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Aktuelle Filme im Kino und fünf Doku-Streams über den Ukraine-Russland Konflikt

Aus gegebenem Anlass stellen wir neben zwei aktuellen Kinofilmen nachfolgend vom DOK.fest München ausgewählte Dokumentarfilme aus TV und Mediatheken vor, die sich mit den seit 2014 andauernden territorialen Auseinandersetzungen in der Ukraine befassen.



Filme über den Ukraine-Russland Konflikt.

"LANGES ECHO"
Deutschland 2017, Veronika Glasunowa, Lukasz Lakomy, 87 Min.

Dobropillja liegt in der Ostukraine, 70 Kilometer entfernt von der umkämpften Grenze zu den von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebieten. Auf den ersten Blick scheint der Konflikt im Leben der Stadtbewohner*innen nur eine Randnotiz zu sein. Sie gehen ihrem Alltag nach, als Zoodirektor und Museumsführerin, in Heavy-Metall-Bands o-der im Club für einsame Herzen. Und doch dringt der Donner der nahen Front auch hier in das Leben der Menschen ein und legt sich wie ein Grauschleier über die Stadt. Langes Echo erzählt mit der intensiven Schilderung des Alltags in teils skurrilen Szenen vom Leben der Einwohner*innen an der Peripherie eines fast schon wieder vergessenen Krieges.

Verfügbar bei Kino on Demand (2,99€).


"LIKE DEW IN THE SUN"
Schweiz 2016, Peter Entell, 108 Min.

Vor einem Jahrhundert mussten die Großeltern des Filmregisseurs Peter Entell aus der Ukraine fliehen, einem Land, das von Krieg und Massakern zerrissen war. Hundert Jahre später sieht sich Entell mit demselben zerstörerischen Nationalismus konfrontiert. Peter Entell führt uns über Kontrollpunkte hinweg von den loyalen Ukrainern zu den prorussischen Separatisten. Dabei geht es nicht darum, zu zeigen, wer Recht oder Unrecht hat - die Menschheit selbst wird besiegt.

Verfügbar unter dafilms (2,50€).


"THE DISTANT BARKING OF DOGS" (DOK.international 2018)
Dänemark 2017, Simon Lereng Wilmont, 91 Min.

„Die Front geht genau hinter diesen Hügeln los. Als die Soldaten kamen, zogen die Leute weg. Aber wir ziehen nicht weg.“ Wo sollten sie auch sonst hin – Oleg, 10, und seine Großmutter? Also bleiben die beiden im immer leerer werdenden ostukrainischen Dorf, was viel Freiraum für Oleg bedeutet, aber auch eine beängstigende Nähe zu Explosionen und Gefechten. Zuletzt sind sie nur noch zu zehnt bei der Evakuierungsübung in Olegs Klasse. Über ein Jahr begleitet der berührende Film den Jungen und zeigt, wie er seine kindliche Unbeschwertheit mehr und mehr verliert, aber trotzig durchhält, getragen von der liebevollen Beziehung zu seiner Großmutter und zu seinen Freunden. Der Film erhielt 2017 den IDFA Award for Best First Appearance.

Verfügbar auf Vimeo (5,51€).


"OLEG'S CHOICE"
Frankreich 2016, Valérie Montmartin, 75 Min.

Eigentlich wollte er nur drei Tage bleiben, mehr ein Urlaubsabstecher. Aber nun ist Oleg, ein Russe aus Westsibirien, schon ein Jahr dabei – mittlerweile Kommandant eines Bataillons aus Freiwilligen, die keiner gerufen hat, scheinbar niemand kontrolliert und die in keiner offiziellen Armee dienen. Des Geldes wegen sind sie nicht gekommen, sondern aus Patriotismus, für Russland, das es im ukrainischen Donbass zu verteidigen gilt. Warum sie ihr Leben dort, fern der Heimat riskieren, wollen die Journalistin Elena Volochine und der Fotoreporter James Keogh wissen.

Verfügbar auf Amazon Prime (ab 1,99€) und Apple TV (ab 0,99€).


"THE EVENT"
Niederlande, Belgien 2015, Sergei Loznitsa, 70 Min.

Im August 1991 beendete ein gescheiterter Staatsstreich, angeführt von einer Gruppe von Hardcore-Kommunisten in Moskau, die 70-jährige Herrschaft der Sowjets. In Leningrad strömten Tausende von verwirrten, verängstigten, aufgeregten und verzweifelten Menschen auf die Straßen, um an dem Ereignis teilzunehmen, das ihr Schicksal verändern sollte.

Verfügbar auf Mubi.

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Der mehrfach in der HBO Fantasy-Fernsehserie "Games of Thrones" als »Bester Nebendarsteller« ausgezeichnete, kleinwüchsige US-Schauspieler Peter Diklage, der sogar deutsche Wurzeln hat, wurde jetzt in dem aktuell angelaufenen Kinofilm "CYRANO" auch als »Bester Hauptdarsteller« für die anstehenden Oscars® der Academy Awards nominiert.

Zu seinen Darstellungen im Film und beim Theater äußerte er sich kürzlich, dass er immer versucht habe, seinen Rollen einen tieferen Sinn gegen jegliche Ausgrenzung zu geben. Im Falle der tragischen Liebesgeschichte des Theaterklassikers "Cyrano de Bergerac" von Edmond Rostand, bei dem der Hauptakteur des Versdramas eigentlich eine übergroße Nase im Stil von Pinocchio hat, ließ man dieses Handikap in der neuen Musical-Verfilmung von Joe Wright glücklicherweise weg, damit alle, die irgendeine physische Behinderung aufweisen, angesprochen sind, um dennoch die Hoffnung geliebt zu werden, nicht aufgeben.

Im übertragenen Sinne dürfte dies auch auf Kriegsversehrte zutreffen, um somit im weitesten Sinne auch einen Bezug zum aktuellen Tagesgeschehen in der Ukraine herzustellen.

"CYRANO" Musical-Drama von Joe Wright (Großbritannien). Mit Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr. u.a. seit 3. März 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Musical-Verfilmung des klassischen Versdramas Cyrano de Bergerac)

Peter Dinklage („Game of Thrones“) spielt den tragischen Titelhelden in Joe Wrights Musical-Verfilmung von „Cyrano de Bergerac“, eine der größten Liebesgeschichten der Welt.

Edmond Rostands Theaterstück (1897) wurde schon mehrmals verfilmt und ist das meist gespielte Stück auf französischen Theaterbühnen.

Frankreich, Ende des 17. Jahrhunderts. Der kleinwüchsige Armee-Offizier Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) ist ein exzellenter Poet und ein furchtloser Schwertkämpfer. Heimlich ist er in seine Cousine und Freundin Roxanne (Haley Bennett) verliebt, traut sich aber aufgrund seines Aussehen nicht, ihr dies zu gestehen. „Mein Schicksal ist es, sie nur aus der Ferne zu lieben“.

Nach einem Fecht- und Degenduell, trifft sich Roxanne mit Cyrano und erzählt ihm, dass sie verliebt ist. Ein ganz kurzer Moment der Freude huscht über sein Gesicht. Nein, nicht er. Es handelt sich um einen neuen, gut aussehenden Rekruten aus seinem Regiment, der Christian heißt. (Kelvin Harrison Jr.)

Auch Christian hat sich in die hübsche Roxanne verliebt, hat aber Schwierigkeiten für seine Liebe die richtigen Worte zu finden, denn Roxanne lässt sich nicht mit Allerweltsfloskeln abspeisen.

In einem ihrer Songs heißt es: „Ich brauche mehr, mehr als die Worte ich liebe dich“.

Ahnungslos bittet Christian Cyrano, ihm romantische Liebesbriefe zu schreiben, die er als seine ausgibt. Was für eine Hingabe steckt in Bergerac, indem er den Kadetten unter seine Fittiche nimmt und sich als Ghostwriter betätigt, um seine Liebe glücklich zu sehen. Und was für eine Tragik ist es, seine eigenen Worte einem anderen in den Mund zu legen und selbst im Schatten zu bleiben.

Wright orientiert sich zwar an der historischen Vorlage, doch diese Neuinterpretation stammt von Erica Schmidt, Dinklages Ehefrau, Autorin und Theaterregisseurin, die das Stück zum Musical adaptiert hat und mit ihrem Mann in der Hauptrolle 2018 uraufgeführt hat. Für die Verfilmung schrieb sie das Drehbuch.

Roxanne ist eine starke Persönlichkeit, die aus verarmten Adel stammt und eigentlich den despotischen und eifersüchtigen Herzog de Guiche (Ben Mendelsohn), der ihr den Hof macht, heiraten soll, zieht den jungen, hübschen Kadetten aber vor: „Ich lass mich nicht retten! Ich bin nicht in Not, singt sie laut heraus und tanzt dabei durch ihre Gemächer. Gesungen wird überhaupt viel in den historischen Kulissen, in den farbenprächtigen Kostümen und den malerischen Landschaftsaufnahmen, die auf Sizilien gedreht wurden.

Die Liebesduette werden jeweils zu dritt gesungen: Roxanne, Christian und dem Souffleur de Bergerac.

Die Songs stammen von The National, der Indie -Sensation aus Cicinnati. Sie unterstreichen nicht nur die Handlung, sondern führen sie auch weiter. Die Musik wurde extra für diesen Film geschrieben.

Aber, um es kurz zu machen: Dinklage überstrahlt mit seinem Spiel den gesamten Cast.

Hatten die Protagonisten sonst den „Makel“ einer großen unförmigen Nase unter dem sie litten, ist es hier der Kleinwuchs des Hauptdarstellers, den er nicht nach Drehschluss einfach ablegen kann, sowie die Kollegen ihre vom Maskenbildner gebastelte Nase und munter weiter leben. Dinklage schafft es, den Zuschauer tief zu berühren. Der Schmerz des Verlustes und seine Angst, sich lächerlich zu machen, sitzt bestimmt seit Kindertagen in ihm drin und er weiß genau wie sich das anfühlt, was seiner Figur eine besondere Tiefe und Glaubwürdigkeit gibt. Auch seine schmachtenden Blicke sind von einer Intensität, die man nicht so leicht nachmachen kann.

Nur wirklich singen kann er nicht. Ganz im Gegensatz zu Kelvin Harrison Jr., der mit schöner Stimme das singt, was ihm ein anderer, mit weniger Stimme, souffliert. Aber das Unperfekte hat in diesem Fall einen besonderen Charme.

Ulrike Schirm


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"WAS TUN?" Dokumentarfilm von Michael Kranz über Zwangsprostitution in Bangladesch (Deutschland). Mit Nupur, Redhoy, Chanchalla Mondall, Shymal Adhikary, Monika, Padma und die Bondhu-Kids. Seit 3. März 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ein 15-jähriges Mädchen in einem roten Sari sitzt auf einem schäbigen Bett. Sie hält inne, sucht nach Worten und unterbricht zögernd das Interview: „Gibt es keinen anderen Weg für uns Frauen als den des Leides? Gibt es überhaupt einen Weg?“ Der Dokumentarfilmstudent Michael Kranz sieht diese Szene in der Dokumentation „Whore's Glory“ von Michael Glawogger und sie lässt ihn nicht mehr los.

„Aus guten Gründen nichts getan habe ich schon oft genug“ sagt sich Kranz und beschließt, sich auf den Weg nach Bangladesch zu machen, um diese junge Prostituierte zu finden und sei es noch so naiv. WAS TUN? Soll man einem Hilfe-Impuls nachgehen oder wie soll man mit dem Leid in fernen Ländern umgehen, das man nur medial kennenlernt.

Er tut es. Mit dem Filmausschnitt auf seinem Handy und seiner Kamera, fliegt er nach Bangladesch und macht sich auf die Suche nach dem Mädchen.

Er reist nach Faridpur und hält überwiegend Männern auf den Märkten und Straßen, das Video mit dem Mädchen vor die Nase, in der Hoffnung jemand erkennt sie und weiß, wo sie ist. Immer tiefer begibt er sich in die Welt der Zwangsprostitution und der Zuschauer bekommt Einblicke in die Komplexität des gnadenlosen Geschäfts mit der käuflichen Sexualität in einem muslimischen Land, in dem man nicht das Wort Sexarbeiterin in den Mund nehmen darf, ohne bestraft zu werden.

Kranz ist berührt von der Armut, der Gewalt und der gesellschaftlichen Ächtung die die Prostituierten in Faridpur erfahren. Sind sie erst einmal aus ihrem Familienband herausgerissen, egal aus welchem Grund, ist es kaum möglich für sie, ein finanziell eigenständiges Leben zu führen.

Auch ihre Familien nehmen die „Entehrten“ nicht mehr auf. Wer entkommt, landet in einem“ Regierungsheim“, ein staatliches Frauenhaus, das einem Gefängnis gleicht. Die Fenster sind vergittert und Stacheldraht umgibt das Gebäude. Wenigstens werden sie nicht mehr vergewaltigt, so zynisch das auch klingt. Ist man das Kind einer Zwangsprostituierten, ist einem der Schulbesuch verwehrt.

Michael Kranz, Schauspieler und Dok-Filmer, legt den Fokus hauptsächlich auf die persönlichen Begegnungen mit den Menschen vor Ort, schließt Freundschaften und zeigt eine großherzige Hilfsbereitschaft, denn er hat das Privileg, dass sich ihm alle Türen öffnen, auch die, die vielen Einheimischen verschlossen bleiben, denn er hält eine Kamera in der Hand und kann sich dadurch leichter überall einmischen und das macht er reichlich. Auch wenn die Kamera zum Objekt einer Selbstinszenierung wird, den Bordell- Kindern, die ein Zuhause in einem von ihm mitgegründeten Heim gefunden haben, ist das wurscht. Jedenfalls hat Kranz mit seinem Einsatz und seinem Idealismus Positives getan und wenn es auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Das Mädchen in dem roten Sari hat er übrigens gefunden.

"WAS TUN?" ist sein Abschlussfilm der bayerischen Hochschule für Film und Fernsehen in Müncehn. Seine Erstaufführung hatte sein Film 2020 auf dem DOK.fest München.

Er hat den gemeinnützigen Bondhu Förderverein Deutschland e.V. gegründet, mit dem er Frauen und Kinder in Bordellen in Bangladesch unterstützt und sich gegen Zwangsprostitution einsetzt.

Ulrike Schirm


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Sonst noch aktuell im Kino:

"Dem Leben entgegen - Kindertransporte in Schweden"
Ein eher vergessenes Kapitel der Zeitgeschichte ist der Dokumentarfilm von Gülseren Sengezer über Kindertransporte, mit denen humanistische Organisatoren versuchten, jüdische Kinder in Deutschland und Österreich vor dem Zugriff der Nazis zu retten.

"The Card Counter" Thriller von Paul Schrader über einen ehemaligen Elite-Soldaten, der zahlreiche Gräuel im Irak-Gefängnis Abu Ghraib begangen hat und nun mit seinem Pokerface an Roulette- und Karten-Tischen versucht, finanziell über die Runden zu kommen.

"Trouble Every Day" Genre-Erotik-Thriller von Claire Denis. Ulrike Schirms Besprechung des französischen Vampirfilms, der mit 20 Jahren Verspätung nach seiner Erstaufführung beim Festival de Cannes nun erst jetzt nach Deutschland kommt, ersparen wir uns angesichts der blutigen Ereignisse in der Ukraine. Wer die Kritik dennoch lesen möchte, findet diese hier.

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