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Gewinner der SAG Awards und erste Filmbesprechungen zu Gewinnern der 73. Berlinale

Nach unserem gestrigen Querschnitt zur Panorama Sektion der 73. Internationalen Filmfestspiele, folgen heute erste lange Besprechungen einiger Gewinnerfilme der 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2023.



Nach den US-Produzenten (PGA) und den US-Regisseuren (DGA) hat nun am 26. Februar 2023 auch die Gewerkschaft der neuerdings vereinigten US-Schauspieler*innen (SAG-AFTRA) ihren Screen Actors Guild Award für den Besten Film des vergangenen Jahres mit überwältigender Mehrheit an die Science-Ficition-Tragikomödie "Everything Everywhere All at Once" vergeben.

Der Film siegte in der Kategorie bestes Schauspielensemble. Michelle Yeoh räumte den Preis für ihre Leistung als beste weibliche Hauptrolle in dem schrulligen Fantasyfilm ab.

Bester Hauptdarsteller wurde Brendan Fraser, der für seine Rolle in "The Whale" geehrt. Die Preise werden von der Gilde SAG-AFTRA für Film- und Fernsehschauspieler verliehen.

Links: www.sagawards.org | www.sagaftra.org

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"SUR L' ADAMANT" ('On the Adamant') Französische Dokumentation von Nicolas Philibert über eine im Wasser verankerte, schwimmende Tagesklinik und Sozialhilfestation für psychisch Erkrankte in Paris. Gewinner des Goldenen Bären der 73. Berlinale 2023. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

19 Filme konkurrierten um den goldenen Bären. Im Wettbewerb gab es 18 Spielfilme und einen Dokumentarfilm. "Sur l'Adamant" wurde relativ spät im Festivalverlauf angesetzt. Viele hatten da bereits ein, zwei oder sogar drei Favoriten in der eigenen Auswahl. Die sanfte und durchweg positiv gestimmte Beobachtung über die Arbeit in einer psychiatrischen Tagesklinik in Paris hatte wohl kaum jemand als Frontrunner betrachtet. Konnte sich die internationale Jury auf keinen der Spielfilme einigen?

Das Leben schreibt bekanntlich die besten Geschichten. Das wahre Leben, noch dazu mit prägnanten und spannenden Figuren, der Ansatz einen Blick auf das unverstellte Echte zu blicken, ist in unserer schwierigen Zeit scheinbar relevanter als eine künstlerische Umsetzung einer Interpretation derselben. Doch blickt Nicolas Philiberts Kamera nur scheinbar auf das, was ist. "Sur l'Adament" ist ein rundum wohlfühlender Film auf etwas, was eher nicht wohlfühlend ist und somit leider voller blinder Flecke.

Nicolas Philiberts vielleicht bekanntester Film ist von 2001. In "Sein und Haben" betrachtete er eine kleine Dorfschule, in der die Kinder aller Altersgruppen in einer gemeinsamen Klasse unterrichtet werden. Damals konnte dieser den Europäischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm gewinnen. Auf der Berlinale trat Philibert zuletzt 2013 mit "La Maison de la Radio", einer Betrachtung des Senders Radio France an. Nun also ein von der Gesellschaft ausgegrenztes Thema.

Die L'Adamant ist ein fest angelegtes Boot auf der Seine in Paris. Architektonisch wirkt die Klinik durch die Verwendung von Holz warm und einladend und von den rundum aufklappenden Fensterblöcken ist ein freier, durchlässiger Blick nach außen möglich. Psychiatrie stellt man sich gewöhnlich anders vor. Allerdings ist die Tagesklinik, die erst 2019 vom Büro Seine Design auch unter Einbindung seiner Nutzer konzipiert wurde, Teil der Paris Central Psychiatric Group. Die Tagesklinik richtet sich auch nur an Patienten und Patientinnen aus den ersten vier, also den umliegenden 4 Arrondissements. Keineswegs an Besucher aus den entfernteren und wohlmöglich ärmeren Bezirken.

Aber um Architektur geht es hier ja nicht und auch nicht um eine gesellschaftliche Einordnung. Um die Probleme in der Psychiatrie und ihren Methoden der Behandlungsfindung geht es aber auch nicht. Aus den Erzählungen der Mitwirkenden, kann man durchaus einen priveligierten Hintergrund herauslesen. Ein Vergleich mit anderen Kliniken bleibt jedoch auch aus.

Die L'Adamant ermöglicht vorrangig Workshops, in denen sich die Patienten und Patientinnen malerisch und musikalisch und überhaupt künstlerisch ausprobieren können. Dass sie dazu bereits die Voraussetzungen mitbringen, merkt man recht bald und schon in der ersten Szene, als ein Patient (leider blendet das Presseheft die Namen der Mitwirkenden aus, als würden sie eine anonyme Gruppe bilden) den Song "La bombe humaine" der französischen Rockformation »Téléphone« schmettert. In einem deutschen Film hätte man vielleicht einen Song von der Band »Ton Steine Scherben« genommen. Das wäre vergleichbar. Eindruck macht auch, dass gleich mal ein Filmfest geplant wird, denn es gibt einen festen Filmclub.

Wer darf nun eigentlich hier täglich oder regelmäßig dabei sein? Wer wird abgewiesen? "Sur l'Adamant" blendet sowohl den Alltag, als auch Probleme aus. Nur einmal kommt es zu einem Riss in der schönen Fassade, als eine Patientin einen Tanzkurs vorschlägt und, weil sie Tänzerin war, den Kurs auch gleich selbst halten möchte. Das wiederum ist nicht vorgesehen. Sanft wird dieser Vorschlag erst einmal geparkt. Ob nun die Anwesenheit der Kamera Einfluss hatte oder ob es grundsätzlich keine Reibungen gibt, wer weiß das schon. Die Arbeit auf der L'Adamant ist durchaus eine erfolgreiche, könnte man meinen. Aber man fragt sich schon, wie mit Kranken verfahren wird, die im Sinne der Gruppe nicht hineinpassen. Man fragt sich, wie Medikamentenpläne erstellt und kontrolliert werden. Von dieser Seite der Arbeit zeigt Philibert nichts.

Dabei hat Philibert bereits Mitte der 90er mit "La Moindre des choses" einen Film über eine psychiatrische Klinik, der La Borde Clinic, gedreht. Eine gewisse Furcht, die Mitwirkenden bloßzustellen, hatte er offensichtlich schon. Zumindest konnte er im kleinen Team arbeiten.

Philibert führte auch die Kamera, ab und an hatte er aber noch jemanden an seiner Seite. Die Mitwirkenden kannten seine Filme, auch das war ein Pluspunkt. Sie redeten offen mit ihm, Gespräche gibt es zuhauf. Sie erzählen von ihrer Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung der Außenwelt und der Diskrepanz.

Doch die Kamera kann die Aufgabe, psychische Krankheiten für ein Publikum erfahrbarer machen, nicht einlösen. Die Mitwirkenden bleiben auf Distanz. Zu fragmentarisch erleben wir ihren Alltag. Die Szenen konzentrieren sich immer wieder auf die Workshops und auf die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, die dann zum Teil doch gebremst werden.

Ein Limit an Möglichkeiten für diesen Tagesalltag wird deutlich, wenn man genau hinschaut. Hinterfragt werden diese Grenzen nicht. Hinterfragt und eingeordnet wird hier gar nichts. Die ruhige, respektvolle Umsetzung ist dann doch sich selbst im Weg und liefert letztendlich ein mittelprächtiges Feel-Good-Movie, dass kein bisschen innovativ ist. Von einem goldenen Bären erwartet man eigentlich neue Akzente und man fragt sich, ob man diesem Dokumentarfilm mit der Auszeichnung nicht einen Bärendienst erwiesen hat.

Elisabeth Nagy


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"ROTER HIMMEL" tragikomisches Beziehungsstück von Christian Petzold über vier junge Menschen in einem Ferienhaus an der Ostsee. Drei haben Spaß, einer – Schriftsteller – quält sich. Mit Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt (Deutschland). Silberner Bär - Großer Preis der Jury. Ab 20. April 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Reginas Filmkritik:

Okay, ich gebe es gleich zu: ich mag die Filme von Christian Petzold sehr. Er war dieses Jahr zum sechsten Mal auf der Berlinale im Wettbewerb, sein Film "ROTER HIMMEL" mein Favorit. Jetzt hat er den zweitwichtigsten Preis des Festivals gewonnen: Silberner Bär Großer Preis der Jury.

Es ist die Art wie Petzold Konstellationen entwirft, Geschichten erzählt und sie behutsam weiter entwickelt, wie die Charaktere seiner Filme sich verändern dürfen, die mich in seinen Filmen fasziniert.

Diesmal wollte er einen Sommerfilm drehen, inspiriert von der Leichtigkeit und Unbeschwertheit der französischen Filme. Während der Corona Zeit hatte er Eric Rohmer wiederentdeckt.

Und ROTER HIMMEL ist ein Sommerfilm geworden, allerdings à la Petzold. Die Zutaten sind vorhanden: eine idyllische Umgebung, ein Haus im Wald, das Meer, in diesem Fall die Ostsee, junge Menschen. Doch von den ersten Bildern an scheint ein gewisses Unheil in der Luft zu liegen, nicht greifbar, nicht sichtbar, aber allgegenwärtig.

Die Freunde Felix und Leon fahren in das Sommerhaus von Felix Mutter an die Ostsee. Leon hat vor, das Manuskript für seinen Roman fertigstellen und Felix will Inspirationen für seine Bewerbungsmappe an der Kunsthochschule sammeln. Doch auf der Hinfahrt gibt das Auto mit einer zischenden Explosion den Geist auf und die beiden müssen mit geschultertem Gepäck quer durch den Brandenburger Wald laufen. Schließlich rennt Felix voraus um den Weg zu finden und Leon bleibt zurück. Das Licht scheint sich zu verändern, es gibt seltsame Geräusche im Wald. Spätestens jetzt erwarten „geschulte Petzold Fans“ den ersten Einbruch, doch dann geht alles gut – erst einmal. Felix kommt zurück und bald sind die Beiden im Haus, das ist jedoch schon belegt.

Felix Mutter, den Besucherplan nicht im Kopf, hatte zeitgleich Nadja, (Pauk Beer), die Freundin einer Kollegin, eingeladen. Nadja ist schillernd, lebensfroh und hat viel Spaß, auch nachts, mit ihrem Freund, dem Rettungsschwimmer Devid. Der ist bald auch omnipräsent im Haus – also ein Sommer zu viert.

Petzold interessiert sich in seinem neuen Film ROTER HIMMEL vor allem für die Beziehungen der vier jungen Menschen untereinander. Nadja, Felix und Devid genießen ihre Zeit, sie schwimmen, kochen werkeln am Haus und gehen unbeschwert miteinander um. Nur Leon schließt sich aus der Gruppe aus. Die Leichtigkeit, die Lebens – und Liebesfreude der drei provoziert ihn, macht ihn wütend und gleichzeitig hilflos. Er hält sich aus allem heraus, und will doch Aufmerksamkeit. Selbst Nadja – charismatisch und leichtfüßig gespielt von Paula Beer – schafft es nicht, ihn aus seiner misanthropischen Stimmung zu befreien. „Ich muss arbeiten“, das ist einer der häufigsten Sätze von Leon im Film, den er fast manisch wiederholt. Und er kommt doch kein Stück weiter in seinem Manuskript.

Thomas Schubert ist Leon, überzeugend gibt er den frustrierten Künstler in allen Fassetten, neidisch und missverstanden. Das hat manchmal ausgesprochen komische Züge. Vor allem, weil er tief im Innern weiß, dass sein Roman nicht viel taugt. „Du weißt doch selber, dass das Bullshit ist“ sagt Nadja nach dem Lesen des Manuskripts.

Auf der Pressekonferenz erklärt Petzold, dass er diesen frustrierten, verkappten Künstler unbedingt so skizzieren wollte und ihm diese Seite des Künstlerlebens durchaus vertraut ist. „Mein zweiter Film war 'Cuba libre'. Ich hatte damals das Gefühl, ich führe nicht Regie, sondern spiele einen Regisseur, der schlau daherredet. Ich habe mich dafür gehasst. Leons Roman heißt 'Club Sandwich'. Cuba libre, Club Sandwich, da hat mir mein Unbewusstes wohl einen Streich gespielt“.

Seit Mitte der 90er Jahre ist Christian Petzold Filmemacher, seinen Durchbruch hatte er 2000 mit dem Werk INNERE SICHERHEIT, ein Film über ehemalige RAF Terroristen, die mit ihrer Tochter auf der Flucht sind. Zu seinen bekanntesten, mehrfach preisgekrönten Werken zählen unter anderem WOLFSBURG (2003) YELLA (2007), BARBARA (2012, Silberner Bär für die beste Regie), PHOENIX (2014), alle mit Nina Hoss in der Hauptrolle. In TRANSIT (2018) arbeitet Petzold zum ersten Mal mit der Schauspielerin Paula Beer zusammen. Vor drei Jahren war sie dann im Film UNDINE zu sehen. Auch in ROTER HIMMEL ist Paula Beer wieder dabei, diesmal in einem Ensemblefilm.

ROTER HIMMEL ist nach UNDINE der zweite Teil einer lose geplanten Trilogie. Während in UNDINE noch mystische Elemente eine Rolle spielen, Paula Bär als Stadtschreiberin und als Wassernixe, bleibt Petzold in seinem neuen Film auf dem Boden des Realismus. Auch stilistisch scheint er mehr zuzulassen. Die langen Einstellungen aus früheren Werken, Stilelemente der sogenannten „Berliner Schule“ sind aufgelockert, es gibt öfter Schnitte und Gegenschnitte. Die Menschen werden sichtbarer, der Raum scheint offener und das gibt gerade diesem Film eine Leichtigkeit, die ihm gut tut. Das Label „Berliner Schule“ schätzt Christian Petzold nicht besonders. In einem Interview sagte er mir einmal, dass er diese Etikettierung zu pauschal fände. Es sei eher die Art, die Geschichten beobachtend zu erzählen, Fragen zu stellen und offen zu lassen, eine unverfälschte Wirklichkeit anzustreben, die die Filmemacher der sogenannten „Berliner Schule“ auf jeweils eigene Weise gemeinsam hätten.

ROTER HIMMEL erzählt von Gruppendynamik und von Emotionen, die in und um das Ferienhaus zu lodern beginnen. 30 Kilometer entfernt brennt der trockene Wald lichterloh. Eine starke Szene zeigt die vier jungen Menschen, wie sie oben auf dem Vordach des Hauses stehen und am Horizont den roten Himmel betrachten – kein gewöhnliches Abendrot, sondern ein Rot der lodernden Flammen. Es ist ein entrückter und gleichzeitig beängstigender Moment, der die Apokalypse bereits andeutet.

Als im Film Leons Verleger, die fünfte Person, auftritt und sich weniger für Leons Roman, dafür aber umso mehr für die Kunst-Mappe von Felix und vor allem für Nadja interessiert, spitzen sich die Konflikte zu: die inneren, aber auch die äußeren Konflikte. Das Rot am Firmament färbt sich immer intensiver, es regnet Asche vom Himmel. Der Film macht eine zweite Ebene auf, das sommerliche Spiel wandelt sich zu einem Alptraumszenario.

Das ist es, was Petzolds Filme auszeichnet, das Zweideutige, der Symbolcharakter des Geschehens. Der brennende Wald – ein Inferno, das diese Gruppe von Menschen, die vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, nicht wirklich wahrnehmen will. Parallelen zum Umgang mit der Klimakrise liegen nah.

ROTER HIMMEL verhandelt die allgegenwärtigen Fragen des Lebens: das Miteinander der Menschen, die Liebe, die Krankheit, den Tod. Ein Wettbewerbsbeitrag, der mich von Anfang bis Ende gefesselt hat – der Film hat den Silbernen Bären der Jury verdient. Der Goldene Bär hätte auch gepasst!

Regina Roland


Regina Roland haben wir schon vor vielen Jahren als Filmjournalistin bei der Deutschen Welle kennen gelernt. Jetzt schreibt sie auf ihrem eigenen Blog Filmkritiken, die Sie uns freundlicherweise gern zur Verfügung stellt.

Link: filmkritik-regina-roland.de

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"All the Colours of the World Are Between Black and White" nigerianisches Debüt-Spielfilm-Drama von Babatunde Apalowo über eine Gesellschaft, die Homosexualität tabuisiert. Mit Tope Tedela, Riyo David, Martha Ehinome Orhiere, Uchechika Elumelu, Floyd Anekwe. Gewinner des Teddy Award in der Sektion Panorama der 73. Berlinale 2023. Hier ein kurzer Ausschnitt aus dem Film zu Beginn eines Interviews mit dem Regisseur:



Elisabeth's Filmkritik:

Eine Liebesgeschichte, die keine sein darf, das ist der nigerianische Spielfilm "All the Colours of the World are Between Black and White". Zwischen Schwarz und Weiß gibt es alle Farben der Welt. Nigeria ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land auf dem afrikanischen Kontinent, es hat auch eine bedeutende Filmproduktion. Nicht annähernd so viele Filme aus Nollywood schaffen es in europäische Kinos wie beispielsweise aus Bollywood.

Babatunde Apalowo, der Regisseur dieser ruhig erzählten Geschichte, drehte zwar in seiner Heimat Lagos, lebt aber inzwischen in Großbritannien. "All the Colours" ist ein gelungenes Regiedebüt, der in Zwischentönen all die komplizierten Gefühlszustände seiner Protagonisten zu vermitteln weiß.

Dabei sollte es eigentlich eine Liebesgeschichte an seine Heimatstadt Lagos werden. Apalowo wollte eine Geschichte von einem Kurier erzählen, der unterwegs Fotos von seiner Stadt schießt. Der Regisseur wurde jedoch Zeuge einer Gewalttat. Gewalt ist in Lagos und in Nigeria Teil des Alltags, jedoch sah er, wie ein Kommilitone aufgrund seiner Sexualität von einem Mob gelyncht wurde. Queerness ist in Nigeria nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern wird mit langen Haftstrafen geahndet. So wurde aus einer Geschichte über eine Stadt auch eine Geschichte von ihren Bewohnern. Allerdings ist Apalowo, und da macht der Regisseur gar keinen Hehl draus, straight. Er versuchte trotzdem eine Liebesgeschichte zu erzählen, die zwischen zwei Männern verläuft. Das Gefühl des Liebens und der Zurückweisung, der Unsicherheit der eigenen Gefühle und der Selbstkenntnis und all dem dazwischen sind das Rückrad der Handlung.

Tope Tedela, der nicht nur in seiner Heimat ein renominierter Schauspieler ist, spielt Bambino. Bambino ist ein angesehener Nachbar in seinem Viertel. Er hilft aus, wo er kann, und auch finanziell reicht es zum Leben. Er lebt als Single und denkt gar nicht weiter darüber nach. Doch dann trifft auf Bawo, gespielt von Riyo David, der ihn fotografiert und mit dem er dann in der Stadt herumfährt, um gemeinsam für ein Fotoprojekt Aufnahmen zu machen. Die Kamera von Bawo bringt Bambino nicht nur dem Publikum näher. Doch in der rigiden gesellschaftlichen Haltung gegenüber gleichgeschlechtliche Avancen, braucht es einen Grund, damit sich zwei Männer berühren können, die sich bis dahin mit Blicken taxierten. Als Bambino einen Unfall hat, ist es Bawa, der ihn pflegt und damit Bambinos Selbstbild ordentlich ins Wanken bringt. Es geht in erster Linie um das Gefühl der Zuneigung und Anziehung und Apalowo bringt eine Nachbarin (Martha Ehinome Orhiere) ins Spiel, die sich zu Bambino hingezogen fühlt und dieses auch vermittelt. Nur kann Bambino dieses Gefühl nicht erwidern.

Apalowo vermeidet Klischees und setzt auf Stimmungen. Die Kamera unterstützt in Statik und Bewegung die Grundzüge der Charaktere der Figuren. Lagos als Stadt spielt immer noch eine der Hauptrollen in der Erzählung, wobei Apalowo und sein Partner an der Kamera, David Wyte ("Gbomo Gbomo Express"), einen möglichst realistischen Look anstrebten, auch um das Gefühl der Authentizität zu unterstreichen. Authentizität ist auch in der Handlung wichtig. Bambino kann sich den Zwängen nicht auf Kommando entledigen und er tut es auch nicht. Es tut weh, den beiden, das heißt eigentlich den drei Figuren zuzuschauen. "All the Colours" vermittelt die Stimmungen subtil, aber fühlbar.

Der Teddy ging in diesem Jahr, der reich an queeren Stoffen war, nicht nur in der Sektion Panorama, an diesen nigerianischen Film und ich hoffe, dass der Film auch einen weltweiten Einsatz bekommt. Das, was er zeigt, dass gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen in Nigeria tabuisiert und strafrechtlich verfolgt werden, ist mit Abstrichen zum Glück nur noch auf eine kleine Anzahl von Ländern beschränkt. Die Gefühle, die die Figuren durchlaufen, kennen viele. Lieben und zurück geliebt werden, darum dreht es sich doch. Apalowos Film ist ein Aufruf, und durchaus auch politisch gemeint, diese Liebe, in welcher Farbe auch immer, zuzulassen und Empathie zu entwickeln.

Elisabeth Nagy


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