Skip to content

Erstes Berlinale-Fazit und die Gewinner des US-Produzentenverbandes

Die Science-Fiction-Komödie "Everything Everywhere All at Once", Gewinner des US-Produzentenverbandes gilt als Barometer für die kommende Oscar-Verleihung.



Nachdem Hollywoods-Regiepreise (DGA Awards) an die Science-Fiction-Komödie "Everything Everywhere All at Once" gingen, hat der Film von Daniel Kwan und Daniel Scheinert auch bei den US-Produzentenpreisen gewonnen. Der US-Produzentenverband Producers Guild of America (PGA) kürte bei seiner 34. Verleihung die Komödie in Los Angeles als besten Film.

Mehr als 8000 Filmproduzenten hatten am Wochenende in Hollywood abgestimmt und damit das Barometer für die Oscars, die in diesem Jahr Mitte März verliehen werden, angeheizt.

Schauspieler Tom Cruise bekam eine Sonder-Auszeichnung für seine “Mission: Impossible" -Reihe. Weitere Filme, die von der PGA ausgezeichnet wurden, waren "Navalny" für den besten Dokumentarfilm, "Guillermo del Toros Pinocchio", der als bester Animationsfilm ausgezeichnet wurde, und "Till", der den Stanley Kramer Award gewann, um eine Produktion oder einen Produzenten zu ehren, der wichtige soziale Themen beleuchtet und das öffentliche Bewusstsein schärft.

Die lange Veranstaltung der Preisverleihung ermöglichte den Stars weiterer Oscar-nominierter Filme noch einmal Werbung für ihre Werke zu machen. So konnten Angela Bassett ("Black Panther: Wakanda Forever"), Kerry Condon ("The Banshees of Inisherin"), Austin Butler ("Elvis"), Michelle Williams ("The Fabelmans"), Cate Blanchett ("Tár") und Brendan Fraser und Hong Chau ("The Whale") diese noch einmal ausführlich vorstellen.

Links: producersguild.org | en.wikipedia.org/wiki/34th_Producers_Guild_of_America_Awards

++++++++++++++++++



In Berlin wurden schon am Freitagabend die Goldenen und Silbernen Bären der 73. Internationalen Filmfestspiele vergeben. Die komplette Liste aller Preisträger*innen hatten wir sukzessive am späten Abend hier nachgetragen.

Heute möchten wir deshalb einen Rückblick auf die BERLINALE-Sektion Panorama 2023 werfen, die sich im Laufe der Jahre gewandelt hat.

Das Panorama 2023
Bericht von Angelika Kettelhack.

Lange Jahre galt das „Panorama“, eine 1980 zunächst unter dem Namen Info-Schau etablierte Programm-Sektion der Berlinale, als das sogenannte Schwulen- und Lesben-Festival.

Queeres Kino, das man heute wohl eher als Kino mit Gender-Schwerpunkt begreift, sollte mehr Auswahlfreiheit garantieren als der Wettbewerb, mehr Radikalität ermöglichen und in jedem Fall auch neu entstehende Kino-Macharten einschließen. Es sollte aufwühlen und aufrütteln und das Publikum in seinen Seh-Gewohnheiten und im Denken herausfordern.

Inzwischen hat diese Festival-Sparte viel erreicht und sich dieses Jahr mit ihren 36 Filmen wie schon in den letzten drei oder vier Jahren auch anderen Verfemten und Verfolgten zugewandt. Wie etwa den Migranten, die man auch heute noch häufig als „Flüchtlinge“ bezeichnete.

Schwule und Lesben können heute in Deutschland und vielen anderen Ländern schon offen leben. Doch der Weg zu mehr Respekt war lang. Und er ist noch nicht zu Ende gegangen. Weltweit werden Homosexuelle noch immer diskriminiert. In einigen Staaten wird Schwul-Sein sogar mit dem Tod bestraft.

Inzwischen hat das PANORAMA seinen Themenkreis umfangreich und erfolgversprechend erweitern können:

In „Al Murhaqoon“ (The Burdened) von Amr Gamal entschließt sich eine Ehepaar zur Abtreibung weil es mitten im Bürgerkrieg im Jemen kein Kind in die Welt setzen möchte. Dieser Film galt während der diesjährigen BERLINALE lange als preisverdächtig, da er eine bewegende Geschichte aus einer allzu oft vergessenen Krisen-Region behandelt.

Oder „Ghaath“ (Ambush) von Chhatrapal Ninawe liefert ein schonungsloses Psychogramm des seit über 50 Jahren in Zentralindien tobenden Bürgerkriegs. Es geht um einen Schauplatz mitten im Dschungel, dessen Alltag von ständiger Gewalt und Todesnähe bedroht ist.

In ständig drohender aber selbst verschuldeter Todesnähe befindet sich auch der Kunst-Dieb Nemo – alias Willem Dafoe – in dem griechisch-belgisch-deutschen Spielfilm „Inside“ von Vasilis Katsoupis. In einem mondänen New Yorker Penthouse durch ein High-End-Sicherheitssystem festgesetzt, erfindet Dafoe ständig neue Tricks und Schachzüge, um wieder freizukommen. Dabei zerstört er hunderte von unbezahlbaren Kunstwerken zwischen denen er, als hoffnungsvoller Dieb leider verdursten und verhungern wird. Hier der Trailer:




Mit einem hoffentlich guten Ende wird der Spielfilm „Heroico“ wohl enden, wenn der sanfte und wohlerzogene 18-jährige Luis nur noch einen Weg sieht, um für sich und seine Mutter zu sorgen, indem er sich an der nationalen Militärakademie Mexikos ausbilden lässt. Doch das starre System, das ihn zu einem perfekten Soldaten machen soll, verändert seinen Charakter: Luis wird zu einem rücksichts- und skrupellosen Brutalo.

“Das Lehrerzimmer“ — „The Teachers’ Lounge“, eine deutsch-türkisch-polnisch-englische Produktion von İlker Çatak wurde vorab viel gepriesen: Die junge, sehr engagierte und freundliche Lehrerin Carla Novak möchte in ihrer Klasse alle Schüler und Schülerinnen zur Eigenverantwortlichkeit erziehen.

Als einer Ihrer Schüler des Diebstahls verdächtigt wird, möchte Sie den heimlich geäußerten Beschuldigungen selbst auf den Grund gehen. Dabei verscherzt sie sich aber jegliche Unterstützung. Sowohl der Lehrer-Kollegen, als auch der Jung-Redakteure der Schulzeitung, die ihr größtenteils eigentlich wohl gesonnen sind…

Zuletzt wird sie sogar einer Straftat bezichtigt, weil es ihr gelungen war, ihren Lab-Top an ihrem Sitzplatz im Lehrerzimmer so auszurichten, dass er ihre über ihren Stuhl gehängte Jacke mit Portemonnaie in der Brusttasche aufnehmen kann, falls jemand sich daran zu schaffen macht.

Da es sich bei der Diebin aber um die Schul-Sekretärin handelt, die ausgerechnet aber auch die Mutter des in ihrer Klasse verdächtigten Schülers ist, erwartet die liebenswerte junge Lehrerin ein Eingeständnis der schuldigen Schulsekretärin. Doch leider umsonst. Hier der Trailer:




Andererseits bietet die Sektion PANORAMA häufig genug auch leichter verdauliche Themen an. Wie zum Beispiel mit dem Film „Hello Dankness“, in dem das Künstlerinnen-Duo Soda Jerk eine erstaunlich intelligente Abhandlung auftischt mit hunderten von umgedeuteten Film-Clip über den Wandel der US-amerikanischen Gesellschaft, die sich seit Trump vollzogen hat.

Weniger erwähnenswert scheint die Unzahl von in diversen Clubs gedrehten Filmen, in denen nur gehört und selten getanzt wird… Dafür aber konsumiert und belangloses Zeugs geredet wird… Beispiel: In "After" von Anthony Lapia trifft Félicie auf Said und nimmt ihn mit zu sich nach Hause zu einer sogenannten „Afterparty“, für die sie extra eine Flasche Wein vorbereitet hat, die aber absolut nicht zu dem vorher Konsumierten passen will. Danach passiert also auch wieder nichts. Beide schlafen ein. Als es hell wird am nächsten Morgen fährt der Freier gegen 9:00 in sein Büro: Sinn-Entleerung.

Ganz anders dagegen das Filmdrama "La Bête dans la jungle" von Patric Chiha, ein absolutes Highlight, das über 25 Jahre die Geschichte eines von 1979 bis 2004 sich manchmal nur in kleinen Details verändernden, aber stetig dem Zeitgeschmack anpassenden französischen Clubs grandios verfilmt. Hier ein kurzer Teaser:




Aber PANORAMA ist die einzige Berlinale-Sektion, in der das Publikum seit 1999 über die Gewinner abstimmen kann: Der 25. PANORAMA-PUBLIKUMS-PREIS für Spielfilm geht in diesem Jahr an „Sira“ von Apolline Traoré. Den Preis für den Besten Dokumentarfilm vergab das Publikum an „Kokomo City“ von D. Smith.

Smith saß bereits im Flugzeug als sie von der Ehrung erfuhr und ist dann ganz schnell wieder ausgestiegen, um den Preis doch noch selbst entgegen nehmen zu können.

In „Sira“ ergibt sich eine junge Nomadin des in der Wüste lebenden Wander-Volkes der Peuls nicht kampflos ihrem Schicksal, sondern setzt sich gegen islamischen Terror zur Wehr. — Eine feministische Gegenposition zur aktuellen Berichterstattung aus der Sahelzone, die auf der Höhe des Senegal infolge des Klimawandels immer mehr austrocknet.
Hier der franz. Trailer:




In "Kokomo City" von D. Smith erzählen in eindrucksvollen Interviews und Begegnungen vier Schwarze trans* Sexarbeiterinnen aus New York und Georgia kompromisslos von ihren Erfahrungen. Offen werden Fragen der Zugehörigkeit und der Identität innerhalb der Schwarzen Community thematisiert.

Während der Berlinale wurden alle Kinobesucher*innen immer wieder erinnert, aufgerufen und angespornt mit Hilfe der vor jedem PANORAMA–Film verteilten Stimmkarten jeden einzelnen Film dieser Sektion zu bewerten. Insgesamt wurden knapp 22.000 Stimmen abgegeben und ausgewertet.

Das Panorama präsentierte in diesem Jahr 35 Langfilme aus 30 Produktionsländern.

Angelika Kettelhack


Gewinner Panorama Publikums-Preis 2023 – Spielfilm

"Sira"
Burkina Faso / Frankreich / Deutschland / Senegal 2023
Regie: Apolline Traoré

Den zweiten und dritten Platz des Panorama Publikums-Preises belegten:

"Al Murhaqoon" (The Burdened)
Jemen / Sudan / Saudi Arabien 2023
Regie: Amr Gamal

"Sages-femmes" (Midwives)
Frankreich 2023
Regie: Léa Fehner

Gewinner Panorama Publikums-Preis 2023 – Dokumentarfilm

"Kokomo City"
USA 2023
Regie: D. Smith

Den zweiten und dritten Platz des Panorama Publikums-Preises – Dokumentarfilm belegten:

"The Eternal Memory"
Chile 2023
Regie: Maite Alberdi

"Au cimetière de la pellicule" (The Cemetery of Cinema)
Frankreich / Senegal / Guinea / Saudi-Arabien 2023
Regie: Thierno Souleymane Diallo

Anzeige