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Besprechung des ukrainischen Generation Beitrags und zwei aktuelle Filmkritiken im Feb. 2022

Unsere Besprechung des ukrainischen Generation Beitrags der 72. Internationalen Filmfestspiele Berlin sowie zwei weitere aktuelle Filmkritiken.



Wie in unserem letzten Eintrag vom Samstag, den 26.02.2022 angekündigt, folgt heute angesichts der fortwährenden Bombardierung der Ukraine durch russische Streitkräfte, unsere Besprechung zum zweiten ukrainischen Filmbeitrag auf der 72. Berlinale.

Neben dem bereits am 24.02.2022 besprochenen Panorama Beitrag "Klondike" von Maryna El Gorbach, lief in der Sektion »Generation« der nicht minder aktuelle Streifen "Terykony" von Taras Tomenko.

"TERYKONY" ('Boney Piles'; 'Taubes Gestein') Dokumentarfilm von Taras Tomenko über das Mädchen Nastya aus einer kleinen ukrainischen Bergbaugemeinde 82 km nördlich von Donezk, die seit 2014 fast täglich unter Beschuss der russischen Separatisten geriet. Hier nochmals der Trailer:



('Taubes Gestein' ist im Bergbau die Bezeichnung für die überflüssigen Gesteinsmassen die bei der Gewinnung von Bodenschätzen anfallen und als Abraummaterial zu Bergen aufgetürmt werden.)

Elisabeth' Filmkritik:

Mit dem Blick auf Schotter und Staub beginnt der ukrainische Film "Terykony" (der internationale Titel ist "Boney Piles", der deutsche "Taubes Gestein"). Die Gegend ist bekannt für diese markanten Schotteranhäufungen, die kleine Hügel bilden. Die Kamera zeigt eine Gruppe von Kindern im schummrigen Licht. In dieser Dreckwolke wirken sie wie Silhouetten. Dann nimmt der Film diese Kinder in den Fokus. Der Regisseur Taras Tomenko hebt aus der Gruppe Nastya hervor. Ihre Geschichte steht hier stellvertretend für Tausende anderer. Offiziellen Zählungen zufolge leben rund 10.000 Kinder in der Donbas-Region, die seit Jahren von Waffenkämpfen gezeichnet ist.

Nastya war erst sechs Jahre alt, als ihr Haus 2015 von Granaten getroffen wurde. Seitdem wächst sie weitgehend sich selbst überlassen auf. Der Vater kam ums Leben, die Mutter ist vom Schicksal gezeichnet. Nastya ist 14 Jahre alt. Sie lebt in Toretsk, 82 km von Donetsk entfernt. Eine Gegend, die einst von der Kohle lebte. Seitdem die Minen geschlossen wurden, gibt es keine Arbeit mehr. Nastya hat keine Zukunft, doch sie ist jetzt alt genug, um offizielle Identitätspapiere zu beantragen.

Tomenko und sein Kameramann Misha Lubarsky folgen den Kindern, bleiben dabei leise Beobachter, deren Anwesenheit den Kindern gar nicht mehr auffällt. Die Kinder versuchen sich als Sternsinger, um ein paar Scheine zu ergattern. Um die Aufteilung wird durchaus gefeilscht. Oder sie sammeln Altmetall, das immerhin noch einen Wert hat und auf dem Werthof verkauft werden kann. Die Häuser sind zerstört und wer je eine Faszination für Lost Places verspürt hat, wird hier mit der Realität konfrontiert. Die Ruinen sind die Zeugen jahrelanger Kämpfe und darüber kann auch die Verzierung mit Farbklecksen nicht hinwegtäuschen. Die Kinder stöbern auch im Schutt in der alten Schule, fischen ein Buch heraus und lesen von der Bühne in der großen Halle daraus vor. Eine Szene, die klar stellt, dass die Kinder um ihr Schicksal wissen. Die ehemalige Schule liegt nur 800 Meter von der Kriegslinie entfernt.

Jüngere Kinder als Nastya kennen nur den Krieg. Sonst nichts. Der Tod ist überall, auch in ihren Köpfen. Es ist erschreckend, denn diese Kinder bewahren sich trotzdem ein Stück Kindheit und haben Träume. Die Berlinale zeigte "Terykony" in der Sektion Generation und dort sogar im Kplus-Programm für Kinder unter 14 Jahren. Seit Jahren findet man in dieser Sektion großartige Filme, die nicht nur ein Kinderpublikum ansprechen. Trotzdem ist der Blick der Presse eher auf die Hauptwettbewerbe ausgerichtet. Auch filmisch ist "Terykony" herausragend. Die Bilder sind wunderschön und schonungslos dystopisch zugleich. Die jungen Mitwirkenden, die uns hier einen Einblick in ihren Alltag gewähren, zeigen uns ihren Alltag und ihre Heimat. Es ist ihre Heimat, aber kein Zuhause.

Elisabeth Nagy

"Taubes Gestein"
Dokumentarfilm, Ukraine 2022
Regie: Taras Tomenko
Bildgestaltung: Misha Lubarsky
Montage: Viktor Malyarenko
Musik: Alla Zagaykevych
Ton: Olha Havrylenko


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Um Konflikte geht es auch im Film "Belfast", allerdings aus Sicht eines kleinen, unerfahrenen neunjährigen Jungen, womit Regisseur Kenneth Branagh in seinem Drehbuch ein ziemlich weichgespültes Drama um den Anfang des Nordirlandkonflikts der Jahre 1969 bis 1998 präsentiert.

Allerdings kann, durch das von Englands Premierminister Boris Johnson unsauber durchgeführte Brexit-Abkommen jederzeit der Konflikt zwischen den zu England sich zählenden protestantischen Nordiren und den für ein unabhängiges Irland eintretenden irischen Katholiken, das ausgehandelte Friedensabkommen jederzeit wieder auf der Kippe stehen.

"BELFAST" Drama von Kenneth Branagh (Großbritannien). Mit Caitriona Balfe, Jamie Dornan, Jude Hill, Judi Dench u.a. seit 24. Februar 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der neunjährige Buddy (Jude Hill) lebt mit seiner protestantischen Familie in einem Arbeiterviertel von Belfast. Er vermisst seinen Vater (Jamie Dornan) der in England eine Arbeit gefunden hat und nur an zwei Wochenenden im Monat nach Hause kommt. Gehör, bei allem was Buddy bewegt, findet er bei seinen Großeltern (Judi Dench und Ciarán Hinds). Er will der beste Fußballer der Welt werden und seine katholische Klassenkameradin Christine heiraten.

In dichten Schwarz-Weiß-Bildern erzählt Kenneth Branagh in „Belfast“ von seiner Kindheit, wie seine Eltern und Großeltern alles getan haben, um ihm eine glückliche Jugend zu geben und an die er sich 50 Jahre später noch episodenhaft als Buddy erinnert.

Sommer 1969. Das Leben spielt sich meistens auf der Straße ab, jeder kennt jeden, man sitzt zusammen, unterhält sich, Kinder spielen und man wusste wo man hingehört. Buddy ist mit seinen Holzschwertern zugange, als plötzlich ein wütender protestantischer Mob in ihre ruhige Straße einbiegt und die Fensterscheiben der katholischen Nachbarn einschlägt, Autos anzündet und aus politisch-religiöser Überzeugung von einer Zerstörungswut besessen ist.

Buddys Mutter schafft es gerade noch, ihn und seinen großen Bruder Will in die Wohnung unter einen Tisch zu ziehen um sie zu schützen und ihnen auch die Zeit zu geben, um zu verstehen, was da gerade passiert. Mit dieser Erinnerung beginnt Branaghs Film, erzählt aus der Sicht seines Alter Egos Buddy, sein Leben in Armut, die Liebe zu seinen Eltern, die weisen Ratschläge des Großvaters und der Freude, wenn der Vater nach Hause kam und sie ins Kino einlud, bis ein Akt der Gewalt die Lebensumstände des Jungen veränderte. Das Kino war für ihn Flucht und Vergnügen zugleich und eine Art Spiegel durch den er die Geschehnisse in seiner Umgebung betrachtete.

Die Eltern überlegen Belfast zu verlassen, obwohl ihre ganze Familie in dem Ort tief verwurzelt ist. Es ist nicht nur der Hass und die Gewalt auf den Straßen, die Eltern haben auch noch Geldsorgen. Für die Mutter (Caitriona Balfe) ein unerträglicher Gedanke. Sie war noch nie an einem anderen Ort. Wer soll sich dann um die kränklichen Großeltern kümmern?

Belfast in ein heißer Kandidat für den Oscar in diesem Jahr. Den Golden Globe für das beste Drehbuch hat er bereits bekommen. Diese warmherzige und bewegende, traurige und auch lustige Liebeserklärung an seine Heimatstadt Belfast ist großes emotionales Kino. Schon wenige Szenen zwischen Buddy und seinen Großeltern reichen um von Branaghs Jugenderinnerungen emotional berührt zu sein. Die Musik von Van Morrisson unterstreicht das Ganze auf nostalgische Weise.

Ulrike Schirm


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"KING RICHARD" Biopic-Drama von Reinaldo Marcus Green (USA). Mit Will Smith, Jon Bernthal, Saniyya Sidney, Demi Singleton, Aunjanue Ellis, Tony Goldwyn u.a. seit 24. Februar 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Will Smith brilliert als Vater von Serena und Venus Williams, der die beiden zu Tennisstars macht)

Schon vor der Geburt seiner Kinder schrieb Richard Williams ausgeklügelte Tennispläne.

Mit seinem unerschütterlichen Ehrgeiz und auch großer Liebe führt „King Richard“ seine beiden Töchter, Venus und Serena, aus einer Arbeitersiedlung bei Los Angeles, wo Gewalt und Drogen die Straßen beherrschen, bis an die Weltspitze des Frauen-Tennis.

„Wer nicht plant, plant den Absturz“ steht auf einem Plakat, das der fünffache Familienvater am Zaun des Tennisplatzes, auf dem er mit seinen beiden Töchtern mit einfachen Mitteln trainiert, angebracht hat und das macht er bei Wind und Wetter. Nachbarn hetzen ihm deswegen sogar die Polizei und Jugendamt ins Haus, natürlich Weiße. Energisch versteht er es, sich zu verteidigen und sein Verhalten zu begründen, denn das hat er als Farbiger früh gelernt.

Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. Richard arbeitet nachts als Sicherheitsmann und seine Frau tagsüber als Krankenschwester, um die fünf Kinder zu ernähren, die sich alle ein Kinderzimmer teilen müssen. Die freie Zeit verbringt der Vater mit der Hilfe seiner Frau Brandy (Aunjanue Ellis) auf öffentlichen Tennisplätzen.

„Wenn die Kinder Champions werden sollen, brauchen sie einen richtigen Trainer und bessere Tennisplätze“, meint seine Frau. Doch die Ausbildung bei einem Profitrainer ist für die Familie unbezahlbar. Besonders bei zwei Tennisspielerinnen.

Richard weiß, dass sie recht hat. Mit seinem klapprigen VW- Bus sucht er neue Plätze auf und versucht weiße, wohlhabende Männer zu finden, die die Ausbildung seiner Töchter unterstützen. Aufdringlich und schlitzohrig geht er dabei vor. Es ist ihm auch völlig egal, wenn er es dann geschafft hat, bis in die weiße Oberschicht vorzudringen, diese aber vor den Kopf zu stoßen, wenn sie seine Bedingungen nicht akzeptieren.

Auch wenn man ab und zu den Kopf schüttelt, schnell begreift man, dass er fest gesteckte Ziele verfolgt, um den Mädchen ein besseres Leben zu bieten. Es ist spannend ihm dabei zuzuschauen wie geschickt er das macht, denn hinter all dem steckt eine strenge Liebe und ein starkes Selbstbewusstsein seinerseits, er, der quasi aus dem Ghetto kommt, sich mit Sportfunktionären anzulegen und Forderungen zu stellen, die für Venus (Saniyya Sidney) und Serena (Demi Singleton) noch genügend Freiraum lassen. „Alles was ich will, ist meine Kinder zu beschützen“.

Regisseur Reinaldo Marcus Green hat mit „King Richard“, „Gott sei Dank“, kein typisches Sport-Biopic gedreht, sondern eine anrührende Familiengeschichte. Er schafft es, den Zuschauer immer wieder zu packen, auch wenn man sich für Tennis nicht interessiert. Das liegt vor allem an der Schauspielkunst von Will Smith, der die Figur des Richard Williams mit vielen Facetten zeigt und zu einer schillernden Persönlichkeit macht.

King Richard ist für die diesjährigen Oscars sechsmal nominiert.

Ulrike Schirm


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