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"EO", der polnische OSCAR-Beitrag und weitere neue Filme jetzt im Kino

Donnerstag ist zwar kein preisgünstiger Kinotag mehr, dennoch starten die Filmtheater wöchentlich an diesem Tag bundesweit neue Filme.



In Hollywood wurde am gestrigen 21.12.2022 die Shortlist mit 15 Werken für den sogenannten Auslands-OSCAR® verkündet, jenen Filmen der 95. Academy Awards of Motion Picture Arts and Sciences in der Sparte "International Feature Film", die eben nicht zu den erfolgreichsten Hollywood Blockbustern wie "Top Gun: Maverick" gehören, sondern eher zu den besten Filmen des internationalen Arthouse-Kinos zuzurechnen sind.

Die komplette Liste aller eingereichter Werke aus über 90 Ländern kann hier auf Wikipedia und mit bebilderten Beschreibungen z.T. auch hier bei IMDb eingesehen werden.

Das Magazin »The Hollywood Reporter« konnte allerdings hier vorab schon ein paar unbestätigte Details zur aktuellen Shortlist in zehn Kategorien bekannt gegeben, darunter dokumentarische und internationale Spielfilme sowie dokumentarische Kurzthemen, Make-up und Haarstyling, Originalmusik, Originalsong, animierter Kurzfilm, Live-Action-Kurzfilm, Sound und visuelle Effekte.

Die Liste umfasst "Close" (Belgien), "Decision to Leave" (Südkorea), "All Quiet on the Western Front - Im Westen nichts Neues" (Deutschland), Alejandro G. Iñárritu's "Bardo" (Mexiko) und "Joyland", der Pakistan seinen ersten nominierten Film in dieser Kategorie beschert, sowie auch "EO" von Jerzy Skolimowski.

Indiens internationaler Beitrag, "Last Film Show", schaffte es ebenfalls auf diese Liste, während ein anderer indischer Film, "RRR", für seinen energiegeladenen Song "Naatu Naatu" in die engere Wahl kam. Deutschlands "All Quiet on the Western Front - Im Westen nichts Neues" wurde zusätzlich für Make-up und Hairstyling, Score, Sound und VFX nominiert, womit die Chancen für Deutschland einen OSCAR® zu gewinnen, erheblich steigen.

In diesem Jahr waren ebenso 144 Dokumentarfilme teilnahmeberechtigt sowie 15 besondere Werke, darunter "All That Breathes", "Fire of Love" und "Moonage Daydream" (die es zusätzlich in die engere Auswahl in der Kategorie Sound schafften). Zu den Überraschungen zählt auch die Mars-Rover-Doku "Good Night Oppy".

Die Mitglieder des Documentarfilm Auswahlgremiums stimmten über die Shortlist und die Nominierten für Dokumentarfilme und Dokumentar-Kurzfilme ab (15 Filme wurden aus 98 qualifizierten Kurzfilmen in die engere Wahl gezogen).

Liste von 15 INTERNATIONAL FEATURE FILMS der engeren Auswahl:

Argentina, "Argentina, 1985"
Austria, "Corsage"
Belgium, "Close"
Cambodia, "Return to Seoul"
Denmark, "Holy Spider"
France, "Saint Omer"
Germany, "All Quiet on the Western Front"
India, "Last Film Show"
Ireland, "The Quiet Girl"
Mexico, "Bardo, False Chronicle of a Handful of Truths"
Morocco, "The Blue Caftan"
Pakistan, "Joyland"
Poland, "EO"
South Korea, "Decision to Leave"
Sweden, "Cairo Conspiracy" (formerly named "Boy from Heaven")


Da uns beim Schreiben dieser Zeilen die offizielle Liste der Academy Awards noch nicht vorlag (sie folgt bei uns gesondert einen Tag später), möchten wir wenigstens auf den landschaftlich schönen und feinfühlig inszenierten polnischen OSCAR®-Beitrag "EO" von Jerzy Skolimowski eingehen, da dieser heute bundesweit in den Kinos startet.


"EO" Drama von Jerzy Skolimowski (Polen / Italien, 2022; 89 Min.) Mit Sandra Drzymalska, Tomasz Organek, Mateusz Kosciukiewicz, Isabelle Huppert u.a. ab 22. Dezember 2022 bundesweit in den Kinos. Hier der Trailer:



Elisabeth's Filmkritik:

Hauptfigur in Jerzy Skolimowskis Film ist ein Esel. Ursprünglich sollte der Film "Balthazar" heißen. Eine direkte Referenz an "Au hasard Balthazar" ("Zum Beispiel Balthasar") von Robert Bresson aus dem Jahr 1966. Bresson zeigte das Schicksal eines Esels auf all seinen Lebensstationen und auch Skolimowski und seine Ko-Drehbuchautorin Ewa Piaskowska machen etwas ganz ähnliches. "EO" ist kein Remake, aber doch eine Neuinterpretation. Wir folgen einem Esel, der so allerhand erlebt, Gutes und Schlechtes. Sicherlich ist der Film ein Gleichnis. Was "EO" uns zu sagen hat, sollte unbedingt auf einer großen Leinwand gesehen werden. Mal naturalistisch, mal experimentell, weiß der Film den Weg eines Esels durch Polen bis nach Italien spannend zu erzählen.

Die Geschichte beginnt in einem herunter gekommenn Wander-Zirkus. Der Esel ist Teil einer Nummer, die den Tierschützerverein vor Ort auf den Plan ruft. Die Behörden greifen ein und "befreien" diese Tiere, die in einem Zirkus zur Unterhaltung von zahlenden Gästen doch nicht gehalten werden sollten. Dem kann man zustimmen, doch so einfach ist die Sache nicht. Auch wenn man heute kritisch der Tierhaltung im Zirkus oder sogar im Zoo gegenüber steht, so stellt sich doch bald heraus, dass Eo dort auch Zuwendung und nicht nur Verpflegung bekommen hat. Eo wird in einen Laster verfrachtet und irgendwo wieder abgeladen. Man erkennt schnell, dass das Tier es hier nicht gut haben, dass es hier nur verwahrt werden wird. In dieser zweite Station soll es zum Beispiel Kinder therapeutisch beglücken.

Skolimowski, 1938 im polnischen Łódź geboren, wo er auch die Filmhochschule besuchte, begann seine Filmlaufbahn in Polen und ging dann nach Frankreich und in die USA. Sein erster internationaler Film, "Der Start", nahm 1967 an der Berlinale teil und gewann den Goldenen Bären. Er schrieb Drehbücher für Andrzej Wajda und Roman Polanski. Sein letzter großer internationaler Film war "Essential Killing", in dem ein mutmaßlicher afghanischer Taliban-Kämpfer in ein geheimes Gefängnis in Europa gebracht werden soll und der, nachdem er flüchten kann, durch die polnischen Wälder irrt.

In "EO" stellt Skolimowski die Menschen an den Rand. Sogar die Kamera, geführt von Michal Dymek, deutet streckenweise den Blick des Tieres auf seine Umwelt an. Skolimowski schafft es von Anfang an, dass sich das Publikum für das Schicksal des Tieres interessiert, mit ihm fühlt, und doch das Tier ganz klar als Tier wahrnimmt. Dabei wird nichts erklärt. Das Publikum weiß nicht mehr, als dieser Esel von den Umständen, warum die Menschen so handeln wie sie handeln. Warum es mal hier und mal dort landet. Der Esel, seiner ersten Umgebung entzogen, ist ein Herumstreuner, ohne Rechte, ohne eine Stimme, ohne eine Perspektive. Aber er ist ein Kämpfer, er reißt aus, er stromert herum, so leicht kann man das Tier nicht töten, auch wenn der Tod an jeder Wegegabelung wartet. Eo, der Esel, weiß seine Marken zu setzen, aber schlussendlich ist er ein Esel. Ein Tier, dass mit den Menschen nichts zu schaffen hat.

Skolimowski drehte mit mehreren Eseln. Karotten, so heißt es, waren am Set das wichtigste Utensil. Der Regisseur widmete auch die Drehpausen den Tieren. Den Film drehte er aus Liebe zu den Tieren und der Natur. "EO" zeigt ein Tier, das ganz Tier ist, kein Darsteller, und damit schafft Skolimowski eine ganz wahrhaftige Figur. Unser Mitgefühl, wenn uns denn die episodenhaften Ereignisse nicht kalt lassen, sollte uns sicherlich auch anregen unser Verhältnis zur Tierhaltung und zum Beispiel zum Fleischkonsum zu überdenken.

Elisabeth Nagy


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Darüber hinaus haben wir in Absprache mit unserer Kollegin Ulrike Schirm zwei ihrer inzwischen leicht abgeänderten Filmbesprechungen aus der letzten Woche mit kleinen Ergänzungen übernommen.

"WEISSES RAUSCHEN" satirische Tragikomödie von Noah Baumbach („Marriage Story“) seit 8.12.2022 für kurze Zeit im Kino. (USA 2022; 136 Min.) Mit Adam Driver, Greta Gerwig, Don Cheadle, Raffey Cassidy, Lars Eidinger, Barbara Sukowa und vielen anderen. Ab 30.12 2022 ist der OSCAR®-Beitrag "WHITE NOISE" nur noch auf NETFLIX zu sehen. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

USA, Mitte der 1980er Jahre. Der Universitätsprofessor Jack Gladney (Adam Driver) wird weltweit, wie ein Rockstar für seine Hitlerstudien gefeiert. Sein Arbeitsplatz, ein College im Mittleren Westen. Mit seiner inzwischen vierten Ehefrau Babbette (Greta Gerwig) bildet er eine Patchworkfamilie mit vier Kindern, wobei das jüngste Kind ihr gemeinsames ist. Obwohl es überhaupt keinen Grund dafür gibt, wird Jack von einer merkwürdigen Todesangst geplagt. Ähnlich ergeht es auch seiner Ehefrau, die heimlich besondere Psychopharmaka-Pillen schluckt, da auch sie unter Todesangst leidet und ohne „Dylar“-Placebos kaum schlafen kann.

Zu Beginn des Films erklärt Don Cheadle in seiner Rolle als durchgeknallter Filmprofessor Murray Siskind die Lust von Zuschauerinnen und Zuschauern am blutigen Schrecken und zeigt seinen Studentinnen und Studenten spektakuläre Szenarien mit Autounfällen. Seinem Kollegen Jack erzählt er, dass er ein Studienfach für Elvis Presley aufbauen will. Dieses Vorhaben beruht auf den Hitlerstudien seines Kollegen. Er sieht in beiden Figuren Parallelen. Beide hatten fürsorgliche Mütter, beide liebten Hunde.

Kurze Zeit später kommt es wirklich zu einem schrecklichen Autounfall zwischen einem Güterzug und einem Tanklaster (mit spektakulären, realitätsnahen Aufnahmen, die man so noch nicht gesehen hat). Es entwickelt sich eine toxische schwarze Wolke aus Chemikalien.

Die Menschen werden aufgefordert sofort zu evakuieren, wodurch sich ein Riesenstau von Flüchtenden auf der Autobahn bildet. Auch Jack mit seiner Familie ist darunter. Kann die Droge „Dylar“ die Furcht beseitigen? Noch versucht Jack seine Frau und die Kinder mit rationalen Argumenten zu beruhigen.

„Weisses Rauschen“ ist eine schrille Satire, die von ernsten Themen der heutigen Zeit handelt. In atmosphärisch dichten Horrorfilmsequenzen, wie die omnipräsente Todesangst der amerikanischen Mittelschicht, sich in ihren Alltag schleicht, sind gelungen.

Als Vorlage dient der Roman „White Noise“ von Don De Lillo aus dem Jahr 1985, eine satirische Dystopie über hemmungslosen Konsum, Placebo-Drogen und die Gier nach Sensationen, die von den wirklich wichtigen Fragen des Lebens ablenken sollen, ein Roman, der bisher als nicht verfilmbar galt.

Noah Baumbachs Film zeigt es auf bunte, komische ja, auch auf intelligente Weise aber auch ziemlich konfus zusammengesetzt und überdreht, punktet aber mit seinen satirischen Tönen.

Lars Eidinger spielt den Dealer, der Babbette die Droge besorgt. Wieder in einer seiner Paraderollen als Irrer in Unterhose, der von dem eifersüchtigen Jack aufgespürt wird. Das ist spannend.

Ein weiteres Highlight: Kurz bevor sich die Leinwand in einen grellbunten Supermarkt der Achtzigerjahre mit seinen damaligen Markenprodukten und tanzenden Konsumenten wandelt, hat Barbara Sukowa einen herrlichen Auftritt als Nonne, am Krankenbett von Jack und Babbette. Sie spricht folgenden Satz: „Unsere Aufgabe ist es zu glauben, was niemand ernst nimmt.“

Ulrike Schirm


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"EIN TRIUMPH" Komödie einer bunten Truppe von Häftlingen, die mit Samuel Becketts „Warten auf Godot“ das Theaterspielen erprobt. Nach einer wahren Geschichte, umgesetzt von Emmanuel Courcol (Frankreich, 2020; 106 Min.) Mit Kad Merad, David Ayala, Lamine Cissokho u.a. seit 8. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Vorwort: Samuel Beckett, geboren am 13. April 1906 in Dublin, gestorben am 22. Dezember 1989 in Paris.

Sein bekanntestes Werk ist „Warten auf Godot“, das am 5. Januar 1953 in Paris uraufgeführt wurde. Es gilt als Inbegriff des absurden Theaters. Zwei Männer warten auf einen dritten, der niemals kommt. Die Dialoge haben kein Ziel, man redet nur, um sich die Zeit zu vertreiben.

Genau dieses Stück hat der ambitionierte Schauspieler Etienne (Kad Merat „Willkommen bei den Schti´s“) im Auge, als er die Anfrage bekommt, in der örtlichen Haftanstalt einen Theaterworkshop mit den Insassen auf die Beine zu stellen.

Am liebsten würden die Gefangenen Stand-up-Comedy oder Komödien machen. Um das Talent der Männer, die sich für den Workshop gemeldet haben zu testen, schlägt Etienne Fabeln vor.

Fabeln gefallen ihnen nicht und das Auswendiglernen kommt auch nicht so gut bei ihnen an. Aber erst einmal müssen sie lernen, richtig zu atmen und dabei geht es ziemlich hitzig bei den Proben zu. Etienne muss viel Energie aufbieten, um die fünf Männer, die er ausgesucht hat, zu motivieren. Immer wieder appelliert er an ihren Stolz.

Schließlich haben sie sich auf Fabeln geeinigt und er hat ihre natürliche Begabung erkannt. Etienne, der selbst seit drei Jahren nicht mehr auf einer Bühne stand, interessiert es nicht, für welche Straftaten die Männer einsitzen. Für ihn sind sie Schauspieler.

Sein Ehrgeiz, mit ihnen zu arbeiten ist geweckt. Er schlägt ihnen das Stück „Warten auf Godot“ vor. Eine Fabel über das Warten, denn das sind die fünf ja hinreichend gewohnt. Das Abwesende spielt in ihrem Leben zur Zeit eh die Hauptrolle.

Es gilt so einige bürokratische Hürden zu überbrücken. Geprobt werden soll auf einer richtigen Bühne außerhalb des Gefängnisses. Die Probenarbeit soll sechs Monate betragen. Seine Forderungen stellen die Gefängnisdirektorin (Marina Hands) auf so manche harte Probe. Mit seinen Schülern macht er die üblichen Schauspielübungen und ermahnt sie immer wieder, ja nicht durch den Text zu hetzen. Alles gar nicht so einfach mit den „Knackis“. Auf der Hin-und Rückfahrt zu den Proben sind täglich zwei Wärter dabei. Nach ihrer Rückkehr im Knast, werden die Männer regelmäßig gefilzt. Einer von ihnen hat keine Lust mehr zu proben. Er möchte lieber arbeiten. Ein Neuer, der angeblich Beckett-Stücke liebt, kommt hinzu. Der Austausch bewirkt jedoch Ärger bei der Gefängnisleitung.

Als sie mal wieder vom Filzen genervt sind, brüllen sie ihre Dialoge aus den geöffneten Zellenfenstern lauthals hinaus auf den Hof. Dies macht ihnen einen Heidenspaß, denn alle Gefangenen hören mit, was bei einigen allerdings nicht gut ankommt.

Die Proben gehen dennoch voran. Sie erfreuen sich an ihren Kostümen und entwickeln das Bühnenbild.

Premiere im Theatre de la Croix Rousse. Der Beifall ist groß. Die Männer haben ihr Bestes gegeben. Man spürt, wie stolz sie auf sich sind. Etienne ist enttäuscht, weil seine Tochter nicht zur Aufführung gekommen ist. Die Premierengeschenke dürfen sie nicht behalten. Und wieder folgt die übliche Leibesvisitation. Sie fahren von Vorstellung zu Vorstellung. Selten hat man erlebt, dass Becketts berühmtes Stück mit einer solchen Inbrunst und Realitätsnähe gespielt wird. Danach fühlen sie sich nicht mehr respektiert. Immer wieder folgt die leidige Leibesvisitation.

Wärter wütend: „Wir machen die Drecksarbeit, während die sich draußen feiern lassen.“ Die Männer sind genervt und provozieren die Wärter. Dafür wurden sie in den Strafblock gebracht.

Das Auftrittsangebot des berühmten ODEON THEATRE L'EUROPE in Paris lässt die Richterin nicht zu. Im TV verfolgt sie ein Interview der fünf Schauspieler, deren Stolz auf sich, positiv zum Ausdruck kommt. Hat sie ihre Meinung geändert?

„Die Schauspieler bitte zum Auftritt“, ertönt es über die Sprechanlage. Auch Etiennes Tochter ist diesmal im Publikum. Doch wo sind seine harten Jungs Moussa, Kamel, Patrick, Jordan und Alex?

Das Ende hält eine gewaltige Überraschung des Theaterabenteuers bereit, die einen zu Tränen rührt.

Samuel Beckett: „Das ist das Schönste, was meinem Stück passieren konnte“, sagte er damals, als er davon hörte.

"EIN TRIUMPH", von Emmanuel Coucol, wurde für den Cannes-Festival Jahrgang 2020 ausgewählt und bei den 33. Europäischen Filmpreisen als Beste Europäische Komödie des Jahres ausgezeichnet. In diesem Film steckt viel Herz und Humor und macht Freude beim Anschauen.

Ulrike Schirm


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