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Cannes 2022 im Schatten des Ukraine-Kriegs

Cannes gilt als eines der wichtigsten Filmfestivals der Welt, zeigte 2022 aber nur wenige politische Filme und präsentierte zur Halbzeit auch noch keine Favoriten.



Unter den 21 Wettbewerbsfilme war zur Halbzeit noch kein Favorit in Sicht. Obwohl das Festival mit standing ovations für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj begann, dessen Rede im Festivalpalais auf der großen Leinwand übertragen worden war, präsentierte sich der Wettbewerb anfänglich nahezu unpolitisch.

Nur in der Nebensektion »Un certain regard« wurde mit dem Ukrainischen Film "Butterfly Vision" eine Geschichte von so vielen- vom Krieg in der Ukraine, dessen Ende nicht in Sicht ist, gezeigt. Das Werk erzählt die Geschichte von Lilia. Die 29-jährige Soldatin kehrt nach zwei Monaten Kriegsgefangenschaft im Donbas zu ihrer Familie zurück und merkt, dass sie schwanger ist - von ihrem Wächter, der sie vergewaltigt hat.

Das Werk ist das Spielfilm-Debüt des ukrainischen Filmemachers Maksim Nakonechnyi. Die Idee dazu kam ihm, als er einen Dokumentarfilm über den Konflikt im Donbas drehte. Er ist einer der vielen ukrainischen Filmschaffenden, die im Land geblieben sind, um zu dokumentieren, was dort aktuell passiert und um es der Welt zu erzählen- wie auf den Filmfestspielen in Südfrankreich.

Im offiziellen Hauptprogramm zeigte nur Oscar-Preisträger Forest Whitaker mit "For the Sake of Peace" einen aktuellen politischen Film. Die Produktion über den Krieg im Südsudan lief jedoch nicht im Wettbewerb, sondern wurde als special Screening präsentiert.

"Der Südsudan ist der jüngste Staat der Welt, der sich im Krieg mit sich selbst befindet, mit mehr als 350.000 getöteten Menschen seit seiner Gründung im Jahr 2011", heißt es in der Beschreibung zum Film. Im Land herrscht Gewalt, oft zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, die häufig in tödlichen Angriffen endet.Eine der Hauptfiguren des Films ist eine junge Frau, die versucht, zwischen zwei verfeindeten Gruppen Frieden herzustellen.


Ein paar politische Töne wurden aber auch bei einer Diskussion mit mit Pressevertretern in der Jury angeschlagen. Nachdem in der Vergangenheit immer öfter der mangelnde Anteil von Regisseurinnen auf dem Filmfestival kritisiert worden war, schockierte diesmal die britische Regisseurin und Schauspielerin Rebecca Hall - als Teil der Cannes-Jury - mit folgender Aussage die Presse:

sie sehe noch keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und Minderheiten in der Filmindustrie.


Die Pandemie spielte in diesem Jahr auf dem roten Teppich keine große Rolle mehr. Nur im Kino selber wurden die Besucherinnen und Besucher von den Veranstaltern gebeten, Masken zu tragen. Deshalb wurden sogar eigens mit dem Logo des Filmfestivals versehene Masken verteilt, die aber als dankbares Souvenir meist schnell wieder in den Taschen verschwanden.

Der wahrscheinlich beste Film des diesjährigen Wettbewerbs kam mit "Decisions to Leave" von dem südkoreanischen Regisseur Park Chan-Wook. Er gehört zu den wenigen Regisseuren, die sich noch trauen, mit dem Medium Film zu spielen, woraus große Filmkunst entsteht, die clever konstruiert ist und kunstvoll gefilmt. Der Film erzählt die Geschichte eines Polizisten, der den Tod eines Mannes untersucht, der von einer Klippe gestürzt ist. Die Ehefrau gerät in Verdacht, doch nach und nach verliebt sich der Kommissar in die Verdächtige.

Einer der provokantesten Filme des diesjährigen Festivals war die Satire "Triangle of Sadness" von Ruben Östlund. Er greift die High Society der Superreichen, die mit ihren teuren Yachten im Hafen von Cannes an der Côte D’azur liegen direkt an und holt zum Rundumschlag gegen diese Schicht aus.

Ein beeindruckend aktuelles, wenn auch tief trauriges Werk über den scheinbar nicht ausrottbaren alltäglichen Rassismus, hat der rumänische Regisseur Cristian Mungiu mit seinem Drama "R.M.N" geschaffen. Der Film erzählt von einem Dorf in Transsylvanien, in dem Rumänen und Ungarn Seite an Seite leben. Doch das friedliche Dorf wird erschüttert, als die ansässige Großbäckerei zwei Mitarbeiter aus Sri Lanka einstellt. Was folgt sind Vorurteile, ganz nach dem Motto: „Ich habe nichts dagegen, solange sie in ihrem Land bleiben.“

Wie die Jury sich in diesem Jahr entscheidet, werden wir spätestens am Sonntag in den Medien lesen können.

DIE 21 FILME DES WETTBEWERBS:

"Les Amandiers" (Frankreich, Regie: Valeria Bruni Tedeschi)

"Armageddon Time" (USA, Brasilien, Regie: James Gray)

Boy from Heaven (Schweden, Regie: Tarik Saleh)

"Broker" (Südkorea, Japan, Regie: Hirokazu Koreeda)

"Close" (Belgien, Frankreich, Niederlande, Regie: Lukas Dhont)

"Crimes of the future" (Kanada, Griechenland, Frankreich, Regie: David Cronenberg)

"Decision to Leave" (Südkorea, Regie: Park Chan-wook)

Eo (Polen, Italien, Regie: Jerzy Skolimowski)

"Frère et sœur" (Frankreich, Regie: Arnaud Desplechin)

"Holy Spider" (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Schweden, Regie: Ali Abbasi)

"Leila’s Brothers" (Iran, Regie: Saeed RoustayiIran)

"Nostalgia" (Frankreich, Regie: Mario MartoneItalien)

"Le otto montagne" (Italien, Belgien, Frankreich, Regie: Felix Van Groeningen, Charlotte Vandermeersch)

"Pacifiction – Tourment sur les îles" (Frankreich, Deutschland, Portugal, Spanien, Regie: Albert Serra)

"Un petit frère" (Frankreich, Regie: Léonor Serraille)

"R.M.N." (Rumänien, Belgien, Frankreich, Regie: Cristian Mungiu)

"Showing Up" (USA, Regie: Kelly Reichardt)

"Stars at Noon" (USA, Regie: Claire Denis)

"Tori et Lokita" (Belgien, Frankreich, Regie: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne)

"Triangle of Sadness" (Schweden, Vereinigtes Königreich, USA, Frankreich, Griechenland, Regie: Ruben Östlund)

"Zhena Chaikovskogo" (Russland, Frankreich, Schweiz, Regie: Kirill Serebrennikow)

Link: www.festival-cannes.com

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