Neue Kleider für die Lola und neue Intendanz für die Berlinale
Die deutsche Filmakademie ändert die Vergaberegeln gravierend und Kulturstaatsministerin Claudia Roth will die Berlinale künftig in die Hände einer Intendanz legen.
Der Deutsche Filmpreis, die Lola genannt, wird auch im kommenden Jahr am 3. Mai 2024 von der deutschen Filmakademie in Berlin verliehen, die Nominierungen werden am 19. März 2024 bekannt gegeben.
Ein spannender Termin entfällt: Im Januar gab die Filmakademie bislang die Titel bekannt, die es aus dem Kreis von ca. 120 Einreichungen pro Jahr in die Vorauswahl von rd. 40 Filmen schafften. Diese erste Stufe des Verfahrens, die auch den Mitgliedern des Kulturausschusses des Bundestags ein Mitspracherecht in den drei Jurys Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilm sicherte, wurde von den Mitgliedern der Filmakademie ersatzlos gestrichen. Dafür sollen künftig, wie schon innerhalb der Lola-Berichterstattung 2023 gemeldet, jedem Akademie-Mitglied zehn Filme zugelost werden, die er sehen und beurteilen muss.
Das dreistufige Verfahren und insbesondere die Urteile der Vorauswahl-Kommissionen, die alle Filme sichteten und diskutierten, standen schon lange in der Kritik. Doch noch nie waren die Diskussionen so stark wie in diesem Jahr: Christian Petzolds „Roter Himmel“ wurde für zu leicht befunden. Nun hätten Produzent Florian Koerner von Gustorff und Petzold für die die Love-Story eine so genannte Wild Card ziehen und den Film nochmals zur Begutachtung für die beiden kommenden Runden einreichen können. Auf diese Möglichkeit wurde unter anderem für Lars Kraumes „Der vermessene Mensch“ zurückgriffen. Doch die Macher von „Roter Himmel“ blieben stur, obwohl Petzold im Gespräch einräumte, dass es nicht einfach sei, die für den Dreh seines kommenden Projekts schon eingeplante Nominierungsprämie in Höhe von 250.000 Euro aus anderen Quellen auszugleichen. Und so fehlte der Gewinner des Grand Prix der Berlinale bei der Lola-Verleihung.
Jeder muss mind. Zehn Filme sehen.
Nach den Worten von Filmakademie Geschäftsführerinnen Anne Leppin und Maria Köpf sowie Vorstandsvorsitzenden Benjamin Herrmann gegenüber „Blickpunkt:Film“ war die Veränderung der Richtlinien jedoch schon länger geplant. Bei den Neuerungen hätten sie sich erneute an Oscar und BAFTA orientiert, die schon länger auf das Zulosungsverfahren setzten.
Doch schon der Gedanke wirft Fragen auf: Wird zum Beispiel sichergestellt, dass Mitarbeitende nicht über die Filme entscheiden, an denen sie selbst mitgewirkt haben? Wie wird bei einer durchschnittlichen Beteiligung von 50% der Filmakademiemitglieder ausgeschlossen, dass bestimmte Filme kaum oder gar nicht gesehen werden? Aber vor allem bleibt unklar, wie die so zusammengetragenen Meinungsäußerungen in ein Ergebnis einfließen sollen.
Die zweite Neuerung betrifft die zweite Stufe. Bislang konnten nur Produzenten, Regisseure und Autoren aus den vorgeschlagenen Filmen die sechs bzw. zwei Kandidaten für die Ehrung als bester Spiel- bzw. Kinderfilm wählen. Künftig steht dies allen Akademiemitgliedern offen.
Weiter dringender Reformstau.
Andere dringend notwendige Reformen bleiben liegen. Noch immer können Produzenten wählen, in welchem Lola-Jahrgang sie Filme, die zwischen dem 1. Dezember des Vorjahres und dem Tag vor der Lola-Verleihung ins Kino kamen, melden wollen. Der potentielle Auswertungszeitraum für die Lola kommenden Jahres liegt zwischen dem 1. Dezember 2022 und dem 2. Mai 2024.
Die Lola beschließt auch weiter den Reigen der nationalen und international einigermaßen relevanten Auszeichnungen. Sowohl der Oscar (mit Ausnahme des besten nichtenglischsprachigen Films), BAFTA und Cesar richten sich bei der Wahl ausschließlich nach dem Kalenderjahr.
Dass dies in Deutschland nicht möglich ist, hängt eng mit der eigenen Geschichte und den Eifersüchteleien zwischen Bund und Ländern zusammen. Eine Lola-Verleihung im Januar würde den Bayerischen Filmpreisen und dem Filmball Konkurrenz machen, ein Einlenken aus München ist wohl nicht zu erwarten. Zumal es im Moment wenig Sinn ergibt, nachdem die Europäische Filmakademie mit der Preisgala aus dem Dezember in den Januar rückte und sie alle zwei Jahre in Berlin zumindest theoretisch die Stars und Sternchen des kontinentalen Films empfängt.
Katharina Dockhorn
++++++++++++
Drastische Änderungen wird es auch bei der Berlinale geben, die künftig nur noch von einer Person geleitet werden soll, wie gestern vom Aufsichtsrat der internationalen Berliner Filmfestspiele verkündet wurde.
Das Führungsduo um den neuen künstlerischen Leiter Carlo Chatrian und seiner Co-Leiterin und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek war erst zur 70. Berlinale nach dem Vorbild anderer Filmfestivals wie Cannes und Venedig eingeführt worden, nachdem der Vertrag des Vorgängers und alleinigem Direktor, Dieter Kosslick, ziemlich abrupt nicht verlängert wurde.
Inzwischen ist bekannt geworden, dass Mariette Rissenbeek gleich nach der nächsten 74. Berlinale im Jahre 2024 wieder aufhören möchte.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat wohl Probleme bei der Suche einer Nachfolgerin und erwägt unter ihrer Führung eine Findungskommission für ein Intendanzmodell einzusetzen, dem erneut nur noch eine Person vorsteht.
Überzeugend klingt das nicht. Vielleicht steigt er doch noch bei einem anderen und vielleicht besseren Angebot, ebenfalls aus, sodass der Berlinale eine verantwortungsvolle, künstlerisch leitende Person plötzlich fehlen würde.
Dass der Italiener Chatrian, der zuvor Leiter des Locarno Festivals in der italienischen Schweiz am Lago Maggiore war, und nun mit einem Auge nach einem freiwerden Posten nach Venedig schielt, darf man ihm nicht verübeln, zumal im nächsten Jahr die Berlinale weniger Geld vom Bund bekommt, sodass nicht nur das Programm um die Hälfte auf nur noch 200 Filme gekürzt werden muss, es werden zudem auch Sektionen wegfallen.
Bisher hatten die beiden das größte Publikumsfilmfestival der Welt trotz der Corona-Einschränkungen halbwegs gut durch schwierige Zeiten manövriert. Die anstehenden, drastischen Geldkürzungen seitens des Bundes, werden den Internationalen Filmfestspielen Berlin nicht gerade hilfreich werden.
Darüber hinaus steht nach dem Abriss zahlreicher Kinosäle im ehemaligen Sony Center, der Potsdamer Platz als zentraler Treffpunkt der Berlinale auf dem Spiel. Überlegungen das ICC am Funkturm zukünftig zu nutzen, kommen wegen dort anstehender Asbestsanierungen viel zu spät, um als Alternative für ein immer noch nicht spruchreifes, neues Filmhaus am Martin-Gropius-Bau in die Waagschale zu werfen.
Das bisherige Filmhaus in der Potsdamer Straße, in der die deutsche Kinemathek mit dem Filmmuseum unter Leitung der Retrospektive der Berlinale untergebracht ist, sowie das Arsenal mit der Berlinale Sektion Forum und die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin mit ihrer dffb Filmhochschule müssen leider alle das ehemalige Sony Center verlassen, weil der neue Besitzer andere Pläne verfolgt.
Alles in allem keine rosigen Aussichten, um die Zukunft der Berlinale zu sichern und weiterzuentwickeln.
W.F.
Der Deutsche Filmpreis, die Lola genannt, wird auch im kommenden Jahr am 3. Mai 2024 von der deutschen Filmakademie in Berlin verliehen, die Nominierungen werden am 19. März 2024 bekannt gegeben.
Ein spannender Termin entfällt: Im Januar gab die Filmakademie bislang die Titel bekannt, die es aus dem Kreis von ca. 120 Einreichungen pro Jahr in die Vorauswahl von rd. 40 Filmen schafften. Diese erste Stufe des Verfahrens, die auch den Mitgliedern des Kulturausschusses des Bundestags ein Mitspracherecht in den drei Jurys Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilm sicherte, wurde von den Mitgliedern der Filmakademie ersatzlos gestrichen. Dafür sollen künftig, wie schon innerhalb der Lola-Berichterstattung 2023 gemeldet, jedem Akademie-Mitglied zehn Filme zugelost werden, die er sehen und beurteilen muss.
Das dreistufige Verfahren und insbesondere die Urteile der Vorauswahl-Kommissionen, die alle Filme sichteten und diskutierten, standen schon lange in der Kritik. Doch noch nie waren die Diskussionen so stark wie in diesem Jahr: Christian Petzolds „Roter Himmel“ wurde für zu leicht befunden. Nun hätten Produzent Florian Koerner von Gustorff und Petzold für die die Love-Story eine so genannte Wild Card ziehen und den Film nochmals zur Begutachtung für die beiden kommenden Runden einreichen können. Auf diese Möglichkeit wurde unter anderem für Lars Kraumes „Der vermessene Mensch“ zurückgriffen. Doch die Macher von „Roter Himmel“ blieben stur, obwohl Petzold im Gespräch einräumte, dass es nicht einfach sei, die für den Dreh seines kommenden Projekts schon eingeplante Nominierungsprämie in Höhe von 250.000 Euro aus anderen Quellen auszugleichen. Und so fehlte der Gewinner des Grand Prix der Berlinale bei der Lola-Verleihung.
Jeder muss mind. Zehn Filme sehen.
Nach den Worten von Filmakademie Geschäftsführerinnen Anne Leppin und Maria Köpf sowie Vorstandsvorsitzenden Benjamin Herrmann gegenüber „Blickpunkt:Film“ war die Veränderung der Richtlinien jedoch schon länger geplant. Bei den Neuerungen hätten sie sich erneute an Oscar und BAFTA orientiert, die schon länger auf das Zulosungsverfahren setzten.
Doch schon der Gedanke wirft Fragen auf: Wird zum Beispiel sichergestellt, dass Mitarbeitende nicht über die Filme entscheiden, an denen sie selbst mitgewirkt haben? Wie wird bei einer durchschnittlichen Beteiligung von 50% der Filmakademiemitglieder ausgeschlossen, dass bestimmte Filme kaum oder gar nicht gesehen werden? Aber vor allem bleibt unklar, wie die so zusammengetragenen Meinungsäußerungen in ein Ergebnis einfließen sollen.
Die zweite Neuerung betrifft die zweite Stufe. Bislang konnten nur Produzenten, Regisseure und Autoren aus den vorgeschlagenen Filmen die sechs bzw. zwei Kandidaten für die Ehrung als bester Spiel- bzw. Kinderfilm wählen. Künftig steht dies allen Akademiemitgliedern offen.
Weiter dringender Reformstau.
Andere dringend notwendige Reformen bleiben liegen. Noch immer können Produzenten wählen, in welchem Lola-Jahrgang sie Filme, die zwischen dem 1. Dezember des Vorjahres und dem Tag vor der Lola-Verleihung ins Kino kamen, melden wollen. Der potentielle Auswertungszeitraum für die Lola kommenden Jahres liegt zwischen dem 1. Dezember 2022 und dem 2. Mai 2024.
Die Lola beschließt auch weiter den Reigen der nationalen und international einigermaßen relevanten Auszeichnungen. Sowohl der Oscar (mit Ausnahme des besten nichtenglischsprachigen Films), BAFTA und Cesar richten sich bei der Wahl ausschließlich nach dem Kalenderjahr.
Dass dies in Deutschland nicht möglich ist, hängt eng mit der eigenen Geschichte und den Eifersüchteleien zwischen Bund und Ländern zusammen. Eine Lola-Verleihung im Januar würde den Bayerischen Filmpreisen und dem Filmball Konkurrenz machen, ein Einlenken aus München ist wohl nicht zu erwarten. Zumal es im Moment wenig Sinn ergibt, nachdem die Europäische Filmakademie mit der Preisgala aus dem Dezember in den Januar rückte und sie alle zwei Jahre in Berlin zumindest theoretisch die Stars und Sternchen des kontinentalen Films empfängt.
Katharina Dockhorn
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Drastische Änderungen wird es auch bei der Berlinale geben, die künftig nur noch von einer Person geleitet werden soll, wie gestern vom Aufsichtsrat der internationalen Berliner Filmfestspiele verkündet wurde.
Das Führungsduo um den neuen künstlerischen Leiter Carlo Chatrian und seiner Co-Leiterin und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek war erst zur 70. Berlinale nach dem Vorbild anderer Filmfestivals wie Cannes und Venedig eingeführt worden, nachdem der Vertrag des Vorgängers und alleinigem Direktor, Dieter Kosslick, ziemlich abrupt nicht verlängert wurde.
Inzwischen ist bekannt geworden, dass Mariette Rissenbeek gleich nach der nächsten 74. Berlinale im Jahre 2024 wieder aufhören möchte.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat wohl Probleme bei der Suche einer Nachfolgerin und erwägt unter ihrer Führung eine Findungskommission für ein Intendanzmodell einzusetzen, dem erneut nur noch eine Person vorsteht.
Der bisherige künstlerische Leiter Carlo Chatrian hat bereits bekundet, dass er "mit der neuen Intendanz in konstruktive Gespräche über eine künftige Rolle im neuen Team der Berlinale" sprechen würde.
Überzeugend klingt das nicht. Vielleicht steigt er doch noch bei einem anderen und vielleicht besseren Angebot, ebenfalls aus, sodass der Berlinale eine verantwortungsvolle, künstlerisch leitende Person plötzlich fehlen würde.
Dass der Italiener Chatrian, der zuvor Leiter des Locarno Festivals in der italienischen Schweiz am Lago Maggiore war, und nun mit einem Auge nach einem freiwerden Posten nach Venedig schielt, darf man ihm nicht verübeln, zumal im nächsten Jahr die Berlinale weniger Geld vom Bund bekommt, sodass nicht nur das Programm um die Hälfte auf nur noch 200 Filme gekürzt werden muss, es werden zudem auch Sektionen wegfallen.
Bisher hatten die beiden das größte Publikumsfilmfestival der Welt trotz der Corona-Einschränkungen halbwegs gut durch schwierige Zeiten manövriert. Die anstehenden, drastischen Geldkürzungen seitens des Bundes, werden den Internationalen Filmfestspielen Berlin nicht gerade hilfreich werden.
Darüber hinaus steht nach dem Abriss zahlreicher Kinosäle im ehemaligen Sony Center, der Potsdamer Platz als zentraler Treffpunkt der Berlinale auf dem Spiel. Überlegungen das ICC am Funkturm zukünftig zu nutzen, kommen wegen dort anstehender Asbestsanierungen viel zu spät, um als Alternative für ein immer noch nicht spruchreifes, neues Filmhaus am Martin-Gropius-Bau in die Waagschale zu werfen.
Das bisherige Filmhaus in der Potsdamer Straße, in der die deutsche Kinemathek mit dem Filmmuseum unter Leitung der Retrospektive der Berlinale untergebracht ist, sowie das Arsenal mit der Berlinale Sektion Forum und die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin mit ihrer dffb Filmhochschule müssen leider alle das ehemalige Sony Center verlassen, weil der neue Besitzer andere Pläne verfolgt.
Alles in allem keine rosigen Aussichten, um die Zukunft der Berlinale zu sichern und weiterzuentwickeln.
W.F.