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72. Berlinale erste Zwischenbilanz und eine neue Filmkritik zu regulären Kinostarts im Feb. 2022

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sieht die Berlinale auch als ein Signal für kleine Kinos auf dem Land, die um ihr Überleben kämpfen.



Die 72. Berlinale endet zwar erst am nächsten Sonntag, den 20. Februar 2022, doch die Preisträger werden erstmals bereits am heutigen Abend, den 16. Februar 2022, verkündet. Aufgrund der Pandemie wollte man den internationale Gäste und Journalist*innen einen verkürzten Wettbewerb anbieten, um die COVID-Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten.

Weil es auch nur wenige Restaurants und Coffeeshops am Potsdamer Platz gibt, die zur Einkehr einladen, kommt nur geringe Festivalstimmung auf. Immer wieder muss man den Impfnachweis vorweisen, sonst wird man abgewiesen.

Dennoch bleibt die Ansteckungsgefahr nicht unerheblich, denn bei der Omikronvariante fällt eine Infizierung oft nicht sofort auf. So musste gestern Abend Isabelle Huppert zu Hause bleiben und konnte der Goldenen Bären für ihr Lebenswerk nur virtuell per Videoschalte im Berlinale Palast entgegen nehmen.

Der Saal darf während der gesamten Festivaldauer nur zur hälfte im Schachbrettmuster belegt werden. Auch Pärchen werden angewiesen, einen Platz zwischen sich frei zu lassen. Zudem muss auch am Sitzplatz permanent die FFP2 Schutzmaste getragen werden. Bei drei bis vier Vorstellungen am Tag nicht richtig frei atmen zu können, ist äußerst anstrengend. Wir können beobachten, dass immer wieder Sitzplätze mehr als sonst frei bleiben oder frei werden.

Zur Eröffnung der Berlinale hatte die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) die Bedeutung des Filmfestivals unterstrichen und sagte:

"Diese Berlinale soll, weil sie als Präsenzveranstaltung stattfindet, auch ein Zeichen sein, der Ermutigung und der Hoffnung." Sie glaube, die Menschen bräuchten wieder neue Luft für das Erleben von Kultur, so Roth. "Wir wollten alles dafür tun, dass die Menschen, die Gäste sicher sind. Auf der anderen Seite aber uns nicht unterkriegen lassen von Corona"

Roth sieht die Berlinale auch als ein Signal für kleine Kinos auf dem Land, die um ihr Überleben kämpfen: "Ich kann denen Mut machen, ich kann sagen: Lassen wir uns nicht unterkriegen. Die Neustarthilfe, die Sonderfonds, die Überbrückungsmittel, die bereitgestellt worden sind, die auch noch weiterlaufen, die haben dazu geführt, dass wirklich sehr, sehr wenige Kinos pandemiebedingt schließen mussten", so Roth.


Sie selbst war mehrfach im Kino zu sehen und genoss es sichtlich, manch beeindruckende Filme auf der großen Kinoleinwand sehen zu können.

Ein Fazit zu der Berlinale ziehen, dafür ist es noch zu früh. Wollen auch gleich wieder ins Kino, um die letzten Wettbewerbsfilme sehen zu können.

Regulär in den deutschen Filmtheatern startet übrigens am morgigen Donnerstag, den 17. Februar 2022, der Debütfilm der renommierten Theater- und Kinoschauspielerin Katharina Marie Schubert, der uns beeindruckt hat.

„Das Mädchen mit den goldenen Händen" Familiendrama (Deutschland). Mit Corinna Harfouch und Birte Schnöink in den Hauptrollen. Hier der Trailer:



Mit der hochkarätig besetzten Produktion inszeniert Schubert ihren ersten abendfüllenden Spielfilm, für den sie auch das Drehbuch schrieb. Der Film wurde zu großen Teilen im sachsen-anhaltischen Zeitz und Umgebung gedreht.

Synopsis:
Ein kleines ostdeutsches Provinzstädtchen im Jahr 1999 kurz vor dem Millennium-Wechsel. Die Menschen haben schon viele Umbrüche hinter sich, weitere stehen bevor. Gudrun (Corinna Harfouch) feiert heute ihren 60. Geburtstag in einem alten, verfallenen Herrenhaus, das zu DDR-Zeiten als Kinderheim genutzt wurde, in dem auch sie selber elternlos aufgewachsen ist.

Eine schwierige Geschichte zwischen Wehmut und Nostalgie. Zur Geburtstagsfeier reist auch Gudruns Tochter Lara (Birte Schnöink) aus Berlin an. Sie ist mit dem Stiefvater aufgewachsen, über ihren leiblichen Vater wollte die Mutter nie sprechen, entsprechend angespannt ist das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Ausgerechnet während der Feier erfährt Gudrun, dass das ehemalige Kinderheim an finanzkräftige Investoren verkauft werden soll, die es zum Hotel ausbauen wollen: Eine wirtschaftliche Perspektive für die strukturarme Region oder Ausverkauf der eigenen Geschichte? Über diese Frage scheiden sich die Geister im Ort. Während Gudrun in den nächsten Tagen alles daran setzt, das Kinderheim als Gemeinde- und Begegnungszentrum für alle Bewohner zu erhalten, macht sich ihre Tochter Lara auf die Suche nach ihrem Vater und einer Erklärung für die unnachgiebige Härte ihrer Mutter.


In weiteren Rollen sind Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide, Ulrike Krumbiegel, Stephan Bissmeier, Imogen Kogge uvm. zu sehen. Hinter der Kamera steht der vielfach preisgekrönte Rumäne Barbu Balasoiu.

Ulrikes Filmkritik:

Ende 1999 in einer Provinzstadt in der Nähe von Berlin. Gudrun (Corinna Harfouch) wird 60 und bereitet ihre Party vor.

Es soll alles perfekt sein. Gefeiert wird in einem ehemaligen Waisenhaus, in dem sie aufgewachsen ist, ein Ort voller Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR.

Sie wurde damals in einem Körbchen vor die Tür des preußischen Herrenhaus gelegt.

Ihre Tochter Lara (Birte Schnöink) ist aus Berlin zu ihrer Feier angereist. Leicht hat sie es mit ihrer Mutter nicht. Ihr mitgebrachtes Geschenk wird kaum beachtet und die Rede, die sie für ihre Mutter geschrieben hat, wird von Gudrun geändert. Überhaupt, Gudruns Verhalten der Tochter gegenüber ist von Härte und Kühle geprägt.

Auf der abendlichen Feier geht es hoch her. Es wird getanzt, gesungen und Witze erzählt, die meisten über die Eigenarten der „Wessies.“ Doch dann kommt es zum Knall. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag erfährt Gudrun, dass das leerstehende und heruntergekommene Gebäude verkauft und in ein Hotel umgewandelt werden soll.

Voller Wut verlässt Gudrun ihre Party. Von nun an ist sie nur noch von einem Gedanken besessen: Der Verkauf muss verhindert werden. Mit ihrer Sturheit und Härte stößt sie ihre Freunde und ihren Mann Werner (Peter René Lüdicke) und Lara vor den Kopf. Dass sie sich mit allen anlegt, auch mit dem Bürgermeister, ist ihr egal. Verbissen klammert sie sich an die Vergangenheit und will unbedingt ihr Zuhause bewahren.

In ihrem Debütfilm „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ setzt sich Katharina Maria Schubert mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinander. Der Fall der Mauer und des eisernen Vorhangs haben für ungeahnte Veränderungen gesorgt und damit auch das Denken und Handeln verändert.

Sie erzählt vom Verlust, dem Festhalten, von Streit und auch von Versöhnung.

Während Gudrun den Kampf aufnimmt, macht sich Lara auf die Suche nach ihrem Vater, der von ihrer Mutter absichtlich nicht erwähnt wird. Zwischen Mutter und Tochter erkennt man die Kluft zwischen Ost und West, die auch vor Familienzwistigkeiten nicht halt macht. Sie hat es ihrer Tochter nicht verziehen, dass sie in den Westen gezogen ist. Für Gudrun bedeutet es Verrat an der Heimat.

Der Ort, Gudruns Familie, ihr Starrsinn und ihre Härte, das leerstehende Waisenhaus, spiegeln wieder, was sich in der Nachwendezeit abgespielt hat. Dubiose Immobiliendeals waren an der Tagesordnung und glichen einem Ausverkauf der DDR. Vertraute Gewohnheiten gingen verloren und man klammerte sich verzweifelt an die Vergangenheit und wenn es nur aus bloßem Trotz geschah. Für Gudrun fühlt es sich an, als würde mit dem Verkauf ihres Kindheitsortes, Jahre ihres Lebens einfach ausgelöscht. Dass die Gemeinden auch für neue Perspektiven suchen müssen, ist genauso verständlich, wie der Gemütszustand von Gudrun.

Der Titel des Films bezieht sich auf ein Märchen der Gebrüder Grimm, das Gudrun ihrer kleinen Tochter oft vorgelesen hat. Corinna Harfouch macht es einem nicht leicht, sie in ihrer Rolle der schroffen und sturen Gudrun zu mögen. Doch gegen Ende begreift man, warum sie so ist wie sie ist: Liebe, Vertrauen, Nähe und Bindung hat sie nie gelernt und das spielt sie großartig.


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