inspiration wartend. Es ist heiß, die Stille erdrückend, die Hitze nimmt immer weiter zu, der Käse schmilzt, die Uhr scheint sich zu dehnen. Da ist es, eines der bekanntesten Werke von Dalí “Die Beständigkeit der Erinnerung“.

Es ist unmöglich, die komplexe Laufbahn einer Künstlerikone wie Dalí in einem Film zu fassen. Die Verdichtung auf eine Lebensphase, in diesem Fall den alternden Dalí, ist eine Option. Doch mir fehlt in dem Biopic die künstlerische Auseinandersetzung mit Dalís Werk und Wirken. Einer der Gründe ist mit Sicherheit, dass die „Gala-Salvador Dalí Foundation“ das Biopic nicht unterstützt hat und die Darstellung der Kunstwerke untersagte.

Und so blendet der Film vieles aus, Dalís künstlerische Karriere thematisiert das Biopic nur am Rande, vieles wird nicht zu Ende erzählt. So wie die Beziehung zwischen Kunst und Geld oder der Fälscher-Skandal um die Dalí-Grafiken, an dem der Künstler nicht ganz unschuldig war.

Salvador Dalí setzte sich immer wieder heftig und teils auch widersprüchlich mit den Themen Kunst, Politik und Gesellschaft auseinander. Er provozierte, reagierte, lästerte über moderne Kunst und eckte an mit seiner angeblichen Vorliebe für faschistische Führer. Im Film reduziert sich seine streitbare Persönlichkeit auf ironische Zitate, etwa wenn Dalí über die zeitgenössische Kunst lästert in der „die Künstler die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand spritzen“.

Doch es bleibt das Eintauchen in eine vergangene Kunstepoche mit ihren charismatischen Antihelden. Mit seiner opulenten Bild Sprache, den größtenteils überzeugenden Schauspielern und der glanzvollen Ausstattung hat mich der Film mitgenommen. Ein Mosaikstein aus dem widersprüchlichen Kosmos des Salvador Dalí.

Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)


+++++++++++++

"FEMINISM WTF" (What The Fuck) Dokumentation von Katharina Mückstein über alles, was Menschen derzeit über Feminismus, Geschlechtervielfalt und Sex wissen sollten! Ein differenzierter und humorvoller Diskurs mit Stimmen von den bedeutendsten deutschsprachigen Genderforscher*innen und -aktivist*innen. (Österreich, 2023; 90 Min.) Ab 7. September 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Nachdem wir bereits letzten Dienstag Bettinas Filmkritik zu "Feminism WTF" veröffentlicht haben, hier noch ein Statement von Elisabeth Nagy, welches sie zu dem Film anlässlich des DOK.fest München am 30. April 2023 bei uns abgeben hatte.

Die österreichische Arbeit der Regisseurin Katharina Mückstein, "Feminism WTF" (die Abkürzung steht für »What The Fuck«), die ihre Uraufführung auf der Diagonale feierte, referiert nicht nur zum Titel gebenden Thema, sondern zeigt die Vielfalt des Feminismus auf anschauliche und leicht zugängliche Weise.

Von der Frage, warum Feminismus so oft als Provokation rezipiert wird, schlüsselt die Regisseurin in Gesprächen auf, woher vermeintlichen Haltungen herrühren, oder warum die Mehrheitsgesellschaft an der Idee von zwei Geschlechtern festhält. Mückstein gibt Denkanstöße, warum Feminismus uns alle angeht und wie wir zu mehr Gerechtigkeit gelangen und damit auch zu einem besseren Leben. Das hört sich jetzt pädagogisch an, ist es aber nicht.

Elisabeth Nagy


+++++++++++++

"DIE VERLORENEN" sehr eindringliches Drama des polnischen Regisseurs Tomasz Wasilewski über eine sterbenskranke Person, die von der Familie gepflegt werden muss. (Polen / Deutschland / Rumänien, 2022; 107 Min.) Mit Dorota Kolak, Lukasz Simlat, Tomasz Tyndyk u.a. ab 7. September 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Im dem polnischen Drama leben Marlena (Dorota Kolak) und ihr jüngerer Partner Tomasz (Łukasz Simlat) zurückgezogen und glücklich an einem See.

Ihr deutlicher Altersunterschied spielt zwar keine Rolle, doch es ziehen dunkle Wolken über die harmonische Zweisamkeit in der Abgeschiedenheit von der Welt auf, als Marlenas schwerkranker und entfremdeter Sohn Mikolaj (Tomasz Tyndyk) bei ihnen einziehen soll, denn dieser braucht rund um die Uhr fürsorgliche Pflege, was Tomasz eigentlich ausdrücklich nicht wollte.

Diese neue Belastung im Alltag der beiden Liebenden wirkt sich auch auf ihr Verhältnis ziemlich negativ aus. Erst recht, weil Mikolajs Ankunft zugleich ein paar lange verschwiegene Familiengeheimnisse ans Licht bringt und gesellschaftliche Normen infrage stellt.

An einigen Stellen ist der Film für schwache Nerven kaum zu ertragen. Doch im Leben von Angehörigen kann in jeder Familie früher oder später eine solch belastende Situation durch eine altersschwache oder schwerkranke Person, die kurz vor dem Tod steht, auftreten.

Wie in vielen polnischen Filmen unterstreicht die herausragend geführte Kamera die Szenerie und liefert ein authentisches Bild der traurigen Situation.

W.F.


+++++++++++++

"ALASKA" Nachwendedrama von Max Gleschinski über Neid und üble Nachrede in der Familie. (Deutschland, 2022; 124 Min.) Mit Christina Große, Pegah Ferydoni, Karsten Antonio Mielke u.a. ab 7. September 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Schon im Januar, auf dem Festival Max Ophüls Preis in Saarbrücken, hat uns der Film in seinen Bann gezogen. Allerdings nicht ganz bis zu seinem Ende, denn dort verliert das Werk massiv an Spannung und vergaloppiert sich in einen Familienstreit um Erbschaft und vermeintliche Unterschlagung. Dennoch wurde der Film für den Deutschen Drehbuchpreis nominiert, weil der Ansatz anfänglich durchaus stimmig ist.

Kerstin (Christina Grosse) ist auf der Flucht in einem Kajak. Allerdings nicht von der DDR in den Westen, sondern vor Familie, der sie nach der Wende aus dem Weg gehen möchte. Sie paddelt auf verschlungenen Wegen durch die Mecklenburger Seenplatte wie zu ihrer Jugendzeit in der DDR und trifft dabei auf eine junge Fau, mit der sie ins Gespräch kommt. Unklar ist, ob die Begegnung zufällig geschieht, oder ob sie ausgehorcht werden soll, denn es gibt Verfolger, die ihr auf den Fersen sind.

Nun ist ein Kanu nicht besonders schnell und irgendwo muss man auch mal Pause machen und übernachten. Aber Kerstin ist geschickt und tarnt bei jedem Zwischenaufenthalt das Boot. Doch Alima (Pegah Ferydoni), die nichts von Natur und Ruhe hält und in Kerstin offenbar eine willkommene Gesprächspartnerin sieht, lässt nicht locker und stürzt damit unsere Protagonistin in eine tiefe Sinnkrise.

Plötzlich jedoch wird Kerstin von der Familie gefunden und überraschend zur Rede gestellt. Damit nimmt die Reise eine neue Wendung und der Streit über Verlierer und Gewinner der Nachwendezeit beginnt.

W.F.


Anzeige