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Unsere Filmbesprechungen zu drei Kinostarts in der 33. KW 2023

Nach euphorischen Reaktionen im Januar zur Weltpremiere beim Sundance Film Festival ist "Past Lives" endlich auch in den deutschen Kinos gestartet.



"PAST LIVES - in einem anderen Leben" romantisches Liebesdrama von Celine Song über ein Treffen von zwei Kindheitsfreunden nach langen Jahren. (USA / Südkorea, 2023; 106 Min.) Mit Greta Lee, Yoo Teo, John Magaro u.a. nach der Europapremiere im Februar auf der 73. Berlinale seit 17. August 2023 offiziell in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Die schönste Liebesgeschichte des Jahres, so könnte man "Past Lives" knapp beschreiben. Aber eigentlich ist "Past Lives" gar keine Liebesgeschichte. Zumindest ist sie das nur zum Teil. Der deutsche Titel benennt das Spielfilmdebüt der koreanisch-amerikanischen Bühnenautorin Celine Song ("Endlings"), die mit diesem Erstling selbst am Scheideweg steht und fortan Filme drehen möchte, ganz treffend "Past Lives - In einem anderen Leben".

Die "vergangenen Leben" beziehen sich dabei auf das koreanische Konzept des "In-Yun", das besagt, dass Seelen sich über Reinkarnationen hinweg immer wieder aufeinandertreffen und eine Verbundenheit aufbauen. Diese Verbundenheit kann nach unzähligen Zirkeln zu einer tiefen Liebesbeziehung führen.

Nora (Greta Lee) erzählt Arthur (John Magaro) von "In-Yun", als sie ihn kennenlernt und fügt hinzu, dass Koreaner den Begriff gerne als einen netten Anmachspruch verwenden. Aber so ganz abstreiten möchte der Song diese Idee in ihrem Werk nicht. Der deutsche Zusatztitel vermittelt das Gefühl, dass ein Leben mit all seinen Abzweigungen auch anderes verlaufen könnte. Damit bezieht Celine Song in ihrem semiautobiographischen Drama sich nicht nur auf Liebe und Zweisamkeit, sondern auf die Schmerzen bei der Suche nach Identität, die aus all den Möglichkeiten, die ein Leben bietet, aufkommen und sowohl die Figuren als auch ihre Beziehung zueinander formen.

Wir standen alle schon an Scheidewegen. Manchmal wählen wir unseren Weg selbst. Wir wählen eine andere Stadt, weil uns zum Beispiel der Beruf diese Möglichkeit gibt. Manchmal werden uns diese Entscheidungen abgenommen. Nora ist 12, als sie mit ihrer Familie die Heimat verlässt, um nach Kanada auszuwandern. Für einen Nachmittag schenken die Mütter von Nora, die da noch den koreanischen Namen Na Young hat, und Hae Sung (als Erwachsener wird er von Teo Yoo gespielt), einen gemeinsamen Ausflug. Die beiden Kinder besuchen die gleiche Schule und haben weitgehend den gleichen Schulweg. Hae Sung mag Nora sehr, Nora fühlt sich in seiner Gegenwart verstanden. Dieser Nachmittag im Park soll den beiden Kindern eine Erinnerung schenken. Auch wörtlich trennen sich ihre Wege dann.

Erst Jahre später finden die beiden eher zufällig und über die sozialen Medien wieder zueinander und sind sich auch über die Kontinente hinweg so nahe, wie es nur gute Freunde mit gemeinsamer Vergangenheit sein können. Für eine Weile erzählen sie sich und damit uns in Videoschaltungen von ihrem Alltag und ihrem Leben, bis das Leben selbst sie jeweils wieder ganz in Beschlag nimmt.

Auslöser für eine Betrachtung des Daseins der gelebten und der nicht gelebten Möglichkeiten ist eine Szene, die der Film ganz an den Anfang stellt. Das Publikum nimmt sogleich die Position des außenstehenden Betrachters ein, der sich fragt, wie die drei Figuren, die gemeinsam in einer Bar in New Yorks East Village sitzen, aber sich nicht wirklich gemeinsam unterhalten, zueinanderstehen.

Nora ist hier der Mittelpunkt, die sich mit einem der Begleiter in einer Sprache unterhält, die der andere nicht versteht. Womit beide männlichen Figuren gemeint sein können. Der eine spricht Koreanisch, der andere Englisch und Beide haben rein gar nichts miteinander zu tun. Ohne Nora würden sich ihre Lebenswege nie kreuzen. Nur Nora ist ihnen beiden gemeinsam. Was hat sie also zueinander geführt? Wie stehen sie zueinander? Diese Szene hat sich in etwa so auch in Celine Songs Leben abgespielt. Sie spürte die fragenden Blicke anderer Gäste und blickte innerlich zurück, welche Fragen das sein mögen und welche Antworten die anderen finden könnten.

Die Betrachtung eines Außenstehenden kann diese Szene deuten, instinktiv begreifen, interpretieren und aufs Neue interpretieren. Celine Song, springt nach der Eröffnung 24 Jahre zurück in die Kindheit seiner Hauptfigur Nora. Doch es kann auch sein, dass wir eine Erinnerung sehen. Eine Liebesgeschichte ist "Past Lives" nur insofern, dass sowohl Hae Sung als auch Arthur Gefühle für Nora hegen und auch bereit sind, auf ihren Lebensweg einzugehen, sie loszulassen, um mit ihr verbunden zu bleiben.

Dabei schafft es Celine Song uns die innere Zerrissenheit einer eigentlich sehr starken Nora erfahrbar zu machen. Nora ist eine Figur, die weiß, was sie will, die zielstrebig ihren Weg geht, aber die sich dennoch fragt, was sie dabei aufgegeben hat. "Past Lives" spricht vielleicht besonders die an, die eine Biografie mit Brechungen haben. Aber haben wir die nicht alle?

Das Werk debütierte dieses Jahr auf dem Festival in Sundance und gehörte auf der Berlinale, wo der Film im Wettbewerb gezeigt worden ist, zu den Favoriten. Ganz sicher ist Songs Debüt ein Film, der mal an die "Before"-Trilogie von Richard Linklater, von der Stimmung her aber auch an "In the Mood for Love" von Wong Kar Wei erinnert, der bleiben wird.

Celine Song beweist ein Talent Unausgesprochenes fühlbar zu gestalten, was sie zu einer Entdeckung macht. Ihr "Past Lives" baut ein Geheimnis auf, weil jeder Mensch ein Geheimnis ist, vielleicht auch für sich selbst, und dieses Geheimnis nicht sofort auflöst und die Möglichkeit gibt, dieses immer wieder entschlüsseln zu wollen.

Elisabeth Nagy


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"FOREVER YOUNG" fiktives, aber autobiografisch geprägtes Schauspieldrama von Valeria Bruni Tedeschi, welches 2022 beim Festival de Cannes seine Premiere feierte. (Frankreich / Italien, 2022; 126 Min.) Mit Nadia Tereszkiewicz, Sofiane Bennacer, Louis Garrel u.a. seit 17. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Paris, Ende der 1980erJahre. In ihrer jüngsten Regiearbeit "Forever Young" verarbeitet Valeria Bruni Tedeschi ("Die Linie" (2021), In den besten Händen" (2020), "Sommer 85") ihre Zeit an der berühmten Pariser Schauspielschule Théâtre des Amandiers.

Sie nimmt uns mit in die Welt des Theaters vor etwa 40 Jahren, mitten in das Lebensgefühl der 1980er Jahre. Eine Gruppe junger Schauspielstudentinnen und -studenten unterschiedlicher Herkunft, fiebert dem Vorsprechen entgegen, denn hierbei entscheidet sich, ob sie bestehen oder nicht. Der von ihnen bewunderte Theater und Filmregisseur und Schauspieler Patrice Chéreau (Louis Garrel) winkt mit einem Ausflug nach New York an die berühmte Schauspielschule Lee Strasbergs, um Ihnen dort die Kunst des Method Actings beizubringen.

Die meisten von ihnen wollen Theaterspielen. 40 von ihnen haben die Aufnahmeprüfung bestanden. 12 von ihnen bleiben übrig. Alle, die bestanden haben, sind überglücklich denn es geht für sie nach New York, um zu lernen, wie man echte und wahre Gefühle vor der Kamera oder auf der Bühne einsetzt. Von der Kamera werden die jungen Studierenden vom Vorsprechen bis zur Premiere ihrer ersten Studieninszenierung nah begleitet, sodass man das Gefühl hat, einem Dokumentarfilm zu folgen.

Im Mittelpunkt steht die die junge Stella (Nadia Tereszkiewicz), die aus einem reichen Elternhaus stammt und vermutlich das alter ego der Regisseurin Valeria Bruni Tedeschi ist. Sie hat sich in den schauspielerisch sehr talentierten, privat aber destruktiven Badboy, Etienne (Sofiane Bennacer), mit einem ausgeprägten Mutterkomplex verliebt und ist ihm verfallen, obwohl er sie schlecht behandelt und sogar davor warnt. Zum Glück ist Stella mit der wilden, unbefangenen rothaarigen Adéle (Clara Bretheau) befreundet. Sie steht Stella zur Seite, wenn sie in ein Gefühlschaos taumelt.

Der Jüngste der Studenten ist Franck, ein 19-jähriger, verheiratet, seine Frau ist schwanger.

Chéreau hat entschieden mit der Studentengruppe Tschechows Stück „Platonow“ einzustudieren und vor echtem Publikum aufzuführen. Beim Rollenverteilen betont er, dass es nicht nur um die Größe einer Rolle geht, auch kleine Rollen sind von Wichtigkeit. Während der Proben scheut sich Etienne nicht, Chéreau mit Drogen zu versorgen. Ein Kollege (Pierre Romans) von Chéreau studiert mit der anderen Hälfte „Penthensilea“ ein. Auch er ist den Drogen nicht abgeneigt. Der eine steht auf Heroin, dar andere auf Kokain. Und dann grassiert noch die Möglichkeit, sich mit Aids anzustecken. Eine aufwühlende Zeit. Beide Regisseure verarbeiten ihre eigenen Erfahrungen. Wir erleben große Gefühle auf- und hinter der Bühne.

Valeria Bruni Tedeschi hat ihre Erinnerungen mit einer emotionalen Wucht auf die Leinwand gebracht, angefangen mit einer jugendlichen und naiven Unbeschwertheit der jungen Leute und dem großen Trugschluss, dass das immer so bleibt. Konfrontiert mit echten Gefühlen und denen, die sie auf der Bühne darstellen sollen, ist es anfangs nicht leicht, Realität und Spiel zu vermischen. Ihnen wird klar, dass sie sich immer mehr dem Erwachsensein annähern und leidenschaftliche und verrückte Begebenheiten in der Erinnerung versacken.

Ein älterer Butler des Hauses hat die beiden Mädchen, Stella und Adéle davor gewarnt, Schauspielerinnen zu werden. „Als Schauspieler wird man verrückt“, sagt er. Die beiden haben bestimmt in sich hineingelächelt und ihn selbst für verrückt gehalten.

Valeria Bruni Tedeschi hat eine prima Karriere starten können. Die Schule hat ihr nicht geschadet. Auch als Regisseurin hat sie einen Supercast für ihren dokumentarisch anmutenden Film zusammengetrommelt. Ein Film voller Vitalität und Energie, mit der Aussage: Letztendlich wollen die jungen Leute geliebt werden.

Die bezaubernde Schauspielerin, die die Stella spielt, sieht man in Zukunft hoffentlich noch öfter.

Ulrike Schirm (ulriketratschtkino.wordpress.com)


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"KANDAHAR" Action-Thriller von Ric Roman Waugh über einen Anschlag auf Irans vermeintliches Nukleararsenal, der im Stil an den mehrfach preisgekrönten "Zero Dark Thirty" aus 2012, dem Attentatsfilm auf Osama bin Laden, erinnert, aber aufgrund dramaturgischer Schwächen und zahlreicher Ungereimtheiten, seinem Vorbild leider nicht ebenbürtig ist. (USA / Saudi-Arabien 2023; 119 Min.) Mit Gerard Butler, Navid Negahban, Travis Fimmel u.a. seit 17. August 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Ein Satz fällt im Laufe der Handlung in dem Film "Kandahar", der einiges erklärt: "Kriege werden nicht mehr geführt, um gewonnen zu werden." Was das wirklich bedeutet, damit möchte man sich im Idealfall nur über eine Spielfilmlänge hinweg beschäftigen. Tom Harris' (Gerard Butler) Arbeitgeber war ursprünglich beim Secret Intelligence Service, besser bekannt unter dem Namen Mi6. Nun arbeitet er für eine Firma, die Handlangerdienste für den CIA verrichtet.

Die CIA hat gerade erst eine Operation durchgezogen, bei der eine iranische Nuklearforschungsanlage atomisiert wurde. Für das Grobe war unter anderem Tom Harris zuständig. Die Presse kommt in dem Actioner nicht gut weg. Es ist eine Journalistin, die den Coup an Land zieht, um die Verstrickung der Geheimdienste öffentlich zu machen. Prompt wird sie entführt. Sie knickt unter Druck sogleich ein und gibt Namen preis. Um es kurz zu machen, Tom Harris' Cover ist futsch, er wird zum Gejagten. Zusammen mit einem Dolmetscher versucht er nach Kandahar in Afghanistan zu gelangen, wo sich für einen letzten Flug aus der Region ein kleines Zeitfenster öffnen wird.

Tom Harris ist Gerard Butler. Denkt man an Gerard Butler, denkt man an Actio-Filme wie "Olympus Has Fallen", "London Has Fallen" und "Angel Has Fallen", eine Trilogie, in dem Butler einen Agenten spielt, der mindestens die Welt rettet. "Kandahar" unter der Regie von Ric Roman Waugh, der auch "Angel Has Fallen" und "Greenland" (ebenfalls mit Butler) verantwortet, erzählt von einem Agenten, der genug hat, der zurück zu seiner Familie möchte. Auch wenn seine Frau die Scheidung möchte.

Aber wie das so ist, wird Harris unter moralischen Druck gesetzt, noch ein einziges Mal die Welt zu retten. Oder zumindest einen Einsatz zu einem glücklichen Ende zu führen. Nachdem er nun allerdings für verschiedenste Parteien Freiwild geworden ist, bleibt ihm nur die Flucht. Die Welt kann er nicht retten, nur sich selbst. Die Flucht nach Kandahar in Afghanistan ist genau das, ein Roadmovie, das allerdings aufschlüsselt, wer und warum involviert ist.

Der Film "Kandahar" mag sicherlich in erster Linie unterhalten wollen, natürlich mit jeder Menge Action, Gewalt und Explosionen. Doch Regisseur Ric Roman Waugh und Ko-Produzent Gerard Butler geben den einzelnen Akteuren jeweils eine individuelle Backstory und zeigen letztendlich, dass die Gegner nicht anders sind als Butlers Figur Harris.

Da ist es zweitrangig, dass die Auflösung der allgemeinen Erwartung entsprochen wird. Die Story vermittelt uns eine Bandbreite an Motivationen. Harris' Dolmetscher Mo (Navid Negahban aus "Homeland") kehrt zum Beispiel nur in dieses vom Krieg erschütterte Land zurück, um Familienangehörige zu finden. Der pakistanische Unterhändler und Hitman Kahil (gespielt vom indischen Superstar Ali Fazal, der hier Butler glatt die Show stiehlt), ist der Inbegriff des modernen Mannes, für den darüber hinaus der Zweck alle Mittel rechtfertigt.

Das Drehbuch stammt von Mitchell LaFortune, einem ehemaligen Army Seargent und Geheimdienstanalysten, der selbst in Afghanistan stationiert war und seine Erlebnisse mitverarbeitet hat. Bereits als sein Drehbuch auf den Markt kam, sollte der Stoff eine Mischung aus "Sicario" (von Denis Villeneuve) und dem Jason Bourne-Franchise werden.

Teile der Handlung mussten allerdings, als die politische Lage den Stoff überholte, doch abgeändert werden. Der Rückzug der Amerikaner aus dem Gebiet gab nicht nur dem Verlauf der Geschichte einen neuen Dreh, sondern stellte auch die Dreharbeiten vor neuen Herausforderungen. Schlussendlich gibt es in "Kandahar" keine Guten und keine Bösen. Jede Partei hat ihre Sicht auf die geopolitische Lage und persönlich viel zu verlieren. Jeder ist jedem ein Gegner. Verrat gehört zur Tagesordnung. Deals werden hier wie dort ausgehandelt. Einen Ausweg gibt es nicht, denn wie schon gesagt, werden Kriege nicht mehr geführt, um sie zu gewinnen.

Sehenswert ist, zumal auf großer Leinwand, die Location. Ric Roman Waugh schwebte ein naturalistischer Look vor und er schaffte es, in Saudi-Arabien drehen zu dürfen. Die Wüstenszenen, an die seid "Lawrence von Arabien" (David Lean, 1962) keine westliche Großproduktion mehr herankam, wirken unverbraucht. Die Actioner-Seite von "Kandahar" ist nur bedingt interessant, auch wenn es eine aberwitzige Helikopter-Szene gibt, die dann doch einen Akzent setzen kann. Die Welt, in der Harris agiert, ist eine komplizierte. Schade, dass der Fokus auf Familienwerte beharrt und allzu schablonenhafte Dialogzeilen die Figuren schwächen. Dabei sucht "Kandahar" vom Anspruch her die Nähe zu Filmen wie eben zu "Sicario", aber auch "Zero Dark Thirty" von Kathryn Bigelow oder "Traffic" von Steven Soderbergh.

Elisabeth Nagy


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