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Erste Pressevorführungen der 72. Berlinale und zwei Filmkritiken im Jan., Teil 4

Die abgespeckte Form der 72. Berlinale 2022 mit halber Sitzplatzanzahl hat sich auch bei den ersten reduzierten Pressevorführungen bemerkbar gemacht.



Dass die 72. Berlinale 2022 nur in reduzierter Form des Wettbewerbs vom 10. bis 16. Februar 2022 mit anschließenden Wiederholungen fürs Publikum bis zum 20. Februar 2022 stattfindet, dürfte bereits aus den Medien bekannt sein. Weitere Einzelheiten werden wir morgen veröffentlichen.

Wegen der sehr strengen Hygieneregelungen, bei denen auch geboosterte Personen einen tagesaktuellen Corona-Test vorlegen müssen, wurden die ersten drei Pressevorführungen des Forums gestern nur spärlich besucht. Ob das so bleibt, wird sich die nächsten Tage zeigen.

Die offizielle Programmpressekonferenz wird sogar am Do., 19. Januar 2022 nur online um 11:00 Uhr auf der Homepage der Internationalen Filmfestspiele sowie auf YouTube stattfinden.

Das komplette Programm wird aber erst am 1. Februar 2022 veröffentlicht.

Link: www.berlinale.de

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Nach dem erfolgreichen Start des japanischen Stücks "Drive My Car" in den Arthouse-Kinos (den wir am 22. Dezember 2021 besprochen hatten), lief letzten Donnerstag auch "Spencer" an. Pablo Larraíns »Biopic-Drama« über Lady Di bringt die imaginären Welten einer eingesperrten Ikone auf die Leinwand. Einige konnten den Film bereits im Dezember 2021 beim Weltfilmfestival »Around the World in 14 Films« in der Berliner Kulturbrauerei sehen.

"SPENCER" Doku-Fiktion vom chilenischen Regisserur Pablo Larraín, die ihre Premiere 2021 bei den Internationalen Festspielen von Venedig feierte. (Deutschland, Großbritannien). Mit Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Nielen u.v.a. seit 13. Januar 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
Nach "Jackie: Die First Lady" nun mit "Spencer" eine Fabel von Pablo Larraín über die verstorbene Prinzessin von Wales, ehemals Diana Spencer, die auf einer wahren Tragödie basiert.

Als Pablo Larraíns Princess Diana Film bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, erhielt Kristen Stewart drei Minuten lang stehende Ovationen. Der Film "Spencer" spielt in den frühen 1990er Jahren während der Weihnachtstage auf dem Landsitz Sandringhouse.

Die Ehe zwischen ihr und Charles liegt längst in Scherben. Trotz aller Gerüchte über seine Affären werden der Rinz und die Prinzessin of Wales das Weihnachtsfest unter einem Dach verbringen. Noch gehört es zu ihrer Aufgabe vor den Blicken der Öffentlichkeit die Fassade aufrecht zu erhalten. Für die junge Frau eine Tortur.

Während Diana in ihrem Porsche in der Weite der Landschaft umherirrt und das Anwesen sucht, ohne Fahrer und Security, bewegt sich eine Kolonne von militärischen Lastwagen auf den Landsitz zu. Ein Bataillon von Soldaten liefert das Essen für die Feiertage in MG-Kisten. Unter den strengen Vorgaben des Küchenchefs Darren McGrady (Sean Harris) marschiert die Koch-Brigarde militärisch straff an ihren Arbeitsplatz.

Auf ihrer Irrfahrt entdeckt Diana auf freiem Feld eine Vogelscheuche im Mantel ihres Vaters. Sie nimmt den Mantel mit, weil er sie an ihr Leben in Freiheit erinnert, als sie noch Diana Spencer war.

Endlich angekommen, muss sie sich einer alten Tradition beugen und sich wiegen. Jedes Mitglied der königlichen Familie soll mindestens drei Pfund über die Feiertage zunehmen. Von dem Moment an, ist jeder Schritt von ihr streng reglementiert. Diana Spencer schnürt es die Luft ab in dem engen Sittenkorsett, in das sie die Monarchie zwängen will. „Here in this house is no future. Past and the present are the same thing“.

Der straffe Zeitplan und die Kleiderordnung zu den weihnachtlichen Festbankettes, nehmen ihr jegliche Individualität. Beim Essen wird sie von den Royals verächtlich beobachtet. Zwischen den einzelnen Gängen flüchtet sie ins Bad, um sich zu übergeben. Die geforderten drei Pfund Gewicht nimmt sie bestimmt nicht zu. Während alle um sie herum gravitätisch ihre grüne Erbsensuppe löffeln, glaubt Diana an ihrer Perlenkette zu ersticken. Nach einem langen Blick zu Charles (Jack Farthing) hat sie eine alptraumhafte Vision: Sie reißt sich die Kette vom Hals, die Perlen rollen in die Suppe. Eine Perle legt sie auf den Löffel, beißt zu und schluckt sie herunter, um sie wieder auszukotzen. Ein Sinnbild für ihren tiefen Schmerz den Charles ihr zugefügt hat, als sie erfuhr, dass er die gleiche Kette seiner Geliebten Camilla zu Weihnachten geschenkt hat.

Ihre Söhne William (Jack Nielen) und Harry (Freddie Spry) spüren, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmt. Der verzweifelte William bittet seine Mutter inständig sich zusammenzureißen. Aber wie und warum? Beim Spiel mit ihren Kindern erlebt man sie warmherzig und natürlich. Halt und Zuspruch findet sie bei ihrer Zofe Maggie (Sally Hawkins), der einzigen Person, der sie sich anvertrauen kann. Auch Küchenchef Darren zeigt Verständnis für ihre Situation. Es grenzt schon fast an Boshaftigkeit, dass die Queen (Stella Gonet) Major Gregory (Timothy Spall) beauftragt hat die Unruhestifterin Diana nicht aus den Augen zu lassen und sie einzuschüchtern. Gregory hat nichts Eiligeres zu tun, als die Vorhänge in ihrem Gemach zuzunähen, damit niemand reinschauen kann und Diana nicht heraus?

Regisseur Larraín, der schon 2016 mit „Jackie“ über Jacqueline Kennedy einen von der Idee ähnlichen Film drehte, zeigt in "Spencer" den Zustand Dianas, als eine Frau, kurz vor dem Zusammenbruch, total aus ihrer Perspektive und wie aus einem Märchen ein Schauermärchen wurde. Der entrückte Score von Jonny Greenwood, dem Radiohead-Gitarristen unterstreicht das Drama einer Frau, die von sich selbst glaubt, den Wahnsinn anzuziehen und die keine Prinzessin mehr sein will, sondern nur noch die Mutter ihrer Söhne.

Larrain nennt seinen Film „Eine Fabel, die auf einer wahren Tragödie basiert“.

Wie Kristen Stewart Lady Di interpretiert, ist ganz großes Kino. Die Ähnlichkeit im Ausdruck und Gestus, ihre Art zu sprechen und wie sie den Kopf scheu zur Seite neigt, ist verblüffend und fern von billiger Imitation.

Geschieht am Ende des Dramas bei den Klängen des Hits aus den Achtzigern „All I need is a miracle, all Ineed is you“ doch noch ein Wunder?

Übrigens, die Szene in der Riesenküche voller Delikatessen, in der sich Diana heimlich den Mund vollstopft, wurde in Berlin in der Max-Schmeling-Halle gedreht.

Ulrike Schirm


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"GLORIA MUNDI – Rückkehr nach Marseille" Drama von Robert Guédiguian (Frankreich). Mit Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan u.v.a. seit 13. Januar 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

„In seinem neuen Film „Gloria Mundi“, was so viel heißt wie Ruhm der Welt, zeichnet Regisseur Robert Guédiguian („Marius und Jeanette“, „Das Haus am Meer“) eine neokapitalistische Welt in der bürgerliche Existenzen zerbrechlich sind wie Kartenhäuser und die, die noch für eine gesellschaftliche Solidarität eintreten möchten, haben fast keine Mittel mehr dazu“.

Angesiedelt hat er seinen Film im heutigen Marseille. Ruhmreich ist in diesem Film nichts.

Ein Kind wird geboren. Ein Mädchen. Sie nennen es Gloria. Die Eltern sind glücklich. Im Hintergrund Choralgesang. Da die Eltern arbeiten müssen, bringen sie das Baby zu einer Tagesmutter. Glorias Mutter Mathilda (Anais Demoustier) arbeitet in einem Klamottenladen unter prekären Verhältnissen. Sie wird ausgenutzt, gedemütigt und schlecht bezahlt. Ihr Mann Nico, der für Uber Taxi fährt, wird überfallen und zusammengeschlagen. Von da an ist er arbeitslos.

Sylvie (Ariane Ascaride), Mathildas Mutter, die nachts putzen geht, kann es sich nicht leisten, für bessere Löhne zu streiken. Ihr Mann Richard (Jean-Pierre Darroussin, mit dem sie in zweiter Ehe verheiratet ist, ist als Busfahrer unterwegs.

Mathildas Halbschwester Aurore (Lola Naymark) haut kaltblütig in ihrem Secondhandshop in Not geratene Kunden übers Ohr. Zur Familie gehört auch noch Daniel Ortega (Gérard Meylan), der erste Mann von Sylvie und Mathildas Vater, der zwanzig Jahre lang in Rennes im Knast saß, weil er in Notwehr getötet hatte. Es fing alles damit an, dass er gestohlen hat, um Sylvie ein besseres Leben zu bieten. Er mietet sich in einem einfachen Hotel ein und kümmert sich liebevoll um Gloria, denn seit Nicos Überfall, kann die kleine Familie das Geld für die Tagesmutter nicht mehr aufbringen. Nicos Arm ist geschient und er darf vorerst nicht Taxe fahren. Obwohl er seiner Arbeitgeberin vorführt, dass er mit dem geschienten Arm fahren kann, bleibt sie hart. In seiner Verzweiflung wird er ihr gegenüber gewalttätig. Sylvie und Daniel suchen Nicos Arbeitgeberin auf und bitten sie, von einer Anzeige gegen Nico abzusehen. Dabei erfährt der Zuschauer Sylvies tragische Geschichte und ihre Angst, dass es Mathilda womöglich genauso ergeht wie ihr...

Daniel hat im Knast die Poesie entdeckt. Er schreibt Haikus, um die schönsten Momente für die Ewigkeit festzuhalten. Er ist es, der weiß was zu tun ist, als das Drama sich zur Tragödie wendet.

Warmherzig und unsentimental erzählt Guédiguian die Geschichte eines Paares, das nach der Freude über die Geburt seines Kindes durch schwere Zeiten geht, umgeben von sozialer Kälte und das, bei dem Versuch über die Runden zu kommen, die Hilfe der gesamten Familie braucht. Trotz einschleichender Armut bleiben seine Figuren dennoch kraftvoll. Sein Drama endet mit dem Choralgesang wie am Anfang.

Ulrike Schirm


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