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Claudia Roths Visionen zur Filmförderung anlässlich des Produzententages während Berlinale

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) strebt eine grundlegende Reform der deutschen Filmförderung an.



"Das gegenwärtige System der deutschen Filmförderung passt immer weniger zu den sich grundlegend verändernden Rahmenbedingungen", so Roth.

Künftig sollten Innovationsgeist und Risikobereitschaft gestärkt werden. Der Kinofilm sei nur noch eine von vielen Formen filmischen Erzählens. Sie plädierte unter anderem dafür, die Förderinstrumente auf Bundes- und Landesebene besser zu verzahnen.

Berlin, 16.02.2023, Bericht von Katharine Dockhorn:
Aus der geplanten großen Reform wird nur ein Reförmchen.

Die angekündigte Revolution im deutschen Filmfördersystem rückt vorerst in weite Ferne. Zu zaghaft und unambitioniert sind die acht Vorschläge, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth zum Beginn des gestrigen Produzententages* am Berlinale-Eröffnungstag (16.02.2023) zur Neugestaltung des komplexen Gebildes machte. Und es dauert auch mindestens bis zum 1. Januar 2025, bis sie umgesetzt werden. Trotzdem gab es seitens der Produzenten stehende Ovationen für die Ministerin.

30 Millionen Zuschauer soll der deutsche Film bald ins Kino locken, so das ambitionierte Ziel. Um es mit attraktiven Filmen zu erreichen, soll umgeschichtet werden. 2019 lockten die 30 meistgesehenen Filme mit deutschem Ursprungszeugnis 90% der Zuschauer ins Kino, die restlichen Zuschauer verteilten sich auf weitere 300 Starts. Künftig sollen weniger Filme ins Kino kommen, die dafür mit höherem Budget ausgestattet werden.

Der Leser fühlt sich sofort und ungewollt in einer Zeitschleife. Mitte der Nuller Jahre stiegen nach der Einführung des deutschen Filmförderfonds (DFFF) und mit dem Modell der Amphibienfilmen – Kinofilme plus Zweiteiler fürs Fernsehen – die Budgets. 15 Millionen Euro flossen damals zum Beispiel in „Anonyma“, der Zuspruch in beiden Medien blieb gering. Einzig „Der Medicus“ wird aus dieser Ära noch heute regelmäßig ausgestrahlt und bringt dem Produzenten Einnahmen. Mehr Geld heißt also nicht automatisch bessere und wirtschaftlich profitable Filme, das Zwittermodell ist längst beerdigt. Evaluiert wurde der Rückschlag damals nicht. Keiner weiß, warum Risikobereitschaft, Innovationsfreude und Kreativität, die heute wieder gefordert werden, nicht belohnt wurden.

Reformbedarf unstrittig.

Das deutsche Fördersystem ist zu komplex und langsam, niemand aus der Filmbranche würde Claudia Roth bei dieser Feststellung nicht zustimmen. Doch so richtig traut sie sich nicht.

Die Filmförderungsanstalt (FFA), die heute die Gelder verwaltet, die über das Filmfördergesetz generiert werden, soll zur Filmagentur weiterentwickelt werden und künftig auch die Mittel der Kulturellen Filmförderung des Bundes vergeben. Nur, Kuratorium junger deutscher Film, Initiative Deutscher Kinderfilm, aber vor allem DFFF und German Motion Picture bleiben als Extrasäulen beistehen. Dabei wäre es ein leichter Schritt, zumindest die automatische Förderung von Serien und Kinofilmen in einem Modell zu vereinen und somit nur einen Haushaltsposten zu schaffen. Das ginge noch in diesem Jahr.

Regionale und Bundesfilmfördermodelle will Claudia Roth besser verzahnen, sie will mit den Bundesländern gemeinsame Grundsätze erarbeiten. Auch hier widerspricht niemand. Sehr vage sprach sie dazu von einer Mindestquote der Bundesförderung. Im Moment schaffen es Bund und Ländern nicht mal, das Antragsformular zu vereinheitlichen. Die Länderförderer verhandeln alleine, 2025 soll es endlich auf dem Tisch liegen.

Typisch deutsche Trennung von A und U bleibt.

Claudia Roths Visionen sehen die grundsätzliche Trennung der Produktion von Spielfilmen und dem Rest im Fördersystem vor. Die Entwicklung von fiktionalen Projekten sowie der gesamte Entstehungsprozess von Dok- und Kurzfilmen, vom Nachwuchs und der künstlerische Filme bräuchten eine passgerechte Förderung mit einer selektiven Logik und über Jurys. Sie sollten dem Zuschauer das Sehen lehren, so Roth. Wobei die Erfahrung mit der künstlerischen Filmförderung des Bundes in den vergangenen Jahren zeigt, dass so keiner richtig weiß, was ein künstlerischer Film ist und wie er sich zum kommerziellen Film abgrenzt.

Sind Filme des Regisseurs Christian Petzold nun A = anspruchsvolles Arthouse oder U = Unterhaltung? Wollen die Verleiher der fünf großen deutschen Wettbewerbsfilme der diesjährigen 73. Berlinale nicht auch viele Zuschauer ins Kino locken?

Verschiedene Modelle für Serien und Filme.

Ein wichtiger Punkt ist die Anreiz- und Standortförderung, die bestehenden Modelle DFFF und GMPF sollen weiterentwickelt werden. Großes Vorbild für den Kinofilm ist das österreichische Modell. Für die Produktion von deutschen und internationale Serien schlägt Roth ein Steuersparmodell vor.

Wie der Koalitionsvertrag es bereits vorsieht, der federführend von Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ausgehandelt wurde, wird die Investitionsverpflichtung für Streaming-Dienste geprüft, die durch eine entsprechende EU-Richtlinie möglich ist. Frankreich und Spanien haben sie bereits umgesetzt und ziehen momentan Projekte der Streamer aus Deutschland ab. In Deutschland sind deren Investitionen dagegen rückläufig. Doch statt schnell zu handeln, kommt die Umsetzung der Richtlinie wohl erst 2025. Zudem ist unklar, für wen sie denn gelten soll. Auffallend wurde von Produzentenallianz-Geschäftsführer Björn Böhning nur von internationalen Anbietern gesprochen. Die deutschen Player auf dem Markt, die sich bislang gegen eine Verpflichtung sträuben, könnten eventuell nicht zur Kasse gebeten werden.

Ebenso lässt die Kulturstaatsministerin die privaten Sender in Ruhe, obwohl Pro7 und Sat1 seit Jahren als Koproduktionspartner bei deutschen Komödien dabei sind. Sie will vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender über deren Kulturauftrag in die Pflicht nehmen, in den Kinofilm zu investieren, und die oft unheilvolle Liaison nicht nach österreichischem Vorbild lockern. Sondern verstärken. Im Raum steht eine Zwangsverpflichtung der Sender, der die Bundesländer zustimmen müssten. Dafür sollen die strengen Auswertungsfenster im FFG gelockert verkürzt und gelockert werden.

Atef statt Pilcher.

Voraussetzung müsste allerdings eine Steigerung der Attraktivität der Filme für das Publikum sein, das statt Rosamunde Pilcher nun beispielsweise Emily Atef - stellvertretend für den deutschen Kinofilm - regelmäßig im Hauptabendprogramm finden würde. Weitere Diskussionen zur Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind ansonsten absehbar.

Nebulös blieb Claudia Roth bei der eigentlichen Auswertungsschiene der Filme, beim Verleih. Sie will ihn stärken, indem sie die Fristenregeln im Filmförderungsgesetz (FFG) vereinfacht. Die Förderung der Kinos soll in automatisierte Modelle überführt werden, um die Kinolandschaft im gesamten Land in der Fläche zu erhalten. Dass sie in den Neuen Bundesländern von der Treuhand vor 30 Jahren zerstört wurde, wird weiter hingenommen. Ebenso ist unklar, ob die Fördersumme angesichts des Investitionsstaus überhaupt ausreichen kann.

Drei konkrete Förderbedingungen.

Ohne Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Green Shooting wird es künftig keinen Cent geben. Besonders lobte Claudia Roth auch den Kulturpass für alle 18-jährigen, den es ab Juni geben soll. Wird er ein Erfolg, sollen bald die 15- bis 17-jährigen folgen. Wer heute über 19 ist, den hat die Kulturstaatsministerin für die Kultur offenbar schon abgeschrieben.

Katharina Dockhorn

Der Produzententag* wurde durchgeführt von der Allianz Deutscher Produzenten e.V. (Produzentenallianz)

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